Aarhus: DON QUICHOTTE – 17.8.2014
James Johnson, Olafur Sigurdarson. Foto: Kaare Viemose
Von den rund 25 Opern des großen französischen Meisters der Spätromantik, Jules Massenet (1842-1912), wurden gerade einmal drei an der Wiener Staatsoper (Manon, Wérthèr und Hérodiade) und eine im Rahmen des Klangbogen-Festivals 1999 (Marie Magdeleine) im ODEON in der Taborstraße 10 im 2. Wiener Gemeindebezirk in den letzten zwei Jahrzehnten gezeigt. Vergeblich wartet man hierzulande (noch) auf eine szenische Thaïs, Esclarmonde, Cendrillons, einen Cid oder Jongleur de Notre-Dame, oder eben auf Massenets spätes Meisterwerk, die cómedie-héroique in fünf Akten „Don Quichotte“.
Den rigiden Regeln der Pariser Opéra Comique zufolge sollten in jener Zeit gesprochene Dialoge zwischen den einzelnen Musiknummern liegen. Massenet durchbrach dieses beengende Korsett dadurch, dass er die Textpassagen zu Orchesterbegleitung sprechen ließ, wodurch der musikalische Fluss nicht unterbrochen wurde.
Die Uraufführung fand im Februar 1910 in Monte Carlo statt und kein geringerer als der große russische Bassist Fjodor Iwanowitsch Schaljapin verkörperte die Titelrolle. Obwohl dieser Oper sogleich ein großer Siegeszug von Paris nach Brüssel und bis nach Moskau beschieden war, wird sie heute relativ selten aufgeführt und das hängt wohl auch mit den enormen gesanglichen Anforderungen an den Sänger der Titelpartie zusammen.
Den Jyske Opera Aarhus unter seiner umtriebigen Direktorin und Regisseurin Annilese Miskimmon gelang mit diesem Don Quichotte eine äußerst sehenswerte und vom Publikum heftig akklamierte Produktion, die bei ihr nicht in Spanien, sondern viel mehr im Italien der Nachkriegszeit, die Erinnerungen an jene schillernde Welt der Cinecittà wachruft, angesiedelt ist. Gleichsam als Memento zieht sich ein immer wieder kehrendes Element wie ein roter Faden durch diese Inszenierung: Es ist ein Knabe, der ein kleines Holzpferd auf Rädern über die Bühne zieht. Und man muss nicht Siegmund Freud gelesen haben, um zu verstehen, dass es der junge Quichotte ist, der davon träumt, später einmal ein Ritter zu werden…
Eine weiß getünchte Wand mit einem Torbogen begrenzt das Bühnenbild des ersten Aktes. Vier Verehrer Dulcinées singen ihr ein Ständchen. Dulcinea erklärt ihnen, dass es ihr nicht genügt, bewundert zu werden und zieht sich wieder zurück, bevor eine lärmende und johlende Volksmenge das Nahen des Ritters von der traurigen Gestalt ankündigt. Don Quichotte wird nun auf einem riesigen Holzpferd auf Rädern thronend von seinem treuen Diener Sanchó Pansa auf den Platz vor Dulcineas Haus gezogen. Während der Ritter seiner angebeteten Dulcinée eine Serenade darbringt, wird er von einem ihrer Verehrer, Juan, gestört und es kommt zum Zweikampf, den Dulcinea aber durch ihren Auftritt beenden kann. Sie wünscht sich von Don Quichotte, er möge ihr jenes Perlencollier wieder erstatten, welches ihr der Räuberhauptmann Ténébrun geraubt hat.
Zum Gaudium des Publikums tritt nun Sancho Pansa mit einem lauten Rülpser auf und hadert über die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens („Comment peut-on penser du bien de ces coquines?“), während Don Quichotte ein Liebesgedicht verfasst. Und unweigerlich kamen dem Rezensenten jene Martin Luther unterstellten Worte „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?“ in den Sinn. Und „geschmacket“ hat diese klug durchdachte und witzige Inszenierung wohl jedermann und jederfrau im Auditorium. Schon der nun folgende Kampf des Ritters mit den Windmühlen gestaltete sich als ein bedrohliches Schattenspiel und schließlich wurde gar eines von drei Mühlrädern vom Schnürboden herabgelassen und Don Quichotte schickte sich an, dieses anzugreifen. Vorhang.
