Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

ERFURT/ Domstufenfestspiele: DIE JUNGFRAU VON ORLEANS von Peter Tschaikowsky

$
0
0

domstufen festspiele, die jungfrau von orleans, theater erfurt, foto lutz edelhoff
Erfurt: DomStufenfestival. Foto: Lutz Edelhoff

Erfurt/ DomStufen-Festspiele:  Peter Tschaikowskys „DIE JUNGFRAU VON ORLEANS“  29.07. 2021  – ganz großartig!

Es ist die viertletzte Aufführung, und glücklicherweise war noch ein Ticket übrig. Schon seit Jahren wollte ich die Erfurter DomStufen-Festspiele erleben, in diesem Sommer hat es nun geklappt.    

Der 29. Juli ist ein recht warmer Sommerabend. Auf dem Domplatz ist auf allen Restaurant-Terrassen vor den bunten historischen Häuschen kein Platz mehr frei. Auf der Festspiel-Bühne auch nicht, da Corona bedingt nur 1.200 Opernfans schachbrettartig gesetzt die Aufführung erleben können.

Das aber vor einer einmaligen Kulisse zwischen zwei gotischen Gotteshäusern – dem Mariendom links und der Severikirche rechts. Schöner geht’s kaum. Doch solch ein großartiges Ambiente verpflichtet und muss mit Qualität gefüllt werden. Das ist in diesem Sommer mit Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orleans“ bestens gelungen.

Die originalen Stufen, die gleichzeitig zu beiden Kirchen hinaufführen, sind mit einer langen, leicht gewellten Treppe überbaut. Wird die zur Himmelsleiter? Aus der Geschichte wissen wir, dass das Erdenleben des Bauernmädchens Johanna, das zunächst – angeblich im Auftrag von Jesu Mutter Maria – die französischen Truppen zum Sieg gegen die Engländer führte, auf dem Scheiterhaufen endete.

Das Philharmonische Orchester Erfurt ist nicht live zu sehen, nur in zwei Guckkästen auf jeder Zuschauerseite. Es musiziert im rund 1 km entfernten Opernhaus und macht das überzeugend. Die Übertragung, die vor diesem Sommer aufgerüstet wurde, erweist sich als sehr gut, und der an diesem Abend zuständige Dirigent Chanmin Chung lässt Tschaikowskys romantische Klangfülle ausdrucksvoll in den Nachthimmel emporsteigen.

jungf
Besetzungszettel. Foto. Ursula Wiegand

Viel Interessantes ist dem japanischen Regisseur Tomo Sugao eingefallen, der die Breite und Länge der eingefügten Domstufen bestens nutzt. Die sind minimalistisch mit nur zwei Tischen möbliert, einem unten, der offenbar Johannas Dorf simuliert. Das größere Gestell weiter oben dient später als Liebesbett des kampfunlustigen Königs und seiner Geliebten (Bühne: Hank Irwin Kittel).

Insgesamt bleibt so viel Platz für Bewegung, und Sugao nutzt diese Chance, um die Massenszenen quasi in Choreographien zu verwandeln. Die Stufen werden also von unten bis oben zumeist lebendig bespielt, was schließlich in einem Farbenrausch passend zu Tschaikowskys Musik endet.

Die handelnden Personen in rollengemäßen Kostümen (von Bianca Deigner) tragen Theatermasken, die nicht nur das Corona-Thema aufgreifen. Nur Johanna sowie ihr alter Ego die kleine, ganz junge Johanna und Lionel, ihr späterer Geliebter, dürfen ihr wahres Gesicht zeigen. Die müssen sich also nicht verstecken und tun es auch nicht. Die drücken ehrlich ihre Gefühle aus, werden aber von den Maskenträgern, die ihr Tun und Lassen verstecken, schließlich ermordet.

Tschaikowsky hat übrigens die Rolle der Johanna stärker betont als Friedrich Schiller in seinem Schauspiel. Das war ihm zwar eine Leitschnur, ließ aber wohl nicht genug Empathie für Johanna erkennen. Also hat er das Libretto selbst verfasst und außerdem für die Johanna wunderschöne Arien komponiert. Da das Festival seit dem 09. Juli fast täglich gelaufen ist, wurden die Rollen mehrfach besetzt, die von Johanna sogar dreifach.

