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WIEN/ Wien/ MuTh/ Armel Opera“: LE NOZZE DI FIGARO

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Wien/ MuTh:/ Armel Opera“: LE NOZZE DI FIGARO am 4.7.2019
 „Figaro am Augartenspitz“. „Le nozze di Figaro“, Armel Opera Festival im MuTh


Copyright: MuTh/Augarten

Das Armel Opera Festival war im MuTh zu Gast. Eine Koproduktion des Nationaltheaters Györ und von Co-Opera brachte „Le nozze di Figaro“ in den Konzertsaal der Wiener Sängerknaben am Augartenspitz.

Seit 2017 reist das Budapester Armel Opera Festival Anfang Juli für einen Kurzbesuch nach Wien. Heuer standen zwei Produktionen mit jeweils einer Aufführung auf dem Programm. Den Beginn machte Mozarts unverwüstlicher „Figaro“; am Tag darauf folgte eine auf Claudio Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ basierende Musiktheaterperformance „Away, no matter where“ (die von mir nicht besucht wurde)…

http://www.operinwien.at/werkverz/mozart/afigaro19.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at


STUTTGART/ Staatsoper: SALOME. Wiederaufnahme der Serebrennikov-Inszenierung

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Simone Schneider (Salome). Foto: A.T.Schaefer
 
„Salome“ von Richard Strauss am 6. Juli 2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Gewalt des Patriarchats

Anlässlich der Freilassung von Kirill Serebrennikov aus dem Hausarrest in Moskau zeigt die Staatsoper dessen „Salome“-Produktion in einer Wiederaufnahme. Kirill Serebrennikov stellt die Geschichte einer kaputten Familie in einer kaputten Welt ins Zentrum seiner Inszenierung von Strauss‘ Oper. Im Zuge der Wohlstandsverwahrlosung wird die Gewalt des Patriarchats in den Mittelpunkt einer modernen Fernsehwelt gerückt. Jochanaan ist ein IS-Kämpfer, die Figur ist als Stimme und als Körper zu erleben. Im Fernsehen sieht man neben Donald Trump auch Angela Merkel, das gesamte Weltgeschehen wird ad absurdum geführt. Salome begehrt immer wieder gegen ihre Familie auf – sie langweilt sich bei ihren Eltern Herodes und Herodias. Die Begegnung mit dem Propheten Jochanaan ist für Salome in dieser Inszenierung eine Art Befreiungsschlag (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Carmen C. Kruse). In suggestiven Video-Sequenzen von Ilia Shagalov (Bühne: Pierre Jorge Gonzalez) werden islamische Konflikte in beklemmender Großaufnahme gezeigt, es kommt zu handgreiflichen Übergriffen und Bedrohungen, die den Zuschauer unmittelbar fesseln. Schließlich verlangt Salome von Herodes den Kopf des Jochanaan, weil sich dieser ihr verweigert hat. Sie konnte seinen Mund nicht küssen.


Foto: Martin Sigmund

Der Schleiertanz von Salome wird hier mit Insektenflügeln und Totenkopf nur angedeutet. Das gehört insgesamt zu den schwächsten Szenen der Inszenierung. Alles wirkt maskenhaft, in der oberen Etage vergnügt sich Herodias im Bett mit muskulösen schwarzen Männern. Die Szene mit Jochanaans abgeschlagenem Kopf wird in der Inszenierung auf offener Bühne gespielt, im Hintergrund sieht man monströse Aufnahmen von verschiedenen Gesichtern, die sich gegenseitig zu ergänzen scheinen. Sexuelle Begehrlichkeiten werden hier nur angedeutet, es gibt aber auch lesbische Tendenzen. Der in Salome unglücklich verliebte Hauptmann Narraboth zerbricht schließlich an Salomes fatalem erotischem Interesse an Jochanaan.

Unter der emotionalen Leitung von Roland Kluttig kann sich das Staatsorchester Stuttgart sehr gut entfalten. Das organisch Fließende und die freie Polyphonie dieser Musik kommen dabei überzeugend zur Geltung. Dies nutzt auch den Sängern – allen voran Simone Schneider als überaus stimmgewaltiger Salome sowie Matthias Klink als höchst erregtem Herodes. In weiteren Rollen fesseln ferner Josef Wagner als Jochanaans Stimme (Jochanaans Körper: Luis Hergon) sowie Maria Riccarda Wesseling als mondäne Herodias. Die Farbenpracht der Tonsprache vermag Roland Kluttig (ab 2020 Chefdirigent der Grazer Philharmoniker und der Oper Graz) in jeder Hinsicht zu bündeln und organisch sinnvoll zu gestalten. Kontrapunktisch reizvolle klangliche Entwicklungen sind so vorprogrammiert. Sinfonisch verdichtete Linien können sich wirkungsvoll entfalten. Eine visionäre Tonsprache beherrscht ferner den „Tanz der sieben Schleier“. Bei Salomes Schlussmonolog kann Simone Schneider das unendlich strömende Melos ganz hervorragend verdeutlichen. Hier verschmelzen Singstimme und Orchester zu einer intensiven Einheit.

In weiteren Gesangsrollen gefallen ferner Elmar Gilbertsson als verzweifelter Narraboth sowie Ida Ränzlöv als markanter Page. Die Juden sind mit Torsten Hofmann, Heinz Göhrig, Kai Kluge, Minseok Kim und Andrew Bogard fulminant besetzt. Auch die kleinen Rollen stechen hier heraus. David Steffens und Moritz Kallenberg als Nazarener, Pawel Konik und Michael Nagl als Soldaten sowie Jasper Leever als Kappadozier und Aoife Gibney als Sklave bieten facettenreiche Rollenporträts. Das dichte Geflecht von Leitmotiven wird unter der Leitung von Roland Kluttig immer wieder stimmungsvoll entwirrt, äußere und innere Dynamik ergänzen sich. Die wie Schreie wirkenden Motive werden von einer nervösen Gesangslinie durchbrochen. In dem turbulenten Geschehen ragen die monumentalen harmonischen Blöcke wie wuchtige Quadern hervor – doch die Singstimmen werden vom Staatsorchester Stuttgart nie zugedeckt. Wie in einer Stretta erfolgt der letzte scharfe Zusammenstoß der unvereinbaren Gegensätze von Jochanaan und Salome: „Deinen Mund begehre ich, Jochanaan!“ Im Schlussmonolog von Salome gelingt es Simone Schneider glänzend, den musikalischen Wettstreit zwischen den beiden extremen Tonarten As-Dur und Cis-Dur herauszuarbeiten. Auch der streng symmetrische Aufbau des Judenquintetts wird von Roland Kluttig nie vernachlässigt. Zuletzt gab es Jubel für alle Beteiligten.

 
Alexander Walther

KLOSTERNEUBURG/ Kaiserhof des Stifts/ NÖ: LES CONTES D’HOFFMANN. Premiere

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Clemens Unterreiner (Bösewichter), Zurab Zurabishvili (Hoffmann), Johanna Weinstich (Stella), Foto Lukas Beck


Stift Klosterneuburg/Kaiserhof: LES CONTES D’HOFFMANN (6.7.2019)

 

Da hatte sogar der Himmel Einsehen – „CONTES D’HOFFMANN“ IM KAISERHOF VON KLOSTERNEUBURG (6.7.2019)

Ein kleiner Platzregen hätte wohl zum Abbruch der Vorstellung geführt, die sich heuer zum 200.Geburtstag von Jacques Offenbach als besonders gelungen erwies. Doch hatte da  offenbar sogar der Himmel Einsehen, dass er diese Premiere nicht beeinträchtigte. Einmal in der Pause und dann nach dem Antonia-Akt begann es zu Tröpfeln, was besonders in Klosterneuburg zum sofortigen Stopp führt, fehlt doch jeder Regenschutz. Aber ein echtes Gewitter ergoss sich erst um Mitternacht, da hatte die Mehrzahl des Publikums seine Heimreise angetreten. Und mit einem musikalischen „Ohrwurm“ im Kopf, den man lange nicht vergessen wird. Die Apotheose des sterbenden Hoffmann-ich habe sie noch nie so intensiv vorgetragen erlebt: „Groß ist die Liebe, aber größer noch das Leid“ verbunden mit einer Melodie ohnegleichen erzielte bei mir jenen Gänsehaus-Effekt, den wir „Opern-Enthusiasten“ immer suchen und so selten finden.

Doch halten wir uns an die Chronologie der Vorstellung. Die Besetzung entsprach langjährigen Usancen: am Pult der BeethovenPhilharmonie agiert Christoph Campestrini. Er holt ein Maximum aus der an sich schwierigen Klang-Situation heraus, auch der Chor der operklosterneuburg (Leitung Michael Schneider) läuft zur Höchstform auf und  auch die Mehrzahl der Sänger haben bereits „Family-Status“:


Daniela Fally (Olympia), Zurab Zurabishvili (Hoffmann), Foto Roland Ferrigato

Daniela Fally ist eine virtuose Puppe Olympia, neobarock, lebensfroh, köstlich. Auch Clemens Unterreiner ist als „Bösewicht vom Dienst“ ganz in seinem Element. Er agiert zeitweise wie ein Spiegelbild von Hoffmann. Ist einmal zynisch, dann elegant. Höhepunkt ist die „Spiegel-Arie“ mit wahrer Belcanto-Qualität und das Terzett mit Antonia (ausgezeichnet Florina Ilie) und der Mutter (grandios Regine Hangler).

Leider kann der Titelheld – der georgische Tenor  Zurab Zurabishvili – nicht immer mithalten. Trotz enormem Material stößt er immer wieder an seine vokalen Grenzen und kommt mit der Tessitura der „Offenbach-Oper“ mitunter nur mit Mühe zurecht. Vielleicht war es auch nur eine Proben – Übermüdung, die den Erfolgs-Canio von einst diesmal nur in die zweite Reihe stellen ließ. Großartig – ohne jede Einschränkung – die Muse Niclausse; Margarita Gritskova  hat in einer aufgewerteten Version viel mehr als üblich zu singen. Sie prunkt mit Höhen und Tiefen, versprüht Charme – ein wahrer Glücksfall! Etwas zu bieder Thomas Glenn in den 4 Tenorrollen (Franz, Andreas etc.), dies gilt auch für den Luther/Crespel von Horst Lamnek und auch die Giulietta der von Eugenia Dushina war  nur ordentlich – nicht mehr aber auch nicht weniger.


Eugenia Dushina (Giulietta), Zurab Zurabishvili (Hoffmann), Foto Lukas Beck

Die Inszenierung von Francois de Carpentries (Bühne Hans Kudlich) bietet einen Mix aus „Phantastischem Realismus“, Zirkus-Atmosphäre und obligater Sozialkritik (Schwestern des 1.Weltkrieges ?). Aber der Zauber in Klosterneuburg geht ja doch in erster Linie von der musikalischen Umsetzung aus. Und vom Zittern vor den Launen des Wetters.

Peter Dusek

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: LILIOM. Oper von Johanna Doderer (Musik) und Josef E. Köpplinger (Libretto)

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Camille Schnoor (Julie), Christoph Filler (Wolf Beifeld) und Cornelia Zink (Marie). Foto: Thomas Dashuber

 

 

München: Gärtnerplatztheater 06.7.2019 (Spielzeitpremiere)
„LILIOM“
Oper von Johanna Doderer (Musik) und Josef E. Köpplinger (Libretto)

Frei nach dem Bühnenstück „Liliom“ von Ferenc Molnár in der Übertragung von Alfred Polgar

Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz: Uraufführung am 4.11.2016

 Es ist möglich, mein Kind, dass einen jemand schlägt und es doch gar nicht wehtut …

Über die Uraufführung der Oper „Liliom“ am 4. November 2016 wurde bereits in unterschiedlichen Presseorganen mehrfach berichtet. Dabei wurde die reichhaltige Rezeption des Bühnenstückes auf der Bühne, im Film, als Musical und als Ballettvorlage ebenso beleuchtet wie seine enge Verflechtung mit unterschiedlichen Stationen in Molnárs Biographie – bis hin zu seinem Grabstein, dem ein Zitat aus „Liliom“ eingeschrieben wurde: „Liliom, schlaf, mein Junge, schlaf …“. Auch die musikalische Bearbeitung des Stoffes durch die zeitgenössische österreichische Komponistin Johanna Doderer – übrigens die Großnichte des Romanciers Heimito von Doderer, von manchen dessen Romanfiguren der Liliom gar nicht so weit entfernt ist – wurde bereits ebenso thematisiert wie Josef Köpplingers eindrucksvolle Inszenierung des Werks und deren professionelle Realisierung durch das Ensemble des Münchner Gärtnerplatztheaters.

Doch gleicht kein Opernabend dem anderen und jede Vorstellung besitzt ganz individuelle und unvergleichliche Momente, weshalb ich nun, anlässlich der diesjährigen Spielzeitpremiere am 6. Juli, nochmals über „Liliom“ berichten möchte, um vielleicht den bereits vorliegenden Schilderungen einige persönliche Eindrücke und Facetten der aktuellen Aufführung hinzuzufügen. Hinzukommt eine – zwar gänzlich unfreiwillige und sicherlich anfänglich für das gesamte Ensemble durchaus beunruhigende – Besonderheit eben dieses Abends, nämlich die äußerst bedauerliche plötzliche Indisposition von Camille Schnoor (Julie). Wie Josef Köpplinger vor Beginn der Vorstellung erläuterte, war es möglich, die Aufführung kurzfristig zu retten, was in erster Linie Judith Spiesser, der Julie des Tiroler Landestheaters Innsbruck, zu verdanken war, weil sie ohne zu zögern ihren Urlaub unterbrach, nach München kam und die Julie stimmschön und äußerst präzise aus der Seitenloge sang, während Camille Schnoor die Rolle eindrucksvoll und in jeder Hinsicht berührend auf der Bühne verkörperte. Allen Beteiligten, zuvörderst aber den beiden Sängerinnen, sei aufs Herzlichste für diese kollegiale, unkomplizierte und beeindruckende Leistung gedankt – eine solche Lösung ist nur mittels höchster Professionalität und tiefstem Rollenverständnis überhaupt möglich, worüber beide „Julies“ bewundernswert verfügen und damit die Aufführung als ganz besonderes und singuläres Erlebnis gestalteten.

