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KÖLN: Römisch-Germanisches Museum am Interimsstandort „Belgisches Haus

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Alte Schätze in neuem Licht

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

Vor über einem Jahr musste das altehrwürdige Römisch-Germanische Museum am Roncalliplatz in Köln wegen diverser bautechnischer Mängel schließen, nachdem diesen in der Nachbarschaft der Hohen Domkirche gelegenen Publikumsmagneten mehr als 20 Millionen Besucher seit der Eröffnung im Jahre 1974 besucht hatten. Eine Generalsanierung ist geplant. Auf der Suche nach Interimslösungen, um die wichtigsten und wertvollsten Schätze des Museums auch während der 5-6 Jahre dauernden Generalsanierung und Bauzeit repräsentativ zeigen zu können, fand man eine in Köln bekannte Immobilie, das Belgische Haus, eine Adresse, wo seit Kriegsende Kultur und Kunst immer gepflegt wurden. Viele Kölner erinnern sich noch an die Anfangszeiten des Wiederaufbaus der zertrümmerten Stadt, als hier die ersten Konzerte, Lesungen und Ausstellungen stattfanden. Das Haus verfügt nach wie vor über einen der schönsten Konzertsäle Kölns.


Eröffnung der Interimsaustellung im renovierten Belgischen Haus in der Cäcilienstraße. Foto: Andrea Matzker

Die anfängliche, in Köln zur Zeit sicherlich verständliche Zurückhaltung und Scheu beim Betreten eines Interimsquartiers wich völliger Begeisterung bei den ersten Besuchern der Ausstellung des Römisch-Germanischen Museums im neu renovierten Belgischen Haus an der Cäcilienstraße. Voller Stolz präsentierte Museumsdirektor Marcus Trier 1000 Funde auf 1000 m². 25 % der gesamten Sammlung werden somit neu präsentiert. Neben zauberhaftem, kunstvollem Schmuck, Statuen, Büsten, der bedeutenden Glas-Sammlung, Alltagsgegenständen, medizinischem Besteck, anschaulichen Dokumentationen und Animationen gibt es auch viele außergewöhnliche, bemerkenswerte, ja fast bizarre und skurrile Begebenheiten um die ausgestellten Objekte.


Das bronzene Antlitz des göttlichen Ozeans. Foto: Andrea Matzker

Allein die Vorgeschichte zur Entstehung des Römisch-Germanischen Museums bietet Stoff für einen spannenden Krimi, fast eine „kölsche“ Miniversion der Jahrtausendentdeckung des Tutanchamun durch Howard Carter. Das Dionysos-Mosaik, 1941 bei der Anlage eines Luftschutzbunkers, des Dombunkers, unmittelbar neben dem Kölner Dom entdeckt, besteht aus ca. 1,5 Millionen Steinchen und ist über 70 m² groß. Als Bodenmosaik des Speisesaals einer römischen Villa zeigt es einen trunkenen Dionysos respektive Bacchus, musizierende Mänaden und Satyrn sowie einen auf einem Löwen reitenden Amor. Es gilt als das bedeutendste römische Bodenmosaik, das bisher jemals nördlich der Alpen gefunden wurde. Das derzeitige Gebäude wurde 1974 als „Schaufenster in die Römerzeit“ rundherum um das Mosaik konzipiert und eröffnet. Noch vor Beendigung des Museumsbaus konnte die Stadt das Grabmal des Lucius Poblicius von genialen Hobbyarchäologen erwerben, das währenddessen am Chlodwigplatz entdeckt und 17.000 Stunden lang, in 9 m Tiefe und über zwei Jahre während in mühsamster Arbeit ausgegraben worden war. Da es zu hoch für das zunächst niedriger konzipierte Dach des Museums war, wurde das Dach des Römisch-Germanischen Museums kurzerhand angehoben, um den bedeutenden Fund in das Museum zu integrieren. Es ist auch jetzt, während des Umbaus des Stammhauses, gemeinsam mit dem Dionysos-Mosaik zu besichtigen.


Der weltbrühmte Diatret-Becher. Foto: Andrea Matzker

Das berühmte Diatret-Glas aus dem frühen vierten Jahrhundert ist im Belgischen Haus in einer Einzelvitrine ausgestellt, so dass sich die Besucher ihm auf wenige Zentimeter nähern können. Der Becher ist das weltweit einzige dreifarbige römische Netzglas und gilt als Symbol für den unumstrittenen Höhepunkt der antiken Glaskunst. Sein purpurfarbenes Schriftband mit dem griechischen Trinkspruch „Trinke, lebe schön immerdar“ erinnert an die Vergänglichkeit und fordert zu Lebensgenuss auf. Als es am 1. April 1960 entdeckt wurde, hielt der damalige Museumsdirektor die Nachricht über den Fund zunächst für einen Aprilscherz.


Schlangenfadengefäß mit den berühmten Kölner Schnörkeln. Foto: Andrea Matzker

Die sogenannten „Kölner Schnörkel“ wurden als Verzierungstechnik zum unverwechselbaren Markenzeichen und individuellen Muster für die römische Glaskunst der Stadt Köln. Die Schlangenfadengefäße sind dekoriert mit feinen, farbigen Glasfäden. Der Werkstoff Glas hat in Köln eine 2000-jährige Tradition.


Der mit Emaillefarbe bemalte Achillespokal. Foto: Andrea Matzker

 

Der 1991 gefundene Achillespokal ist mit leuchtenden Emaillefarben bemalt, mit Gold verziert und zeigt die Entlarvungsszene aus dem Achilles-Mythos. Achilles war versteckt unter den Töchtern des Lykomedes, beim Klang der Kriegstrompete jedoch ergreift er Schild und Schwert, und die Mädchen laufen erschrocken davon. Auf anderen, ursprünglich ebenso mit Emaillefarben bemalten Glasobjekten ist die Farbe nicht mehr zu erkennen.


Die einzigartigen römischen Glasschuhe. Foto: Andrea Matzker

Eine weitere, einzigartige Rarität sind die gläsernen Schuhe, in Wirklichkeit zwei Salbengefäße in der Form von Sandalen, aus dem 2./3. Jahrhundert.


Bezaubernde Glasskulpturen in leuchtenden Farben. Foto: Andrea Matzker

Unter den Glasskulpturen befinden sich auch köstliche, kleine Tier- Darstellungen für den Alltagsgebrauch in leuchtenden Farben.


Hundefußspuren-auf-einem-Dachziegelstein. Foto: Andrea Matzker

Sogar Abdrücke von Pfoten eines Hundes, der über den noch frischen Dachziegel lief und somit seine Spuren hinterließ, sind im Ton verewigt.


Die verführerische Venus, deren- Rücken tatsächlich als Pflasterstein benutzt wurde. Foto: Andrea Matzker


Der Rücken der Venus, der als Pflasterstein auf der Hohen Straße verwendet wurde. Foto: Andrea Matzker

Ein kurioses Fundstück ist der Venus-Torso aus dem vierten Jahrhundert, dessen Rücken tatsächlich als Straßenpflaster auf der Hohen Straße neben anderen Steinen eingebettet war.


Herkules bezwingt den Nemeischen Löwen. Foto: Andrea Matzker


Der athletische Löwenkämpfer von hinten. Foto: Andrea Matzker

Eine wahrhaft kraftstrotzende Skulptur des Herkules, der den Nemeischen Löwen bezwingt, stammt aus dem dritten Jahrhundert und wurde am Severinswall gefunden. Man kann ihn aus nächster Nähe rundherum bewundern. Auch bei ihm ist die Rückenansicht besonders bemerkenswert, da dort der Kopf des bezwingten Löwen zu sehen ist.

Sämtliche im Belgischen Haus ausgestellte Exponate wurden in Köln gefunden, bis auf die aus dem zweiten Jahrhundert stammende Wallraf-Medusa, die von Ferdinand Franz Wallraf um 1818 vom Kunsthändler Gaetano Giorgini aus Rom gekauft und in die Sammlungen der Stadt Köln integriert wurde.


Das-einzige-Objekt-der-Ausstellung, das nicht in Köln gefunden wurde: Die Medusa von Wallraf aus-Rom. Foto: Andrea Matzker

Nicht zu verachten ist der Museumsshop, in dem man gerade vor Weihnachten ausgefallene, wunderschöne und kostbare Geschenke finden kann.


WIEN – NEW YORK / Die Met im Kino: AKHNATEN

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WIEN – NEW YORK / Metropolitan Opera im Kino:
AKHNATEN von Philip Glass
23.
November 2019

Die Metropolitan Opera in New York durchbricht in dieser Spielzeit zweimal das klassisch-romantische Opernrepertoire der üblichen bekannten Titel mit zwei Raritäten: derzeit mit dem „Akhnaten“ des Philip Glass, davor mit Gershwins „Porgy and Bess“ (die Aufführung kommt in der zweiten Serie nächstes Jahr ins Kino). Das Publikum reagierte fasziniert auf das Ungewöhnliche: die Glass-Oper (nach den hymnischen Premierenkritiken auf Anhieb für alle Vorstellungen ausverkauft) wurde mit stürmischem Jubel aufgenommen. In der ganzen Welt konnte man per „die Met im Kino“ daran teilhaben.

Der 82jährige Komponist gilt zwar als großer Vertreter der amerikanischen Moderne, aber er ist niemand, der es dem Publikum schwer macht – vorausgesetzt, man lässt sich auf seinen nie endenden Strom der „Minimal Music“ ein, die den Zuschauer in einen wahren Sog des Klangrausches taucht. Verbunden mit einer Fülle geradezu magischer Bilder auf der Bühne vollendete sich das, was man gut und gern als „Gesamtkunstwerk“ für unsere Zeit bezeichnen kann, auch wenn das Geschehen in meisterlicher Stilisierung das alte Ägypten beschwört.

Glass hat nach Einstein („Einstein on the Beach“) und Gandhi („Satyagraha“) in dieser 1984 in Stuttgart uraufgeführten Oper den rätselhaftesten aller ägyptischen Pharaonen in den Mittelpunkt gestellt. Denn „Akhnaten“ ist Echnaton aus dem 14. Jahrhundert vor Christus, der „Ketzerkönig“ und Anbeter der Sonne als größtem und einzigem  Gott. Die Oper beginnt mit der Mumifizierung und dem Begräbnis seines Vorgängers, es folgt Echnatons  Machtübernahme, handelt von ihm und seiner legendären Gattin Nofretete, bietet die legendäre Sonnenanbetung und die radikale Ausrufung des Monotheismus, die Gründung der neuen Hauptstadt Amarna anstelle von Theben – und schließlich seinen Sturz. Am Ende ist man kurz im Museum und hört, wie wenig von der 17jährigen Regierung des Echnaton, unter dessen Nachfolger die alte Götterwelt wieder in ihre Rechte eingesetzt wurde, bekannt ist…

Glass, der auch am Libretto beteiligt war, lässt nicht nur in englischer Sprache singen, sondern zitiert auch ägyptische und andere Texte in alten Sprachen, was man als Betrachter nur als reine Lautmalerei wahrnimmt und was den mystischen Eindruck des Geschehens noch unterstreicht. In der Inszenierung von Phelim McDermott (sie war schon in der Londoner National Opera und in Los Angeles zu sehen) und der unendlich einfallsreichen, immer hoch stilisierten Ausstattung von Tom Pye / Kevin Pollard ist der Abend an der Metropolitan Opera eine einzige große Zeremonie‚ meist in getragener Bewegung, Szenen von geradezu zen-buddhistischer Verhaltenheit und Poesie. Dabei wird die „Ägyptomanie“ in den Kostümen gelegentlich mit späteren Epochen, mit skurrilen und auch mit theater- und zirkusartigen Elementen versetzt, zu der ein Dutzend Artisten beitrugen, die auf der Bühne geradezu Kriegshandlungen verkörpern können…

Diese Jongleure, die völlig im Rhythmus der Musik agieren, haben Philip Glass selbst begeistert. In den Pausen der Met-Aufführung, die von Joyce DiDonato moderiert wurde, erzählte Bühnenbildner Tom Pye, dass man Bilder solcher Artisten, die mit Bällen und Keulen spielten, auch in ägyptischen Reliefs gefunden hat. ´

Die Besetzung entspricht den besonderen Anforderungen des Werks und lässt keinen Wunsch offen. Der Countertenor Anthony Roth Costanzo, glatzköpfig, zu Beginn nackt wie aus einem Kokon entsteigend, teilweise ganz in Gold, ist in der Titelrolle faszinierend anzusehen und anzuhören.

Mezzosopranistin J’nai Bridges als Nefertiti (mit der klassischen Kopfbedeckung, wie man sie aus dem Berliner Museum kennt) und Dísella Lárusdóttir als Königin Tye, seine Mutter, sind die starken Frauen, die Echnaton umgeben. Zachary James als Amenhotep, sein Vater, hat auch die Funktion eines Sprechers inne, die er mit großem Nachdruck erfüllt und solcherart durch die ganze Handlung schreitet.

Dass musikalischer Minimalismus keinesfalls Einförmigkeit bedeutet, bewies die Dirigenin Karen Kamensek reich facettiert am Orchesterpult, unterstützt von dem oszillierenden Chor.

Es waren, zwei Pausen inbegriffen, dreidreiviertel Stunden. Mag sein, dass im Wiener Kino hier und dort geschlafen wurde. Aber es war ein spannender, faszinierender und ästhetisch überwältigend schöner Abend., ein Fest für die Augen und die Ohren.

Heiner Wesemann

WIEN / Volksoper: KÖNIG KAROTTE

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© Barbara Pálffy / Volksoper Wien

WIEN / Volksoper:
KÖNIG KAROTTE von Jacques Offenbach
Koproduktion zwischen der Staatsoper Hannover und der Volksoper Wien
Premiere: 23. November 2019,
besucht wurde die Generalprobe

Das hätte, schwierig wie es ist, grausam schief gehen können – und wurde ein Triumph. Man kann sich vorstellen, wie viele Steine Volksopern-Direktor Robert Meyer vom Herzen gefallen sind, als er vor einem Jahr in Hannover die Aufführung von Offenbachs „König Karotte“ gesehen hat, jene Co-Produktion, die ihm garantierte, im Offenbach-Jahr etwas Besonderes zu bieten zu haben. Einen Spaß ohnegleichen. Eine schlechtweg brillante Aufführung. So viel Glück hat man nicht alle Tage.

