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THEATERFEST NÖ / Schwechat: KRÄHWINKEL

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  Schwechat Krähwinkel Plakat x~1 

THEATERFEST NÖ / Nestroy Spiele Schwechat:
KRÄHWINKEL. „Ein Freiheits-Event“
von Johann Nestroy / Peter Gruber
Premiere: 21. Juni 2014 

Die Bewunderung für Johann Nestroy, in der damaligen Mitwelt nur teilweise ausgeprägt (wie das halt so ist in Österreich), kann in der Nachwelt gar nicht groß genug sein. Da schreibt ein Mann im Jahre 1848, mitten in der nach wie vor brodelnden „Revolution“ (wenn die Wiener es auch schafften, gleichzeitig aufmüpfig und kaisertreu zu sein!), ein Stück über die Revolution. Wobei er die „Reaktion“, die – wie er wusste – kommen würde, schon einkalkuliert. Einfach genial.

Und er brachte parodistisch die „heiligen Kühe“ auf die Bühne – die Ligorianer (ein damals in Österreich sehr starker Orden, die während der Revolution tatsächlich vertrieben wurden), einen russischen Fürsten, einst Sinnbild der Verehrung, und, schier undenkbar, die Inkarnation der Unterdrückung, den Fürsten Metternich, der sich erst kurz davor im Schweinsgalopp nach England abgesetzt hatte. Ein wildes, mutiges Stück, an dem sich die interpretierende Nachwelt leider mit einer schwachen Handlungsführung zu raufen hat.

Sei’s drum – Nestroys wunderbare Charakterzeichnung, vor allem vom Übermut der Mächtigen zuerst, den Wendehälsen dann, ist Österreich pur, ein Prachtstück. Und wenn Peter Gruber, der am Rande Wiens, in Schwechat, allsommerlich den fortschrittlichsten Nestroy zeigt, den man sich denken kann, aus der einstigen „Freiheit in Krähwinkel“ ein „FREIHEITS-Event!“ macht, handelt er nur im Geist des Erfinders. Wenn er auch im Um- und Neudichten manchmal recht weit geht. Aber im Grunde stimmt es immer.

Ein Event kann nicht stattfinden, indem das Publikum brav in seinen Sesseln sitzt. Diesmal wird es in Schwechat vor der  Rothmühle ganz schön herumgescheucht, nur ein kleiner Teil des Abends findet vor der üblichen Bühne statt (wenn man im Bürgermeisteramt ist, wo die armen Beamten zappeln und die mächtigen Beamten hochmütig agieren, oder in der Wohnung des Ratsdieners Klaus, hochmütiger „Vollstrecker“ der Obrigkeit zuerst, unsicher geduckt danach). Im übrigen verteilt man sich im ganzen Hof, es wird happeningartig durchgespielt, wobei Peter Gruber in der „Pausenveranstaltung“ die Zügel ganz gewaltig schießen lässt, wenn sich die Jugend pop-artig betätigt (bis zum Conchita Wurst-Song). Aber es gibt ja nichts Schöneres, als gegen die Bürgerlichkeit aufzubegehren, die noch in Form von ein paar entrüsteten alten Weibchen herumschleicht…

valentin frantsits und das ensemble der nestroy-spiele schwechat 2014
(Foto: barbara pálffy)

Nach der Pause legt Peter Gruber wieder (wie einst schon in seiner „Krähwinkel“-Inszenierung 1995 im Volkstheater) größten Wert auf die „Barrikaden“, die mitten durch den Hof gebaut werden, das Publikum dahinter auf Wirtshausbänken zusammendrängen und gelegentlich an „Les Miserables“ erinnern. Dass da ein Jeep einfährt und Held Ultra mit eroberter Beutefrau auf dem Motorrad (einer Riesenmaschin’) abbraust, gehört zur rücksichtslosen Vergegenwärtigung der Geschichte, die Gruber dem Geschehen angedeihen ließ.