Bildergebnis für münchen/ Gärtnerplatztheater liliom
Daniel Prohaska (Liliom) und Camille Schnoor (Julie). Foto: Thomas Dashuber

Der Vorstadt-Don Giovanni Liliom besitzt zwar nicht die Grandezza seines entfernt verwandten Mozart’schen Vorbildes, doch in jedem Falle dessen Kompromisslosigkeit: von dem himmlischen Polizeikonzipisten (Erwin Windegger) beim Verhör in die Enge getrieben, beharrt er derart trotzig darauf, keine Reue zu empfinden, dass man sich deutlich an Don Giovannis letzte Auseinandersetzung mit dem aus dem Jenseits zurückgekehrten Komtur erinnert fühlt. Egozentrisch, arbeitsscheu und rücksichtslos ist Liliom auch kein Wozzeck, der ja nicht aufgrund seiner Veranlagung, sondern durch die kriegsbedingt katastrophalen Lebensumstände dem Wahnsinn verfällt, zur tragischen Figur und letztlich zum psychopathischen Mörder seiner Geliebten Marie wird. Im Unterschied dazu trägt Liliom die Veranlagung zum Hallodri und Taugenichts tief ins sich und ist deshalb auch nicht fähig zu einem bürgerlichen Leben – „ich bin aber kein Hausmeister“ versichert er dem himmlischen Kommissar. Folgerichtig beschränkt sich sein Argumentationsradius auf physische Grobheit und Prügel, womit er keineswegs sparsam umgeht – er prügelt Julie, weil er es nicht erträgt, sie weinend und unglücklich zu sehen, und prügelt ebenso jede andere Person, die ihm auch nur den geringsten Widerstand entgegensetzt. Dem Tenor Daniel Prohaska gelingt mit bemerkenswerter Bühnenpräsenz und beeindruckender Musikalität eine meisterhafte Charakteristik des attraktiven, verantwortungslosen, groben, aber letztendlich auch zutiefst unsicheren und trotz allem liebenswerten Taugenichts in seiner ganzen innerlichen Zerrissenheit und Sprunghaftigkeit. Den hohen musikalischen Anforderungen der anspruchsvollen Partie ist er in jeder Hinsicht gewachsen, da er ganz mühelos über die erforderliche große stimmliche Bandbreite und Flexibilität sowie Modulationsfähigkeit verfügt.

Dem Liliom durchaus ebenbürtig in ihrer analogen Kompromisslosigkeit ist seine Geliebte Julie, die nicht nur in der ersten Konfrontation mit der eifersüchtigen Ringelspielbesitzerin Frau Muskat (eine sehr emotionale, durchaus sympathische Demimonde, die schon bessere Zeiten erlebt hat, so die souveräne und treffsichere Interpretation der Rolle durch Angelika Kirchschlager) keinen Zentimeter von ihrem Standpunkt abweicht, sondern auch später, nach Lilioms Selbstmord, sämtliche Hilfsangebote brüsk zurückweist. Kompromisslosigkeit und die Unfähigkeit, Gefühle zu artikulieren, verbindet sie mit Liliom, doch ist sie, im Unterschied zu ihm, tiefster Gefühle bis hin zur Selbstaufopferung fähig – und nur aus diesem Grund vermag sie Lilioms Grobheit zu ertragen. Ihre musikalische Charakteristik ist demnach auch zentriert um eben diese brüske Unnachgiebigkeit, die sich in kurzen, abgehackt wirkenden Sequenzen manifestiert und nur ein einziges Mal ariös aufgebrochen wird, als sie in ihrer Klage um den toten Liliom ihren Gefühlen für ganz kurze Zeit freien Lauf lässt, und ihn als das anspricht, was sie dem Lebendigen niemals sagen konnte: als einen groben, nichtsnutzigen, aber ihr dennoch unendlich lieben Menschen.

Julies Freundin Marie (wunderbar klangschön und in jeder Hinsicht bezaubernd verkörpert von Cornelia Zink) und ihr Liebster Wolf Beifeld (leider eine viel zu kleine Rolle für den hochtalentierten Charakterdarsteller Christoph Filler) repräsentieren ein Paar, das gegensätzlicher zu Julie und Liliom nicht sein kann: beides sind ehrliche, biedere und strebsame Menschen, die sich aus anfänglicher Armut zu bescheidenem Wohlstand hocharbeiten. Die naive Marie, ein einfaches Mädchen vom Lande, wird zwar häufig belächelt und gelegentlich sogar als „dumme Gans“ beschimpft, doch lässt sie ihr gutes Herz niemals im Stich. Als einzige hält sie in unverbrüchlicher Treue zu Julie, unterstützt sie auch finanziell und hofft sogar in ausweglosen Situationen immer auf eine Wendung zum Guten. Folgerichtig ist sie auch die einzige Person im Drama, die musikalisch durch reinste Melodik mit Arienqualität (so insbesondere, als sie Julie zum ersten Mal von ihrem Wolf vorschwärmt) ausgezeichnet und solcherart auch hervorgehoben wird.

Der eigentliche Bösewicht des Dramas ist allerdings nicht Liliom, der Taugenichts, sondern sein zwielichtiger Freund Ficsur (Matija Meić hier als Meister der leisen Töne und unterschwelligen Bedrohung), der, ähnlich wie Strawinskys Nick Shadow in „The Rakes Progress“, als Verführer mit teuflischer Penetranz auftritt. Selbst ein eiskalter Krimineller überredet er den von Zweifeln und nicht eingestandenen Ängsten geplagten Liliom zur Beteiligung an einem Raubmord. Der arbeitsscheue Liliom willigt in den ihm nicht ganz und gar nicht geheuren Plan ein; paradoxerweise veranlasst ihn dazu ein Anflug nie gekannten Verantwortungsbewusstseins seinem noch ungeborenen Kind gegenüber, für dessen Versorgung er seinen Anteil an der Beute aufwenden will. Ficsur hingegen nimmt ihm das gesamte, noch überhaupt nicht vorhandene Geld schon vor dem Überfall im Kartenspiel ab, und verschwindet schattengleich, als der Überfall scheitert. Und über allem kreist wie das Rad der Fortuna in Orffs Carmina Burana das Ringelspiel … – auch dies ein ganz hervorragender Einfall der ideenreichen und – im positiven Sinne, ohne kleinteilig zu werden – detailverliebten Regie Josef Köpplingers.

Während der sternenzählende himmlische Kinderchores (Einstudierung: Verena Sarré) eine gewisse Nähe zum Kitsch nicht verleugnen kann (was aber die Leistung dieses Chores als solche nicht schmälern soll), ist die Funktion des Erwachsenenchores (Einstudierung: Felix Meybier) umso interessanter: bereits sein Auftritt in der ersten Szene, wo Choralsequenzen mit Elementen der Minimal Music verbunden werden, zeigt deutlich seine Nähe zu dem Chor der griechischen Tragödie, der das Geschehen begleitet und kommentiert, doch niemals selbst aktiv eingreift. Noch deutlicher wird dies in der Szene des misslungenen Raubmordes am Bahngleis, wo der Chor auf einen reinen Klangkörper ohne Textelemente reduziert das Geschehen völlig teilnahmslos einrahmt. Die Assoziation mit dem Chor der antiken griechischen Tragödie ist als verfremdendes Element insofern bedeutungsvoll, als dieser in seiner ursprünglichen Funktion stets eine innerliche Wandlung, die „Katharsis“, kommentiert, welche bei den Protagonisten dieses Dramas ja gerade eben nicht zustande kommt und auch gar nicht beabsichtigt ist.     

„Wo die Sprache aufhört, da fängt die Musik an“: so beschreibt die Komponistin Johanna Doderer die emotionale Qualität ihrer Musik, die gerade den sprach-losen Protagonisten Julie und Liliom das einzig mögliche Vehikel ihrer durchaus vorhandenen Emotionen bietet. Doch birgt Doderers Musik noch viel mehr: sie ist ein hochintelligentes Geflecht einer Vielzahl unterschiedlicher musikalischer Zitate, die treffend und ideenreich, gleichsam als musikalische Collage, jedoch mit stets individuellem Charakter und authentischer Klangfärbung kombiniert werden. Die eingeflochtenen Zitate werden durchweg in ganz ungewöhnlicher Weise aufgebrochen, was dem Bühnengeschehen ein hohes Maß an dramatischer Spannung verleiht; Doderers epochenübergreifende musikalische Sprache, welche die gesamte Bandbreite zwischen Gregorianik und Minimal Music zu integrieren versteht, ist nuancenreich und ausdrucksstark. Dem empathischen und sensiblen Dirigat von Michael Brandstätter ist es zu verdanken, dass sämtliche Schattierungen und musikalische Anspielungen hör- und nachvollziehbar wurden, so beispielsweise die zahlreichen Zitate aus Puccini-Opern (insbesondere aus „La Fanciulla del West“ und „Il Tabarro“) – vor dem Hintergrund, dass Puccini selbst den Liliom hätte vertonen wollen, doch Molnár ihm niemals die Genehmigung dazu erteilt hatte, sind speziell diese musikalischen Zitate gleichzeitig als Reminiszenz und Hommage zu verstehen. Äußerst beeindruckend ist die Szene nach Lilioms Tod, als die beiden himmlischen Detektive (Alexandros Tsilogiannis und Holger Ohlmann) ihn abführen und ganz unverkennbar der Cantus firmus der Geharnischten aus der „Zauberflöte“ intoniert wird: auch dies eine äußerst intelligente Reminiszenz an ein Bühnengeschehen, wie es unterschiedlicher nicht sein kann: während Tamino und Pamina ihren Läuterungsweg freiwillig und aus eigenen Kräften beschreiten, um bravourös zu reüssieren, unterzieht sich Liliom nur gezwungenermaßen dem Fegefeuer, das auch nach 16 Jahren Dauer keinerlei positiven Einfluss auf ihn hat: die zugestandene Chance, für einen Tag auf die Erde zurückzukehren, um seiner Tochter etwas Gutes zu tun, verspielt er wieder durch Gewalt: als sich das Mädchen weigert, ihm Glauben zu schenken, schlägt er auch sie hart auf die Hand. Die Oper endet dennoch mit einem Wunder: das Mädchen spürt den Schlag nicht, nur eine sanfte Berührung, was, wie Julie ihrer Tochter erklärt, durchaus im Rahmen des Möglichen sei. Ungesagt bleibt, dass ein solches Gefühl nur eine ganz tiefempfundene und kompromisslose Liebe bewirken kann – doch in dieser Oper wird eben nicht über Gefühle gesprochen.

Isabel Grimm-Stadelmann

VERONA/ Arena: CARMEN – Wiederaufnahme der de Ana-Inszenierung

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Georges Bizet: Carmen, Arena di Verona, Vorstellung/Wiederaufnahme: 06.07.2019

 

Carmen im Bürgerkrieg

 Premiere von Hugo de Anas (Regie, Bühnenbild und Kostüme) Sicht der Carmen war im vergangen Jahr. Nun wurde sie wiederaufgenommen.

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Foto: Arena Opera Festival 2019.

Den ganzen Abend finden sich Dutzende von Holzkisten und immer mindestens ein alter Lastwagen auf der Bühne, so dass der Eindruck der Schmuddelecke einer demnächst insolvent werdenden Transportfirma erweckt wird. Das Bestreben Carmen aus dem Kitschkontext zu lösen, ist ja beileibe nicht neu und durchaus löblich, aber die Bühne als Schrottplatz zu zeigen und dann mit ein paar Plakaten aus den 1920ern zu dekorieren, zeigt weder die Kneipe des Lilias Pastia noch stellt es einen sinnvollen Bezug zum spanischen Bürgerkrieg her. Die Schmugglerszene im dritten Akt wirkt eher wie ein Grenzzaun in einer städtischen No go-Area. Das Gewusel auf der jeweils masslos überladenen Bühne (Aida zeigt, dass es auch anders geht) trägt nicht wesentlich zum Verständnis der Oper bei.

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Foto: Arena Oper Festival 2019.

Musikalisch ist der Abend wesentlich besser. Ksenia Dudnikova ist eine Carmen, die keine Wünsche offen lässt. Grosse Bühnenpräsenz, wirkliche Durchdringung der Rolle gepaart mit einer phantastischen Stimme (diese Tiefe!) macht die «femme fatale» nachvollziehbar wie selten. Martin Muehle ist ihr ein ebenbürtiger Partner, auch wenn im Verlauf des späteren Abends die Anstrengung ab und zu hörbar wird. Mit gaumiger Tongebung, fahlem Klang und grosser Textunverständlichkeit hat Erwin Schrott einen schlechten Abend erwischt. Das Aussehen ist halt nur die halbe Miete. Ruth Iniesta harmoniert als Micaëla aufs Beste mit Don José. Karen Gardeazabal (Frasquita) und Clarissa Leonardi (Mercédès) sowie Nicolò Ceriani (Dancairo) und Roberto Covatta (Remendado) als auch Gianluca Breda (Zuniga) und Italo Proferisce (Moralès) ergänzen das Ensemble auf hohem Niveau.

Daniel Oren treibt das Orchester der Arena di Verona mit wild rudernden Armen und bis auf die Steine hinauf hörbaren, akustischen Äusserungen zu sehr guter Leistung.

