Juva / Finnland : Martti-Talvela-Gedenkkonzert – 1.8.2014
Am 22. Juli vor nunmehr 25 Jahren verstarb Martti Talvela, nach Jean Sibelius das kulturelle Markenzeichen Finnlands, unter tragischen Umständen. Auf der Hochzeitsfeier einer seiner Töchter brach er beim Hochzeitstanz zusammen und starb in der darauf folgenden Nacht im Krankenhaus von Juva. Er war nur 54 Jahre alt geworden.
Martti Talvela 1962 in Bayreuth (Foto : Manninen)
Der 1935 als achtes von zehn Kindern einer Bauernfamilie im karelischen Hiitola geborene Talvela hatte 1960 in Helsinki debütiert und ging, da nicht als Ensemblemitglied akzeptiert, nach Stockholm, wonach ihn der Weg 1962 an die gerade ein Jahr zuvor wieder eröffnete Deutsche Oper Berlin führte. Dort jedoch hatte sein Basskollege Josef Greindl ältere Rechte, so dass Talvela 1964 an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf ging, der er neben Berlin alt Mitglied angehörte.
Nachdem Talvela 1962 bei den Bayreuther Festspielen als Titurel debütiert hatte, sang er bereits 1964 mit dem „Tannhäuser“-Landgrafen eine große Rolle des Bass-Repertoires, und das neben solchen Wagner-Größen wie Leonie Rysanek und Wolfgang Windgassen. Von nun an gehörte er zum unverzichtbaren Inventar Bayreuths und sang dort bis 1970 Fasolt, Hunding, Marke und Daland, und wenn es nach Wolfgang Wagner gegangen wäre, der nach dem frühen Tode seines Bruders Wieland die alleinige Festspielleitung übernommen hatte, hätte Talvela auch weiterhin in Bayreuth gesungen.
Talvela 1964 in Bayreuth (Foto : Manninen)
Doch diesem erging es wie den meisten Finnen. Sie bekommen Heimweh nach dem unvergleichlich schönen Sommer in ihrer Heimat. Und so kehrte Talvela den Bayreuther Festspielen den Rücken, um wenigstens im Sommer nach Finnland zurück kehren zu können.
Dort übernahm er 1972 die Leitung des Opernfestivals von Savonlinna und führte es in seiner sieben Sommer-Spielzeiten andauernden Direktion zu internationalem Renommee. Doch die Doppelbelastung aus künstlerischer Leitung und Singen (seine internationale Karriere, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, führte ihn an die größten Bühnen der Welt) war auf die Dauer zu viel, und so erfüllte sich Talvela zusammen mit seiner Frau Annukka einen Jugendtraum und kaufte einen unweit Mikkelis gelegenen Bauerhof, um ihn ökologisch zu bewirtschaften.
Mikkeli, die Hauptstadt der Provinz Savo, hatte den großen Saal des Konzerthauses Mikaeli nach Talvela benannt und widmete in diesem Sommer ein Sinfoniekonzert im Rahmen des von Valery Gergiev geleiteten Festivals diesem großen Finnen. Savonlinna wird ihm im nächsten Jahr mit einer Vorstellung von Mussorgskys „Boris Godunov“ gedenken, in dessen Titelpartie Martti Talvela nicht nur in Savonlinna, sondern auch weltweit brillierte.
Bereits ein Jahr nach Talvelas Tode wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, junge finnische Künstler zu unterstützen. Am 1. August gab es in der Kirche von Juva (wo Talvela begraben ist) im Rahmen der Joroinen Musiktage ein Konzert mit einigen dieser Stiftungs-Preisträger und weiteren hoffnungsvollen Talenten. Unglücklicherweise konnte Talvelas Witwe Annukka diesem Konzert nicht beiwohnen; sie hatte sich am selben Morgen bei einem Unfall ein Bein gebrochen. Doch unter den Zuhörern waren mit den Sängern Matti Salminen, Jaakko Ryhänen, Esa Ruuttunen und Petteri Salomaa sowie dem ehemaligen Direktor der Savonlinna Opernfestspiele, Paavo Suokko, einige von Talvelas Weggefährten auszumachen. Der Abend wurde moderiert von Aarno Cronvall; die beiden ausgezeichneten Pianisten waren LOTTA EMANUELSSON und MARKO HILPO.
