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WILDBAD/Rossini-Festival: TEBALDO E ISOLINA von Francesca Morlacchi

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WILDBAD: TEBALDO E ISOLINA von Francesco Morlacchi
am 27. Juli (Werner Häußner)

 Schlägt man das Standard-Lexikon „Musik in Geschichte und Gegenwart“ aus dem Jahr 1961 auf, ist unter dem Stichwort Francesco Morlacchi zu lesen: außerordentlich dürftiger Satz, flache Brillanz, dürftige Homophonie der Instrumentation, lärmende Verwendung der Blechbläser. Der Verfasser Hans Engel hat für den 1784 in Perugia geborenen Komponisten nur wenig Gutes übrig – und wenn, dann bescheinigt er ihm lediglich, seine Mittel wirkungs- und effektvoll einzusetzen. Auch zwanzig Jahre später übernimmt Dieter Härtwig in seinem Beitrag über den ehemaligen Dresdner Hofkapellmeister im „New Grove Dictionary of Music and Musicians“ diese Diktion nur leicht abgeschwächt.

Morlacchi: Ein Fall für’s Archiv? Mitnichten. Wer vor mehr als 20 Jahren den seltenen Versuch miterlebt hat, eine Oper des Rossini-Zeitgenossen auf die Bühne zu bringen, weiß, dass an diesen Urteilen irgendetwas nicht stimmen kann. Damals gab es an der überaus rührigen Neuburger Kammeroper unter Horst Vladar Morlacchis „Barbier von Sevilla“, im gleichen Jahr wie Rossinis unsterbliche Oper (1816) uraufgeführt. Das Experiment blieb folgenlos.

Jetzt hat das Festival „Rossini in Wildbad“ ein anderes Hauptwerk des Wahl-Dresdners wenigstens in konzertanter Form vorgestellt: „Tebaldo e Isolina“, 1822 für den Star-Kastraten Giovanni Battista Velluti entstanden, im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt und für eine Dresdner Aufführung 1825 gründlich überarbeitet und für Mezzosopran umgeschrieben. Die Oper beweist eindrucksvoll, dass Morlacchi sich unter den „Tonsetzern“ seiner Epoche sehr wohl behaupten kann. Der Dresdner Hof war nicht schlecht beraten, den Italiener 1811 zum Kapellmeister auf Lebenszeit zu ernennen, ein Amt, das er bis zu seinem Tode 1841 bekleidete.

„Tebaldo e Isolina“ variiert einen Romeo-und-Julia-Stoff mit einem glücklichen Ende: Zwei Adelsgeschlechter werden durch einen heimtückischen Mord zu erbitterten Feinden, versöhnen sich aber, als die beiden ursprünglich einander versprochenen Kinder in einem dramatischen Finale um Einsicht, Menschlichkeit und Vergebung flehen. Falsche Identitäten, ein unbekannter Ritter, ein wiedergefundener Sohn und ein zurückkehrender Rächer garantieren Spannung und überraschende Wendungen. Und Schauplätze wie ein alter Friedhof mit einer Kirchenruine und einem schwarzen Ritter könnten einem der Romane Sir Walter Scotts entnommen sein. In diesem italienischen „Melodramma romantico“ sind Donizettis „Lucia di Lammermoor“, aber auch Heinrich Marschners „Der Templer und die Jüdin“ nicht mehr weit.

Der Berliner Musikwissenschaftler Michael Wittmann vermutet in seinem informativen Beitrag im Programmheft, die Harmonien in der Musik könne nur jemand erdacht haben, der den „Freischütz“ kannte. Tatsächlich weckt die farbenreich instrumentierte Musik Morlacchis den Eindruck des „Romantischen“: Schon die Holzbläser der Ouvertüre, die Klarinette in der Einleitung der Cavatina der Isolina, aber auch die Soli des Cello zu Beginn des zweiten Akts und die Hörner in der Einleitung zu Scena und Romanze des Tebaldo lassen auf den ersten Blick an Weber denken. Doch in der formalen Anlage seiner Musik nähert sich Morlacchi seinem Dresdner Konkurrenten nicht – und die instrumentale Raffinesse lässt sich mit einem Blick auf die Opern eines Simon Mayr und vor allem eines Gioacchino Rossini schlüssig erklären.