Musikalisch sehr gut, szenisch hätte man weitaus mehr draus machen können.

Weitere Aufführungen: 10.07.2019, 13.07.2019, 18.07.2019, 23.07.2019, 27.07.2019, 02.08.2019, 24.08.2019., 27.08.2019, 04.09.2019.

 

07.07.2019, Jan Krobot/Zürich

ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus: ALCINA. Premiere

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Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus: ALCINA von G.F.Haendel

Premiere am 6. Juli 2019

Schoene Stimmen im Gruenen

Die Armonia Atenea, das Orchester der Athener Musikfreunde, hat sich im Bereich der Alten Musik in den letzten Jahren einen guten Namen gemacht. So ueberrascht es nicht, dass der Klangkoerper unter der Leitung seines Chefdirigenten George Petrou nun Haendels „Alcina“ in das Odeion des Herodes Attikus bringt. Freilich ist dieser grosse, offene Raum nicht eben ideal fuer eine Barockoper mit kleiner Orchesterbesetzung, was die Organisatoren dazu veranlasst, Orchester und Stimmen akustisch zu verstaerken. Zwar funktioniert das technische Setting weit besser als beim Auftritt von Yo-Yo Ma einige Tage zuvor, voellig zufriedenstellend ist diese Loesung aber nicht. Unebenheiten im Klangbild trueben immer wieder das Vergnuegen. Und letzteres haelt sich in Hinblick auf die Inszenierung von Petrou ohnehin deutlich in Grenzen. Zusammen mit der Ausstatterin Giorgina Germanou und der Lichtdesignerin Stella Kaltsou setzt er das Geschehen in eine parkaehnliche Landschaft – man fuehlt sich an Shakespeares „Sommernachtstraum“ erinnert -, vergisst dabei aber irgendeine interpretatorische Idee zu entwickeln. Der Dirgent arrangiert letztlich nur die Auftritte und Abgaenge und bringt mit der Kostuemierung von Bradamante und Melisso etwas Gegenwart ins barocke Spiel. Das ist fuer eine beinahe dreieinhalbstuendige Auffuehrung entschieden zu wenig. Hinzu kommt, dass George Petrou auch in seinem Dirigat dem Publikum deutliche Akzente schuldig bleibt. Die Musiker spielen gut, das Klangbild kommt aber zu brav und eintoenig daher. Auch dem Orchesterspiel taeten mehr Ideen gut.


Myrto Papatanasiou. Foto: Athens & Epidauros Festival

Im Zentrum des Interesses steht an diesem Abend die griechische Sopranistin Myrto Papatanasiou, welche die Alcina singt. Papatanasiou feiert international Erfolge und war an der Athener Oper u.a. als Violetta und Manon zu hoeren. Sie singt die anspruchsvolle Haendel-Rolle mit charaktervoller, farbenreicher Stimme. Nicht alles ertoent perfekt, ihre Gestaltung ist jedoch intensiv, in den Piani ebenso wie in den dramatischen Momenten. Mary-Ellen Nesi gibt einen ueberzeugenden Ruggiero. Ihr Mezzosopran klingt zwar nicht besonders frisch, ist den Anforderungen aber weitgehend gewachsen. Myrsini Margariti als Morgana steigert sich im Laufe des Abends und findet zu einem schoenen, klaren Ton und eindruecklichen Verzierungen. Der satte, warme Ton der Mezzosopranistin Angelique Noldus, welche als Bradamante auf der Buehne steht, macht Eindruck, zumal auch die Koloraturen gut gesetzt sind. Erfreuliche Leistungen bieten ferner Theodora Baka als Oberto, welche mit ihrem schoenen Timbre aufhorchen laesst, Petros Magoulas als Melisso und Yannis Kalyvas als Oronte. Der Tenor laesst freilich die barocke Eleganz ein wenig vermissen. Der kleine Chor und die Taenzerinnen Mimi Antonaki, Christina Ellinodeli, Elena Kontogoni und Maria Konstantaki bieten ordentliche Leistungen. Die Choreografie von Edith Lalonger ist wie die Inszenierung: zu brav und etwas uninspiriert.

Das Publikum im nicht vollbesetzten Odeion spendet am Schluss anhaltenden Beifall und Bravorufe. Dies ist zumindest fuer die Saengerinnen und Saenger eine gerechtfertigte Belohnung. Man darf hoffen, dass im Falle einer weiteren barocken Opernproduktion am selben Ort etwas mehr inszenatorische und musikalische Ideen zum Einsatz kommen.

Ingo Starz

BAYREUTH/ Markgräfliches Opernhaus: ANTIGONO von Chr. W. Gluck. Deutsche Erstaufführung

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Das Markgräfliche Theater von innen: C: Andrea Masek

BAYREUTH/Markgräfliches Opernhaus: Deutsche Erstaufführung der Gluck-Oper ANTIGONO

Eine veritable Wiederentdeckung!

6.7. 2019 – Karl Masek

Seit 2012 ist das Markgräfliche Opernhaus, eines der bedeutendsten erhaltenen Beispiele barocker Theaterarchitektur, UNESCO-Welterbe. Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten zwischen 2013 und 2018 steht der prachtvolle und akustisch wunderbare Theaterraum wieder für Aufführungen zur Verfügung.

Die 7. Ausgabe der Internationalen Gluck-Festspiele (27.6. – 14.7. 2019), richtet den Blick auf „Neue Klänge für Europa“. Und Christoph Willibald Gluck, der Oberpfälzer, war in der Tat ein Opernreformator, er revolutionierte die Musik mit stets auf Erneuerung zielender Phantasie. Schon für Mozart, aber später vor allem für Berlioz und Wagner wurde er „…ein einsamer Leitstern einer Epoche…“.

Für den Autor dieser Zeilen blieben Glucks Werke bei aller Schönheit und Eigenständigkeit lange Zeit auch ein wenig langatmig durch die vielen Dacapos in den Arien und damit eine etwas formelhaft empfundene Kompositionsweise. Wobei „Orpheus und Eurydike“ immer ausgenommen blieb. Auf musikalisches Schatzgräbertum immer neugierig, wollte ich mir allerdings die 1756 in Rom uraufgeführte Opera seria nicht entgehen lassen, zumal es sich um die Deutsche Erstaufführung handelte!

Die Raritätenjagd zahlte sich aus. Das war eine veritable Wiederentdeckung! Über 20 Arien – und keine Spur langatmig! Ein gewaltiges Werk, voll kühner, ausdrucksgeladener Musik. „Gluck, ein wahres Glück für die Musikgeschichte…“, so Valer Sabadus , der Sänger des „Alessandro“, voller Begeisterung im Programmfolder.

Die Handlung dieser Rarität in Kurzfassung: Makedoniens König Antigono (Mauro Peter) steht vor der Hochzeit mit der ägyptischen Prinzessin Berenice (Anna Kasyan). Der Verdacht, sein Sohn Demetrio (Samuel Marino) sei auch in die schöne Berenice verliebt, nagt in ihm. Wie immer, Liebe, Eifersucht und politische Konflikte ergeben eine (barocke) Opernmelange. Der König von Epiros, Alessandro, politischer Rivale, ( Valer Sabadus) ist als abgewiesener Verehrer Berenices doppelter Feind, aber zugleich mit Antigonos Tochter Ismene (Francesca Lombardo Mazzulli) verlobt. Die Ingredienzien barocker Oper folgen. Antigono wird gefangen, der Sohn soll verbannt werden. Dieser widersetzt sich der Verbannung, um den Vater zu retten. Dem umsichtigen Kapitän im Dienst Alessandros, aber auch Demetrios‘ Freund, Clearco, (Terry Wey) gelingt die politisch – militärische Wende und die Befreiung Antigonos.


Mauro Peter, Samuel Marino, Anna Kasyan, Francesca Lombardo Mazzulli, Valer Sabadus, Terry Wey vor dem Original Bühnenhintergrund: C: Andrea Masek

Lieto fine. Der Vater, froh darüber, wieder aus der Gefangenschaft befreit worden zu sein, verzichtet großmütig auf  Berenice, überlässt dem Sohn die Prinzessin, Alessandro wird jedenfalls Ismene heiraten können,  Clearco ist der Friedensbringer – und alles geht gut aus.

Das alles mit Glucks genialer musikalischer Unterlegung. Die Krone des Abends gebührt dem Dirigenten Michael Hofstetter. Er war Seele, Kraftzentrum des Abends und nimmermüder Motor des Geschehens. Er ließ die Emotionen hochkochen, war mithin weit mehr als ein souveräner und kompetenter Sachwalter eines Operninnovators. Ungeahnte Farbigkeit war vom Orchester zu vernehmen. Er sorgte mit ungeheurem Drive für vorwärtsdrängendes Accellerando, war gleichzeitig von sängerfreundlicher Fürsorge, dämpfte immer dort punktgenau, wo es für die Sänger nötig war. Ihm aus der Nähe zuzusehen, mit welcher Emphase er diese Vorstellung leitete, war die reinste Freude.

Es gelang eine Ensembleleistung (fast) aus einem Guss. Ein Tenor, drei Counters, zwei Soprane waren aufgeboten. Wobei zu Glucks Zeiten auch die beiden Frauenrollen von Kastraten gesungen worden wären …

Mauro Peter war mit noblen Tenorfarben der eifersüchtige, schließlich edelmütige makedonische König Antigono. Der Mozarttenor und Schubert-, bzw. Schumann-Spezialist setzte seine Stimme stilvoll und gerundet ein, neben der sicheren Höhe überzeugte auch die gehaltvolle Mittellage und die sorgfältige Textbehandlung.

 Die georgische Sopranistin Anna Kasyan stürzte sich mit Tollkühnheit in die heftige Emotionalität der umfangreichen Rolle der vielumworbenen, beinahe in den Wahnsinn getriebenen, ägyptischen Prinzessin Berenice. In der Arie „Es ist genug, ich ergebe mich“ erinnerte sie mich in der melancholisch-dunklen Tönung der weichen Sopranstimme an die unvergessliche Ileana Cotrubas (Und das ist als ganz besonderes Kompliment gemeint!). In ihrer letzten Arie mit drohendem Wahnsinn ging sie mit explosiver Hochdramatik an mentale Grenzen.

Demetrio war der südamerikanische Natursopranist Samuel Marino. Er ist selbst unter den Countern ein Exote. Hier war der Gesamteindruck ziemlich ambivalent. Der opferbereite Jüngling betörte einerseits mit zauberhaften Schwebetönen und leicht hingetupften Knabenstimmen-Staccati. Der junge Mann hat auch Tanz studiert – und es fällt einem prompt der Ausdruck „gesungener Spitzentanz“ ein. Wenn es in die wahnwitzige Höhenlage samt irren Koloraturen geht, wenn es Stellen gibt, die mehr als gesäuseltes piano erfordern, häufen sich jedoch unbewältigte Passagen und etliche steife, distonierte Töne. Mit forciert „entzückendem“ Auftreten war er dennoch Liebling des Auditoriums. Der „Merker vom Dienst“ hatte den Kritikerdaumen aber eher nur in der „Waagrechten“…

Mit schönen Stimmen, unfehlbarer Intonation und fabelhaftem Stilempfinden gaben die weiteren 3 Protagonist/innen dieser Erstaufführung musikalischen Glanz.

Die Mirella-Freni-Schülerin Francesca Lombardi Mazzulli war die zwischen den feindlichen Lagern navigierende Königstochter Ismene. Ihr ausdrucksstarker jugendlich – dramatischer, aber auch zu cremigen Lyrismen findender Sopran hatte keinerlei Spinto-Schärfen und hob sich gut von jenem der Anna Kasyan ab.

Valer Sabadus sang den Alessandro mit nobler Haltung und sinnlichen Farben seines dunkler gewordenen Countertenors. Souverän setzte er seine Koloraturen. Mit all seinem speziellen Können ließ er die Stimme „legatissimo“ strömen. Die Rezitative hatten Prägnanz.

Terry Wey war Clearto, der Umsichtige, der Kapitän & Adjudant. „Wer sein Handwerk versteht, der bewahrt kühlen Kopf“, so lautet der übersetzte Text einer seiner Arien. Und genau so sang der Altus. Perfekt, kontrolliert, immer, weil mit kühlem Kopf, alles im Griff  behaltend, wenn andere Gefühlsexplosionen ausgesetzt oder dem Wahnsinn nahe sind. Ihm, der letztlich für das Happyend sorgt, gebührt: Beförderung!

Das Händelfestspielorchester Halle wuchs dank dem Wirken des großartigen Dirigenten Michael Hofstetter  über sich hinaus, spielte mit Totaleinsatz und trug seinen Teil dazu bei, dass diese Erstaufführung zu einem umjubelten Erfolg wurde.

Schlussanmerkung des Wiener Gastes: Wäre doch eine gute Idee, das so spät wiederentdeckte Meisterwerk auch  im Theater an der Wien im Rahmen des Zyklus „Konzertante Oper“ als „Wiener Erstaufführung“ hören zu können!

Karl Masek

 

 

Film: YESTERDAY

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Filmstart: 11. Juli 2019
YESTERDAY
GB / 2019
Regie: Danny Boyle
Mit: Himesh Patel, Lily James, Ed Sheeran, Kate McKinnon u.a.
In der seriösen Geschichtsschreibung sind „Was wäre, wenn“-Fragen verpönt. Was wäre, wenn Alexander der Große nicht so jung gestorben wäre, wenn er die Vermengung der Kulturen fortgesetzt hätte, den östlichen Kosmos bis weit über Indien in den europäischen einbezogen hätte? Die Welt von heute sähe zweifellos anders aus. Aber er ist jung gestorben, und wir wissen nicht, wie alles anders gekommen wäre, wenn…

Das Kino muss es nicht so ernst nehmen wie die Historie, dort darf man eigentlich alles. Dieser Film stellt eine weit irrelevantere Frage, die trotzdem Millionen Menschen mehr interessieren wird als Spekulation über eine Alexander-Welt: Was wäre wenn – wenn es die Beatles nie gegeben hätte?

