THEATER HEILBRONN/Oldenburgisches Staatstheater: - OTELLO (Verdi) VON DÄMONEN GEPEINIGT
“Otello” mit dem Oldenburgischen Staatstheater am 24. Juni 2014 im Theater/HEILBRONN
Rena Harms, Luis Chapa. Foto: Theater Heilbronn
In der Inszenierung von Niklas Helbling (der eigentlich als Schauspielregisseur bekannt wurde) wird Giuseppe Verdis “Otello” zu einem beklemmenden Psychodrama. Er verlegt die Handlung nach Zypern in ein modernes Zeitalter. Gleich zu Beginn wird der von Luis Chapa mit strahlkräftigem Tenor verkörperte Otello von der auf einer engen Treppenempore sitzenden Menge erwartet und wild gestikulierend begrüßt. Sogar die Stühle recken die Menschen in die Höhe. Im Hintergrund sieht man riesige Hochhausfassaden, im unteren Teil der Bühne befindet man sich in einem seltsamen Frisiersalon. Da die räumlichen Möglichkeiten sehr eingeschränkt sind, fühlen sich die Zuschauer gefangen. Dämonen scheinen sich hinter den Glasfenstern zu befinden, die den Feldherrn Otello von Anfang an peinigen. Man spürt außerdem, wie stark das Gewitter auf Zypern wütet. Starke Konturen besitzt Jago in der klangfarblich reichen Darstellung von Krister St. Hill, der Otello sehr geschickt das Gift der Eifersucht einflößt. Stefan Heibach lässt sich dann als Cassio fast schon naiv in die Intrige als vermeintlicher Liebhaber von Otellos Frau Desdemona hineinziehen. Die Vorzüge von Verdis Idealform der durchkomponierten Oper italienischen Gepräges kommen trotz des zuweilen etwas sperrigen Bühnenbildes von Jürgen Höth recht gut zur Geltung. Die Kostüme von Uta Jäger besitzen den Zuschnitt der heutigen Zeit. Lediglich in der Personenführung hätte man sich mehr Differenzierung und Sensibilität gewünscht. Johannes An als Jago behilflicher Rodrigo zieht das vernichtende Spinnennetz um den unglücklichen Feldherrn Otello ebenfalls höchst geschickt zusammen.
Feinnervig interpretiert Rena Harms als Sopranistin mit schlankem Timbre und ebenmäßigen Kantilenen Otellos Gattin Desdemona, die zum Opfer seiner Eifersucht und von diesem schließlich getötet wird. Ein dynamisch reizvoll ausgekosteter Höhepunkt ist das Liebesduett zwischen Otello und Desdemona im ersten Akt, die sich nach der Degradierung Cassios gegenseitig ihrer Zuneigung versichern. Deklamation und Arioso gewinnen auch im zweiten Akt beim berühmten Credo Jagos sofort scharfe Kontur, denn die tiefen Bläser unterstreichen fatal Jagos bösartige Charakterzüge. Das triolische Motiv sticht dabei grell hervor. Aufwühlend werden Otellos Wutausbrüche dargestellt, das Taschentuch gilt als Beweis für Desdemonas Untreue. Otellos Charakterdämonie zeigt sich im dritten Akt nochmals vor den Augen der entsetzten Menge, als er Desdemona beschimpft und ankündigt, nach Venedig zurückzukehren und Cassio als seinen Nachfolger auf Zypern vorstellt. Luis Chapa stellt in bewegender Weise dar, wie er gegenüber Desdemona völlig die Beherrschung verliert. Im vierten Akt zeigen sich nochmals die engen Verzahnungen von Otellos Liebesmotiv und seinem Liebestod. Nach der Ermordung Desdemonas durch Otello zerbricht dieser in lyrischen harmonischen Schüben.
Die gewaltigen Klangmassen scheinen endgültig zu verschwinden und sich in Nichts aufzulösen. Da hat der Dirigent Robin Davis mit dem Orchester des Oldenburgischen Staatstheaters trotz einiger Abstriche gute Arbeit geleistet. Das gleiche gilt für die packende Einstudierung der Chöre durch Thomas Bönisch. Eine überraschende Nähe zu Richard Wagner offenbart sich zudem bei den imposanten Fanfaren im Hintergrund. Die letzte Vertiefung von Verdis Kunst der Menschendarstellung kommt so gerade am Ende nicht zu kurz – auch als Otello seine Frau um einen Kuss biettet (“Un bacio…”). Der große Vorteil dieser Aufführung besteht darin, dass es Dirigent und Regisseur verstehen, die emotionale Wucht des Werkes richtig zu betonen und auch eine Steigerung der Dramatik in leuchtkräftige Höhen zu treiben. Die unerhörte Flexibilität, mit der Verdi jede Nuance des Librettos von Arrigo Boito nach Shakespeares Drama in Musik umgesetzt hat, hätte man bei einzelnen Passagen allerdings noch genauer herausarbeiten können. Dies betrifft den schwierigen Übergang von unmittelbar spracherzeugter Deklamation über unzählige Zwischenstufen bis hin zu höchster melodischer Verdichtung in den großen, ausdrucksvollen Kantilenen. Hier zeigen sich zuweilen gewisse Schwächen im harmonischen Konzept. Doch auch die anderen Sänger Benjamin LeClair als Lodovico, Henry Kiichli als Montano, Alwin Kölblinger als Un Araldo sowie die weniger präsente Sharon Starkmann als Kammerzofe Emilia beweisen hier immer wieder ihren Sinn für flexible Formen des sängerischen Ausdrucks. So entsteht vor allem zwischen Desdemona und Otello ein unauflösliches Ineinander von dramatisch gespannter Deklamation und intensiven, emotional verdichteten Kantilenen. Der Zauber des szenisch-musikalischen Dramas tritt so wiederholt in den Mittelpunkt. Und der große dramatische Entwicklungsbogen triumphiert bei dieser Inszenierung vor allem in der Schluss-Szene. Interessante musikalische Verdichtungen sind so Jagos Trinklied im ersten, das Quartett im zweiten und Desdemonas “Lied vom Weidenbaum” und “Ave Maria” im letzten Akt. Der Dirigent Robin Davis legt glücklicherweise auf die instrumentalen Begleitmotive des Orchesters großen Wert. Die Sängerinnen und Sänger werden so vom Orchester nie “zugedeckt” und werden dadurch der Einheitlichkeit der Komposition gerecht. Und dennoch werden immer wieder wichtige szenische Details verschenkt – dies ist vor allem bei der seltsamen “Maskerade” der Menge nach Otellos Ankunft im ersten Akt der Fall (choreografische Mitarbeit: Mathis Kleinschnittger/Maria Walser).
Alexander Walther