KÖLN / Es lebe die Provinz!
In der Kölner Philharmonie erklingt eine brillante konzertant dargebotene „Fledermaus“. 1.6.2022
Foto: Moritz Liebknecht
Oper in Köln zu hören, ist ja immer noch mit Hindernissen verbunden, auf den vage angekündigten Termin „2024“ zur Wiedereröffnung des Hauses am Offenbachplatz wird niemand verbindliche Wetten eingehen. Wenn ein „Frosch“, der besoffene Schließer des „fidelen Gefängnisses“ aus Johann Strauß´ „Die Fledermaus“ in der Philharmonie auftritt, dürfen ein paar Kalauer zum Thema nicht fehlen, und aus dem (deutlich zu spärlich erschienenen!) Publikum kamen hier die meisten, bisweilen bitter kommentierenden Lacher.
Der Tubavirtuose und Kabarettist Andreas Martin Hofmeir, eine mit seinem oberbayerischen Dialekt überraschende Besetzung für diese Rolle, hatte sich am Mittwochabend aber nicht auf die üblichen fünfzehn Minuten Kalauer nach der Pause beschränkt: Er erklärte und kommentierte durchgehend die Aufführung, unterhaltsam, bissig und mit viel Hintergrundwissen. Warum ist der Sänger Alfred eine bei Tenören besonders beliebte Rolle? Welcher originale Witz aus dem Libretto funktioniert noch heute zuverlässig, und zwar als Einziger? Beim Proben welcher Szene entsteht in „etablierten Staatstheatern“ zuverlässig Nachwuchs? Hier hat man´s erfahren.
Mit derartiger Aufbereitung ist es eine formidable Idee, die musikfreien Dialoge bei einer konzertanten Aufführung komplett zu streichen, die sonst oft störenden Faktoren (das Fehlen von Projektion, Verständlichkeit, Spielsituationen, …) machen so Platz für eine höchst unterhaltsame Vorstellung.
Dazu trägt erheblich das „Gastorchester von der fernen Schwäbischen Alb“ (Hofmeir) bei, die Cappella Aquileia aus Heidenheim, die bei den dortigen Opernfestspielen das Hausensemble ist und kürzlich den OPUS KLASSIK gewonnen hat. In der Fachpresse wurde das Orchester zur „ersten Riege der deutschen Festspielorchester“ gezählt – völlig zu Recht, wie sich in Köln gezeigt hat. Wie sich die Musiker*innen, exemplarisch bei der Polka „Mit Donner und Blitz“, brillant musizierend ins Zeug legten, jeder und jede vorne auf der Stuhlkante spielend, da könnten sich einige andere Klangkörper, die Intendant Louwrens Langevoort seinem Philharmonie-Publikum serviert, noch was abgucken. Besonders gelungen: Einige Holzbläser-Soli (Oboe!). Dirigent Marcus Bosch leitet das Ensemble lustvoll und souverän an und löst die vertrackte Spielsituation (fast kein direkter Kontakt zu den vorne postierten Sängern und keine theaterhausüblichen Bildschirme, dazu kein das Orchester dämpfender Graben) mit Bravour.
Den hat auch das exzellente Sängerensemble geboten, angeführt vom höchst spielfreudigen adligen Paar, dessen Ehegeschichte ja hier verhandelt wird: James Kee brillierte als herrlich überdrehter und so textverständlicher wie heldentenorstrahlender Gabriel von Eisenstein und Leah Gordon als souveräne und alle Facetten einer selbstbestimmten und erfahrenen Ehefrau ausspielende Rosalinde. Die beiden sind übrigens im Sommer als Elisabeth und Tannhäuser in Heidenheim zu hören, in Köln haben sie Lust gemacht auf einer Reise in die schwäbische Diaspora. Dass sie die Verlogenheit ihrer Herrschaft durchschaut und für ihre eigenen Zwecke nutzt, zeigte die hellwache Anna-Lena Elbert, deren Rollenporträt der Adele nicht weniger gelungen war als das des Prinzen Orlowsky durch Susan Zarrabi.
Nebenrollen und Chor („Vokalwerk der Opernfestspiele Heidenheim“) überzeugten ebenfalls und vervollständigten den Eindruck, dass in der „Provinz“, dem emblematischen Klagewort aller nicht an Staatsopern beschäftigten Bühnenprofis, durchaus Musiktheater auf Staatsopern-Niveau geboten wird. Jedenfalls in der von Hofmeir mehrfach ironisch durch den Kakao gezogenen, am Rande der Schwäbischen Alb.
Moritz Liebknecht