Und er rechnet auch damit, dass das Publikum von heute nicht mehr alles von einst weiß – also findet er Entsprechungen für die Verkleidungen, in denen Ultra erscheint: ein Ligorianer ist eben ein lüsterner Pfaffe, der russische Fürst von einst als heutiger Oligarch perfekt umgesetzt, und Fürst Metternich wird halt zu Hitler (was dann ein wenig an den „Bockerer“ erinnert, wo es einen ähnlichen Auftritt gibt): als „Gespenst des Gestrigen“ ist diese Umsetzung natürlich erkennbar und richtig.

Dass Peter Gruber „Krähwinkel“ jetzt spielt und nicht etwa 2018 (wenn es einen halbwegs „runden“ Jahrestag gäbe), hat ja auch damit zu tun, dass er meint, derzeit gäre es an allen Ecken und Enden – eine Weiterdichtung dessen, was Nestroy einst über die Zustände in europäischen Ländern schrieb, führt Gruber (brillant gedacht und formuliert) sehr weit, auch bis in den Ostblock: Wenn’s nicht die Militärs sind, die das Volk stöhnen lassen, dann ist es der gnadenlose Kapitalismus – so schwingt er wacker die linke Fahne – , und prophezeit mit Nestroy: „’s Is die Gährung zu groß, Es geht überall los.“ In Schwechat wenigstens noch im Sinne entfesselten Theaters.

valentin frantsits und das ensemble der nestroy-spiele schwechat 2014
Valentin Frantsits (Foto: barbara pálffy)

Das dann in den wichtigsten Rollen so brillant gespielt wird, dass es noch von Theaterkönnen „gefesselt“ ist. Man erinnert sich kaum, den Journalisten Eberhard Ultra besser verkörpert gesehen zu haben als von dem jungen Valentin Frantsits – im Jeans-Anzug fast Pop-Star von heute, und doch ganz im Sinne Nestroy mit „freiheitswitternder“ Nase und „polizeiwidrigem“ Charakter. Frantsits ist ein hervorragender Sprecher, meistert den schwierigen Text mit aller Exaktheit im Sprachlichen und Geistigen, so dass das Feuerwerk des Nestroyschen Gedankenwerks ohne Unterlass abgebrannt wird.

Außerdem ist er ohnedies der verkörperte Protest und Widerstand gegen Leute wie den hinreißenden Bruno Reichert oder den kostbaren Franz Steiner, die als Ratsdiener und Bürgermeister gewaltig eine am Kopf bekommen. Besonders hinreißend gelingt Ottwald John der Poet Sperling, Edler von Spatz, der in herrlicher Dümmlichkeit, sich immer in Richtung Macht verbiegend, auch ein Gedicht „auf die Knute, die Gute“ quasi in aller Unschuld vorbringt…

Schwechat Krähwinkel Ottwald John besingt die Knute~1 
Ottwald John (Foto: Renate Wagner)

Dass man es in Schwechat längst nicht mehr mit einer Laienschar zu tun hat, zeigen auch andere Rollen, etwa Marion Gatt als Frau von Frankenfrei (das, was viele Frauen gerne wären: eine reiche Witwe), oder die beiden jungen Liebespaare Helmut Frauenlob und Carina Thesak bzw. Max Gruber-Fischnaller und Conny Schachtlhuber. Wie wenig Nestroy gelegentlich von der Einsicht der Frauen ins Wesentliche hält, darf Bella Rössler als Ratsdienersgattin zeigen. Ein „geheimer Staatssekretär“ mit dem schönen Namen „Reakzerl von Zopfen“ wird von Rene Peckl mit allem Hochmut verkörpert.

Kurz, das stimmt rundum, und das Publikum soll sich darauf einstellen, beim „Event“ fest mitzumachen. Das ist schließlich der Sinn einer Revolution, wenn wir in Österreich auch das Glück haben, uns „nur“ über ein paar Politiker und Banker aufzuregen und nicht über eine „Knute“, die noch nicht über uns – wohl aber über anderen – schwebt…

Renate Wagner

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