„Der ganze Hugo Wolf“ mit der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie im Großen Kursaal Bad Cannstatt am 1. Juni 2022/STUTTGART-BAD CANNSTATT
Leidenschaftlich und berührend
Wieder stellten sich großartige Gesangstalente bei der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie vor. Lieder von Hugo Wolf standen im Mittelpunkt, der ja zu Stuttgart eine besondere Beziehung hatte. Denn noch zu Lebzeiten des Komponisten engagierten sich Musikfreunde wie der Rechtsanwalt Hugo Faißt seit 1894 für das Werk des Meisters.
Ludwig Mittelhammer. Foto: Daniel Fuchs
Der Bariton Ludwig Mittelhammer gestaltete zusammen mit dem einfühlsamen amerikanischen Pianisten Jonathan Ware zunächst die frühen Hugo-Wolf-Lieder „Beherzigung I“, „Meeresstille“, „Der Fischer“, „Nacht und Grab“ sowie „Der goldene Morgen“. Dabei spannte er einen klangfarbenreichen dynamischen Bogen über die einzelnen Nummern, wobei auch das Fließen des Meeres bei „Meeresstille“ in hervorragender Weise zu Gehör kam. Triolen und Akkorde vermittelten dabei den magischen Eindruck fortlaufender Bewegung, wobei die Beweglichkeit der Gesangsstimme hier immer wieder ausgesprochen verblüffend war. Farbe und Dramatik lebten dann bei „Nacht und Grab“ in berührender Weise auf.
Irina Jae-Eun Park. Foto: Sebastian Mölleken
Irina Jae-Eun Park (Sopran) gestaltete die weiteren Lieder „Morgengrau“, „Das Vöglein“, „Die Spröde“, „Du milchjunger Knabe“ und „Suschens Vogel“ mit starker gesanglicher Energie und ohne störendes Vibrato. Der hymnisch-ekstatische Charakter von „Morgentau“ wich dann in geheimnisvoller Weise dem bagatellhaften „Vöglein“, das trillernd davonflatterte. Wunderbare Dissonanzen stellten sich bei „Suschens Vogel“ ein. Marie Seidler (Mezzosopran) begeisterte das Publikum bei den Liedern „Knabentod“, „Traurige Wege“ und „Verborgenheit“. Das leidenschaftliche Melos blühte bei „Verborgenheit“ in eindringlicher Weise auf – und Marie Seidler gelang es vorzüglich, eine gewisse harmonische Balance zu halten.
Marie Seidler. Foto: Thomas Stimmel
Irina Jae-Eun Park glückte es bei den weiteren Liedern „Gedenken vor dem Andachtsbild“ nach Goethe, „Lied vom Winde“ sowie „Fragen und Antworten“, den leidenschaftlichen und an Wagner geschulten Deklamationsstil zusammen mit dem wandlungsfähigen Pianisten Jonathan Ware eindrucksvoll hervorzuheben. Chromatische Figurationen und wilde Tremolofiguren schufen beim ausgezeichneten Vortrag des Liedes „Lied vom Winde“ eine geradezu erhitzte Atmosphäre. Da wurde der schöpferische Geist Hugo Wolfs am besten getroffen. Ausdruckssteigerungen und intimes Pathos flossen hier in geheimnisvoller Weise ineinander über, ergänzten sich und schufen einen neuartigen Klangkosmos, der eine höhere Ebene des Ausdrucks ermöglichte. Die Modernität des Komponisten Hugo Wolf wurde dabei betont, zumal die Seelenschilderungen bei ihm oftmals mit chromatischen Passagen angereichert werden. Dies zeigte sich ebenso bei Marie Seidlers Vortrag von „Der Genesene an die Hoffnung“ und „Scheideblick“. Die Sparsamkeit der gesanglichen Mittel wurde bei „Scheideblick“ durch die Dissonanz des Klaviers bei der Schlusskadenz in bemerkenswerter Weise herausgearbeitet. Irina Jae-Eun Park brillierte nochmals beim diatonischen Lied „Perlenfischer“, während Ludwig Mittelhammer „Stille Sicherheit“ und „Auf der Wanderschaft“ mit voluminösem Ausdruck gestaltete. Die Moll-Dur-Kontraste bei „Auf der Wanderschaft“ zeigten erstaunlichen Klangfarbenreichtum. Und auch bei „Der Tambour“ fesselte Ludwig Mittelhammer mit gesanglichem Charakterisierungsreichtum, der die punktierten Rhythmen und reizvollen Triller schmückte. Intendantin Cornelia Weidner führte wie immer sehr kenntnisreich durchs Programm.
Alexander Walther