Abwegig ist Wittmanns These dennoch nicht, Morlacchi habe einen späten Versuch unternommen, die auseinander driftenden Entwicklungen in der italienischen und der deutschen Oper noch einmal zusammenzuführen. Manches in „Tebaldo e Isolina“ klingt nach frühem Heinrich Marschner; der Komponist war ab 1824 die italienische Oper in Dresden angestellt und hat den Klavierauszug zu Morlacchis Werk erstellt. So könnten sich durch das Werk überraschende Einsichten in Tradition und Entwicklung der deutschen Oper ergeben. Als Ergebnis bleibt: Die dunklen Schatten der „Titanen“ dieser Epoche – Beethoven, Rossini, Weber – aufzuhellen, bringt Musik zutage, die nicht nur handwerklich oder musikhistorisch aufschlussreich ist. „Tebaldo e Isolina“ befriedigt keineswegs nur Archivare.

Mit der Aufführung in Bad Wildbad hat das Rossini-Festival wieder einmal seine Nische erfolgreich besetzt und ist aus dem Schatten der „großen“ Festivals herausgetreten, denen – wie Salzburg in diesem Jahr etwa – zum Strauss-Jubiläum nichts anderes einfällt als ein „Rosenkavalier“. Der musikalische Leiter von „Rossini in Wildbad“, Antonino Fogliani, hat das Händchen für die federnde Rhythmik der Rossini-Anleihen, aber auch die Phrasierungslust und das Gefühl für den atmenden Bogen, die für die Kantilenen und die romantisierenden Harmoniefolgen nötig sind. Dass die Virtuosi Brunenses, das Orchester des Festivals, nicht mehr auf der Höhe der Konzentration waren, ist nach den anstrengenden Aufführungen der Vortage nicht verwunderlich: die Intonation ließ zu wünschen übrig, auch Präzision der Einsätze und Formung des Tons waren in den Abenden zuvor zuverlässiger.

Deutlich zeichnet sich im diesjährigen Festival ab: Intendant Jochen Schönlebers Weg, sich auf junge, italienisch ausgebildete Sänger zu stützen, geht nur zum Teil auf. Die Gesangsschulen jenseits der Alpen können nicht mehr an die großen Traditionen anknüpfen, die bis in die sechziger Jahre hinein für erstklassigen Sängernachwuchs sorgten. Der notwendigen Abkehr von den Grobschlächtigkeiten des veristischen Singens folgte angeblich eine Wiederentdeckung des klassischen Belcanto des 19. Jahrhunderts und der barocken Gesangskunst. Die Folge ist: Verdi, Puccini, Mascagni sind durch italienische Sänger auf internationalem Niveau nicht mehr zu besetzen. Und der propagierte „Belcanto“ ist bis auf wenige Ausnahmen eine Chimäre.

In Wildbad war zu hören, wie sich technisch unzureichend gebildete, harte und vibratogesättigte Stimmen an anspruchsvollen Aufgaben abarbeiten. Laura Polverelli, kein unbekannter Name in der italienischen Opernszene, tremoliert sich durch die Partie des Tebaldo. Ihr schneidend-metallischer Ton wird im piano flach, für die Kantilenen fehlt ein gleichmäßig gebildeter Klang. Sandra Pastrana, in Spanien ausgebildet, hat mit Geläufigkeit und lyrischer Noblesse keine Probleme, wohl aber auch mit einer harten Tonbildung und angestrengt herausgeschleuderten, dabei überflüssigen hohen Finaltönen.

Anicio Zorzi Giustiniani als Boemondo d‘Altemburgo zählt unter die positiven Eindrücke der Wildbader Aufführungen: ein Tenor mit einer gelösten, abgerundeten Tonbildung, der nur das kehlige Timbre und die zu weit hinten sitzenden Vokale „e“ und „i“ entwickeln müsste. Als Geroldo erfüllt Gheorghe Vlad seine Rolle als Bruder Isolinas in einem kurzen Auftritt zuverlässig; mit Raúl Baglietta als Ermanno di Tromberga – Vater Isolinas und Gegenspieler der Familie d’Altemburgo – wurde man nicht glücklich: Ein flach positionierter Bass mit mühevoll gedrückten Höhen.

Wieder einmal hat „Rossini in Wildbad“ wertvolle Erkundungsarbeit in einem Repertoire geleistet, das nur über solche einfallsreiche Initiativen eine Chance hat, auf aktuelle Relevanz geprüft zu werden. Im Falle von Morlacchis Oper wäre eine szenische Realisierung nur zu begrüßen.

Werner Häußner

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