Die „Beatles“. Die was? Damit das möglich ist, dass sie nicht einmal in Google auffindbar sind, dafür muss die Welt schon einmal total „ausfallen“ – nur 12 Sekunden lang, aber das reicht (erklärt wird das nie, muss es auch nicht, der ganze Film basiert mehr oder minder auf Unsinn). Man hat Malik, den indischen Briten (Himesh Patel), schon kennen gelernt, man weiß, dass er gerne ein Pop-Star wäre, man hat auch längst kapiert, dass außer seiner reizenden Freundin Ellie (Lily James in bezaubernd gestrigem Look) gar niemand bereit ist, an ihn zu glauben. Man ist schließlich nur im ländlichen Suffolk…

Dann wird er während des Stromausfalls von einem Auto bewusstlos gefahren – und, weiß der Himmel, wieso, danach singt er einen Beatles-Song vor sich hin. Wenn er Ellie die weltberühmte Frage „Will you still feed me when I’m 64?“ stellt, weiß sie nicht, wovon er redet. Nur er erinnert sich – und folglich kann er „Yesterday“ oder „All you need is love“ neu erfinden. Kein Wunder, dass er jetzt Erfolg hat: Diese Songs sind ja auch verdammt überzeugend…

Der nächste Teil des Films macht aus einem kleinkalibrigen Briten einen Star, wobei er in die Hände der ekligen Managerin Debra (Kate McKinnon) fällt, die uns zeigt, wie ungut das Business eigentlich ist: Wie neulich auch in dem Elton-John-Film wird gezeigt, wie normale Menschen („Ist his the best you can look?“ fragt sie ihn) zu Kunstfiguren gemacht werden, um sie in einem leeren Glitzerbusiness zu „verkaufen“ und die „Schauer von Geld und Ruhm“  über sie zu ergießen… Und ohne „Image“ geht das nun einmal nicht. Doch wenn unser Held, der doch einmal ein schlichter britischer „Fish & Chips“-Boy war, dann merkt, dass er seine menschliche Seite (und seine Liebe) verliert – na, dann kommt es, wie es kommen muss.

Regisseur Danny Boyle hat mit „Trainspotting“ schon härtere Kost serviert, auch „Slumdog-Millionär“ war nicht ganz so nett, aber vielleicht liegt es am Drehbuch von Richard Curtis, der ein paar der hübschesten englischen Unterhaltungsfilme geschrieben hat („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder „Notting Hill“): Regisseur und Drehbuchautor blättern hier einfach ein irrationales Pop-Märchen auf – mit viel Gesang (Himesh Patel singt die Beatles-Schlager auf seine Art selbst) und vielen Konzert-Szenen mit kreischenden Fans.

Und für diese – wirklich nur für Pop-Fans – ist der Film gemacht, und sie werden auch Rotschopf Ed Sheeran erkennen, der sich selbst spielt und der Leuten, die vordringlich in die Oper gehen, möglicherweise unbekannt ist.

Das alles ist so weit nicht unlustig, aber eine Frage drängt sich unweigerlich auf: Wenn es doch die echten Beatles gegeben hat – warum muss man seine Songs von einem sympathischen, aber irrelevanten jungen Inder singen lassen? Und sie auf solchen Umwegen „unecht“ auf die Leinwand bringen? Nur um zu zeigen, wie unvorstellbar die Welt ohne ihre Songs wäre? Nun ja, das ist immerhin ein Argument…

Renate Wagner


BADEN-BADEN/ Festspielhaus: KONZERT MARIINSKY-ORCHESTER (Gergiev, Kantorow, Westbroek) mit Tschaikowsky und Wagner

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Alexandre Kantorow. Foto: Andrea Kremper

BADEN-BADEN. Festspielhaus – am 6. Juli 2019

Peter I. Tschaikowsky
Klavierkonzert Nr. 2 G-Dur, op. 44

Richard Wagner
Siegfrieds Tod und Trauermarsch
Schlussgesang der Brünnhilde aus Götterdämmerung

***

Peter I. Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“

Alexandre Kantorow, Klavier

Eva-Maria Westbroek, Sopran

Mariinsky Orchester St. Petersburg

Valery Gergiev, Dirigent

Festspielhaus Baden-Baden, 06. Juli 2019

Im Rahmen der Sommerfestspiele im Festpielhaus Baden-Baden gastierte Valery Gergiev mit seinem Mariinsky Orchester St. Petersburg.

In einem umfangreichen Programm mit Werken von Richard Wagner und Peter Tschaikowsky gab es Gelegenheit, das rar anzutreffende 2. Klavierkonzert von Tschaikowsky zu hören, welches 1881 uraufgeführt wurde. Dieses Konzert steht seither im Schatten des 1. Klavierkonzertes und das zu Unrecht. Denn die Eigenarten dieses Konzertes machen es zu einem besonderen Erlebnis. So gibt es im ersten Satz ausladende Kadenzen und viel Raum für pianistische Virtuosität. Im zweiten Satz tritt dann das Klavier ungewöhnlich deutlich in den Hintergrund, um Raum zu geben für die solistischen Beiträge von Violine und Cello. Welch ein Kontrast dann im beschließenden Allegro con fuoco, in welchem Tschaikowsky russische Volksmusiken verarbeitete und dem Solisten reichlich Gelegenheit schuf, am Klavier zu brillieren.

In Baden-Baden stellte sich der frisch gebackene Preisträger des berühmten Tschaikowsky Musikwettbewerbes, der 22jährige Franzose Alexandre Kantorow, vor. Erstmals in der langen Geschichte dieses Wettbewerbes trug ein französischer Pianist den Sieg nach Hause.

Tschaikowsky‘s Klavierkonzert bot Kantorow reichlich Gelegenheit, sein pianistisches Können zu exponieren. Hier agierte ein hoch sensibler Virtuose, der natürlich alle technischen Anforderungen völlig souverän meisterte. Schnelle Läufe, Doppelgriffe, vertrackte Kadenzen, alles wirkte völlig natürlich und von jeglicher Anstrengung befreit. Anrührend war seine ausgeprägte Sensibilität im Vortrag, vor allem im zweiten Satz, der geradezu kammermusikalisch gestaltet geriet. Sehr wach folgte er dem Melodieverlauf und phrasierte die Kantilenen kantabel aus. Im Rondo des dritten Satzes zeigte Kantorow großes spielerisches Feuer und mitreißende Verve. Auch hier war die spielerische Überlegenheit, die Leichtigkeit und Natürlichkeit im Anschlag hinreißend. Das Publikum wurde in stürmische Begeisterung versetzt.

 

Bei Tschaikowsky ist Valery Gergiev mit seinem fabelhaften Mariinsky Orchester ganz zu Hause. Schwelgerische Streicherfarben und berückende Holzbläser ergaben einen mitreißenden Sog. Im zweiten Satz zeigten die Konzertmeisterin und der Solo-Cellist ihre außerordentliche Spielqualität in den ausladenden Solo-Passagen. Gergiev zeigte sich hier als dienender und reaktionsschneller Begleiter. Riesiger Jubel für den jungen Pianisten, der sich mit einer gefühlvollen Zugabe bedankte, der auch Gergiev lauschend auf dem Podium beiwohnte. Noch einmal eine Komposition von Tschaikowsky, seine Meditation No. 5, op. 72.

In Baden-Baden hat Gergiev bereits mehrfach Male Wagners kompletten „Ring des Nibelungen“ mit seinem Opernhaus-Ensemble aus St. Petersburg aufgeführt. So war es spannend, in diesem Konzert zwei Auszüge aus der „Götterdämmerung“ zu hören. Im Trauermarsch überwältigte die schiere Klangpracht seines Orchesters, das mit seinem Dirigent geradezu symbiotisch agierte. Ungeheuer wuchtig ertönten die Orchesterschläge nach dem großen Crescendo in den tiefen Streichern. Und im hellsten Licht erstrahlte dann die Solotrompete mit dem Schwertmotiv, um dann in gewaltigen Schlagzeugausbrüchen dem Trauermarsch alle Größe zu geben.


Eva Maria Westbroek bei Isoldes Schlussgesang. Foto: Andrea Kremper

Danach sang Eva-Maria Westbroek den Schlussgesang der Brünnhilde. Westbroek ist eine wissende und hoch engagiert agierende Sängerin. Die innere Anteilnahme war ihr jederzeit anzumerken. Ihre Stimme erklang raumgreifend und ausgeruht. Es zeigte sich aber auch, dass die Brünnhilde gegenwärtig eine deutliche Grenze für sie darstellt. Alle Töne waren da, wenngleich in den Höhen zuweilen doch hörbar mühsam erreicht. Westbroek war bisher so klug, die Brünnhilden nicht zu singen. Sie sollte dabei bleiben, weil sie doch, wie hier im Schlussgesang, zu oft forcieren musste. Und doch war der schiere Wille, diese wunderbaren zwanzig Minuten der Opernliteratur singen zu wollen, so unwiderstehlich, dass dieser musikalische Grenzgang berührte.

Valery Gergiev und sein famoses Orchester blieben dieser großartigen Musik keine Nuance schuldig!

Nach der Pause stand dann Valery Gergiev ganz im Mittelpunkt. Noch einmal Peter Tschaikowsky, nun seine finale sechste Symphonie, die „Pathétique“. Gergiev ließ diese Symphonie als Lebensmusik erschallen. Alle Farben wurden beispielhaft musikalisch umgesetzt. Vom hellsten Licht hinein in die tiefste Schwärze des Todes. Überlegen und perfekt ausgewogen in der dynamischen Gestaltung entfaltete die Lesart Gergiev einen unwiderstehlichen Sog. Ruppige Akzente in den Streichern, infernalisch intonierende Blechbläser, kantabel tönende Holzbläser und dazu strahlend prasselnde Beckenschläge im berühmten dritten Satz. Danach im vierten Satz ein Dahinscheiden, ein Aushauchen der Seele, mit einem intensiven Schlag auf das Tam-Tam. Ein langer Moment der Stille. Wunderbar. Dann viel Jubel, stehende Ovationen für ein großartiges Konzert!

Dirk Schauss

VERONA/ Arena: IL TROVATORE

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Giuseppe Verdi: Il Trovatore, Arena di Verona, Vorstellung: 07.07.2019

 (3. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 29.06.2019)

Arenissima!!!

Mit Aufführungen wie der zu Besprechenden ist die Arena auf gutem Weg, wieder zur «Scala des Sommers», wie Intendantin Cecilia Gasdia es formuliert,  zu werden.

Totale auf die Bühne von “Il Trovatore” in der Arena di Verona.
Foto: Arena Opera Festival 2019.

Wie die Premiere des diesjährigen Festivals, «La Traviata», stammt auch die Inszenierung des Troubadour vom kürzlich verstorbenen Altmeister Franco Zeffirelli (Regie und Bühnenbild). Zeffirelli gibt der Arena, was ihr gebührt: eine farbenfrohe, vielfältige Inszenierung, in der sich eindrucksvollen Massenszenen und intime Situationen wie vom Libretto vorgegeben, abwechseln. Es entstehen wunderbare Bilder, wie sich der Burgturm öffnet und im Innern der herrliche, gotische Flügelaltar sichtbar wird oder wie Leonora zum Schluss des zweiten Akts in ihrem blauen Kostüm auf dem Schimmel aus der Arena reitet.

Star des Abends mit einer grandiosen und vom Publikum entsprechend gefeierten Leistung war Anna Netrebko als Leonora.

Bildergebnis für verona il trovatore 2019
Foto: Arena Opera Festival 2019.

Netrebko ist die Leonora unserer Tage. Mit enormer Bühnenpräsenz von der ersten Sekunde an, wunderbaren Tiefen, perfekten Höhen und absoluter Textverständlichkeit bot sie eine Leonora, die man überzeugender sich nicht vorstellen kann.

Yusif  Eyvazov, ihr Gatte, konnte als Manrico leider nur bedingt überzeugen: zu ungleichmässig seine Leistung, denn, abhängig von der Präsenz Leonoras, schienen zwei Manricos zu singen. In Gegenwart Leonoras floss die Stimme frei und ungehemmt, war sie für Manrico nicht zu sehen, verengte dich die Stimme und klang stark gepresst.

Luca Salsi konnte mit seinem noble Bariton auf ganzer Linie überzeugen. Ein perfekter Verdi-Bariton, wenn die Stimme noch etwas nachdunkelt.

Bildergebnis für verona il trovatore 2019
Foto: Arena Opera Festival 2019

 Dolora Zajick liess erahnen, dass sie früher eine ganz grosse Azucena gewesen sein muss. Ihre aktuelle Interpretation war von starken Intonationsschwankungen geprägt. Mal wollte die Stimme tragen, mal nicht. Zudem kam reichlich Deklamation vor.

Überdurchschnittlich der Ferrando von Riccardo Fassi: ruhig und verständlich bot er seine Erzählungen dar, so dass man nicht, wie so oft, Angst haben musste, ob er die Erzählungen schafft. Elisabetta Zizzo (Ines), Carlo Bosi (Ruiz), Dario Giorgelè (ein alter Zigeuner) und Antonello Ceron (ein Bote) ergänzten das Ensemble.

Ballett-Einlagen gehören in der Arena ja immer dazu und so kam das Publikum hier in den Genuss von Verdis Ballett-Musik für den Trovatore, choreographiert für das Corps de Ballet der Arena di Verona von El Camborio und Lucia Real.