Gesungen wird in russischer Sprache. Ob alle Sängerinnen und Sänger diese perfekt beherrschen, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist immer die beste Lösung, ein Stück in der Sprache aufzuführen, in der es komponiert wurde. Baritone und Bässe klingen auf Russisch, zumindest für mich, besonders eindrucksvoll.

Ein Sonderlob verdient an diesem Abend die französische Sopranistin Anne Derouard, die auch Wagner-Rollen wie die Brünhilde singt. Doch diese stimmliche Wagner-Attitüde lässt sie als Johanna beiseite, gefällt aber im Piano ebenso wie im strahlenden, niemals schrillem Forte. Hier ist ein junges Bauernmädchen in Nöten, keine Wagner-Heroine.

Johanna, dieses schlichte Bauernmädchen, das ihre Schafe hütet, hat zunächst Furcht vor der Rolle, die ihr die Marienerscheinung auferlegt hat – die Rettung Frankreichs, das von den Briten angegriffen wird. Es geht zu Herzen, wenn sie sich in einer volksliedähnlichen Arie von ihrer Heimat, den Feldern, Wiesen und Bäumen auf Nimmerwiedersehen verabschiedet und sich mutig für ein völlig neues Leben entschließt.   

Eine zunächst kleine Feder hält sie in der Hand, und diese Federn werden im Verlauf des Stückes größer, farbenreicher und mitunter bedrohlicher. Ein überzeugender Regieeinfall. Am französischen Königshof sind sie blau, bei den angreifenden Engländern rot, und bei der pompösen Krönung von König Karl VII in Reims, der sich zuvor am liebsten der Verantwortung für sein Volk entzogen hätte, sogar goldfarben.

Die der auf 2 ½ Stunden gekürzten Oper hinzugefügten Engel tragen riesige schwarze Fahnen. Gute Himmelsgeister sind sie offenbar nicht. Das bekommt Johanna zu spüren, die es wagt, sich in einen Feind, den Engländer Lionel zu verlieben, anstatt weiterhin dem Gelübde der Keuschheit zu folgen. Bei Tschaikowsky scheint der Himmel böse zu sein. Garantiert sind es hier seine Stellvertreter auf Erden.

Genau genommen „verdankt“ Johanna die unglückliche Wendung in ihrem Leben dem eigenen Vater. Von Anfang an hatte er behauptet, nicht die hl. Maria hätte Johanna zur Rettung Frankreichs aufgefordert. Vielmehr sei sie vom Teufel besessen, eine Anschuldigung, die vor dem König bei der pompösen Krönungsfeier in Reims wiederholt.

Kahhaber Shavidze singt diese Rolle mit einem „schwarzen“, Furcht erregenden Bass. Zum Schluss erhält er – neben Anne Derouard als Johanna – den deutlichsten und durchaus verdienten Beifall. Lukasz Skrobek, Bariton, als Lionel, überzeugt ebenfalls, auch darstellerisch. Die Liebe der beiden jungen Menschen wird brutal ausgelöscht und von Tschaikowsky in dramatische Klänge gehüllt.  

Die übrigen Sängerinnen und Sänger, zumeist Gäste, passen sich mit ebenfalls überzeugenden Leistungen dem Geschehen an. Ihre Namen finden sich auf der am Abend ausgehängten Liste, die sich leider nicht gut fotografieren ließ.

Ebenfalls sehr zu loben ist der Opernchor, der Tschaikowskys Intentionen engagiert erfüllte. Das alles hat sich herumgesprochen. Die letzten Vorstellungen bis 01. August sind komplett ausverkauft.

Im Sommer 2022 soll bei den DomStufen-Festspielen vom 15. Juli – 07. August Giuseppe Verdis Nabucco erklingen. Infos und Karten unter vorverkauf@theater-erfurt.de 

jung2
Erfurt/ Domplatz: Bunte, alte Häuser. Foto: Ursula Wiegand

Einen Trost gibt es für dieses Jahr aber auch: Erfurts BUGA. Noch bis zum 10. Oktober wird auf dieser Bundesgartenschau gratis Live-Musik von Pop bis Klassik zwischen bunten Blumen geboten – im egapark und auf dem Petersberg. Auch diese Erlebnisse begeistern täglich viele Menschen.  

 Ursula Wiegand


Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>