Don Quichotte wird von den Räubern gefangen genommen. Diese bemitleiden ihn und er erhält das Perlencollier wieder erstattet und segnet zum Abschied die Bande.
Im vierten Akt findet ein großes Fest vor dem Hause Dulcineas statt und das gesamte Ensemble tanzt zur schmissigen Musik ausgelassen Twist – und überraschender Weise eignete sich Massenets Musik dafür an dieser Stelle vorzüglich.
Foto: Kaare Viemose
Im fünften Akt gelang der Regisseurin dann eine wunderbare Apotheose. Dem sterbenden Ritter erscheint noch einmal Dulcinea in einem strahlend weißen Kleid und dieses Mal mit einem richtigen Dressurpferd, das eine Levade vollführt. Natürlich kann man diesem Schlussbild auch Kitsch unterstellen und es ist insofern nichts neues, als Pferde schon häufig in Operninszenierungen Verwendung fanden. Dennoch: der Reiz dieses Schlusstableaus ließ das Sterben des Ritters von der traurigen Gestalt versöhnlich ausklingen. Bravo!
James Johnson gab einen respektablen Titelhelden Don Quichotte, wenngleich er nicht über jene stimmlichen Qualitäten eines Nikolai Ghiaurov oder José van Dam verfügte. Aber er berührte durch seine vollkommene Durchdringung der Rolle und bemitleidenswerten Erscheinung, die ihm das Herz Dulcineas und des Publikums an diesem Abend sicherte.
Die Ungarin Viktoria Vizin, auf den großen Bühnen der Welt zu Hause, brillierte als äußerst charmante und kokette Dulcinea mit strahlendem Mezzosopran und perlenden Koloraturen. Ihre Arien bildeten zweifelsfrei den gesanglichen Höhepunkt an diesem Abend, besonders jene Canzone im vierten Akt („Ne pensons qu’au plaisir d’aimer“), bei der sie von einem Gitarristen (Kristian Lager) begleitet wird.
Der isländische Bariton Olafur Sigurdarson war ein stimmlich ebenbürtiger Sancho Pansa mit einem ausgeprägten komischen Talent und einem satten, warmen Timbre.
Stimmlich wie darstellerisch ausgewogen war das übrige Ensemble. Erik Bekker Hansen und Robert Bøgelund Vinther als zwei Freunde Dulcineas und die vier Liebhaber Dulcineas: Der dänische Tenor Christian Damsgaard als Juan, die polnische Sopranistin Katarzyna Mizerny als Pedro, die US-amerikanische Sopranistin Alleen Itani als Garcias und der dänische Tenor Jens Christian Tvilum als Rodriguez.
Der dänische Bass Jens Bové gab einen behäbigen Räuberhauptmann Ténébrun, unterstützt von seiner Bande bestehend aus Morten Hesteng Byrialsen, John Dempsey, Tue de Stordeur und Morten Wang.
Der stumme Knabe, Abbild des jungen Ritters, war Lukas Valantiejus Gottholt Hansen.
Dem Aarhus Symphonieorchester unter Jérôme Pillement gelang eine prächtige Interpretation der von Leitmotiven durchzogenen und vom italienischen Verismo beeinflussten farbenreichen lyrischen Musik Massenets. Der Chor, der in dieser Inszenierung nicht als Gruppe, sondern als einzelne individuell geführte Personen agierte, wurde von Kaare Hansen sehr gut einstudiert.
Die gesamte stimmige Ausstattung steuerte Nicky Shaw bei. Mark Jonathan tauchte die einzelnen Szenen noch in sanfte Lichtstimmungen ein.
Nach der Vorstellung verbeugten sich zunächst das Dressurpferd mit seinem Trainer und dann das übrige Ensemble. Es gab standing ovations für alle Mitwirkenden und viele Bravorufe. Die Direktorin und Regisseurin kann auf diesen gelungenen Premierenabend zu Recht stolz sein.
Harald Lacina