Der von Vito Lombardi bestens präparierte Chor der Arena di Verona trug seinen entscheidenden Anteil zum Gelingen des Abends bei.

Pier Giorgio Morandi dirigierte das bestens aufgestellte Orchester der Arena di Verona und war den Sängern jederzeit ein sensibler Begleiter.

Trotz aller Defizite ein grossartiger Abend! Man glaubt erahnen zu können, wie es früher im der Arena gewesen sein muss.

Weitere Aufführungen in Alternativ-Besetzung: 20.07.2019 und 26.07.2019.

Im TV: Samstag, 13.07.2019, 18.30, 3sat.

08.07.2019, Jan Krobot/Zürich

BADE-BADEN/ Festspielhaus: „DANIEL HOPE – MARIINSKY ORCHESTER –  VALERY GERGIEV“

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Baden-Baden: „DANIEL HOPE – MARIINSKY ORCHESTER –  VALERY GERGIEV“  –  07.07. 2019

Am Folgeabend präsentierten die Gäste aus St. Petersburg ein französisch-russisches Programm und eröffneten zu den sommerlich schwülen Außentemperaturen den Konzertabend mit „Prélude á l´aprés-midi d´une faune“ (Claude Debussy). Mit lockerer Hand führte Valery Gergiev „sein“ Mariinsky Orchester durch die impressionistische Atmosphäre des Werkes. In duftigen instrumentalen Couleurs illustrierte Gergiev die Partitur um das erotische Spiel des liebestollen Fauns mit den schönen Nymphen sinnlich, flüssig, flirrend wie schwüle Sommerlüftchen orchestriert.

Sodann wechselte das Bild in expressionistische Gefilde russischer avantgardistischer Klangmalerei. Daniel Hope interpretierte Sergej Prokofjews „Zweites Violinkonzert“. Das 1935 an diversen Aufenthaltsorten des Komponisten entstandene Werk wurde noch im gleichen Jahr in Madrid uraufgeführt und die Kastagnetten-Frequenz sollte wohl als Reverenz an die spanische Hauptstadt gelten.

In typischer Solist-Orchester-Interaktion kontrastierte der britische Geiger das melancholisch anmutende Thema im ersten Satz, fokussierte klar im Ton und schenkte dem Andante schnörkellose melodische Linien, prächtig unterfüttert von prismatischem Funkeln der feinen Kantilenen. Virtuos hochkonzentriert ließ Daniel Hope stets spielerisch anmutig den humoristischen Aspekt Prokofjews durchblitzen, brachte flüssig mehr Energie ins Spiel und verhalf schließlich dem finalen Allegro in glasklarer Intonation, technisch-vehementer Bogenführung zum motivisch-strukturellen höchst brillanten Ausklang.

Valery Gergiev lieferte dazu mit dem farbprächtig aufspielenden Mariinsky Orchester die authentische Untermalung mit ihren rhythmischen Verdichtungen und spannenden Kontrasten.

Für die überschäumende Begeisterung bedankte sich Hope über das Mikrophon ansagend mit dem sehr transparent und virtuos gespielten Zweiten Satz der „Violinsonate“ (Schulhoff).

Den Höhepunkt des konträren Konzertverlauf bildete jedoch ohne Zweifel der symphonische Koloss „Die Leningrader“ von Dmitri Schostakowitsch. Erlebte ich das Werk vor zwei Wochen mit dem Enfant terrible der Dirigenten-Szene Teodor Currentzis in höchst brillanter eigenwillig-interessanter Version muss ich gestehen, dass ich der heutigen Interpretation den Vorzug gab.

Es gibt ja nur wenige Dirigenten welche diese „Leningrader“ authentisch und kontrapunktisch erfassen und dementsprechend mit einem exzellenten Orchester dem Zuhörer offenbaren können, Valery Gergiev jedenfalls bewies heute, dass er dieser extremen Herausforderung in jeder Hinsicht  gerecht wurde. Schostakowitsch  schuf den symphonischen Epos nach Vorskizzen während der Belagerung und widmete sie schließlich dieser leidvollen Stadt welche am 05. März 1942 ihre legendäre UA in Kuibyschew durch das dorthin evakuierte Orchester des Moskauer Bolschoi erlebte.

Das intonierte Invasionsthema des ersten Satzes zitiert sarkastisch das frivole Maxim-Lied Lehars, elfmal wird es eisern variiert in Anspielung auf Ravels Bolero und eskaliert schließlich in gewaltigem Crescendo aus Schlagzeug-Salven und alarmierenden Blechbläser-Fraktionen. Man wurde des Schreckens welcher über die Stadt hereinbrach gewahr, in langem unheimlichem Pianissimo zu gewaltig anwachsendem lärmenden Furioso akustisch illustriert folgte eine Reprise  welche schier in Leere und Trauer verhallte.

Großartig arbeitete Gergiev vielschichtig die Feinheiten der Partitur heraus, die Holzbläser intonierten vordergründig im stampfenden Rhythmus die Invasion das präzise musizierende Orchester folgte willig in brillanter Formation den Intensionen seines Dirigenten zur musikalisch dargestellten Gewalt.

Verlorene Illusionen könnte man das folgende Scherzo betiteln? In fein ausgesponnenen lyrischen, teils pathetischen Melodien wurden Erinnerungsbilder wach (Schostakowitsch hatte sie bereits vor Kriegsbeginn entworfen) und beschworen Stimmungen an beschwingte Episoden, immer wieder durchsetzt von Gewaltmotiven und die abgetönten Klangfarben wechseln stets zwischen Dur und Moll.

Archaisch, erhaben folgte sodann das Adagio von dominierenden Holzbläsern erklang dieser choralartige Satz gleich einem Geleit, von einer schrillen Groteske und schrägen Rhythmen entfesselnd unterbrochen. Bewundernswert wie es Gergiev verstand die erzählerischen Passagen musikalisch mit dem vortrefflich aufspielenden Klangkörper kompakt und präzise zu vermitteln. Da wurden Anklänge an Mahler wach, Dissonanzen wechselten zu melodischer Aussage in präziser exzellenter Umkehrung.

Beim Finale führte der Wiederstand und tragende Gedanke „Glauben an den Sieg der Vaterlands-Helden“ nach erneuten Kämpfen zum lebensbejahenden Hymnus und emotionalem Höhepunkt dieser Symphonie. In einem attacca  strebten die instrumentalen Gruppierungen dem finalen Inferno, die realen Schrecken erneut reflektierend dem tosenden Ende zu. Ein musikalisches Vermächtnis in dessen Aussage sich nicht nur Darstellungen von Krieg, Gewalt, dem Bösen in der Welt – nein sich auch der Glaube an Frieden und Hoffnung manifestierte. Diese gewaltige Musik in dieser Brillanz erschütternd, wahrhaft, ehrlich  interpretiert und ohne Effekthascherei serviert riss die Zuhörer von den Sitzen und animierte das Publikum zu überschäumender Begeisterung.

Kaum zu glauben aber wahr, dass es nach einem gewaltigen Werk noch ein Dacapo gab: Gergiev und sein Orchester bedankten sich mit dem Finale des „Feuervogels“ (Stravinsky).

Zu herrlich elegischem Beginn formierten sich die Musiker zum gewaltigen orchestralen Klangbild. Ein elitärer symphonisch-konzertanter Ausklang beendete eine erfolgreiche Festspielhaus-Saison und zugleich die Aera des genialen Intendanten.

Lieber Herr Andreas Mölich-Zebhauser ich bedanke mich auch im Namen der Redaktion für Ihre unermüdliche Arbeit, die wunderbaren Events im Festspielhaus Baden-Baden während der letzten zwei Jahrzehnte – gerne würde ich in dankenswerter Weise Mozarts Lied Nehm´t meinen Dank ihr holden Gönner  anstimmen, doch das lasse ich (da völlig unbegabt) lieber. Dafür wünsche ich Ihnen von Herzen während des wohlverdienten Ruhestands Gesundheit und alles Gute, sowie noch viele, sehr viele wunderbare kreative Jahre.

Gerhard Hoffmann

 

 

FREIBURG: DON GIOVANNI. Neuinszenierung

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Copyright: Paul Leclaire

Freiburg: Mozart: Don Giovanni, Vorstellung am 6. Juni 2019

 

Im Einführungsgespräch klang vorsichtig an, dass die Regisseurin KATARSZYNA BOROWSKA noch keine Erfahrung im Opern- Inszenieren hat. Auch schien es zwischen der Bühnenbildnerin aus Polen (keine Deutsch- und Englischkenntnisse, -Italienisch ?) und dem übrigen Team im Probenprozess sprachlich vorsichtig zuzugehen.

Das Ergebnis ihrer ersten Inszenierung, das man in Freiburg erleben kann, ist ein Desaster.

Mozart´s tragikomisches Meisterstück wird gar nicht inszeniert. Keine Situation wird geschaffen, die Sänger stehen ohne Gnade auf der Stelle zu ihren Arien, und das meist auch noch im Dunkeln, denn irgendein stummer Anwesender bekommt aus unerfindlichen Gründen den Spot. (Licht: die Regisseurin).

Es reicht hinten und vorne nicht, ein Gemälde von Hieronymus Bosch dreidimensional und in wabernder Zeitlupe 3 ½ Stunden auszustellen.

Die Darsteller können einem wahrlich leid tun. Verloren im Raum stehend liefern sie ihre Passagen ab, zwei- dreimal vergeblich einen Hauch von Inhalt hinüberretten wollend.

Dazu kommt ein Dirigat von HEKTORAS TARTANIS, der in einem Affenzahn, der Ausdruck muss bemüht werden, die Partitur herunterspult ohne auch nur eine der Preziosen der Musik Mozarts zu streifen. Die Sänger hasten dem Orchester nach, ein „den Moment erfassen“ oder gar einen Zauber wird man an diesem Abend nicht hören. Musikalische Wiederholungen werden inhaltslos verziert, anstatt dem Genie zu vertrauen und in derselben Melodie neue Farben auszuloten. Die Ensembles klingen laut und vordergründig.

Das mäßig disponierte Orchester mit problematisch gestimmten Holzbläsern hat fast nur barockes Laut-Leise zu bieten, und das Forte ist dann knallig und monoton. Die Musiker der Bühnenszenen werden teilweise aus dem Hauptorchester rekrutiert, sodass das große erste Finale nur noch ein einziger Kontrabass im „Tutti“ spielt.

Einigen Sängern hätte man eine schönere Begegnung mit der wunderbaren Materie gewünscht:

MICHAEL BORTH als Giovanni hat einen virilen Bariton mit genug klanglicher Aura zu bieten. Heraus sticht SAMANTHA GAUL, die ihre Zerlina musikalisch- ausgefeilt gestaltet und mit berückendem Timbre versieht. INGA SCHÄFER gelingt die zweite, schwierige Elvira Arie beachtlich, SARAH TRAUBEL vermag als Anna weniger für sich einzunehmen. Als Gast wirkt BARTOSZ UWANOWITCZ wie ein Fremdkörper in seinen hilflosen Versuchen, doch irgendetwas spielen zu wollen. JONGSOO YANG macht eine gute Figur als Bauer Masetto. MATTHEO MACCHIONI würde man als Ottavio ein einschmeichelnderes Stimmmaterial wünschen und JIN SEOK LEE  wird durch die Komturszenen gehetzt ohne eine Bedrohung darzustellen. Der Chor wirkt in den kurzen Auftritten klanglich sehr direkt und eher hart.

Lokal wird von einer Skandalinszenierung gesprochen. Ein inhaltlicher Skandal findet aber keineswegs statt. Das Skandalöse ist eher der Dilettantismus der Konzeption, der sich hinter dem  Gewand eines opulenten Bühnenbilds zu verstecken sucht.

Eine vertane Chance in Freiburg.

Damian Kern

 

 

BADEN-BADEN/ Festspielhaus: KONZERT MARIINSKY-ORCHESTER ( Debussy/Prokofjew/ Schostakowitsch) – Gergiev, Hope

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BADEN-BADEN/ Festspielhaus: KONZERT MARIINSKY-ORCHESTER ( Debussy/Prokofjew/ Schostakowitsch) – Gergiev, Hope –  am 7.7.2019

Claude Debussy
Prélude à l’après-midi d’un faune

Sergej Prokofjew
Violinkonzert Nr. 2 g-Moll op. 63

***

Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 „Leningrader“

Daniel Hope, Violine
Mariinsky Orchester
Valery Gergiev, Dirigent

Festspielhaus Baden-Baden, 07. Juli 2019

1894 erklang von Claude Debussy seine Komposition „Prélude à l‘après-midi d‘un faune“, vielleicht das zentrale Hauptwerk im musikalischen Impressionismus. Die extrem sensitive Klangsprache, hier allein schon durch die wunderbar weich intonierende Soloflöte realisiert, ist von geradezu narkotischer Wirkung. Es ist immer faszinierend, in diese so besondere Klangwelt einzutauchen, die am Ende mit den kleinen Zimbeln, dann noch besondere Farbtupfer ergänzt. Valery Gergiev ist mit der Musik von Claude Debussy hörbar vertraut, ebenso sein großartiges Mariinsky Orchester, das traumwandlerisch sicher diese Komposition vortrug. Gergiev nahm sich viel Zeit, um genau und außerordentlich sensibel in die Musik hineinzuhören. Die hervorragende Solo-Flöte konnte sich auf dieser Basis bestens entfalten, so dass eine besonders klang sinnliche Interpretation zu bestaunen war.