Über die Schwierigkeiten, die unbekannten Operetten Offenbachs hierzulande auf die Bühne zu bringen, muss man nicht diskutieren. Die gallische Freude am Nonsense ist nicht unbedingt unsere – außer man probiert’s, wie es Regisseur Matthias Davids (seit langem im festen Besitz des Linzer Landestheaters als Musical-Spezialist) tat. Er hat das Original, in dem sich Victorien Sardou (der Mann hat schließlich auch „Tosca“ für Sarah Bernhardt geschrieben!) und Offenbach übertrumpften, so viel Absurditäten wie möglich zusammen zu koppeln wie möglich. Komische Oper und Märchenstück zugleich (wie es in unseren Breiten ja noch in Nestroys Frühzeiten populär war), mit allem voll gestopft, was den Herren so eingefallen ist.

Politische Satire, die ganz ausgewachsen war und dem Publikum zeigte, dass in unserer Welt sogar Karotten, Rüben und Lauch aus der Erde kriechen und per Staatsstreich die Regierung übernehmen können… und wie sich das Volks anpasst! Und wie!!! Dazu das alte Märchen von böser Hexe und lebensmüdem Zauberer, nichtsnutzigem Prinzen und gefangenem Burgfräulein. Und wenn alle dann auf Reisen gehen, landet man auch im alten Pompeji – und erzählt den alten Römern von den Vorzügen der Eisenbahn, auf die man 1872 noch so stolz war… Und man kann auch bei den Ameisen landen (Hojotoho!!!) oder bei den Affen, und bis dann alles im turbulenten Happyend landet, sind die drei denkbar kurzweiligsten, verrücktesten Stunden vergangen.

Keine Frage, man kann das Ganze auch (wie eine missgelaunte Dame in der Pause meinte) „einfach blöd“ finden, aber dann hat man keinen Sinn für Ironie, politische Satire und absurden Witz, keinen Sinn für die perfekte Machart, mit der Regisseur Matthias Davids das immer im richtigen Tempo in den Griff bekam, keinen Sinn für eine ebenso praktische wie witzige Ausstattung von Mathias Fischer-Dieskau / Susanne Hubrich (da kommt Eisenbahn-Dampf auch schon mal aus einer umfunktionierten antiken Säule…). Kurz, wenn man es versteht und mag, stellt sich die höhere Offenbach-Wonne ein.

Auch weil er jede Menge prächtige und abwechslungsreiche Musik dafür geschaffen hat, in besten Händen bei Guido Mancusi, wenn man auch zugibt, dass es keinen wirklichen „Schlager“ wie den CanCan oder den „Prinzen von Arkadien“ gibt, aber Qualität entfaltet sich auch jenseits von Ohrwürmern. Und – in der Besetzung. Schon lange hat man die Damen und Herren der Volksoper nicht so überzeugend gesehen.

Da ist Mirko Roschkowski als „Fridolin XXIV., Prinz von Krokodyne“ mit schönem Tenor und mitreißender Spielfreude, der in Amira Elmadfa einen lieben guten Geist im Studentengewand bekommt. Weniger Glück hat er mit seiner Prinzessin Kunigunde, denn die schwenkt ganz schnell zum neuen Karottenkönig über: Julia Koci als temperamentvolles Biest beherrscht als Sängerin und Persönlichkeit über weite Strecken die Bühne. Aber auch Johanna Arrouas als Rosée-du-Soir, das gefangene Burgfräulein mit der liebenden Seele, hat eine prächtige Rolle und darf ihre große Koloraturen-Arie à la Olympia singen…

Der Prinz ist von einer Reihe von Beratern umgeben (die dann alle noch andere Aufgaben bekommen), Boris Eder ist unter ihnen der komischste, Marco Di Sapia als Polizeichef jener mit der besten Rolle, denn er darf ununterbrochen zwischen den jeweils Mächtigen die Seiten wechseln, und das kommt einem so schrecklich bekannt vor. Schwarzmagier Truck spricht, wenn man sich nicht irrt (er erscheint schließlich in Gestalt von Yasushi Hirano), Japanisch, und auch das passt in die allgemeine Absurdität. Apropos, dass König Karotte, der sich bald so weinerlich gebärdet, Koreaner ist (Sung-Keun Park), bekommt man unter seiner prächtigen Karottenmaske gar nicht mit. Jedenfalls kräht er die Rolle so, wie man sie sich vorstellt.

Bleibt noch zu erwähnen, dass man die Fülle der Darsteller, die samt Chor die Bühne fast zu sprengen scheinen, nicht einzeln hervorheben kann, nur dass man Martina Dorak ein paar Möglichkeiten mehr gegönnt hätte – und dass man böse, maliziöse, brüllend komische Hexen und Zauberer nicht besser besetzen kann als mit Christian Graf (der schon als Juno in „Orpheus in der Unterwelt“ gezeigt hat, dass er der Volksoper bester Transvestit ist – man sollte ihn den „Käfig voller Narren“ spielen lassen).

So rundum gepasst hat es schon lange nicht – und das bei dem denkbar schwierigsten Unterfangen. Man kann der Volksoper nur gratulieren.

Renate Wagner

WIEN/Musikverein: Christoph von Dohnănyi mit einem fulminanten Philharmonischen Abonnement-Konzert zum „Neunziger“

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WIEN/Musikverein: Christoph von Dohnănyi mit einem fulminanten Philharmonischen Abonnement-Konzert zum „Neunziger“

Es ist noch lange nicht genug!

24.11. 2019 – Matinee  (Karl Masek)

Berits im September feierte Christoph von Dohnănyi den unglaublichen 90. Geburtstag. Einst Assistent von Sir George Solti, jüngster deutscher Generalmusikdirektor (in Lübeck), später als Chef in Frankfurt und Hamburg ein Modernist im Opernbetrieb. Debüt an der Wiener Staatsoper 1972 mit „Salome“ in der vielgescholtenen Direktion Rudolf Gamsjäger, bald  mit stilbildenden Premieren (Moses und Aron, schließlich in den 90er Jahren ein jedenfalls musikalisch gelungener „Ring“). Die Verbindung zu den Wiener Philharmonikern begann ebenfalls vor Jahrzehnten. Am Anfang war das Einvernehmen des Perfektionisten und „streitbaren Intellektuellen“ mit dem Orchester nicht immer friktionsfrei. Doch es folgte eine neue Musikergeneration.  Man fand (man stritt sich) zusammen. Zuletzt war aber wieder eine etliche Jahre dauernde künstlerische Funkstille …

Nun war es endlich wieder soweit. Der „Runde Geburtstag“ war wohl Anlass für eine Einladung durch das Orchester. Der vom Publikum mit großer Wiedersehensfreude besonders herzlich Begrüßte  stellte sich mit einem typischen Dohnănyi-Programm ein.

Es begann mit Atmospheres aus dem Jahr 1961 von György Ligeti. Das 9-Minuten-Werk war später der Filmsound für Stanley Kubricks Sience-Fiction-Film 2001 Odyssee im Weltraum.  Statische, zerklüftete, konturenlose  Klangbilder sind Ligetis berühmte „Riesen-Cluster“ und „Klanghaufen“, wie Ligeti sein eigenes Stück bezeichnet hat, in den Jahren der besonderen Angst vor einem III. Weltkrieg.  87 Instrumentalstimmen evozieren Bedrohlichkeit von den Kontrabässen ausgehend bis zu den in höchste Höhen kletternden Violinen und Piccoloföten. Das im Nichts endende Pianissimo geht nahtlos über in das ätherische A-Dur von Richard Wagners Vorspiel zum 1. Akt „Lohengrin“. Immer wieder ein atemberaubender Moment, dem ein klar strukturierter Aufbau des Klanggeschehens folgte. Kühle, gleichwohl irisierende Farben  stellte   Dohnănyi  mit innerer Ruhe aus, so als säße er an einer Staffelei und würde malen. Mit logischer Folgerichtigkeit eines schier unendlichen Crescendo-Decrescendo-Bogens entwickelten sich die Steigerungen, um in einem haargenau gleichen Pianissimo zu enden wie der Anfang mit den stratosphärischen Flageoletts der Violinen.

Spontaner Jubel für eine fulminante Wiedergabe durch einen ruhigen, gelassenen Philosophen und Intellektuellen – und einen Erzmusiker! Konkurrenzlos an diesem Vormittag die Klangzauberei der Wiener Philharmoniker!

Es ging weiter mit dem Violinkonzert des Alban Berg aus dem eigenen Todesjahr, 1935, „Dem Andenken eines Engels“. Dieser „Engel“ war Manon Gropius, die vergötterte Tochter von Alma Mahler-Werfel aus der Verbindung mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Sie starb  im Alter von 18 Jahren an Kinderlähmung. Alban Berg, der wie viele Prominente der damaligen Zeit im Salon der Alma Mahler aus und ein ging, zeigte sich vom Tod der Manon zutiefst erschüttert. Das Konzert sollte, wie das damals so überspannt bezeichnet wurde, ein „Kosmos der Psyche für ein ätherisches Wesen“ sein. Das zweisätzige, mit knapp 30 Minuten bemessene Werk war aber dann viel eher eine Art Lebensporträt der Manon Gropius. Es wurde ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Zwölftonmusik von erlesener Ästhetik und elementarer Ausdruckskraft sein kann. Eine schlichte Kärntner Melodie wird zitiert, Stellen „im Tempo eines Walzers“ sollen durchaus sanguinische Wesenszüge des Mädchens charakterisieren. Und im 2. Satz wird für „Sterben und Verklärung“ J.S. Bachs Choral Es ist genug aus der Kantate BWV 60 zitiert.  Zur vielkommentierten Vorliebe Bergs für Zahlenmystik nur so viel: Der Schlussakkord des Werkes besteht aus 18 Tönen…

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Rainer Honeck. Copyright: Wiener Philharmoniker

Rainer Honeck, seit 1981 1.Violinist der Wiener Philharmoniker und mittlerweile langjähriger Konzertmeister, war der wissende Solist und mit Dohnanyi auf interpretatorischer Augenhöhe. „Abenteuer im Kopf“ somit auch für alle im Auditorium, war dieses tiefe, dabei unsentimentale Eindringen in Bergs Klangwelten, die immer wieder „wienerischen Dialekt“ durchschimmern lassen. Beglückend, wie der Vorarlberger Honeck und der Berliner Dohnanyi diesen Dialekt verstehen und somit authentisch zum Klingen brachten. Die Kolleg/innen im Orchester gestalteten gleichgestimmt.

Schließlich die 3. Symphonie, F-Dur, op.90 von Johannes Brahms. Eine Mischung aus Kraft und Behutsamkeit war das, straff in den Tempi, auf schlanken, geschmeidigen Ton wurde Wert gelegt. Und nichts war schwerblütig, wie es uns ein unausrottbares Klischee über Brahms immer wieder einreden will (Damit stellte sich beim Rezensenten bei vergangenen Aufführungen mitunter ein gewisses Gefühl der Langeweile ein).  Den Brahms haben die Philharmoniker natürlich im kleinen Finger. Aber nichts klang nach Routine. Frisch waren die vielfältigen Orchesterfarben des Herbstes – aber die Blätter sind noch nicht abgefallen, daher auch keine Spur von modrigem Waldboden. Der satte Streicherchor, die fabelhaften Holzbläser, sie waren in ihrem Element.

Ovationen eines enthusiasmierten Publikums signalisierten dem „Philharmonischen Heimkehrer“, ganz im Gegensatz zum Bach-Choral: Es ist noch lange nicht genug!

Karl Masek

WEIMAR/ Deutsches Nationaltheater: LANZELOT – Oper von Paul Dessau. Premiere

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Weimar/Deutsches Nationaltheater/Premiere 23.11.2019 von „Lanzelot“ Oper von Paul Dessau

 Eine gute Oper ist immer aktuell!

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Mate Solyom-Nagy (Lanzelot), Foto Candy Welz

Am Samstag feierte man im Deutschen Nationaltheater die Premiere von Paul Dessaus Oper „Lanzelot“, eine Kooperation mit dem Erfurter Theater. Seit nunmehr 50 Jahren ist diese Satire-Oper nicht mehr aufgeführt worden und dem Regisseur Peter Konwitschny gelingt eine überzeugende Darstellung, die an Aktualität nicht zu überbieten ist.

Paul Dessau in der Tradition der Avantgarde schrieb diese Oper und Heiner Müller gab mit einem Libretto, das höchsten Ansprüche erfüllt, der Oper ein Märchenhaftes Kleid, dass den Ritter Lanzelot gegen einen Drachen kämpfen lies, der die Stadt beherrschte. Doch wen wundert es eigentlich wirklich, dass die Gesellschaft von den Ideen Lanzelots nichts wissen wollte, hatte sie sich doch recht bequem eingerichtet. Der „Neue Mensch“, der für sich selbst die Verantwortung übernimmt, gibt es wohl nicht, jedenfalls fehlt gerade dieser Zug den meisten Weltverbesserern. So ist der Ort, das Land auch völlig egal, denn es geht hier nicht darum gegen die Unterdrückung aufzustehen, sondern um die innere Haltung eines jeden. So lässt Peter Konwitschny das Märchen zeitlos in der Gegenwart bzw. in die jüngere Vergangenheit spielen. Mit Helmut Brade hat er einen alten Bekannten an der Seite, der seine Ideen mit einer faszinierenden Brillanz umsetzt und ausstattet, die feinfühliger nicht geht. Man beachte, dass Brade die Buchstaben der Bühnenbilder in der Bezeichnung noch selber zeichnet. Dieses menschliche Zittern in der Schrift bringt so auch die innere Anspannung und den Charakter der beiden in die Aufführung selbst zum Ausdruck. Brade versteckt subtil auch in den Bühnenbildern seine Botschaften, wenn so am Elektrohändler geschrieben steht: „Elektro Müller“, denn hier erweisen Konwitschny und Brade auch Heiner Müller große Anerkennung, zumal beide sowohl Dessau als auch Müller noch selbst erlebten.

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Lanzelot, Foto Candy Welz

Dessaus monomentale Oper wurde wohl aus politischen Gründen und auch wegen des großen Aufwands lange nicht gespielt. Umso erfreulicher ist es, dass nunmehr das Deutsche Nationaltheater und das Theater Erfurt gemeinsam an das Werk trauten und sich der Herzensangelegenheit von Konwitschny und Brade widmen. Mit Dominik Beykirch haben die beiden großen Herren der deutschen Theaterlandschaft einen jungen und hungrigen Dirigenten an der Seite, der wie sie selbst, sich lange mit dem Werk von Dessau auseinandersetzt. Die liebe zur Partitur und zum Libretto ist unverkennbar und zeigt auch, dass vieles keiner neuen Interpretation bedarf. So unterstützt die Musik mit einem Ritt durch die Musikgeschichte mit zahlreichen Zitaten und mit über Einhundert Sängern eindrucksvoll die Botschaft, die uns Konwitschny mitgeben will. Aber wer jetzt denkt, dass man ein Heldenepos serviert bekommt und nur genießen muss, ist hier auf den Irrweg. Satire wirkt hier gegen die Gleichgültigkeit. Konwitschny gibt den Besucher eine bitter süße Analyse unserer Gesellschaft. Er kritisiert den Untertanengeist und die Gleichgültigkeit, die sich breit gemacht haben.  Mit den tragischen und komischen Elementen schafft er eine Spannung, die den Zuschauer zerreißt. Zu tief gräbt sich Konwitschny in die Seelen. Aufwühlend und wachrüttelnd die Gedanken, die entstehen. Einfach nur großartig. Und man fühlt doch, die Oper lebt.