Es ist oft, auch von mir, beklagt worden, dass es nach Salminen und Ryhänen keine erstklassigen finnischen Bassisten für das erste Fach gäbe. Dieses Konzert bewies, dass es sie tatsächlich gibt; nur ist es für sie noch zu früh, in die Fußstapfen ihrer großen Kollegen zu treten. Außerhalb der (Bass-)Konkurrenz liefen die beiden Baritone ARTTU KATAJA und WALTTERI TORIKKA, beide Talvela-Stipendiaten (Kataja 2001 und Torikka 2013). Der an der Berliner Staatsoper verpflichtete Kataja hatte gerade großen Erfolg als Papageno in Savonlinna. In Liedern von Schubert sowie Wolframs Lied an den Abendstern kam Kataja mit seinem lyrischen, samt-weich timbrierten Bariton die perfekte Beherrschung der deutschen Sprache zugute, so dass man von Idealinterpretationen sprechen kann. Bei Torikka bin ich mir noch nicht darüber im Klaren, wohin „die Reise gehen wird“. Für die beiden Tschaikowsky-Romanzen fehlte es etwas an Geschmeidigkeit; der Aleko-Monolog ließ auf einen Bassbariton schließen. Doch das Giovanni-Finale, in dem Torikka die Titelpartie sang, zeigte, dass Torikka nicht nur Besitzer einer gut durchgebildeten Stimme ist, sondern darüber hinaus eine charismatische Persönlichkeit ist, die Stimme, Ausdruck und Darstellung zu untrennbaren Ganzen vereint. Auf die weitere Entwicklung dieses jungen Mannes darf man gespannt sein! Der derzeit am Kieler Opernhaus verpflichtete Bass TIMO RIIHONEN erinnert nicht nur durch seine mächtige Figur, sondern auch etwas durch die Tonproduktion an Talvela. Er klang dort am überzeugendsten, wo er seine Stimme als Großinquisitor und Giovanni-Komtur frei strömen lassen konnte. Hätte ich MATTI TURUNEN (wie bei diversen Gelegenheiten) nur mit einer der Osmin-Arien gehört, wäre mir die Stimme nicht als etwas Besonderes im Ohr haften geblieben : „normales“, nicht weiter interessantes Timbre, dazu in der gerade für den Osmin so wichtigen Tiefe recht resonanzarm. Doch wie gut Turunen sein kann, bewies er mit vollklingendem Bassmaterial in Paavo Ruotsalainens Monolog aus Kokkonens Oper „Die letzten Versuchungen“ (einer Glanzrolle Talvelas) sowie im Filippo-Inquisitore-Duett. Wie gut, dass der junge, gerade nach Coburg verpflichtete TAPANI PLATHÁN mit einem karelischen Volkslied (wie schon erwähnt, stammte Talvela aus Karelien, das früher zu Finnland gehörte) und zwei Lieder Toivo Kuulas begann. Hier ließ er einen interessant-knorrig, fast slawisch timbrierten Bass mit metallischer Höhe hören, ein besonderer Eindruck, den er mit seinem Leporello im Giovanni-Finale nicht wiederholen konnte. Für einen weiteren Talvela-Stipendiaten, den Bassisten Nicholas Söderlund, war ein offensichtlich noch junger Mann eingesprungen, von dem ich gerne in der Zukunft mehr hören möchte : MARKUS SUIHKONEN, Schüler Petteri Salomaas an der Sibelius-Akademie, zur Zeit im Savonlinna-Opernchor (wo ja viele der jetzigen Stars begannen), zeigte mit dem Pimens Monolog aus „Boris Godunow“ ein gut durchgebildete Bass-Stimme mit individuellem, warmem Timbre. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass eines Tages Finnland wieder das Land der Bassisten genannt werden kann.
Sune Manninen