Mit Daniel Hope gab es dann das 1935 entstandene 2. Violinkonzert von Sergej Prokofiev zu erleben. Erstmals musizierte der vielfach ausgezeichnete englische Geiger mit Valery Gergiev. Und das Zusammenspiel geriet ausgezeichnet. Sogleich in der solistischen Einleitung war Hope hörbar in seinem Element. Er suchte erkennbar die Kantabilität in diesem Werk und fesselte mit üppigem Ton auf seiner Geige. Gleichzeitig zeigte er sich meisterhaft sicher im Umgang mit allen spielerischen Schwierigkeiten. Vor allem im zweiten Satz war eine besondere Einheit zwischen Solisten und Orchester/Dirigent zu bestaunen. Im turbulenten dritten Satz begeisterte Hope mit mitreißender Bravour und Virtuosität. Valery Gergiev war hier mitgehender Partner auf Augenhöhe, sorgte für gestalterische Freiräume oder ließ auch, wenn notwendig, profund, erdig ausmusizieren. Daniel Hope bedankte sich für den begeisternden Applaus mit einem langsamen Satz aus der Violin-Sonate von Erwin Schulhoff aus dem Jahr 1928. In einer kurzen persönlichen Ansprache warb er dabei für das Interesse für den in Vergessenheit geratenen Komponisten. Auch, wie bereits am Vorabend, blieb Gergiev mit auf dem Podium, um der Zugabe beizuwohnen.

Nach der Pause dann zeigte Valery Gergiev seine interpretatorische Meisterschaft in der Gestaltung russischer Musik. Einmal mehr zeigte er seine große Kompetenz in der Interpretation der Werke von Dmitri Schostakowitsch. Um es vorwegzunehmen: Gergiev und sein herausragendes Orchester boten eine Sternstunde der symphonischen Interpretation! Unzählbar waren die vielen überwältigenden Momente in diesen 70 fordernden Minuten.

Seine monumentale siebte Symphonie beschreibt niederschmetternd den Einmarsch und die Belagerung von Leningrad durch die deutschen Kriegstruppen.

Der erste Satz beginnt mit einer Idylle. Alles dies ändert sich mit der Einführung des zentralen Themas, das den Einmarsch der deutschen Feindestruppen charakterisiert. Im Bolero-Rhythmus der kleinen Trommel wird das bekanntes Maxim-Motiv der Léhar Operette „Die lustige Witwe“ (Da geh ich zu Maxim…) zitiert. In gewaltigen Fortissimo-Klängen steigert sich dieses Thema, bis die musikalische Hölle sich über dem Zuhörer öffnet. Am Ende tönen ermattet Solo-Fagott und Trompete, bis dann in der Coda der Trommel Rhythmus des Invasions-Themas nochmals anklingt.

Der zweite Satz Moderato vermischt Idyllisches und Bedrohliches. Immer wieder brechen schrille Walzertakte die Stimmung auf. Vor allem die grotesken Holzbläser durchschneiden häufig die Melodielinien.

Tief unter die Haut geht dann das ausgedehnte Adagio mit seinen choralartigen Beginn in den Bläsern. Lange Unisono-Kantilenen in den Streichern, bis auch hier wieder musikalische Brüche realisiert werden, z.B. durch einen grotesk anmutenden Marsch.

Im beschließenden letzten Satz verarbeitet Schostakowitsch Motive der Trauer, die am Ende in einen erstarkenden, gewaltigen Triumph-Gesang des gesamten Orchesters führen. Eine Apotheose der Willenskraft in lautesten Ausbrüchen, die doch dann alles in ein helles strahlendes Licht führt.

Valery Gergiev sorgte für eine Ausnahme Interpretation mit seinen perfekten Musikern. Es stimmte einfach alles. Überzeugende Tempi, überwältigende Ausbrüche, tiefe kontemplative Elemente der Einkehr, schrille, spottende Farben und eine erhabene Feierlichkeit. Die Schrecklichkeiten ertönten mit unerbittlicher Drastik und Härte. Die Musiker spielten mit höchstem Engagement und größter technischer Kompetenz. Außergewöhnlich, wie genau, wie klar Gergiev jederzeit die dynamische Balance wahrte. Über die einzelnen Gruppen des Orchesters ließen sich viele Zeilen der Begeisterung schreiben. Die solistische Qualität, ob in der Violine oder in den Holzbläser ist ungemein hoch. Selten dürften Streicher in einem Orchester derart wuchtig, gewichtig klingen. Oder die virtuosen, sauber intonierenden Blechbläser, die mit gewaltigen Reserven größte Steigerungen realisieren konnten. Ein besonderes Lob für den absolut präzisen Schlagzeuger an der kleinen Trommel, der vom ersten Einsatz an, mit größter Exaktheit seinen Bolero-Rhythmus anstimmte und dabei immer wieder durch besondere Akzentuierungen verblüffte.

Eine überwältigende Hörerfahrung, die keiner der jubelnden Zuhörer vergessen dürfte. Stehende Ovationen für Gergiev und sein hinreißendes Orchester. Und dann gab es nach diesem schweren Werk sogar noch mit dem Finale aus Strawinsky‘s „Feuervogel“ eine Zugabe. Unglaublich auch hier die dargebotene Perfektion, so z.B. in dem makellos intoniertem Hornsolo.

Stehende Ovationen und große Euphorie im Publikum.

Was für ein besonderer Abend im Festspielhaus Baden-Baden!

 

Dirk Schauß

 

 

STUTTGART/ Liederhalle/ Beethovensaal: 7. SINFONIEKONZERT DES STAATSORCHESTERS (Illes/ Martin/R. Strauss). Cornelius Meister

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Siebentes Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart am 8. Juli 2019 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Subtile innere Prozesse

 Von dem ungarischen Komponisten Marton Illes („Composer in Focus“ der Spielzeit 2018/19) war die Uraufführung „Viz-szin-ter – 3 Aquarelle“ zu hören, was so viel wie Wasserfarbenraum oder Wasserschauplatz bedeutet. Innere Prozesse und plastische Nervengeflechte stehen im Mittelpunkt dieser ungewöhnlichen Komposition, die Körper und Psyche des Menschen ebenso unter die Lupe nimmt. Das Verhältnis zu den Naturphänomenen steht so auch harmonisch im direkten Zentrum.

Unter der einfühlsamen Leitung von Cornelius Meister waren die organischen Linienverläufe immer nachvollziehbar – fließende Linien zogen sich hier wie Nervenbahnen durch den Körper, der auf die Wasserfluten heftig zu reagieren schien. Geschmeidige und bewegliche Tonfolgen lockerten die Strukturen gleichsam auf, das Staatsorchester Stuttgart reagierte hier höchst sensibel auf die ungewöhnlichen Gefühlsregungen in dieser komplexen Partitur des 1975 geborenen Komponisten. In seiner Werkreihe „Drei Aquarelle“ spielen Linienstrukturen eine große Rolle. Sie ziehen sich wie transparente Bahnen durch den Raum. Beim hervorragend musizierten Concerto für 7 Blasinstrumente, Pauken, Schlagzeug und Streichorchester aus dem Jahre 1949 von Frank Martin besaßen die Themen in der Wiedergabe des Staatsorchesters Stuttgart unter der Leitung von Cornelius Meister Kraft und Profil – und auch dunkelglühende Episoden waren herauszuhören. Formbewusstsein und Temperament triumphierten bei den einzelnen Passagen. Frank Martin wollte hier ganz bewusst die Virtuosität der Solobläser nachweisen. Nathanael Carre (Flöte), Ivan Danko (Oboe), Stefan Jank (Klarinette), Marianne Engelhardt (Fagott), Philipp Römer (Horn), Sebastian Berner (Trompete) und Christian Hammerer (Posaune) gestalteten ihre Passagen mit solistischer Raffinesse und viel Einfühlungsvermögen. Nach dem Motiv folgte der Dialog. Gegen Ende des Satzes trugen die Streicher eine intensive Melodie vor, die von der Tuba eingeführt worden war. Im zweiten Allegretto-Satz triumphierte der Zweierrhythmus des Schlagzeugs. Die lyrische Phase des Fagotts wurde dann sensibel von der Posaune aufgenommen. Der dritte Satz stellte die Gruppen dann frontal gegeneinander, was Cornelius Meister mit dem Staatsorchester Stuttgart mit vehementer Akribie vorantrieb. Der Marschrhythmus erfasste schließlich das gesamte Orchester in unmittelbarer Klarheit. Die Durchführung mit Flöte und Klarinette besaß elektrisierenden Zauber. Der Accelerando-Schluss war ebenso brillant.

Zum Abschluss musizierte das Staatsorchester Stuttgart unter Cornelius Meister die Tondichtung „Ein Heldenleben“ op. 40 aus dem Jahre 1898 von Richard Strauss, wo Cornelius Meister die leidenschaftlich-schwelgerischen Passagen mit glühender Emphase musizieren ließ. Unverblümt wird hier deutlich, dass natürlich Strauss der Held ist. Im Sinne wilhelminischer Selbstglorifizierung wird das Geschehen hier monumentalisiert, was Cornelius Meister stellenweise nicht ohne eine gewisse Ironie betonte. Die Parallelität zu Bruckners siebter Sinfonie wurde bei dieser konzentrierten Wiedergabe nicht verleugnet. Das Kopfthema war dabei nur eine von vielen motivischen Entsprechungen. Die „Widersacher“ wurden dann tatsächlich als hämische, kleinliche Nörgler, Neider und Ewig-Gestrige vorgestellt, auf deren Gekeif der Komponist mit Gelassenheit reagierte. Das Staatsorchester Stuttgart imponierte hier aufgrund seiner ausgeprägten Charakterisierungskunst. Jugendlich und tatenfroh wendete er sich dann seiner „Gefährtin“ zu, einer launischen und nicht ganz unkomplizierten Dame, der die exzellente Geigerin Elena Graf bewegendes Leben verlieh. Kriegerische Trompetensignale verkündeten „Des Helden Walstatt“ mit großer Vehemenz. In bajuwarischem Walzertakt ließ Meister Strauss als „bayerisches Urviech“ dabei seiner Instrumentationskunst freien Lauf, was Cornelius Meister überzeugend herausarbeitete. Kampflustig prallten die Themen aufeinander. Das Kraftbewusstsein des Helden war durch den Sieg nur gestärkt. Kunstvoll meldeten sich Selbstzitate vom „Traum durch die Dämmerung“ über „Don Juan“, Macbeth“, „Tod und Verklärung“, „Eulenspiegel“ und „Zarathustra“ bis hin zu „Don Quixote“. Weihevolle Größe machte sich beim Schlussabschnitt „Des Helden Weltflucht und Vollendung“ bemerkbar. Das Heldenthema im Englischhorn schien die Villa in Garmisch zu beschwören. Jubel und tosender Schlussapplaus.

 

Alexander Walther     

ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus: BEETHOVENS „NEUNTE“– The Roads of Friendship: Riccardo Muti

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Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus

The Roads of Friendship: Riccardo Muti


Riccardo Muti. Foto: Todd Rosenberg

Konzert am 9. Juli 2019

Riccardo Muti kam, dirigierte, sprach – und wurde enthusiastisch gefeiert. Fraglos trat ein bedeutender Maestro unserer Tage im Athener Odeion des Herodes Attikus auf. In einer Zusammenarbeit mit dem Ravenna Festival und unterstuetzt von der Italienischen Botschaft in Athen beschwor die Auffuehrung von Ludwig van Beethovens 9. Symphonie die europaeische Idee und mehr noch die Freundschaft zwischen Griechenland und Italien. Der Abend begann denn auch mit den beiden Nationalhymnen und endete mit einer leidenschaftlichen, kurzen Ansprache von Riccardo Muti, worin der Neapolitaner die Bedeutung der beiden Laender fuer Europa hervorhob. Bei all dem Bekenntnishaften trat die musikalische Qualitaet fuer die meisten Zuhoerer wohl eher in den Hintergrund.

Es ueberraschte nicht, dass an einem Abend, der unter dem Titel „The Roads of Friendship“ stand, Beethovens Neunte zur Auffuehrung gebracht wurde. Muti hatte aus Italien das Jugendsinfonieorchester Luigi Cherubini und den Chor Costanzo Porta mitgebracht. Beide Kollektive wurden um griechische Musiker und Saenger aufgestockt. So waren Mitglieder des Athener Staatsorchester, des Griechischen Jugendsinfonieorchesters und des Radiosinfonieorchesters ERT sowie der beiden staedtischen Klangkoerper mit auf dem Podium. Der italienische Chor wurden durch Saengerinnen und Saenger des Chors der Stadt Athen verstaerkt und die beiden Kollektive wurden von Antonio Greco und Stavros Beris einstudiert. Es ist wohl naheliegend, dass eine solche Gemengelage bei einer kurzen Probezeit kaum Gewaehr fuer eine optimale Auffuehrung des anspruchsvollen Werks bietet. Besonders im dritten und im letzten Satz wurden im Orchester Probleme hoerbar, weil sich die musikalischen Teile nicht recht zu einem Ganzen fuegen wollten. Die organische Struktur der Musik ging mehr und mehr verloren. Daneben gab es auf der Habenseite gelungene Blaesereinsaetze und den Gestaltungswillen des Dirigenten. Der Chor sang solide, das Klangbild blieb aber zu wenig ausgeformt. Das Solistenquartett machte seine Sache besser, wobei der Bass Evgeny Stavinski und die Sopranistin Maria Mudryak positiver hervorstachen als der Tenor Luciano Ganci und die Mezzosopranistin Anastasia Boldyreva. Fuer die knapp zweihundert Beteiligten auf dem Konzertpodium war dies sicherlich ein besonderer Anlass im Odeion des Herodes Attikus, ein Abend praktizierter Voelkerverstaendigung. Betrachtet man Riccardo Mutis Engagement als erzieherische Massnahme, vermag sie tatsaechlich erhebliche Sympathien zu wecken. Angesichts etlicher unruhiger Zuschauer haette der Maestro allerdings das Publikum gleich miterziehen sollen.