Das Premierenpublikum honorierte es mit starkem Applaus. Jeder sollte schon wegen der eigenen Auseinandersetzung mit den Ansätzen der Gleichgültigkeit diese Oper sich anschauen. Vorher sich mit Paul Dessau und Heiner Müller beschäftigen und wird dann eine große Freude verspüren, wie zeitgemäß die Oper ist.

Olaf Schnürpel

Weimar, den 24. November 2019

Mit Mate Sólyom-Nagy, Wolfgang Schwaninger, Oleksandr Pushniak, Emily Hindrichs u.a.

WIEN/ Theater an der Wien: LA VESTALE von Gaspare Spontini

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Franz-Josef Selig, Claudia Mahnke, Sebastian Gueze, Michael Spyres, Elza van den Heever, Arnold Schönberg-Chor. Foto: Werner Kmetitsch

TadW  Gaspare Spontini LA VESTALE 23.11. 2019 (Premiere am 16.11.).

Das Erfreuliche zuerst: Spontinis tragédie lyrique in drei Akten nach einem Libretto von Victor-Joseph Étienne de Jouy (1764-1846), die am 15.12.1807 an der Pariser Académie impériale de Musique uraufgeführt wurde, fand an diesem Abend in musikalischer Hinsicht durch das spannende wie schillernde Dirigat von Bertrand de Billy am Pult des Orchesters der Wiener Symphonikern eine packende Wiederbelebung. Und das völlig zu Recht, erlebte die Oper alleine am Ort ihrer Uraufführung noch mehr als 200 Aufführungen. Die Handlung könnte man als einen altrömischen  „Romeo und Julia“-Plot, nur mit Happyend, beschreiben. Zu den Hauptaufgaben einer römischen Priesterin der Göttin Vesta gehörte es, das Herdfeuer im Tempel zu hüten, denn es durfte niemals verlöschen.

Der mehr als unerfreuliche Teil des Abends bildete ein Großteil der verworrenen Inszenierung von Johannes Erath, der offenbar mit dem Sujet der Oper nur wenig anzufangen wusste und diese daher mit allerlei belanglosem Trash und völlig unnötigen Details aufpeppte. Dazu gehörten zunächst einmal das Sprungbrett mit dem sogenannten Pauschen- oder Seitpferd, auf welchem Sébastien Guèze als sportlich gekleideter Cinna herumturnt und auf einer Matte auch einige Liegestütze vorführen darf. Freilich waren Nachbildungen des lebendigen Pferdes schon bei der römischen Reiterei zu Vorübungen, insbesondere des Auf- und Absitzens, in Gebrauch. Aber wer weiß das heute noch außer Wikipedia und wahrscheinlich der Regisseur? Die Vestalin ist doch alles andere als eine komische Oper, in der auch nicht immer ein Gag den anderen jagen muss. Verziehen habe ich dem Regisseur noch den Einfall, eine Choristen in Verzückung auf der Bühne verweilen zu lassen, bis sie bemerkt, dass ihre Priesterkolleginnen diese schon längst verlassen haben. Die wunderschöne Ballettmusik Spontinis wäre bei geschlossenem Vorhang viel stärker zur Geltung gekommen als durch den Blick auf eine nackte Frau, die sich in einem mit Wasser gefüllten Becken zur Statue der Vesta, hier mehr als indische Variante einer Mutter Gottes dargestellt, demütig hinräkelt. Zu allem Ärger kommt noch, dass Bühnenarbeiter ständig durch die Szene wuseln und Stühle und andere Requisiten bereitstellen, um nur ja jeden Anflug romantischer Gefühle im Keime zu ersticken. Der Opernbesucher aber wird sogleich wieder mit Brachialgewalt durch das Einblenden des berühmten S.P.Q.R., der Abkürzung für das lateinische Senatus Populusque Romanus (Senat und Volk von Rom) daran erinnert, dass die Handlung eigentlich im antiken Rom angesiedelt ist. Spätestens dann, wenn Franz-Josef Selig seinen schäbigen Anzug ablegt, um sich in den Souverain Pontife, den Pontifex Maximus, zu verwandeln, kleidet ihn Kostümbildner Jorge Jara in die Robe eines  katholischen Würdenträgers (?), halb Bischof (violett) und halb Kardinal (rot), ein. Ob das aus Unkenntnis geschah, bleibt uns das Programmheft leider schuldig. Am Ende der Oper ersticht ihn jedenfalls Claudia Mahnke in der Rolle der Grande Vestale, aber keine Sorge. Als ein Blitz das ausgegangene Feuer im Vestatempel aufs Neue entfacht, geschieht noch ein zweites Wunder: Der Hohepriester darf sich wieder aus seiner Leichenstarre erheben.

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Franz-Josef Selig (Souverain Pontife]. Foto: Werner Kmetitsch

Apropos Feuer: Es handelt sich natürlich nicht um ein einfaches Feuer, sondern um  ein übergroßes rotes Plastikherz, das die junge Vestalin Julia an sich nimmt und welches knapp vor dem Ende der etwa dreistündigen Oper wieder an seinen angestammten Platz zurückkehrt. Regisseur Erath konnte auch der Versuchung nicht widerstehen, sich gewaltsam zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und her zu bewegen. Und da fügen sich dann Symbole des alten Roms, wie Helm, Brustpanzer und ein ausgestopfter Raubvogel nahtlos an den als Hippies gekleideten Chor des Schlussbildes oder die Madonnenstatue an. Die Drehbühne von Katrin Connan mit einem riesengroßen weißen Kubus in der Mitte, ergab, im zweiten Akt geöffnet, das Bild des Inneren des Vestatempels mit einer Strahlenkranzmadonna in der Mitte eines seichten Wasserbeckens stehend. In geöffnetem Zustand erweist sich diese Statue dann als Hinrichtungsmaschinerie ähnlich der sogenannten „Eisernen Jungfrau“.


Claudia Mahnke, Elza van den Heever. Foto: Werner Kmetitsch

Elza van der Heever als Julia musste am Ende der Oper eine eigenartige Schminkszene – wohl als Vorbereitung auf den Tod (?) – über sich ergehen lassen, die ihr Gesicht zu einer clownesken Maske verzerrte. Das „Lächerlichmachen“ im Angesicht des Todes könnte vom Regisseur vielleicht dem mittelalterlichen „Teeren und Federn“ nachempfunden sein? Sie gestaltete die Rolle der Julia sehr eindringlich, in gesanglicher Hinsicht aber hörte sich ihr Sopran in der Höhe vielerorts ziemlich schrill an. Michael Spyres als ihr heimlicher Geliebter Licinius wartete mit einem vor allem in der Mittellage gut geführten Tenor auf, ebenso Sébastien Guèze als Cinna meist in Unterwäsche bekleidet mit etwas hellerem Tenor und ausgezeichneter Körperbeherrschung in den „Turnübungen“. Claudia Mahnke bot ihren satten Mezzosopran für die  Grande Vestale, die Mutter Julias, in den unterschiedlichsten Kostümen als gestrenge Herrin in Reitdress mit Peitsche, dann in Abendrobe mit Glitzerbrille und auch als Wäschermädel auf. Franz-Josef Selig gestaltete den Souverain Pontife als wahres Ekel mit seinem nicht mehr ganz frischen Bass. Dumitru Mădărăşan als wahrsagender Chef des Aruspices (Eingeweideleser) sowie Ivan Zinoviev als Consul ergänzen das Ensemble mit ihren trotz aller Kürze bühnenwirksamen Auftritten. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schönberg-Chor wartete, anders als beim Premierenabend, dieses Mal  weder mit verwackelten Einsätzen noch mit kleineren Intonations-schwächen auf. Das von Bibi Abel beigesteuerte Video konnte das Regiekonzept keineswegs bereichern. Die Lichtgestaltung von Bernd Purkrabek wiederum tauchte den Zuschauerraum kurz vor der Pause für einen Moment in grelles Licht, als ob der Zuschauer sich nicht ohne dieses mit dem Holzhammer verabreichte Zeichen bewusst war, dass er oder sie   Teil der geifernden, lüsternen Masse war, die Zeuge des Frevels der Vestalin war und womöglich deren Bestrafung ebenfalls herbei sehnte.

Trotz einiger Abstriche gab es am Ende doch verdienten Applaus für alle Beteiligten und Brava-Rufe für die Titelheldin.        
Harald Lacina

MEININGEN: SCHWARZWALDMÄDEL – Operette von Leon Jessel

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MEININGEN: SCHWARZWALDMÄDEL – Operette von Leon Jessel
23.11. 2019 (Werner Häußner)

Es ist halt so eine Sache mit dene „Schmätzle“: Wer sie irrtümlich für einen Liebesbeweis hält, obwohl sie nur der „Kunscht“ gelten sollten, bleibt desillusioniert zurück. So geht es dem alternden Domkapellmeister von Sankt Christof im „Schwarzwaldmädel“. In der einst beliebten Operette Leon Jessels in der Inszenierung am Südthüringischen Staatstheater Meiningen zeigt sich Regisseur Tobias Rott nachsichtig: Der alte Mann im zweiten Frühling wird getröstet durch ein hehres Wunder und muss nicht zuschauen, wie sich drei junge Paare glücklich finden.

Das „Schwarzwaldmädel“ ist aber bei weitem nicht allein die Geschichte einer unmöglichen, etwas skurrilen, etwas lächerlichen und etwas wehmütigen Liebe eines reifen Musikus zu einem viel zu jungen, viel zu naiven Mädel. Es ist eine Durchhalteoperette, ein großer Erfolg des Jahres 1917, als Deutschland kriegsmüde geworden war und die herzige Story aus dem idyllischen „schwarzen Wald“ für Ablenkung von Not und Hunger in der Hauptstadt Berlin sorgte. Es ist eine Vorgängerin der später so beliebten Unterhaltungsstücke, die ferne Länder oder Urlaubsregionen verklären oder im besten Fall ironisieren – das „Weiße Rössl“ ist das populärste Beispiel dafür.

Jessel beschreibt auch die Brüche in der Idylle: Das Bärbele ist als „Lumpeprinzessle“ und „Spatzeschreck“ eine Ausgegrenzte, ebenso wie ihre Tante, die als „alte Hex“ von der Dorfbevölkerung verspottet und gedemütigt wird. Und er nimmt die überheblichen Großstädter aufs Korn, die gönnerhaft oder ignorant in die enge Welt um den Kirchturm einbrechen: Die mondäne Malwine als eine Frühform zielstrebiger Optimierungsstrategien und – als Paraderolle für den Berliner Komiker – den Fabrikanten Schmusheim, der auch der Kunst verbunden ist, wenn auch auf eine ziemlich unappetitliche und schnöde Weise.

Vor allem aber versorgt Leon Jessel die Berliner von damals – und noch zwei weitere Generationen begeisterter Operettenbesucher – mit pfiffigen, süffigen und eingängigen Melodien, geschickt gearbeitet, mal auf Franz Lehár schielend, mal den rhythmischen Schliff von Paul Lincke aufnehmend. Dabei geht er nicht ohne Ironie zu Werke, wenn er etwa anfangs den Choral zu Ehren der Schutzheiligen der Musik, Cäcilie, mit einem Dreiertakt zum Tanz verwandelt. Oder wenn er aus dem melodischen Material des Cäcilien-Hymnus die Beschreibung der zupackenden, männerschreckenden Malwine entwickelt – eine Erotik-Mine, die, naht man sich ihr von weitem bloß, schon losgeht. Oder wenn besagte Malwine einer „Registerarie“ des gar nicht von ihr angezogenen Richard im Duett mit einer A bis Z – Aufzählung ihrer eigenen Liebhaber antwortet.

Das Stück hat also Potenzial, und der Meininger Schauspieldirektor nutzt es zu einer allerliebsten, auf ironische Weise „werkgerechten“ Inszenierung. Christian Rinke (Bühne) und Kerstin Jacobssen (Kostüme) nutzen alle Schwarzwald-Klischees. Der grüne Tann umrahmt die trauliche Hütte des Kapellmeisters, im Hintergrund erhebt sich der „Dom“ mit erleuchteten bunten Fenstern nach bester Meininger-Manier, das Häuschen lässt sich ruck zuck in eine Dorfplatz mit Cäcilienbrunnen umbauen und passt – in die Breite erweitert – auch für die Gaststube des „Blauen Ochsen“, wo die Schinken vom Balken hängen. Schon vorher pilgern fesche Buben mit Dutzenden von Kirschtorten im Hintergrund vorüber.

Rott drückt der Geschichte keinen Überbau auf; er führt die Personen glaubwürdig und ernsthaft, meidet Slapstick, baut aber winzig wirkungsvolle ironische Brüche ein, mit denen er Sentiment aushebelt, Rührseligkeit vermeidet, ohne die Atmosphäre mit dem Dampfhammer zu traktieren. So wird das „Schwarzwaldmädel“ leicht, beschwingt und ohne Magendrücken goutierbar.

Mit einem aparten Kniff hebelt Rott die Heimattümelei im Stück aus, wenn sich die Darsteller gegenseitig nach ihrer „ursprünglichen“ Herkunft befragen und für den Moment der Antwort die Spielebene brechen. Da sorgt dann „Korea, Süd“ aus dem Mund des wegen der Liebe zum „Lorle“ (recht keck: Carolina Krogius) im Dorf gestrandeten Journalisten Theobald (Youngkyu Suh) ebenso für Lacher wie das „Arnstadt“ aus dem Munde des Ur-Berliners Schmusheim (Peter Liebaug als Bilderbuch-Komiker). Gleichzeitig wird das arg holprige Schwäbisch auf diese Weise sympathisch gerechtfertigt. Dass allerdings unbekümmert grausam gekräht, geknödelt, tremoliert und forciert wird, trübt die Freude am Gesang doch erheblich. Auch wenn Meiningen nicht die Scala ist.

Ein paar Lichtblicke gibt es dennoch. Für die sorgen Laura Demjan als herziges Bärbele, eine auch im Singen glaubwürdige Figur; Sonja Freitag als passend opernhafte Malwina mit Diven-Anmutung, Ulrike Walther als deutlich deklamierende alte Traudel und Stan Meus als seinem Bühnenalter entsprechend gebrochen singender Domkapellmeister Blasius Römer. Peter Leipold leitet die Meininger Hofkapelle zu animiertem Spiel an, bei dem die Bläser-Streicher-Balance stimmt und der weiche Tonfall der Musik Leon Jessels zum Leuchten kommt. Die Reaktionen wie der Beifall des Publikums lassen darauf schließen, dass man sich prächtig unterhalten hat. Das Haus war voll, obwohl das „Schwarzwaldmädel“ schon in der vergangenen Saison gespielt wurde. Die Hoffnung besteht, dass der Zuspruch eine erneute Wiederaufnahme ermöglicht.

Werner Häußner

WIEN/ Volksoper: KÖNIG KAROTTE von Jaques Offenbach. Köstliche Volksopern-Premiere.

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Copyright: Wiener Volksoper/ Barbara Palffy

WIEN/ Volksoper: KÖNIG KAROTTE von Jaques Offenbach Köstliche Volksopern-Premiere. Am 23.11.2019

Komische Zauberoper in vier Akten, Originaltitel „Le Roi Carotte“, Text von Victorien Sardou, deutsche Übersetzung von Jean Abel. Mit deutschen Übertiteln.

So die seriöse Information im Programmheft der Volksoper. Einem Merker-Bericht von Rüdiger Ehlert über die Premiere am 4.11.2018 in Hannover (s. Heft 12/2018) mit  der Titelunterschrift „Absurd! Grotesk! Genial!“ verdankten wir den erstmaligen Hinweis auf die Existenz dieses Offenbach-Opus. Über das Foto vom Titelhelden und seinen Begleitern lachten wir uns damals schon krumm. Das Resümee jenes Merkers: „Das muss man gesehen haben!“ kann ich gleich vorweg wiederholen!. Wir sind der Volksoperndirektion zu großem Dank verpflichtet, dass sie die Produktion übernommen hat. Denn die ist hinreißend.

Die Mischung aus Satire, Märchen- und Zauberoper, die auch als Operette durchgehen könnte und sogar das Musical vorwegnimmt, ermöglichte  Jacques Offenbach, seiner musikalischen Phantasie freien Lauf zu lassen. Nicht nur zündende Rhythmen und Melodien sind ihm eingefallen, sondern auch die gesamte Orchestrierung ist meisterhaft. Kurze lautmalende Intermezzi zum Bühnengeschehen, einmal dunkel-dräuend, dann wieder vordergründig witzig, laden zum Fürchten oder Lachen ein. Das Amüsement dominiert jedenfalls in diesen kurzen drei Stunden – über die köstlichen  Charaktere, über Musik und Gesang von Solisten und Chor, und nicht zuletzt über die gekonnte Personenregie und grandiose Bühnengestaltung, die mit gigantischem technischem Aufwand die unterschiedlichsten Schauplätze und Stimmungen durch rasche, meist auch humorige Verwandlungen ermöglicht. 

Guido Mancusis feinsinniges, spritziges, aber auch gefühlvolle Melismen auskostendes und vor allem immer bühnengerechtes und spannungsvolles Dirigat  war wohl der bestimmendste Faktor dieser Produktion. Die Regie von Matthias Davids war einfallsreich, originell, voller Überraschungen, die Bühnenbilder und Projektionen von Matthias Fischer-Dieskau aus der jeweiligen Musik heraus empfunden, Susanne Hubrichs 260 Kostüme, unterstützt durch die Maskenbildner des Hauses – bis zur extremsten Groteske, aber auch schmeichelhaft für die positiven Charaktere, vor allem bei den Damen. Kati Farkas hatte als Choreographin eine dankbare Aufgabe, die sie glänzend löste, was in Anbetracht der die Bühne bevölkernden Menschenmassen schon rein zeit- und raum-mäßig beträchtliche Ansprüche bedeutete. Der Licht-Meister Michael Grundner ist für die vielfältigen, stets bestens zur jeweiligen Szene und Musik passenden Stimmungen auf der Bühne zu loben.

Mit dem Lob für Holger Christens Choreinstudierung geht  jenes für die enorme Textdeutlichkeit auch bei den großen Chormassen Hand in Hand – zumal gerade diese den Unterhaltungswert des Gesungenen beträchtlich erhöht. Meine Befürchtung, der Hörgenuss der französischen Pikanterien könnte durch die Übersetzung ins Deutsche eingeschränkt werden, erwies sich als unbegründet. Es folgte Pointe auf Pointe, in den gesprochenen und gesungenen Szenen, bei den Solisten wie beim Chor.

Zu lachen fängt man schon an, wenn man die Schauplätze nachliest: Marktplatz von Krokodyne. Königlicher Gemüsegarten, Zauberwerkstatt. Pompeji im Jahr 79. Reich der Ameisen. Affeninsel….Desgleichen bei den Namen und Berufsbezeichnungen: König Karotte, Hexe Kalebasse, Zauberer Quiribiri, Pipertrunck (Polizeichef), Truck (Schwarzmagier), Baron Koffre (Schatzmeister), Pyrgopolyneikis, Marschall Track (Schlachtenminister), Graf Schopp (Geheimrat))…Wem da Anspielungen auf Aktuelles einfallen, wie es um das Jahr 1870 war, oder uns anno domini 2019 aktuell dünkt, der hat Offenbach offenbar verstanden…Satiren auf die Politik, die Machtgier, die Bestechlichkeit oder die Fresslust sind immer aktuell.

Dass es für die wichtigsten Rollen Doppelbesetzungen gibt, gönnt man den Ensemblemitgliedern der Volksoper, denn es soll doch möglichst vielen gegönnt sein, sich an ihren Rollen und dem Zusammenspiel mit den Kolleginnen und Kollegen zu delektieren.

Fridolin XXIV., der sympathische, aber leichtfertige Prinz von Krokodyne in Geldnöten, war mit dem strahlkräftigen und humorbegabten Tenor Mirko Roschkowski, der sich schon als Hoffmann Offenbach-würdig gezeigt hatte, ausgezeichnet besetzt. In seinem leuchtend-blauen Sakko über weißer Hose und blauweißen Sportschuhen mit seinen krausen schwarzen Haaren leuchtete er stets aus der bunten Menge heraus. Die „Typen“, aus denen sich sein Kabinett zusammensetzt, übertreffen einander an Originalität:  Marco di Sapia als Polizeichef, Boris Eder als Schatzmeister, Jakob Semotan als Schlachtenminister,  Josef  Luftensteiner als Geheimrat, alle sich devot gebend, jedoch kriecherisch-bestechlich und stets bereit, die Seiten zu wechseln…Daneben hatten die Märchenfiguren und Zaubermeister ein erquickliches Bühnenleben: Christian Graf als halbnackte, hochgewachsene (männliche) Hexe mit turnerischer Begabung und Zauberer Quiribiri sowie Yasushi Hirano als Schwarzmagier.

Schon von der Optik her zum Star des Abends avancierend:  Sung-Keun Park, Volksoperndebutant, weil als Karottenkönig aus Hannover importiert. Untersetzt, mit auffallend langer Krawatte,  stets grimassierend – noch zusätzlich zur Halbmaske, sich schlau dünkend und mächtig aufspielend, aber – eine der besonderen Köstlichkeiten dieser Komödie – er wird von seinen Untergebenen fallen gelassen und löst sich am Ende in Nichts auf.

Die Sympathieträger, wie fast immer bei Offenbach, sind die Damen. An Schönheit, an Anmut, an Raffinesse, an Klugheit und simplem menschlichem Wohlwollen denen gegenüber, die es verdienen, avancieren sie zu den Heroinen des Abends: Als Prinzessin Kunigunde, der Prinz Fridolin incognito nahetritt, weil er sie aus Geldgründen heiraten würde, falls sie ihm gefiele, ist Julia Koci ein Charmebündel. Amira Elmadfa ist ein glaubwürdiger, allpräsenter guter Geist Robin.  Johanna Arrouas, ein junges Mädchen mit dem schönen Namen Rosée-du-Soir liebt den Prinzen von Anfang an und verdient ihn sich zuletzt auch.

Köstlich: Renate Pitscheider als Marschallin Track und Echo, Sulie Girardi als Madame Pipertrunck, Elvira Soukop als Gräfin Schopp. Martina Dorak kann als Baronin Koffre/Christiane, eine Studentin/ Corinne und Brigadeführerein der Ameisen ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Dazu kommen: Gernot Kranner als Pompejischer Händler, Christian Drescher als Brigadier/Mégadore/Pompejischer Händler, Franz Suhrada als Kammerherr Psitt/Carion/Polizist, Claudia Nagy als Médulla/ Bürgerin von Krokodyne, Stefanie Mayer als Lépida/Bürgerin von Krokodyne und Susanne Litschauer als Drusille/ Händlerin  – lauter Perlen inmitten der Riesenperlenkette der Chordamen und Chorherren. Sie alle leuchten in ihren bunten Kostümen und Rollen vergnüglich über die unendlich breit und tief scheinende Volksopernbühne.

Nicht zu vergessen: Ein Affe (stumme Tänzerrolle) – Konstantin Oberlik, der es an Beweglichkeit beinah mit dem Puck vom Opernring aufnimmt. Der kleine Zauberer in Gestalt von Jonas Voill (beide Volksoperndebutanten) ist auch nicht zu übersehen.

Dem Orchester der Wiener Volksoper musste das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper Nachhilfe leisten.

Ach Gott, habe ich nicht vergessen, die Stimmgattung der einzelnen Sängerdarsteller zu erwähnen? Ja, habe ich. Aber das spielt hier gar keine Rolle. Alle Mitwirkenden haben in ihre Rollen gepasst.

Der ganze Spaß hatte ja schon vor dem Beginn begonnen: ein paar Personen aus der – was war es eigentlich? Oper? Operette? Märchen? Groteske? –  suchten vor dem noch geschlossenen Vorhang den ihnen zugewiesenen Platz und nach Requisiten, eine Souffleuse wurde in die aufklappbare goldene Muschel an der Rampe versenkt, und ehe die Musik einsetzte,  öffnete sich der Vorhang und die gesamte Bühnenbelegschaft stand zur Schlussverbeugung parat! Dann schloss er sich wieder.

Der Scherz mit an die 300 Personen umfassenden Solo- und Gruppenverbeugungen samt leading team wiederholte sich zum Gaudium aller am Ende.

Hingehen und freuen!                           

Sieglinde Pfabigan

 

 

 


FRANKFURT/ Alte Oper: LES SIÈCLES (Ravel, Strawinsky, Mussorgsky). Roth; Frang

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Alter Oper Frankfurt (Besuchtes Konzert am 23. November 2019)

Les Siècles

François-Xavier Roth Leitung
Vilde Frang Violine

Maurice Ravel: Une Barque sur l’océan aus: Miroirs (Fassung für großes Orchester): Rapsodie Espagnole

Igor Strawinsky: Violinkonzert D-Dur

Modest Mussorgsky: Bilder einer Ausstellung (Fassung für Orchester von Ravel)

Im Jahr 2003 gründete Dirigent François-Xavier Roth das Orchester Les Siècles mit dem Ziel, die musikalische Bandbreite der verschiedenen Musikepochen auf z. T. Instrumenten des jeweiligen Jahrhunderts zu interpretieren und dazu die entsprechenden Vortragsanweisungen zu respektieren.

Am Beginn des Konzertes in der Alten Oper standen zunächst zwei Kompositionen von Maurice Ravel. Roth spielt derzeit das Gesamtwerk des Franzosen mit seinem Orchester auf CD ein und ist somit bestens mit dessen Oevre vertraut.

1905 komponierte Ravel seinen Klavierzyklus „Miroirs“ (Spiegelbilder), der ein Jahr später uraufgeführt wurde. Später entstanden dann Orchesterfassungen, so dass aus diesem Zyklus vor allem „Alborada del gracioso“ und „Une barque sur l‘ocean“ (eine Barke auf dem Ozean) immer wieder einmal im Konzertsaal zu erleben sind. Die letztere Komposition ist ein formidables impressionistisches Werk, welches den Zuhörer tief in eine maritime Klangwelt eintauchen lässt. Streicherarpeggien und Holzbläser eröffnen filgran und doch volltönend diese reizvolle Komposition. Dazu spannende Färbungen in den wuchtigen Akkorden der Blechbläser.

François-Xavier Roth zog gleich zu Beginn mit seinem wunderbaren Orchester alle dynamischen Register und umflutete die Zuhörer mit überwältigenden Klangwellen. Dabei wahrte der sehr gut auf einander reagierende Klangkörper eine außerordentliche Transparenz. Die häufig gefordeten Soli in den Holzbläsern wurden einfühlsam realisiert. Ungewöhnlich der schlanke Klang der Blechbläser, die auf historischen Posaunen spielten. Anstelle der Tuba war ein Ophikleide zu hören, der Vorläufer der heutigen Ventiltuba. Dieses Instrument ist äußerlich einem Fagott nicht unähnlich und wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfunden.

Sehr viel bekannter wurde Ravels späteres Klavierstück „Rapsodie Espagnole“; das 1908 in der Orchesterfassung erschien. Spanische Tanzrhythmen und programmatische Angaben werden in dieser Komposition bildhaft miteinander verwoben. Musikalischer Subtext und hohe Sensualität ergeben in dieser Komposition einen besonderen Reiz.

Roth begann sehr geheimnisvoll mit seinen geradezu sprechenden, aufblühenden Streichern die Nacht zu beschwören. Unfassbar, wie leise der ostinate Beginn der wiederkehrenden vier Töne aus dem Nichts entstand. Pure Klangmagie! Blitzsaubere Bläsereinwürfe und maximale Transparenz gaben seiner Interpretation eine extreme Klarheit. Im Kontrast dazu schärfte er die Tanzrhythmen, etwa im kompakt tönenden Fandango. Mit großer Sensibilität agierte das Schlagzeug und gab dieser vielschichtigen Komposition viel Farbigkeit. Ein herrliches Zusammenspiel zwischen Dirigent und seinem Orchester.

Solistin des Abends war die international sehr erfolgreiche Geigerin Vilde Frang, die bereits mit 12 Jahren von Mariss Jansons eingeladen wurde, mit ihm zu konzertieren. Es war Anne-Sophie Mutter, die Frang als Mentorin deutlich förderte.