Das Publikum feierte am Schluss Riccardo Muti und alle Beteiligten lautstark und mit stehenden Ovationen. Man war wohl zuallererst dankbar dafuer, dass der Maestro den Weg nach Athen gefunden hatte.

Ingo Starz


WIEN / Ronacher: Tang Jianpings DIE TAGEBÜCHER VON JOHN RABE

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Ensemblefoto (Chorszene). Foto: VBW / Jiangsu Centre for the Performing Arts

WIEN / Ronacher: DIE TAGEBÜCHER VON JOHN RABE von Tang Jianping
9. Juli 2019 (österreichische Erstaufführung)

Von Manfred A. Schmid

Auf einer Tournee durch Europa stellt das ostchinesische Opern- und Tanztheater von Jiangsu – nach Stationen in Berlin und Hamburg – die Oper des angesehenen Komponisten Tang Jianping nun auch in Wien vor. Das Werk behandelt ein traumatisches Ereignis aus China jüngerer Vergangenheit: die als „Massaker von Nanking“ in die Geschichte eingegangene Eroberung der ostchinesischen Stadt Nanking (Nanjing) im Dezember 1937 durch Japan, bei der es zu erschreckenden Gräueltaten der Invasoren gekommen ist. Im Mittelpunkt der Oper steht der deutsche Kaufmann John Rabe, der an der Spitze eines Teams von beherzten Mitstreitern eine „Internationale Sicherheitszone“ zur Rettung der Zivilbevölkerung einrichtet und so das Überleben tausender Bedrängter sichern kann. Bis heute gilt er ob seines mutigen Einsatzes für die Menschlichkeit als eine Art „chinesischer Oskar Schindler“. Von besonderem Wert erwiesen sich seine erst 1996 veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen, die – zusammen mit den Filmaufnahmen des amerikanischen Pastors John Magee – die brutalen Übergriffe der Besatzer dokumentierten. Der Stoff wurde inzwischen auch verfilmt. Der Film John Rabe, mit Ulrich Tukur in der Titelrolle, wurde 2009 im Rahmen der Berliner Filmfestwochen präsentiert.

Mit viel Aufwand und sichtlichem Stolz – an der groß aufgezogenen Tourneeproduktion arbeiten neben chinesischen Künstlern und Ensembles auch renommierte internationale Kräfte mit – präsentiert das moderne China dieses Werk in Europa. Die Tagebücher des John Rabe ist eine Hommage an die Mitglieder des humanistisch engagierten Komitees rund um die titelgebende Figur, zugleich aber auch eine schonungslose Abrechnung mit dem japanischen Schreckensregime. Nicht zuletzt will man mit dieser ambitionierten musikdramatischen Aufarbeitung aber wohl auch den Beweis dafür liefern, dass das Land nach der verheerenden, von Mao ausgerufenen „Kulturrevolution“ 1966 bis 1977, die die geistige Entwicklung Chinas um Jahre zurückgeworfen hat, nun den Anschluss an die damals als dekadent verpönte westliche Kultur gefunden haben will. Und in der Tat: In der Partitur gibt es starke Bezüge auf Johann Sebastian Bachs „Passacaglia (und Fuge) in c Moll“, die sich – so der Komponist Tang Jianping im aufwendig gestalteten Programmheft – „wie ein tragischer Faden des Schicksals“ durch das Werk zieht. Aber auch das wohlbekannte „dies irae“-Thema taucht als Leitmotiv immer wieder auf. Ansonsten erinnert die sehr tonal und zahm daherkommende Musiksprache an Puccini und Korngold, mit einem Schuss Musical und Filmmusik à la Hollywood der 50er Jahre. Ein erster, von den chinesischen Kulturbehörden offenbar gutgeheißener Schritt ist also getan: Man ist in diesem musikalischen Annäherungs- und Aufholprozess immerhin bei der spätromantischen Musiksprache des frühen 20. Jahrhunderts angekommen. Verwundert registriert man freilich, dass in dem Werk auf die musikalischen Tradition Chinas verweisende Elemente nicht einmal in Spuren vorhanden sind. Da schreibt ein chinesischer Komponist der Gegenwart, zumindest im vorliegenden Werk, in einer ausschließlich „westlich“ – wenn auch ziemlich nach Vorgestern – klingenden Tonsprache. Kann sein, dass sich Jianping vor Vergleichen mit Exotismen wie in Puccinis Turandot oder Lehárs Land des Lächelns fürchtete. Aber da wäre wohl mehr möglich gewesen, wenn man etwa an die „russisch“ gefärbten Opern Tschaikowskys oder Mussorgskys denkt, oder an den Komponisten Aram Khatschaturian, dem es gelungen ist, in seine Werke armenisch-georgische und kaukasische Melodik und Rhythmik einfließen zu lassen. Von der Bereicherung der Opernmusik durch die Hereinnahme des afroamerikanischen Jazz bei Gershwin ganz zu schweigen. So bleibt es – überspitzt ausgedrückt – bei einer epigonalen Allerweltsmusik ohne eigenständiges Profil. Weltmusik hört sich gewiss anders an. Dennoch: Die Musik ist gut eingesetzt und vermag zu berühren. Der Komponist Tang Jianping versteht etwas von packendem Musikdrama. 

Das gilt auch für die Librettistin Zhou Ke. Die in der zweiaktigen Oper dargestellten Ereignisse während der 170 Tage des Nanjing-Massakers von Ende 1937 bis Anfang 1938, als John Rabe und seine Mitstreiter Minnie Vautrin, John Magee zum Verlassen der Stadt gezwungen werden, finden sich in wirkungsvollen Szenen (Bühnenbild: Wang Jing) eingefangen. Zuweilen – wie in der Episode im Internationalen Mädchengymnasium, wo die japanischen Soldaten ausgerechnet am Heiligem Abend, nachdem die Schülerinnen „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen haben, eindringen und sie in ihre Kaserne abschleppen – geht es auf der Bühne etwas zu kolportagehaft zu. Die Geschichte der Grausamkeiten und des Widerstands dagegen wird aber plausibel erzählt und verfehlt – in der Regie von Ma Zhou – ihre Wirkung nicht.

Die Gesangsleistungen – allen voran Xue Haoyin als entschlossener, besonnener und durchsetzungsstarker Titelheld – sind außerordentlich. Xu Xiaoying, Sopran, setzt sich vehement für das Wohl der ihr anvertrauten Mädchen ein, muss aber schließlich der brutalen Gewalt weichen. Ihre Klage ob des Versagens ist ergreifend, ihre Verzweiflung geht unter die Haut. Der Bassist Haojiang ist – dem Gemüt nach – der Ruhepol in der Gruppe, aber auch er geht seinem Auftrag konsequent und unbeirrt nach. Die Solisten und Solistinnen in den Nebenrollen wissen ebefalls zu überzeugen. Stellvertretend genannt seien Tom Mulder als Dr. Robert Wilson und Zhang Dongliang als japanischer General. Starke Auftritte absolviert der Chor unter der Leitung von Sun Shuyan. Als musikalischer Leiter der Aufführung sorgt der Dirigent Xu Zhong am Pult des aus dem Symphony Orchestra der Jiangsu Performing Arts Group und dem Suzuhou Symphony Orchestra bestehenden Klangkörpers für die effektvolle Umsetzung der Partitur. Als Bühnenmusiker prägend in Erscheinung tritt der Violinist Xu Yang. Der satte, melancholisch-rhapsodische Klang seiner von Bach bis Sarasate inspirierten Passagen unterstreicht den Kampf der Guten gegen die Bösen, der leider nur Teilerfolge aufzuweisen hat. Das Aufflackern der Menschlichkeit in einer Hölle der Grausamkeit.

Der beträchtliche Beifall im recht gut besuchten Ronacher zeigt, dass das Publikum vom Gebotenen durchaus angetan war. In den letzten Tagen wurde von den Vereinigten Bühnen Wien in einer im Internet stark beworbenen 1 & 1 Aktion der Ticketverkauf und damit der Besuch offenbar mit Erfolg gesteigert. Heute Abend gibt es noch einmal die Gelegenheit, dieses Werk kennenzulernen. Es lohnt sich durchaus.

Manfred A. Schmid (Online Merker)
9.7.2019

WIEN/ Ronacher: DIE TAGEBÜCHER VON JOHN RABE – Oper von Tang Jianping

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Bildergebnis für ronacher die tagebücher von john rabe
Foto: VBW / Jiangsu Centre for the Performing Arts

Ronacher Tang Jianping (1955*) DIE TAGEBÜCHER VON JOHN RABE 9.7. 2019

Hand aufs Herz. Wem von uns ist jemals der Name „John Rabe“ begegnet? Mir jedenfalls war der 1882 in Hamburg geborene und 1950 in Berlin verstorbene deutsche Kaufmann John Heinrich Detlef Rabe völlig unbekannt. Wegen seiner humanitären Verdienste um die chinesische Zivilbevölkerung im zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg wurde er auch als der „Oskar Schindler Chinas“ oder der „zweite Schindler“ und in China als der „deutsche lebende Buddha“ oder „der gute Deutsche von Nanjing“ bezeichnet. Er arbeitete als Geschäftsführer der Siemens & Halske-Niederlassung in Nanking, so der alte Name der ehemaligen Hauptstadt der Republik China. Rabe sprach Hochchinesisch, Kantonesisch, Japanisch und Englisch. Trotz seiner Parteimitgliedschaft bei der NSDAP handelte er durch Errichtung einer Sicherheitszone pazifistisch. Die Handlung der Oper dreht sich um jene 170 Tage in Nanking im Winter 1937/38, in deren Verlauf über 250.000 Menschen auf grausame Weise ihr Leben durch die japanischen Invasoren verloren. Von einer kleinen Gruppe ausländischer Ärzte, Missionare und Geschäftsleute, darunter Wilhelmina Minnie Vautrin (1886-1941) und John Gillespie Magee (1884-1953), wurde während dieses Infernos eine Schutzzone als einziger Zufluchtsort eingerichtet. Unter der Führung von John Rabe verteidigten sie das Flüchtlingslager mit äußerster Hingabe und retteten so mehr als 200.000 chinesischen Zivilisten das Leben.

Der Komponist Tang Jianping wurde 1955 in Liaoyun, Provinz Jilin im Nordosten Chinas geboren. Er studierte Komposition ausschließlich in China. Sein Oeuvre umfasst die unterschiedlichsten Gattungen und Stilrichtungen, einschließlich elektronischer Kompositionen, Werke für ethnische Instrumentalensembles, sowie Musik für Film und Fernsehen. Die Oper „Die Tagebücher von John Rabe“ wurde am 13.12.2017, genau 80 Jahre nach dem Beginn des „Nanjing-Massakers“ im Opernhaus des Jiangsu Centre for the Performing Arts uraufgeführt. Die gesamte Komposition wird wie ein tragischer roter Faden durch Johann Sebastian Bachs Orgelkomposition Passacaglia (und Fuge) in c-moll durchzogen. Das musikalisch wichtigste Thema in dieser Oper aber ist die Liebe, die zu Beginn und gegen Ende der Vorstellung von einem Geiger auf offener Bühne vorgetragen wird und ein Arrangement Bach’scher Kompositionen sowie Melodien, die das chinesische Lebensgefühl widerspiegeln, darstellt. Gewaltige orchestrale Ohne direkte musikalische Zitate zu verwenden, erinnerten mich zahlreiche orchestrale Ausbrüche stilistisch bisweilen an Schostakowitsch und Mussorgski. Gegen Ende glaubte ich auch Wagners Parsifal in einem kurzen musikalischen Zitat herauszuhören. Jedenfalls verriet die Partitur höchstes handwerkliches Geschick und bei allem Eklektizismus doch eine musikalisch eigene Handschrift des Komponisten. Das Libretto in zwei Akten verfasste Zhou Ke, Lehrerin an der Shanghai Theaterakademie, auf Grundlage der erst 1996 wiederentdeckten Tagebücher von John Rabe. Auf die in Nanjing aufgewachsene Regisseurin Mo Zhou hinterließ der jährlich am 13. Dezember in der ganzen Stadt erklingende Luftverteidigungsalarm zum Gedenken an jene Menschen, die in diesem Holocaust getötet wurden, einen tiefen Eindruck. Als sie mit 18 Jahren China verließ, war sie überrascht, dass nur wenige Menschen in der westlichen Welt jene tragischen Ereignisse von Nanking kannten. In den Vereinigten Staaten gilt sie als eine der herausragenden Opernregisseurinnen. Die in Großbritannien ansässigen Bühnenbildnerin Wang Jing stellte drei den zerbrochenen Nanjinger Stadtmauern aus der frühen Ming-Dynastie nachempfundenen Trümmern, repräsentativ für das Leid der Bevölkerung und die Zerstörung der Stadt, auf die Bühne. Die historisierenden Kostüme wurden von Andrea Hood entworfen. Wang Jing steuerte die spannende Choreographie der Massenszenen bei. Masha Tsimring leuchtete die Bühne sensibel ein und Nicholas Hussong steuerte das Multimedia-Design für die Kriegsszenen bei.