Frang spielte an diesem Abend das äußerst diffizile Violinkonzert, welches Igor Stravinsky im Jahr 1931 komponierte. Ein viersätziges Werk, horrend schwer in den Ansprüchen. Die einleitende Toccatta lässt in ihrer Farbgebung, insbesondere in den Bläserakkorden an Stravinsky‘s „Petruschka“-Ballett denken. Frang begann mit viel Energie und deutlichen Akzenten. Die vielen Wechsel in den Lagen meisterte sie mit Bravour. In den beiden Mittelsätzen gab sie ihrem Spiel mehr Raum für Kantabilität, gerade und vor allem auch in der hohen Lage ihres Instrumentes. Einen wunderbaren Ruhepunkt setzte sie dann im deutlich weiter ausschwingenden dritten Satz. Mit den innig intonierenden Holzbläsern ergab sich hier ein anrührender Dialog. Grotesk und bizarr mit seinen Marschrhythmen dann der von ihr mit großer Verve vorgetragene vierte Satz. Das viel geforderte Orchester wurde von François-Xavier Roth sehr aufmerksam geleitet und überzeugte auch hier mit großer Finesse in den Soli und den Tuttistellen.

Viel Begeisterung für dieses ungewöhnliche Werk in ausgezeichnerte Realisierung. Ungemein berührend dann die persönliche Zugabe von Vilde Frang: Joseph Haydn schrieb 1796/97 ein Lied für den Kaiser Franz II., welches dann Verwendung im sog. „Kaiser-Quartett“ fand und viel später dann zur Melodie der deutschen Nationalhymne bearbeitet wurde. Mit inniger Empfindung sang Frang auf ihrer Geige. Das Publikum dankte ihr mit einer stehenden Ovation.

Am Ende dann nochmals Maurice Ravel als genialer Instrumentator der „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgskij. 1874 komponierte Mussorgsky dieses Werk für Klavier. Angeregt wurde er durch eine Ausstellung seines 1873 gestorbenen Freundes, dem Maler Viktor Hartmann.

Natürlich nutzen die fabelhaften Musiker des Les Siècles Orchesters die Gunst des Augenblicks, in diesem herrlichen Werk nochmals ihr großartiges Können zu demonstrieren. Dirigent Roth betonte die Kontraste und Konturen. Wie grotesk hüpfte der „Gnomus“ oder wuchtig crescendierend wackelte dann der „Bydlo“ mit ruppigem Streicherklang und kräftigen Akzenten bildhaft am Zuhörer vorbei.

Sarkastisch und schmerzlich zugleich die Solo-Trompete in „Samuel Goldenberg und Schmuyle“. Großes Getöse mit herrlich virtuosen Bläsern beim „Jahrmarkt von Limoges“.Ein wahrer Hexentanz mit knalliger Pauke dann in der „Hütte der Baba Yaga“. Bombastisch dann das Finale: hier zeigte Roth eine überlegende dynamische Dramaturgie im Aufbau, um mit intensiven Glockenklang diesen schönen Konzertabend begeisternd abzuschließen.

Les siècles zeigte an allen Pulten eine außerordentlich hohe Spielqualität. Dieses Orchester bestach an dem Konzertabend durch einen betont intensiven Dialog. Immer wieder zeigten die Mitglieder ihre hohe Spielkunt als individuelle solistische Persönlichkeiten, um sich dann wieder gemeinsam in höchster Homogenität zu einen.

Zurecht große Begeisterung im Publikum. In einer kurzen Ansprache dankte Roth persönlich dem Publikum und meinte, dass sein Orcheser und er den ganzen Abend Ravel spielen könnte. Und so gab es eine überaus großzügige Zugabe: La Valse! Perfektes Zusammenspiel und viel interpretatorischer Subtext führten diesen letzten Tanz in einer hörbar apokalyptisches Ende. Was für ein hinreißender Schluß!

Viel Jubel!

Dirk Schauß, 25.11.2019

 

WIEN / Leopold Museum: DEUTSCHER EXPRESSIONISMUS

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Fotos: Leopold Museum

WIEN / Leopold Museum:
DEUTSCHER EXPRESSIONISMUS
DIE SAMMLUNGEN BRAGLIA UND JOHENNING
Vom 15. November 2019 bis zum 20. April 2020


Foto: Wesemann

Alle Stars versammelt

Beckmann und Nolde, Rohlfs und Schmidt-Rottluff, Pechstein und Heckel, Kirchner und Mueller, Jawlensky und Kandinsky, Macke und Marc, Campdendonk, Feininger und Klee, und, ja, ein paar Damen waren auch dabei – wer zählt die Namen, die man unter dem Begriff „Expressionismus“ subsumiert? Das Leopold Museum, selbst im Besitz von manchem Meisterwerk der Epoche, kann den Expressionismus nun in seinem Untergeschoß weitläufig und verschwenderisch vor allem aus zwei Privatsammlungen präsentieren.

Von Heiner Wesemann

Die Sammler-Ehepaare     Ehepaare, die sich in ihrer Begeisterung für Kunst finden (und das nötige Kleingeld dazu haben), sind gar nicht selten. Man kennt das Phänomen etwa schon von Herzog Albert von Sachsen-Teschen, dessen Gattin, Erzherzogin Marie Christine, sein Interesse und Verständnis voll teilte. Das Ehepaar Ludwig war entscheidend am mumok in Wien beteiligt. Zwei Privatsammlungen haben nun ihre Schätze dem Leopold Museum zur Verfügung gestellt: die Schweizer Fondazione Gabriele e Anna Braglia und die Renate und Friedrich Johenning-Stiftung aus Deutschland. Wenn Privatsammlungen hinter verschlossenen Türen verschwinden, entgeht der Öffentlichkeit viel. Wenn sie ihre Besitztümer zeigen, erweitern sie das Spektrum des Bekannten wesentlich. So lohnt sich erneut eine „Expressionisten“-Ausstellung, denn das Thema wird ja im allgemeinen keineswegs stiefmütterlich behandelt. Das „Pas de deux“ der beiden Sammlungen plus Leopold plus Nolde Stiftung Seehüll, ergab an die 110 Werke, davon 40 Ölgemälde zur Betrachtung in Wien. (Kurator: Ivan Ristić)

Mit Krach begann’s   Wenn man sich fragt, was Max Liebermann in dieser Ausstellung verloren haben mag, so besteht die Antwort nicht nur darin, dass die Johenning-Stiftung Werke von ihm besitzt. Liebermanns Streit mit Nolde, der dessen Ausschluss aus der Berliner Secession zur Folge hatte, führte schließlich zu den Neugruppierungen der „Fortschrittlichen“, in der „Brücke“ (Dresden), im „Blauen Reiter“ (München). Es ist ein Prozess, der sich in jeder Entwicklung wieder findet und geradezu nötig ist für das Fortschreiten (und manchmal auch für den Fortschritt). Die Umwertung der Werke hatte eingesetzt, es ging nicht mehr um das (schöne) Äußere, es ging vielmehr darum, das Innere nach außen zu stülpen.

Der neue Blick   Jene Künstler, die sich vom Althergebrachten abwandten, stellten Individualität vor Stil, stellten ihre Wahrhaftigkeit vor Ästhetik. Die Ausstellung wählt die „Junge Dame mit Federhut“ von Max Pechstein als Signet für Plakat und Katalog. Sie entstand bereits 1910, zu einer Zeit, als Gustav Klimt seine Objekte noch in kostbare Stoffe kleidete und mit Ornamenten umfloß. Pechstein (1881-1955) gibt seiner Frau keine elegante Pose, keinen lockend-geheimnisvollen Gesichtsausdruck, auch keine ins Augen fallenden Accessoires, sieht man von dem großen Hut ab, der mehr drückend als schmückend auf dem Kopf sitzt. Arm und hilflos scheint sie da zu stehen, aus dem Leben gegriffen. Eine andere Welt, die hier von den Expressionisten beschworen wurde.

Frauen als Thema, Frauen als Künstlerinnen     Privatsammler haben den Museen etwas voraus: Sie müssen nicht gezielt sammeln, müssen kein Augenmerk auf Vielfalt und Ausgewogenheit legen, sind niemandem Rechenschaft schuldig, wenn sie einfach nach ihrem Geschmack vorgehen. Vielleicht irrt der Ausstellungsbetrachter, aber es scheint einen Überhang an Frauen in dieser Ausstellung zu geben, Frauen als Thema, Frauen als Künstlerinnen, auch wenn „nur“ drei von ihnen vertreten sind. Paula Modersohn-Becker mit fünf Werken (den so gar nicht lieblichen Kindern), Gabriele Münter mit dreien (stilisierte Landschaften) – und vor allem Marianne von Werefkin, die offenbar für das italienische Paar einen Schwerpunkt des Interesses bildete: Es finden sich acht Werke der Jawlensky-Gefährtin, die nicht nur stupend den Tänzer Sacharoff porträtierte, so dass man den Blick kaum wenden kann. Sie fesselt auch mit den anderen gezeigten Werken, ob sie symbolistisch verfuhr oder halb abstrakt oder mystisch geheimnisvoll.

Emil Nolde      Es zeugt von bemerkenswerter Unabhängigkeit im Urteil, dass sich die Wiener Ausstellung entschlossen hat, an Emil Nolde nicht vorbei zu gehen, im Gegenteil, ihm sogar einen Schwerpunkt zu widmen. Natürlich wird man dem Werk Noldes niemals mehr unbefangen gegenüber stehen können, dennoch hat er als Künstler seinen Rang, wenn er als Mensch auch – irrte, um es am harmlosesten auszudrücken. Was nicht so leicht ist, wenn man bedenkt, dass er trotz Berufsverbots (!) den Nazis anhing und sich nachher als deren Opfer stilisieren wollte. Naivität ist da wohl kaum voraus zu setzen. Aber irgendwann wird man auch von dem moralischen Dünkel ablassen, von Künstlern tadellose Gesinnung und politisch richtige Entscheidungen zu verlangen, um ihr Werk zu würdigen – und Nolde tritt einem ja nun wirklich besonders stark entgegen, mit seiner Farbendichte, seiner Intensität, ob es um Gesichter geht oder dräuende Landschaften. Oder jene Blumen, die seltsamerweise nie aufhören zu fesseln.

Ein Feuerwerk an Strich und Farbe   Sieht man großflächig über die Ausstellung, so wird man die Kraft von Strich und Farben stark fühlen, aber darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, auch den Individuen nach zu spüren – wie eigentümlich war doch Paul Klee oder auch Lyonel Feininger, Jawlensky oder Macke, von denen (wie die meisten anderen auch) jeder seinen eigenen Weg ging, so dass man sie eher aus historischen als aus stilistischen Gründen unbedingt zusammen spannen müsste. So ist der Eindruck dieser Ausstellung weniger der expressionistisch-einheitliche, sondern der individuell-vielfältige.

Leopold Museum:
DEUTSCHER EXPRESSIONISMUS
DIE SAMMLUNGEN BRAGLIA UND JOHENNING
Bis 20. April 2918
Täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr

BERLIN/ Staatsoper: SAMSON ET DALILA. Premiere

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Brandon Jovanovich, Elīna Garanča. Foto: Matthias Baus

Berlin/ Staatsoper: „SAMSON ET DALILA“. Premiere 24.11.2019 – großartige Gesangsleistungen, verkorkste Inszenierung

 Camille Saint-Saëns’ „SAMSON ET DALILA“ bringt nun die Staatsoper als Premiere, doch irgendwie bin ich wohl im falschen Film gelandet, ein Gefühl, das offenbar auch viele andere Besucherinnen und Besucher ergreift, wie sich im Verlauf und am Schluss der Aufführung herausstellt.

Da läuft erst einmal ein schnüffelnder Schäferhund über die graudunkle Bühne, danach tut sich eine Felsenlandschaft auf (Bühnenbild: Étienne Pluss). Klagende Menschenmassen in Sandalen und wüstenfarbenen Gewändern (Kostüme: Gesine Völlm) fluten die dann erhellte Bühne.

Das sind die von den Philistern versklavten Hebräer, eine Geschichte aus dem Alten Testament. Ihr Schicksal beweinen sie – der Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright – tonschön und klangvoll. Ein verhungertes Mädchen wird mit filmreifem Ritus beerdigt. Hunde und Kinder ziehen ja immer.

Camille Saint-Saëns hat sich für den ersten Akt eingängige Melodien einfallen lassen, doch gleich anfangs grummeln auch tiefdunkle Töne. Achtung – Gefahr ist im Verzug. Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim und der Chor finden schnell zueinander, und tragen dann deutlich zum musikalischen Erfolg dieses Abends bei. Barenboim liebt, wie seine Programmauswahl in letzter Zeit beweist, Saint-Saëns’ Musik. 

Auch ist aus dem Programmheft zu erfahren, dass ihm und dem Intendanten Matthias Schulz der Film „Wild Tales“ des Argentiniers Damián Szifron, der in dessen Heimatland ein Riesenerfolg wurde, sehr gefallen hat. Daher haben sie ihn, den auch erfolgreichen Serien-Produzenten, eingeladen, erstmals eine Oper zu inszenieren, also „Samson und Dalila“, die er nach eigenem Bekunden kaum kannte.

Was er abliefert, ist eine bildgewaltige krude Mischung aus Sandalen-, Kinder-, Liebes- und Horrorfilm. Eine zumindest fragwürdige Leistung, die etwa der Hälfte des Publikums, wie der Buhsturm zum Schluss beweist, nicht zusagt.   


Brandon Jovanovich (Samson) und Kwangchul Youn (Abimelech). Foto: Matthias Baus

Aber zunächst Samson – der US-amerikanische Tenor Brandon Jovanovich in seinem Haus- und Rollendebüt – mit strähnigem Langhaar in diese Wüstengegend und zieht ein erlegtes Wild recht mühsam hinter sich her, um sein hungerndes Volk zu speisen. Mit kraftvoller Stimme fordert er die sündigen Hebräer auf, Buße zu tun und zu ihrem Glauben zurückzukehren. Gott würde ihnen dann neue Kraft gegen die Unterdrücker verleihen.  

Ein passender Appell, denn sogleich stürmen die Philister herbei, Männer mit nacktem Oberkörper in sonderbaren Rüstungen und Helmen wie im Action-Kinderfilm. Das wäre zum Kaputtlachen, würde nicht Kwangchul Youn hoch zu Ross als der Gesandte Abimélech mit profundem Bass diese Partie selbst in solcher Aufmachung beglaubigen. Er fordert die Hebräer auf, nun den Gott Dagon anzubeten, worauf es zum Kampf kommt, Samson ihn tötet und die Philister fliehen.

Ein weiterer Garant für beste gesangliche Leistungen ist Michael Volle, hier als finster blickender Oberpriester des Dagon. Mit eindrucksvoller Power strömt sein Bariton durch den Saal, und dass er gut spielt, ist bei ihm selbstverständlich.

Den rd. dreistündigen Abend trägt jedoch die schöne Elīna Garanča, die endlich wieder in Berlin eine Opernrolle singt, und diese ist ihr offenkundig auf den schlanken Leib geschneidert.

Strahlende Höhen verbinden sich bei ihrem Mezzo mit einer neuen gutturalen Tiefe. Jede Passage färbt sie anders ein und lässt stimmlich und darstellerisch die Frage offen, ob sie den Helden Samson zunächst wirklich geliebt und nicht nur mit böser Absicht verführt hat. Oder ob sie von Anfang an als freiwillige Agentin ihres Volkes kam, um diesen starken Gegner unschädlich zu machen. Selbst die Bibel ist im „Buch der Richter“ diesbezüglich nicht eindeutig.

Der Regisseur behauptet zwar, in diesem Stück gehe es eigentlich nur um die Liebe und beide seien Gefangene ihrer Religionen und Dalila außerdem die Fremde, der per se misstraut wird.  Doch seine Inszenierung gibt diese Deutung nicht her, zumal Elīna Garanča gesanglich und schauspiekerisch eher den Eindruck seiner Rächerin verkörpert. Außerdem singt sie von ihrem Hass, den sie trotz zärtlicher Stunden gegenüber Samson hegt. Daher schließt sie mit dem Oberpriester des Dagon einen Pakt, um Samson zu vernichten.

Dieses Zusammentreffen von Garanča  und Volle ist ein erster Höhepunkt im zweiten Akt der Oper, der das Kernstück des Werkes darstellt. Angeblich hat ihn Saint-Saëns als ersten komponiert und später die beiden anderen Akte. Nun wird auch die Musik plastischer, druckvoller und farbenreicher, was Barenboim und die Staatskapelle überzeugend hören lassen.

Noch überboten wird das vom Treffen Samson und Dalila in der Liebeshöhle. Längst vergessen hat Samson die anfänglichen Warnungen des alten Hebräers (Wolfgang Schöne) vor dieser fremden verführerischen Frau. Samson fühlt die Gefahr, egal was es ihn kosten könnte. Dalila setzt nun tatsächlich alle ihre Waffen bis zu Tränen und Spott ein und gewinnt.

 Samson, zerrissen zwischen seinem Auftrag und seinem Begehren, das er Liebe nennt, vergisst seinen Gott und sein Volk, nur Dalila will er besitzen. Brandon Jovanovich wächst hier noch über sich hinaus, zeichnet bewundernswert diesen Zerriebenen. Schließlich offenbart er der ihn bedrängenden Dalila sogar das Geheimnis seiner übermenschlichen Stärke, sein langes Haar.

Wie dieser allmählich sich steigernde „Kampf der Geschlechter“ von beiden gesungen und gespielt wird, gerät zum absoluten Höhepunkt dieser Aufführung und ist in dieser Besetzung allein den Besuch von „Samson et Dalila“ wert. Und wie reagiert das Publikum? Gar nicht. Kein Beifall, als danach der Pausenvorhang fällt und während des ganzen Stückes kein bisschen Zwischenapplaus. Das gibt doch sehr zu denken.

Bekanntlich schneidet Dalila dem Samson die kraftspendenden langen Haare ab. Die in die Liebeshöhle hineinstürmenden Philister haben mit ihm nun leichtes Spiel. Der kurze dritte Akt konzentriert sich auf üble Folterungen, Wegschleppen von Frauen durch die Sieger und die Tätigkeit von Sex-Girls. Dem Samson werden die Augen ausgedrückt, übel wird er zugerichtet. Andrés Moreno García und Jaka Mihelač agieren und singen als Erster und Zweiter Philister.

Dalila, nun wie eine hohe Priesterin im Festgewand, schaut sich das mitleidlos an. Der Oberpriester triumphiert, das Volk gerät in religiöse Trance. Doch dem sündigen Samson verleiht Gott bekanntlich noch einmal Kraft, so dass er den Tempel des Dagon niederreißen kann. Gehört auch Dalila zu den Toten? Das bleibt ungeklärt. „Hoffentlich geht es wenigstens dem Hund gut“, sorgt sich ein Herr in der Nähe.… 

Zuletzt heftiger Applaus für alle Beteiligten und ganz besonders für das gesangliche Dreigestirn unter Führung der wirklich großartigen Elīna Garanča. Beim Erscheinen  des Regieteams brausen die Buhs durch den Saal, gekontert vom Beifall. Nun hat auch die Staatsoper wie die Deutsche Oper (für Castorfs „Macht des Schicksals) ihr Skandälchen. 

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 27. und 30. November sowie 3., 7., 11. und 14. Dezember 2019

WIEN/ Volksoper: DIE ZAUBERFLÖTE

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Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte, Volksoper Wien, Vorstellung: 25.11.2019

 (221. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 17.12.2005;

  1. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 03.09.2019)

 

Wohltuende Schlichtheit

Helmut Lohners Inszenierung der Zauberflöte überzeugt durch ihre wohltuende Schlichtheit, weder Dauerschneefall noch überflüssige Video-Einblendungen lenken ab, und Nachvollziehbarkeit. Das Bühnenbild von Johan Engels beinhaltet die Scheibe der Drehbühne als Spielfläche, eine sie umgebenden, vielfach wandelbare Tempel-Kulisse, einen korallenartigen Baum und für Sarastro ein riesiges Fernrohr, mit dem er den Leitstern und die Erleuchtung sucht. Die höchst ästhetischen Kostüme von Marie-Jeanne Lecca sind für die Königin der Nacht und Entourage schwarz gehalten und erinnern an den Sommernachtstraum, für Sarastro und Gefolge weiss mit orangem Einfärbungen vom Morgenrot der beginnenden Aufklärung. Tamino und Pamina tragen nach den Prüfungen verdreckte weisse Gewänder: der Dreck sind hier die letzten Spuren der Unmündigkeit, die sie abgelegt haben.


© Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Trotz der für Theater-Verhältnisse frühen Morgenstunde, die Matinee beginnt um 11.00, ist das Orchester der Volksoper Wien unter Andreas Schüller bestens disponiert und, wie der Thomas Böttcher einstudierte Chor und Zusatzchor der Volksoper Wien mit grosser Spielfreude und Leidenschaft am Werk.

Yasushi Hirano gibt den Sarastro mit wohlklingendem Bass. An der Diktion lässt sich aber noch arbeiten. Die Königin der Nacht scheint für Beate Ritter eine Grenzpartie zu sein: Mit zunehmender Dauer ihres Auftritts trifft sie die Spitzentöne immer seltener. Szabolcs Brickner, eingesprungen für den erkrankten JunHo You, und Anja-Nina Bahrmann überzeugen mit frischen Stimmen und einnehmendem Spiel als Tamino und Pamina gleichermassen wie Michael Havlicek und Lauren Urquhart als Papageno und Papagena. Stellvertretend für das weitere, absolut rollendeckende Ensemble sei Morten Frank Larsen als Sprecher genannt.

Eine Wohltat!

 

Weitere Aufführung: 28.11.2019

 

26.11.2019, Jan Krobot/Zürich

DRESDEN/ Kreuzkirche: W. A. MOZARTS „REQUIEM“ ZUM EWIGKEITSSONNTAG

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Dresden / KreuzkircheW. A. MOZARTS „REQUIEM“ ZUM EWIGKEITSSONNTAG – 24.11.2019

Es gibt wohl kaum ein musikalisches Opus, um das sich derart viele Mythen und Legenden ranken wie das „Requiem“ (KV 626) von Wolfgang Amadeus Mozart, das durch den viel zu frühen Tod des musikalischen Genies nur etwa zu zwei Dritteln tatsächlich von ihm stammt und durch die Instrumentierung und Ergänzung der bruchstückhaft hinterlassenen Skizzen und einzelnen Stimmen von zwei (oder mehr?) jüngeren Komponisten aus seinem Umkreis zu einem Ganzen zusammengefügt wurde. Trotzdem erfreut es sich größter Beliebtheit, wurde vermutlich am häufigsten beim Tod berühmter Musiker und Persönlichkeiten aufgeführt und hat bis heute seine Faszination nicht verloren.

Für Mitteleuropäer ist der Spätherbst mehr als in anderen Ländern eine Jahreszeit, mit der sich  in den Tagen des abnehmenden Lichts und durch den Rückzug der belebten Natur Gedanken an Vergänglichkeit und Abschiednehmen verbinden, und so möchten die Dresdner und Gäste der Stadt am Ewigkeitssonntag die Aufführung eines Requiems in der Dresdner Kreuzkirche nicht missen.

Da sich der Kreuzchor zurzeit auf Reisen befindet und die Aufführung des, zur langen Tradition gewordenen, “Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms deshalb eine Woche vorher aufgeführt wurde, übernahm Peter Kopp, bisheriger Chordirigent und stellvertretender Leiter des Dresdner Kreuzchores, jetzt Rektor der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle und (seit 2003) ständiger Gastdirigent der „Bach Society“ in Houston/Texas, mit seinem semiprofessionellen Vocal Concert Dresden diese Aufgabe und führte Mozarts „Requiem“ in einer Qualität auf, wie sie früher an dieser Stelle öfter zu erleben war, jetzt aber zur Seltenheit geworden ist.

Das Vocal Concert aus professionellen Sängern und Laien, das 1993 von Peter Kopp in Erinnerung an den geselligen Musizierkreis um Gottfried Körner, dem Vater des Dichters Theodor Körner, als „Neuer Körnerscher Singverein“ gegründet wurde, ließ seine hohen Qualitäten bereits bei drei vorangestellten Songs (2., 4. und 6. Song) aus den sechs „Songs of Farewell“ für Chor a capella, die Charles Hubert H. Parry (1848-1918) in seinen letzten Lebensjahren komponierte und bei denen nicht nur die Texte, insbesondere im sechsten Song, in direkter Nähe zu Brahms‘ „Deutschem Requiem“ stehen, sondern auch die Musik einen starken Brahms-Bezug aufweist (Parry war nebenbei auch begeisterter Wagnerianer), erkennen.

Bei dem A-capella-Gesang im großen Rund der Kreuzkirche, bei deren Akustik jede kleine Nuance hörbar ist, bestach der Chor bereits durch seine stilistische Sicherheit, intelligente Interpretation, klangliche Strahlkraft und Natürlichkeit, die dann auch das “Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart (Fassung Süßmayer/Beyer), zu einem bewegenden Ereignis werden ließen, mitgetragen von dem, ebenso stilsicher und klangschön mitgestaltenden Philharmonischen Kammerorchester Dresden aus Mitgliedern der Dresdner Philharmonie, die ebenso engagiert und sich in das Werk vertiefend, dabei waren.

Die menschliche Stimme wurde im „Requiem“ im Zusammenwirken mit dem Orchester zum direkten Mittler der Musik, die ganz vom Wort her bestimmt ist, zu einer intensiven, berührenden Begegnung mit Tod und Vergänglichkeit, auch und insbesondere mit dem persönlichen Erleben Mozarts in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Tod, die unüberhörbar eingeflossen ist.

Bei dieser Aufführung passte einfach alles harmonisch zusammen, Chor, Orchester und Solistenquartett, bei dem hervorragende, im Oratoriengesang sehr erfahrene Sängerinnen und Sänger, die schon oft an diesem und anderen Orten für faszinierende Aufführungen sorgten, ihre stimmlichen Qualitäten und herausragenden Leistungen hinsichtlich Gesangstechnik, Artikulation und vor allem Gestaltung einbrachten. Ihre Timbres harmonierten nicht nur ideal in Duetten und Ensembleszenen, ihre Soli waren selbst in kurzen Passagen von großer Faszination.

Es scheint ein Phänomen zu sein, wie die Sopranistin Ute Selbig mit sanfter, wohlklingender Stimme immer wieder klanglich unaufdringlich dominiert und die glanzvollen Akzente setzt, alles überstrahlt und jedes Oratorium zum unvergesslichen Erlebnis werden lässt. Sie berührt aus ihrer persönlichen Einstellung zum Werk, mit technischer Souveränität, der ihr eigenen, stimmlichen Leichtigkeit, die sie in keiner Passage vermissen lässt, am meisten aber mit der zu Herzen gehende Wärme und Innigkeit ihres Ausdrucks. Britta Schwarz brachte mit der Altpartie ihre ebenfalls ausgezeichnete Gesangstechnik und vor allem ihre warme Stimme mit dem samtenen Klang ein. Sie weiß, wovon sie singt und teilt es in überzeugender Weise mit.

Für den erkrankten Tenor Falk Hoffman war Sebastian Reim eingesprungen, der sich gut in das hervorragende Solistenensemble einfügte. Die Basspartie gestaltete Jörg Hempel, der schon als Kruzianer mit Oratoriengesang und der besonderen Akustik der Kreuzkirche vertraut wurde, mit seiner einprägsamen tiefen, klaren Stimme und guter Diktion als Teil des idealen Solistenquartetts.

 Sooft man dieses Requiem voller menschlicher Empfindungen und Klängen der Verzweiflung, unabdingbarer Wucht und unausweichlicher Kraft auch hört, berührt es immer wieder ganz persönlich und erst recht in dieser, in allen Phasen so harmonischen, ausgeglichenen und eindringlichen Interpretation, bei der alle Ausführenden mit dem Herzen dabei waren und auf gleicher musikalischer Wellenlänge mit höchstem Engagement, Können und Anteilnahme ihre sängerischen bzw. instrumentalistischen Qualitäten einbrachten. Durch die hervorragende Wiedergabe wurden selbst die, durch die Handschrift mehrerer Komponisten entstandenen, Brüche nicht spürbar.

Es war eine jener prägenden, unvergesslichen Aufführungen, die alle Emotionen in sich trägt, hoffnungslos und hoffnungsvoll zugleich, Emotionen wie Angst, Verzweiflung und Traurigkeit zwischen Persönlichem und Jenseitigem, die den Menschen angesichts des Todes ereilen, aber auch vor allem Hoffnung und Trost für die Lebenden.

Ingrid Gerk

WIEN / Burgtheater: BÖHM (Gastspiel Graz)

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© Lupi-Spuma

WIEN / Burgtheater:
BÖHM von Paulus Hochgatterer
Gastspiel Schauspielhaus Graz
25. November 2019

Das Burgtheater lud das Grazer Schauspielhaus ein – und die große Burg füllte sich in einem erstaunlichen Ausmaß. Mit „Böhm“. Für „Böhm“. Weil Wien (neben Graz) vielleicht die letzte Stadt ist, wo dieser Name noch etwas bedeutet? Karl Böhm, wer sonst. Der Mann mit den großen Karrieren – vor dem Krieg, während des Krieges, nach dem Krieg. Das verbürgte Ekelpaket für seine Umwelt, vor allem Orchester und Sänger. Dabei ein Dirigent, der schon zu Lebzeiten in den Himmel gehoben wurde. An den brauen Flecken hat man erst später gekratzt.