Chor-Szene: Foto: VBW / Jiangsu Centre for the Performing Arts

Mit zwei Ausnahmen stammten alle Sänger und Sängerinnen aus China. Der chinesische Tenor Xue Haoyin, durch die Maske deutlich gealtert und europäisiert, gab einen stimmgewaltigen Titelhelden John „Labe“. Auchtung: im Chinesischen gibt es kein „R“, sodass sein Name „Labe“ ausgesprochen wurde. Xu Xiaoying glänzte mit ihrem ausdrucksstarken Sopran und ihrer subtilen Rollengestaltung als amerikanische Schulleiterin und Missionarin Minnie Vautrin. Tian Haojiang unterlegte die Rolle des Missionars John Magee mit seinem voluminösen Bass. Bariton Tong Meng gefiel als Oberst Huang, der nicht bereit ist, zu kapitulieren. Zhang Jiayu wirkte mit ihrem schrillen Sopran besonders ergreifend in der Rolle der hochschwangeren Li Xiuying, deren ungeborenes Kind in ihrem Leib mit 37 Stichen getötet worden war. Bariton Guo Yafeng ergänzte rollengerecht als Han Xianglin, wer immer das auch gewesen sein mag. Google schweigt sich über diese Person aus, ebenso das Programmheft. Der japanische General wurde pompös und stolz von Bariton Zhang Dongliang in Szene gesetzt. Tenor Xia Xintao sowie die Baritone Liu Yudong und He Feng ergänzten als japanische Offiziere Yamamoto und Ikeda und als eiskalter, menschenverachtender japanischer Botschafter Fukuda. Krankenhausarzt Dr. Robert Wilson wurde von dem US-amerikanischen Tenor Tom Mulder mit gut geführter Stimme vorgetragen. Pastor Mills wiederum von dem US-amerikanischen Bariton José Rubio. Beide wurden zum iSing ! Internationalen Nachwuchssängerkunstfestival Suzhou eingeladen. Hou Yihao hatte einen kurzen Auftritt als Achtjähriger Knabe im Spital, der mitansehen musste, wie seine Mutter und sein Bruder von Bajonetten durchbohrt wurden. Das Violinen-Solo auf der Bühne wurde besonders einfühlsam von Xu Yang gespielt.

Das Symphony Orchestra der Jiangsu Performing Arts Group ergänzt durch das Suzhou Symphony Orchestra wurde von dem Pianisten und Dirigenten Xu Zhong voller Energie mit Verve geleitet. Er ist u.a. auch Chefdirigent des Sommermusikfestivals in Verona und musikalischer Leiter des Opernhauses Haifa.

Das Ronacher war sehr gut ausgelastet und lediglich einige wenige Plätze waren frei geblieben. Gesungen wurde in chinesischer Sprache mit chinesischen und deutschen Übertiteln. Die Aufführung samt Pause dauerte etwa drei Stunden. Das Publikum schenkte allen Beteiligten an dieser Produktion begeisterten Applaus, dem sich der Rezensent gerne anschloss. Nachdem dieser das Ronacher verlassen hatte, konnte er noch eine Bemerkung eines noch älteren Besuchers aufschnappen, der sinngemäß meinte: „Weder das Thema sei interessant gewesen, noch die Musik!“ Tja: De gustibus non est disputandum!              

Harald Lacina

RETZ/ Stadtpfarrkirche: MARIA MAGDALENA – Kirchenoper von Wolfram Wagner

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Ursula Langmayr als Maria Magdalena
Ursula Langmayr (Maria Magdalena). Foto: Claudia Prieler

RETZ/ Stadtpfarrkirche: MARIA MAGDALENA von Wolfram Wagner

Zweite Vorstellung am 7.7.2019

Das Festival Offene Grenzen in Retz setzt auch heuer seine Serie von Kirchenopern fort, diesmal allerdings mit einem Auftragswerk: Maria Magdalena von Wolfram Wagner.

Hervorragend wie immer der musikalische Teil der Aufführung in der stimmungsvollen Stadtpfarrkirche. An der Spitze ein durch die Bank erstklassiges Sängerensemble ohne Schwachstellen: Ursula Langmayr (Maria Magdalena), Megan Kahts (Martha), Monika Schwabegger (Maria), Alois Mühlbacher (Johannes) und Michael Nowak (Petrus).

Tadellos auch das Ensemble Festival Retz, das TERPSICHOREvocalensemble und der Jugendchor der Volksoper Wien, alle zusammen unter der souveränen musikalischen Leitung von Andreas Schüller.

DIe Komposition des 57jährigen Wieners Wolfram Wagner wird die Musikgeschichte nicht unbedingt verändern, bietet zwei Stunden lang angenehme, interessante und gefällige Klänge und gelegentlich auch sehr überraschende und eindrucksvolle Effekte.

In einer an sich schon theatralischen Kirche Theater zu spielen, ist immer schwierig, auch aufgrund des beschränkten Platzes.Die Stellwände mit Ausschnitten aus berühmten Gemälden(Das Letzte Abendmahl etc.), für die man sich hier entschieden hat, verengen diesen Spiel-Raum noch mehr und machen das Inszenieren nicht leichter….

Das Enttäuschendste des Abends ist allerdings das Libretto.Von der groß angekündigten Um – und Neubewertung der faszinierenden Frauenfigur Maria Magdalena ist hier nicht viel zu spüren. Man hat den Eindruck einer Passion wie jeder anderen.

Und die Trockeneisnebelmachinenorgie am Schluss hätte man sich wirklich sparen können…

Noch bis 21. Juli.

Robert Quitta, Retz

MÜNCHEN/ Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper: „ERWIN SCHROTT IN CONCERT: TANGO DIABOLO

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München: Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper: „ERWIN SCHROTT IN CONCERT: TANGO DIABOLO, 08.07.2019

Vor vier Jahren hatte Erwin Schrott das Münchner Publikum mit seinem Konzert „Cuba Amiga“ schon einmal in die musikalische Welt Südamerikas entführt. Das damalige Programm war von Lebensfreude, Leichtigkeit und Spaß geprägt. Bei dem diesjährigen Konzert „Tango Diabolo“ lernte man nun andere Facetten südamerikanischer Musik kennen: melancholische, verträumte und tiefgründige Klänge. Wer nun meint, dieses ruhigere und manchmal auch düstere Programm sei weniger begeisternd als das fröhliche von vor vier Jahren, der irrt. Ein durchdachtes, mit Passion, Liebe zum Detail und auf authentische Darbietung bedachtes Konzept sorgte dafür, dass das Publikum am Ende begeistert und frei von Sorgen des Alltags nach Hause ging. Im ersten Teil sang Erwin Schrott „teuflische“ Opernarien von Charles Gounod, Arrigo Boito, Hector Berlioz und Giacomo Meyerbeer in musikalischen Eigenarrangements von Erwin Schrott für Klavier, Bandoneon und Gitarre. Was auf den ersten Blick etwas eigenartig erschien, fügte sich zu einem spannenden, geheimnisvollen und mitreißendem Klangerlebnis. Temperamentvolle Stücke wie „Son lospiritochenega“ aus Mefistofele oder „Le veaud’or“ aus Faust wechselten sichmit sanfteren wie „Voici lesroses“ aus „La damnation de Faust“ ab. Je nach Charakter der Musik sang Erwin Schrott die Arien mit kraftvoller, raumfüllender und kerniger Stimme oder zurückgenommen, elegant und innig. Zwischen den Gesangsstücken begeisterte der erst 17-jährige Pianist Michael Häringer mit virtuosen Einlagen wie dem „Totentanz“ und dem „Mephisto-Walzer“ von Franz Liszt. Der zweite Teil des Konzerts war dem Tango in seiner melancholischen, von Nostalgie und Sehnsucht geprägten Variante gewidmet. Auf der dunklen, von Kerzen erleuchteten Bühne erklangen Kompositionen von Astor Piazzola, Enrique Cadicamo, Heraclio Fernández, Ariel Ramírez und Mario Soto. Im Bühnenhintergrund erschienen zu den jeweiligen Liedern passende Bilder eines Ozeans, einer nebligen Landschaft oder eines verlassenen Dorfs. Für Entspannung und positive Stimmung in diesem Teil sorgte Erwin Schrotts warmherzige und lockere Moderation, in der er von seiner persönliche Beziehung zu den einzelnen Stücken sprach und dem Publikum den Gehalt der einzelnen, natürlich spanischsprachigen Lieder nahebrachte, nicht ganz so düster wie er meist war, sondern eher mit Betonung der positiven oder hoffnungsvollen Seiten der jeweiligen Lieder.Auch den Instrumentalisten (Santiago Cimadevilla/Bandoneon, ClaudioConstantini/Klavier und Bandoneon und Jonathan Bolívar/Gitarre) wurde in Solonummern oder Solopassagen Raum gegeben, ihr großes Können und ihr Wissen um diese Musik zu zeigen, etwa in „Romance del diabolo“. Ein begeistertes Publikum spendete heftigen Applaus und verließ das Theater in gehobener, feierlicher Stimmung. Bei vielen wird der besondere Eindruck dieses außergewöhnlichen Konzerts noch lange nachgewirken.

Gisela Schmöger

DRESDEN/ Semperoper: 12. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE. SAISON-„KEHRAUS“ MIT JOHANN STRAUSS

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Dresden / Semperoper:  SAISON-„KEHRAUS“ MIT JOHANN STRAUSS IM 12. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 9.7.2019

Open-Air oder Konzertsaal? Das war hier die Frage. Der Vergleich ist zwar nicht relevant, da man nicht „Äpfel mit Birnen vergleichen“ sollte, aber hier doch ganz interessant und bot sich an, denn noch nie lagen beide Konzert-Arten mit dem gleichen Programm, gleicher Orchesterbesetzung und gleichem Dirigenten terminlich so nahe beieinander wie beim 12. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden und dem 12. „Klassik-Picknickt“-Konzert (6.7. – der online-Merker berichtete darüber) in seiner neuen Location, der Freilichtbühne Junge Garde im Großen Garten, am Ende der Konzertsaison 2018/19.

Eigentlich wollte und sollte der Österreicher Franz Welser-Möst beide Konzerte mit einem anspruchsvollen Programm, u. a. mit der „3. Symphonie“ von Franz Schubert, dem „2. Violinkonzert“ von Bohuslav Martinů, Otto Nicolais Ouvertüre zu „Die Lustigen Weiber von Windsor“ sowie einigen Stücken der Strauß-Brüder leiten. Da er jedoch wegen Krankheit absagen musste und Manfred Honeck kurzfristig eingesprungen war, wurde auch das Programm kurzfristig geändert.

Von der ursprünglichen Konzeption blieben nur noch Martinů und die beiden Strauß-Brüder mit anderen Stücken, übrig. Neu aufgenommen wurden hingegen Antonín Dvořák und Franz von Suppé, wodurch sich der Charakter dieses Konzertes noch mehr in Richtung „habsburgische Unterhaltungsmusik“ verschob, was durchaus zu dem launigen Charakter eines Open-Air-Konzertes und dem „Kehraus“ im letzten Symphoniekonzert und gleichzeitig letzten Konzert der Kapell-Saison in Dresden passte.

Martinůs „Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 (H. 293) erschien manchem Besucher der Freilichtbühne in diesem Rahmen nicht ganz geheuer und passte besser in den Konzertsaal, wenn es auch auf beiden Bühnen gleich meisterhaft von Frank Peter Zimmermann und der Kapelle interpretiert wurde. Zimmermanns Geigenkunst, sein feiner weicher, klingender Strich und seine geistige Durchdringung des Werkes kamen hier noch besser zur Geltung und beim Publikum so gut an, dass er noch eine Zugabe darauflegte, die ebenso  meisterhaft und virtuos dargebotene „Fuge“ aus der, von Yehudi Menuhin 1944 uraufgeführten, „Solosonate für Violine“ (Sz 117) von Bela Bartók, seinem letzten Kammermusikwerk.

Obwohl die akustischen Verhältnisse in der neuen Spielstätte von Klassik-Picknickt auch anspruchsvollen Erwartungen entgegenkamen, wobei naturgemäß bei solchen Veranstaltungen immer einige Abstriche zu machen sind, wirkte doch die Akustik des Konzertsaales, noch dazu der diesbezüglich viel gerühmten, Semperoper, ungleich besser und ließ alle Details noch deutlicher und schöner wahrnehmen und so manche Feinheit noch besser zur Geltung kommen. Auch war bei dieser, der letzten von – wie üblich – dreimal in der Semperoper gegebenen, Aufführungen des 12. Symphoniekonzertes vieles ausgeglichener und gelöster und die Musiker in ausgelassener Stimmung, so dass das „Klassik-Picknickt“-Konzert dagegen  – mit Verlaub – wie die durchaus gelungene „Generalprobe“ wirkte, zumal auch bei der „Regie“ der eingestreuten heiteren „Einlagen“ noch nicht alles ganz „ausgeklügelt“ und koordiniert schien.

Mit dieser Gelöstheit gelang die „Karneval“-Ouvertüre“ (op. 92) von Antonín Dvořák noch in sich geschlossener und ausgeglichener und die Ouvertüre zur Operette „Dichter und Bauer“ von Franz von Suppé mit dem wunderbaren Cello-Solo (Simon Kalbhenn), die hier wie dort das Publikum, begeisterte, noch unbeschwerter und klangschöner, desgleichen „Die Libelle, Polka mazur“ (op. 204) von Josef Strauß und erst recht die bekannten Ohrwürmer aus dem reichen Schatz an schwungvollen Tänzen von Johann Strauß (Sohn): die „Furioso-Polka“, Quasi Galopp (op. 260), die „Frühlingsstimmen“ (op. 410), „Im Krapfenwald’l“, Polka française (op. 336), „Auf der Jagd“, Polka schnell (op. 373) und „Unter Donner und Blitz“, Polka schnell (op. 324), bei denen sich jetzt noch mehr Wiener Charme ausbreitete und die Besucher in heiterer Stimmung in die Sommerpause entließ. Jetzt waren auch die eingestreuten Gags, wie die am Ende von den Musikern aufgespannten farbigen Regenschirme (obwohl die Semperoper „dicht“ ist und kein Regen fiel), wesentlich besser abgestimmt und taten ein Übriges.

Ingrid Gerk

 

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