„Böhm“ auf der Bühne ist von zwei Seiten zu betrachten. Die eine betrifft das Stück von Paulus Hochgatterer. Das eiert ein bisschen, vor allem durch die vielen dramaturgischen Verschränkungen. Einerseits bringt er Karl Böhm selbst auf die Bühne, im Gespräch mit Wolfgang Schneiderhahn, im Gespräch mit Karl Löbl (der ihm die Bemerkung entlockte, er werde der Wiener Staatsoper nicht seine Weltkarriere opfern – was ihm in seiner Eigenschaft als Wiener Operndirektor den Hals brach), wenn er Walter Berry in der Rolle des Wozzeck zusammen staucht, und manches mehr. Auch wenn er beim Dirigieren seine berühmt-berüchtigten Sottisen und Unliebenswürdigkeiten los ließ, soll es wohl er selbst gewesen sein…

Aber der Mann im Rollstuhl, der die dramaturgische Klammer für die vielen kleinen Szenen des Stücks liefert, soll nicht Böhm selbst sein. Ein Doppelgänger. Bewunderer. Kenner des Maestro. Einer, der Böhm spielt. Einer, der von einem Pfleger und dessen Schwester betreut wird (sie wiederum soll ihm politische Korrektheit beibringen, nein, man sagt nicht mehr „Eskimo“ und „Neger“). Eine nicht wirklich sinnhafte Ebene des Geschehens – zumal wenn der Pfleger den Reserve-Böhm am Ende zur Büste des Dirigenten bringt und diese (zu den Klängen des „Rosenkavaliers“) klirrend zu Boden fällt. Das war’s.

Der Abend, der nur hundert (pausenlose) Minuten dauert und dennoch zu lang wirkt, könnte auf viele Wiederholungen ebenso verzichten wie auf die Verdoppelung durch den Doppelgänger. Er hat hingegen äußerst wirkungsvolle Szenen – auch eine, in der Böhm gar nicht vorkommt. Dort erklärt der von Nazis aus seinem Dresdener Amt entfernte Fritz Busch, er werde in der Stunde der Not seine Freunde nicht verraten. Böhm hingegen, als man ihm den Dresdener Posten gibt (ablehnen konnte er nicht wirklich), zerbricht sich nur den Kopf, was die Leute sagen werden…

Man muss Hochgatterer zugestehen, dass er nicht versucht hat, Böhm „brauner“ zu malen, als er war. Viele der österreichischen Künstler, die den Nationalsozialismus als fait accompli nahmen (der Fall Wessely / Hörbiger lag ähnlich, bei Karajan war es sicher genau so), waren keine leidenschaftlichen Ideologen und Verfechter des Nationalsozialismus. Sie waren Mitläufer, die taten, was man verlangte, um ihre Karrieren zu sichern. Böhm zog sich hinter seine Musik zurück – und tat nicht mehr und nicht weniger als nötig. Die Attacke auf ihn hätte schlimmer ausfallen können. (Ärgerlich sind nur – bewusste? – Fehler, man sollte doch meinen können, das Stück sei sauber recherchiert. Aber Karl Böhm hat in Wien nicht in der – jüdischen – Villa Regenstreif gewohnt, die übrigens auch nicht in der Sternwartestraße lag…)

„Böhm“ als Stück ist ein Puzzle, von dem man nicht genau weiß, worauf es eigentlich hinaus läuft. Mitleid muss man keines haben, ein wirklich verächtlicher Schurke war er auch nicht, der große Künstler als kleiner Mensch…? Immerhin hat das Stück viele Szenen, die für den Opernfreund witzig sind, etwa wenn auch Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig und Walter Berry gewissermaßen als Böhm-Zeugen auftreten. Übrigens, ein seltsames Erlebnis, die Konfrontation mit der Vergangenheit, die man anders in Erinnerung hat: Der Zeit-Monolog der Marschallin klingt so, wie die Schwarzkopf ihn singt, für unsere heutigen Ohren in der Artikulation ausgesprochen gestrig und pathetisch…

Was immer man für oder gegen das Stück sagen mag, es ist an diesem Abend nicht die Hauptsache. Dieser gehört dem einzigen Interpreten, dem Schauspieler und Puppenspieler Nikolaus Habjan, der nicht nur mit der Böhm-Puppe im Rollstuhl agiert, sondern insgesamt elf Stab-, Hand- und den Klappmaulpuppen bedient. Wäre schon das (auch noch in Eigenregie erarbeitet) ein Virtuosenstück erster Ordnung – er „ist“ jede einzelne Figur durch seine Sprache, er gibt das charakteristisch Knetschige des schrillen Böhm-Tons (den man von Originalaufnahmen kennt), er ist brillant als Schwarzkopf und noch herrlicher als Christa Ludwig (tatsächlich verwechselbar, so vollendet ist er in der Nachahmung der Charakteristika), er differenziert alles und alle in einem Alleingang, der seinesgleichen sucht, nur unterstützt von Musik und gelegentlichen Projektionen.

Wenn man persönlich zugibt, dass einem Habjan-Inszenierungen, in denen er seine Puppen „normalen“ Stücken aufzwingt, bisher weidlich auf die Nerven gegangen sind, so hatte man noch nie die Gelegenheit, die volle Künstlerschaft dieses Menschen- und Puppenspielers zu erkennen. Dazu musste schon „Böhm“ kommen.

Das Wiener Publikum, das virtuose Schauspieler liebt, jubelte sich die Seele aus dem Leib und trug Nikolaus Habjan (metaphorisch) auf den Händen. Verdient.

Renate Wagner

WIEN / Staatsoper: Mozarts DON GIOVANNI mit Haus- und Rollendebüts

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Ludovic Tessier (Don Giovanni) mit Hanna-Elisabeth Müller (Donna Anna). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn.                                                      

WIEN / Staatsoper: Mozarts DON GIOVANNI

57. Aufführung in dieser Inszenierung

25. November 2019

Von Manfred A. Schmid

„Die Oper aller Opern“ hat E.T.A. Hoffmann Mozarts Dramma Giocoso genannt. Da ist was dran. Don Giovanni hätte sich an der Wiener Staatsoper jedenfalls eine bessere Inszenierung verdient als die von Jean-Louis Martinoty aus dem Jahr 2010. Sie ist – bis auf die schaurig-feurige Höllenfahrt am Schluss – glanzlos, was auch vom durchwegs düster gestalteten Bühnenbild Hans Schavernochs unterstrichen wird. Nur für das Gastmahl hat sich Monsieur Martinoty etwas Neues, Brauchbares einfallen lassen. Wie hier der Verführer par excellence den Tisch, an den er den von ihm getöteten Komtur zum Diner einladen wird, ausgerechnet vor dessen Grabmal aufbauen lässt (Abenteuer-Catering an ungewöhnlichen Schauplätzen, was für ein Marketing-Gag), passt gut zu seiner respektlosen, freigeistigen, blasphemischen Einstellung und bietet die geeignete Bühne für einen packenden Abgang.

Musikalisch kann man mit dem Auftakt zur aktuellen Aufführungsserie hingegen durchwegs zufrieden sein. Gesanglich recht homogen und in einer gelungenen Mischung aus bewährten Kräften aus dem Ensemble und zwei erfreulichen Hausdebüts präsentiert sich die Sängerriege. Mit Adam Fischer am Dirigentenpult kann das Staatsopernorchester wieder einmal zeigen, dass es nicht nur für Richard Strauss, sondern auch für Mozart eine gediegene Heimstätte ist. Fischers Mozart klingt klassisch-frisch, nicht romantisch aufgeladen. Fischer schöpft aus dem Vollen und sorgt dennoch für die nötige, kammermusikalische Transparenz. Besonders gelungen sind die Gesangsensembles – Quartette, Quintette und Sextette, die er mit einem guten Gefühl für die Tempi begleitet.

Federica Lombardi, die sich in den letzten Jahren international vor allem als Donna Elvira einen Namen gemacht hat, ist in dieser Rolle auch in Wien schon aufgetreten. Allerdings nicht im Opernhaus, sondern Anfang September im Konzerthaus, im Rahmen des Mozart-Da-Ponte-Zyklus von Teodor Currentzis. Nun also ihr Hausdebüt im Haus am Ring. Als sitzengelassene Frau hin und her schwankend zwischen Rachegefühlen und weiter bestehender emotionaler Bindung an den Verführer, stellt sie die Zerrissenheit dieser Figur glaubwürdig dar. Grandios ihre Arie „Mi tradi quell’alma ingrata“, Zeugnis ihrer entschlossenen Unentschlossenheit. Lombardis Sopran ist in der Höhe stets sicher, besitzt ein angenehmes Vibrato mit warmer Färbung. In der Tiefe fehlt es ihrer Stimme zuweilen etwas an Durchsetzungskraft, was sich in der Arie „Ah! Chi mi dice mai“ vernehmbar macht.

Erstmals an der Staatsoper zu erleben ist auch Hanna-Elisabeth Müller, die als Donna Anna mit ihrem in vielen Farben leuchtenden Sopran punkten kann. Eine schön ausgewogene Mittellage, von der aus sie ihre Stimme mühelos nach oben und unten entfalten kann. Ihr Gesang vermittelte die Sorgen und Nöten einer zutiefst verletzten Frau. Stark ihre Gestaltung der Arie „Non mi dir“.

Die dritte Frau im Bunde ist das lebens- und liebeshungrige Bauernmädchen Zerline, darstellerisch und gesanglich hervorragend gestaltet von Andrea Carroll. Eine aparte Mischung aus Charme und Naivität, dargeboten mit lyrischer Grandezza. Dieses Ensemblemitglied empfiehlt sich jedenfalls für Rollen im schwereren Repertoire. An ihrer Seite als Bräutigam Masetto kommt wiederum Clemens Unterreiner im Einsatz. Stimmlich bewältigt er die Partie zur vollsten Zufriedenheit. Den Jungbauern nimmt man ihm aber nicht ab. Das liegt zum einen an seiner ausgeprägten Persönlichkeit, in diesem Fall aber auch an seiner Kostümierung, die – mit weißem Anzug und schwarzem Hemd – eher an einen Mafioso oder Vorstadtcasanova denken lässt.

Eine bewährte Hausbesetzung als Don Ottavio ist Jinxu Xiagou. Ein bisschen phlegmatisch in der Darstellung, stimmlich aber mit seinem hellen, höhensicheren Tenor ein guter, etwas eindimensional angelegter Don Ottavio. „Il mio tesoro“ überzeugt auf allen Linien, „Dalla sua pace“ offenbart zuvor noch Anlaufschwierigkeiten.

Peter Kellner (Leporello) mit Clemens Unterreiner (Masettto) und Bühnenmusikerinnen beim Fest.

Paul Dumitrescus Commendatore fehlt für diese Rolle nicht nur die stimmliche Statur, sondern auch die nötige Ausstrahlung. Auch in seinem Fall ist die Kostümierung der geforderten äußerlichen Erscheinung alles andere als dienlich: Er tritt im flatternden Morgenmantel auf. Davon kann auch Ludovic Tézier ein Lied singen, der als Don Giovanni u.a. mit einem hellschimmernden Gewand aus Seide ausgestattet ist, das – wie ein Kritiker schon bei der Premiere feststellte – aus dem Fundus des schillernden Unterhaltungskünstlers Liberace stammen könnte. Vielleicht mit ein Grund dafür, wieso er die Champagnerarie so hastig abspult. Die dunkle, abgründige Seite des skrupellosen Verführers sucht man bei ihm freilich vergeblich. Eher denkt man bei ihm an einen bürgerlichen Schwerenöter mit ausgeprägter, gesunder Libido. Mit seinem dunkel schattierten Bariton strahlt er zudem eine Wärme aus, die ihn fast sympathisch erscheinen lässt. Fein erklingt seine Serenade „Deh, vieni alla finestra, o mio tesoro“, erwähnenswert auch seine führende Rolle in Ensemblenummern, etwa im Sextett „Sola, sola in bio loca“.

Ein weiteres Rollendebüt gibt Peter Kellner als Leporello. In seiner noch kurzen Zeit als Mitglied des Ensembles der Staatsoper hat sich der junge slowakische Bass schon in unglaublich vielen Rollen ausgezeichnet und seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. Nun also der Schritt in die Oberliga. Die Bariton-Partie fordert von einem Bass eine ausdrucksstarke Höhe. Kellner bewältigt diese Herausforderung auch weitgehend gut. Nur manchmal klingt er etwas rau und unbalanciert. Darstellerisch ist es eine Freude, wie er sich auf der Bühne bewegt und mit seinem schweren Job als Diener des verruchten Don Giovannis hadert, ihm zunächst als Herzensbrecher gerne nachzueifern versucht, bis er sich letztendlich angewidert von ihm abwendet. Ein Anfang ist gemacht. Um in diese Rolle stimmlich richtig hineinzuwachsen, wird es noch einige Zeit brauchen.

Gedankt wird mit herzlichem Applaus.

25. November 2019


Film: DER TAUCHER

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Filmstart: 29, November 2019
DER TAUCHER
Österreich / 2019
Drehbuch und Regie: Günter Schwaiger
Mit: Franziska Weisz, Julia Franz Richter, Alex Brendemühl, Dominic Marcus Singer

Langsam kommt dieser Film einher, schwerfällig fast, bedeutungstriefend jedenfalls. Er spielt auf ibizia, was nichts mit Strache zu tun hat: Warum da eine Handvoll Österreicher auf einer spanischen Insel lebt, erfahren wir nicht, ebenso wenig wie manches andere. Nicht ohne Mühsal muss man erst einmal die – tremolierend geheimnisvoll gehaltenen – Beziehungen der vier Hauptpersonen zu durchschauen versuchen, die Regisseur Günter Schwaiger (* 1965 in Salzburg) hier vorstellt. In einem Film, dessen Titel man sich übrigens nicht wirklich erklären kann.

Da ist Irene (unglaublich blaß in jeder Hinsicht: Franziska Weisz), die offenbar in einer Boutique arbeitet und mit ihrer Teenager-Tochter Lena (Julia Franz Richter) zusammen lebt. Die Mutter klammert, die Tochter will weg (offenbar in die österreichische Heimat), geht aber sehr vorsichtig mit der Mutter um. Welches Geheimnis da wabert – man erfährt es lange nicht.

Was Paul (Alex Brendemühl) mit den Frauen zu tun hat, weiß man lange nicht, man erlebt ihn vor allem im problembeladenen Zusammenleben mit seinem Sohn Robert (Dominic Marcus Singer), der offenbar erst seit kurzem wieder da ist. Warum?

Zuerst bekommt man nur Paul ausführlich präsentiert – ein eleganter Mann, ein Künstler, ein Fagottist, ein Komponist, der sehr rege am Telefon ist, seine neueste Komposition in den Konzertsälen zu positionieren. (Man muss ihm sehr viel beim Solo-Fagott zuhören, darüber hinaus hat die Musik von Roland Hackl einen starken und meist quälenden Anteil an der düsteren Stimmung dieses Films.)

Ist es ein Krimi, den man nicht „spoilen“ darf? Kaum, denn das, was man gemeiniglich unter „Spannung“ versteht, kommt nicht auf. Wie bei einer Zwiebel schälen sich die einzelnen Handlungselemente ab – der Künstler gibt ein Interview, und als die Journalistin nicht nur nach seinen künstlerischen Meisterwerken, sondern nach seiner verstorbenen Frau und deren Selbstmord seiner Geliebten wegen fragt, wirft er sie hinaus (offenbar ist das nicht nur eine Gewohnheit von Peter Handke). Jetzt weiß man es – auch, dass der arme, dumpfe, verzweifelte Sohn nach dem fragwürdigen Tod der Mutter einen Selbstmordversuch unternommen hat und eben erst aus der Klinik kam.

Wie passen nun Irene und ihre Tochter da herein? Irene war Pauls Geliebte, und offenbar hat er sie körperlich schwer misshandelt, so dass er sich ihr nicht mehr nähern darf. Aber einen Flecken auf seiner spanischen Männerehre kann er schon seiner Karriere wegen nicht brauchen – Irene muss die Anklage zurückziehen, verlangt er. Und als sie sich weigert… ja, dann gibt es wieder Gewalt. Und diese eskaliert dann bis zum letalen Ende auf anderer Ebene (das auch keine besondere Überraschung ist).

Paul ist die interessanteste Figur der Geschichte: Wie kommt es, dass Männer, deren intellektuelles und gesellschaftliches Niveau außer Frage steht, brutal ausrasten, wenn sie ihren Willen nicht bekommen? Das wird allerdings nur in einer Szene gezeigt, weder analysiert noch begründet. Im übrigen wird nur sein schrankenloser Egoismus gezeigt.

Und Irene? Die ist seit Pauls Überfall auf sie in stumpfe Stockstarre verfallen, so sehr sie sich auch bemüht, für die Tochter (die der ganzen Situation mit blanker Wut gegenüber steht) „normal“ zu sein. Geht wohl nicht.

Viele Fragen bleiben offen – warum Irene auf der Insel bleibt, auf der sie ja offenbar nicht wirklich zuhause ist, statt heim zu gehen und Distanz zwischen sich und das Geschehen zu legen? Oder kann es nach einer solchen Erfahrung nur leidensmäßig dumpfes Vor-sich-hin-Grübeln geben? Abhängigkeit sei, so der Regisseur, ein Thema seines Films. Und der Irrglaube, dass körperliche Gewalt nur in den Unterschichten vorkomme. Dennoch – einerseits fällt auf, mit wie viel Pathos österreichische Regisseure ihre Problematiken angehen, um zu zeigen, wie wichtig und bedeutsam sie sind (neulich auch Karl Markovics bei „Nobadi“). Andererseits wird äußerst moderiert mit dem radikalen Thema umgegangen. Besonderes Interesse oder gar Anteilnahme evoziert der „Taucher“-Film nicht.

Renate Wagner

Film: IBIZA – EIN URLAUB MIT FOLGEN

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Filmstart: 29. November 2019
IBIZA – EIN URLAUB MIT FOLGEN
Ibizia / Frankreich, Belgien / 2019
Regie: Arnaud Lemort
Mit: Christian Clavier, Mathilde Seigner, Leopold Buchsbaum, Pili Groyne u.a.

Kein Österreicher wird das Wort „Ibizia“ in den Mund nehmen können, ohne innerlich oder auch äußerlich in höhnisches Lächeln / Lachen (je nach Temperament und politischer Couleur) auszubrechen. Täuschen wir uns nicht: Für den Rest der Welt ist Ibiza immer noch die klassische spanische Ferieninsel, vorwiegend für junge Leute, mit dem Motto „Party ab!“

Darum wollen auch Julien (Leopold Buchsbaum) und Manon (Pili Groyne) der Teenager-Nachwuchs von Carole (Mathilde Seigner), unbedingt dorthin. Und Mama gibt nach. So alt ist sie schließlich noch nicht, dass sie sich nicht daran erinnerte, wie das war, als es mit Alkohol, Drogen und Sex so richtig abging… weshalb sie dort gleich ein paar Alt-Hippies aus ihrer Zeit trifft.

Aber die jugendliche Maman hat noch jemanden in ihrem Leben und folglich im Ferien-Schlepptau – Philippe, den nicht mehr ganz jungen und auch nicht wirklich ansehnlichen Zahnarzt, der gerne bei ihren Kindern landen will, um sich in die Familie einzugliedern. So richtig akzeptiert wird der Oldie, den sie „Shrek“ nennen, ja nicht. Und freundlich sind die jugendlichen Herrschaften auch nicht zu ihm – eigentlich so ekelhaft pappig, wie man es ihrer Generation nachsagt. Kopf tief im Smartphone vergraben.

Also hat es Philippe nicht so leicht, in Ibiza mitzuhalten, zumal er alle mit ein paar moralischen Forderungen regelrecht anödet. Hinter der unternehmungslustigen Jugend her zu sein, lässt ihn immer „zernepfter“ aussehen, aber er ist rührend in seinen Versuchen, „a good sport“ zu sein. Wenn dann alle bei einer überdrehten Bio-Familie landen, wo der Sohn des Hauses fälschlich sein Herz verloren hat, sind alle gänzlich einig… und der Film fährt problemlos die komplett harmonisierende Schiene ein, für die sich die Franzosen (was waren das einst für Filmemacher!) schon seit langem entschieden haben.

Die von Regisseur Arnaud Lemort geschickt geführte Komödie ist ein Film für Christian Clavier, mittlerweile ein End-Sechziger, aber auf der Leinwand ein strahlender Charismatiker. Nein, an den drahtigen, qurligen Asterix von einst erinnert nichts mehr, auch nicht an den Napoleon in der Fernsehserie. Er ist mittlerweile der Inbegriff von Monsieur Claude, dem saturierten französischen Großbürger, dessen Töchter ihm so viele Sorgen wie bunt farbige Schwiegersöhne bescheren.

Aber Monsieur Claude hat sich immer als lernfähig erwiesen, und das soll auch dieser Film wieder zeigen, wo Claude halt Philippe heißt… Abgesehen davon, dass die scheinbar so störrische Jugend nach und nach ganz zutraulich wird, lernt auch der ältere Mann die Dinge etwas weniger starr zu beurteilen. Das ist mehr vorbildhaft als lebensecht, aber wer sagt denn, dass die gute, alte Traumfabrik ausgedient hat?

Man unterhalte sich also mit der Familie in Ibizia (oft froh, dass man nicht selbst in dem Menschengewühl steckt und die wilde Hektik am eigenen Leib erleben muss), und wer keine zu großen Anforderungen stellt… es gibt auch anderes als falsche Oligarchen-Nichten auf dieser Ferieninsel.

Renate Wagner

Film: THE GOOD LIAR – DAS ALTE BÖSE

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Filmstart: 29. November 2019
THE GOOD LIAR – DAS ALTE BÖSE
The Good Liar / USA / 2019
Regie: Bill Condon
Mit: Helen Mirren, Ian McKellen u.a.

Die nicht mehr ganz junge, aber durchaus attraktive Dame betrachtet ihr Profil im Internet. Switcht auf das Bild eines älteren Herrn. Schnitt. Schon sitzen sie sich in einem Londoner Restaurant gegenüber. Schließlich sind Tinder und Co. ja nicht nur für die Jungen erfunden worden?

Er ist Roy, sie ist Betty, und spätestens, wenn er mit tiefem Blick erwähnt, Ehrlichkeit gehe ihm über alles, ist dem Zuschauer klar, dass dem nicht so sein kann. Die Dame ist als Opfer ausersehen, und schnell besteht kein Zweifel daran, wenn man Roy mit seinem routinierten Freund Vincent (Jim Carter) sieht: Am langen Tisch überzeugen sie da Geschäftsleute davon, welch ungeheure Rendite sie für ihre Investitionen zu bieten haben. Und wenn die Herren auch anfangs zweifeln, die Überredungskunst funktioniert, und riesige Summen werden zugesagt…

Eine Gaunerkomödie? Wenn es nur so wäre, man würde sich mit Freuden unterhalten und zusehen, wie Helen Mirren zum Opfer wird oder nicht und wie Ian McKellen die charmante reiche Witwe hinein legt – oder doch nicht? Wirklich, man wäre angesichts dieses Darstellerpotentials wirklich glücklich gewesen, wenn in der Regie von Bill Condon nur dieses schlichte Film-Muster angepeilt worden wäre. Der Regisseur hat zwar noch nicht viele Meisterwerke geliefert, aber „Mr. Holmes“ (auch mit Ian McKellen) war doch ein schöner Film?

Aber das Drehbuch greift ganz tief in die Kitsch- und Klischee-Kiste. Dass Betrüger und potentielles Opfer die Rollen umdrehen, das kennt man. Man kennt aber leider auch die „Sünden der Vergangenheit“. Darum muss dieser Film 2009 spielen, sonst wäre es für die Überlebenden aus dem Zweiten Weltkrieg zu spät. Und wenn da einst ein Deutscher in Berlin einem jüdischen Mädchen schweres Unrecht zugefügt hat… ja, dann steht Rache auf dem Plan. Und was so leichtfüßig begonnen hat, endet geradezu schockhaft tragisch… Und für den Kinobesucher ist es, als begänne ein neuer, anderer Film.

(Anmerkung zur Originalfassung: Wenn da Szenen unter Deutschen in Berlin spielen und man nur Schauspieler findet, die das Deutsche elendig radebrechen, statt es glaubhaft zu sprechen, ist das eigentlich ein Armutszeugnis).

Natürlich ist da Helen Mirren. Sie spinnt den Faden fein, gibt wunderbar vor, in die Fänge des Verführers zu geraten. Da ist der Enkel (Russell Torvy), der sie warnt – aber nein, sie glaubt an diesen Mann. Sie ist auch bereit, ihm ihr Vermögen (ein paar Millionen Pfund, mit der linken Hand erwähnt) zu übergeben, damit er es vermehrt und an der Steuer vorbei leitet. Ist doch glaubhaft? Und dann dreht sie den Spieß um. Freundlich und gnadenlos. Die Dame ist wirklich eine große Schauspielerin.

Und was soll man über Ian McKellen sagen? Der Mann ist ein Meister. Er hat nicht nur den routinierten, fast vergnügten Betrüger zu spielen, er muss auch noch entdecken, dass er sich in die treuherzige Betty verliebt hat… Und was sie ihm dann antut…. Nein, man wird nicht recht glücklich mit dem Film, am wenigsten mit den patscherten Rückblenden in Berlin. Hätten sie doch eine schlichte Gauner gegen Gauner-Story daraus gemacht!

Renate Wagner

Film: DER LEUCHTTURM

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Filmstart: 29. November 2019
DER LEUCHTTURM
The Lighthouse / USA / 2019
Drehbuch und Regie: Robert Eggers
Mit: Willem Dafoe, Robert Pattinson

Eine Welt in Schwarz, Weiß und vielen Grautönen: Solche Filme (konsequent auf Farbe verzichtend) werden heute kaum mehr gedreht. Allerdings weiß man um den Effekt dieser Licht-und-sehr-viel-Dunkel-Spielereien: Er ist stark und macht sicher einen Teil der Wirkung von „Der Leuchttum“ aus.

Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Leuchtturm, irgendwo auf einer felsigen Insel an der kanadischen Küste. Hier tun zwei Männer jeweils einen Monat Dienst. Vier Wochen ausschließlich den anderen als Partner – da ist die Frage, ob das gut geht. „Boredom makes men to villains“, knurrt der Ältere der beiden – es ist Willem Dafoe als Thomas Wake, die Haare struppig, der Dialekt breit, kaum zu erkennen, hintergründig von der ersten Sekunde an.

Aber auch der sonst so schöne Robert Pattinson als Neuankömmling Ephraim Winslow irrlichtert von Anfang an: Hohläugig tritt er seinen Dienst bei dem Oldie an, und natürlich wird es eine Geschichte der Machtverteilung. Sie reden Prolo-Sprache und kämpfen erst auf dieser Ebene. Widerspruch verträgt der alte Wake nicht, der Neuling wird ungefragt für die „niedrigen Dienste“ eingeteilt. Die Frage ist nur, wie lange sich Winslow das gefallen lässt.

Die wütende See, der Sturm draußen machen Arbeit, aber meist sind sie miteinander in ihre Hütte eingesperrt. Wo es noch besser ist als in der wilden Natur, die hier nichts von Schönheit und Erhabenheit hat, sondern nur von Gefahr. Selbst vor Möwen muss man sich fürchten.

Drinnen labert der Alte den Jungen (dessen Namen er die längste Zeit nicht erfragt) vollmundig belehrend zu, der andere ist spürbar gelangweilt, aber es gibt kein Entkommen. Man erzählt sich annähernd die Lebensgeschichten. Immer dasselbe, meint der Alte. Die Musik zieht im Hintergrund an, macht den Zuschauer darauf aufmerksam, dass die Geschichte zunehmend bedrohlich wird…

Sie saufen immer exzessiver, sie singen, sie randalieren, und man sitzt im Kino, schaut diesen beiden faszinierenden Unglücksgestalten zu und fragt sich: Wohin wird das führen?

Zu einer Art von Koller, zu Halluzinationen, zu gesteigerter gegenseitiger Ablehnung. Sie brüllen einander an, tauschen Psychoterror aus. Die Bilder werden immer rätselhafter, die Geschichte immer theatralischer, die Auseinandersetzung immer gröber. Seemannsgarn… und wenn das Ende der vier Wochen gar nicht das Ende für die beiden ist, sondern sie sich gegenseitig weiter die Sartre’sche Hölle bereiten müssen?

Gedreht auf einer echten Leuchtturm-Insel mit Vulkangestein in Nova Scotia, ist das Atmosphärische (das nach und nach mehr und mehr den Boden der Realität verlässt) das eine As dieses Films, für den sich Robert Eggers (zusammen mit Max Eggers) das Drehbuch geschrieben hat. Das andere ist die Interaktion der Darsteller, wobei Robert Pattison wunderbar dem grandiosen Willem Dafoe (der manchmal schamlos „draufdrückt“) stand hält. Schließlich taucht alles in diesem Film uneitel in Abgründe hinab… eigentlich ist es fast eine Horrorgeschichte. Und so einförmig die Handlung wirkt, so spannend bleibt sie. Was immerhin ein Kunststück ist.

Renate Wagner

Die Unabhängige gemeinsame Filmbewertungskommission der Länder verlieh das Prädikat: Sehenswert

„attitude“: This week’s recommendations: Nov. 26th, 2019

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