STUTTGART/ Liederhalle: Mahlers Siebte mit Emilio Pomarico und dem Staatsorchester in der Stuttgarter Liederhalle
EIN FEST DER BLECHBLÄSER
Emilio Pomarico leitet das Staatsorchester am 13. Oktober 2014 bei Mahlers siebter Sinfonie in der Liederhalle/STUTTGART
Der 1953 geborene argentinische Maestro Emilio Pomarico studierte unter anderem bei Sergiu Celibidache und ist ständiger Gast bei den Salzburger Festspielen. Er ist ein brillanter Orchestererzieher. Dies bewies er mit der geradezu ekstatisch-fieberhaften, feurigen Wiedergabe von Gustav Mahlers siebter Sinfonie in e-Moll, dem “Lied der Nacht”. Im Jahre 1905 vollendet, knüpft dieses Werk an die monumentale sechste Sinfonie Mahlers an, owohl es durchaus auch Assoziationen zu Mahlers achter Sinfonie gibt, besonders im grandiosen letzten Satz. Laut Paul Bekker hat Gustav Mahler in der siebten Sinfonie die Kontraste seines zwiespältigen Ichs als für sich gesonderte Welten behandelt. Ein schwärmerischer Zwiespalt der Gefühle beherrschte Emilio Pomaricos hoch emotionale Wiedergabe dieses dynamisch facettenreichen Werkes. Die breit ausgeführte langsame Episode des ersten Satzes prägte sich bei dieser konzentrierten Wiedergabe tief ein, es war ein Tasten in dumpfem Drängen. Die Bläser riefen zukunftsschwangere Themen auf. Die Violinen erinnerten an Tschaikowsky beim glühend musizierten zweiten Thema. Da schien sich plötzlich alles auf einen ganz bestimmten Punkt hinzudrängen. Die sonatenartige Durchführung gewann bei dieser Interpretation durch das Gegen- und Ineinander des bisherigen Materials fesselnde neue Züge. Dramatische und stimmungshafte Phasen erinnerten an Motive der Einleitung – sie gipfelten in lyrischer Verklärung. Was Pomarico aus den Blechbläsern an abgrundtief-monumentaler Grundierung herausholte, war ausgezeichnet. Dass die Musiker bei Mahler fast schon solistische Leistungen erbringen müssen, machte dieses Konzert einmal mehr deutlich. Die trauermarschartige Anfangsepisode erreichte einen ungeheuren Gipfel voll prunkender Kraft, sieghaft jubelnd. Aber auch die feinen kammermusikalischen Akzente wurden von Emilio Pomarico und dem Staatsorchester Stuttgart keineswegs vernachlässigt. Mit einem geheimnisvollen Hornruf und einer unbestimmten Antwort begann der zweite Satz als “Nachmusik”. Ein jähes Aufleuchten und Erlöschen zeichnete das Staatsorchester Stuttgart minuziös nach. Bei dieser spukhaften Vision waren ebenso viel Spitzweg- wie Goya-Bilder gegenwärtig. Biedermeierlich-gefühlvolle Melodien erreichten eine bemerkenswerte Intensität – bis zuletzt der Zwiespalt in typisch Mahlerscher Manier wieder alles zerriss. Noch dichtere Nebel hüllten das schattenhafte Scherzo ein. In fahlem Hell-Dunkel ließ Emilio Pomarico die Melodien zwischen Tanz und Klage hin- und herhuschen. Fratzenhafte Masken schienen in grelles Licht getaucht zu sein – bis alles wieder in hastenden Schatten verschwand. Gustav Mahler schien bei Pomarico fast schon zum Programm-Musiker a la Richard Strauss zu werden. Doch Pomarico rückte den reinen Sinfoniker beim unsentimental dargebotenen Naturidyll wieder ins rechte Licht. Das Trio war dann von leiser Wehmut überschattet. Das Scherzo steigerte sein schattenhaftes Treiben bis zu einer wild aufgereckten Drohung und klang wie ein dämonischer Tanz aus. Der als abermalige “Nachtmusik” bezeichnete vierte Satz brachte bei dieser Wiedergabe deutliche Assoziationen zu den Serenaden der Wiener Klassik – begleitet von den dezenten Klängen von Mandoline und Gitarre. Beim Ständchen wurden überaus fantasievoll und hochpoetisch die Melodien gesungen, deren Wärme vor allem von Horn, Harfe und Cello unterstrichen wurde. Emilio Pomarico erwies sich besonders im Finale als ein Meister klug aufgebauter gewaltiger Steigerungen. Dieses hervorragend musizierte Rondo-Finale uferte förmlich aus und schien fast zu explodieren. Der Marschrhythmus beschwor wiederholt wechselnde Stimmungen, bis ideell und thematisch die Verbindung zum ersten Satz gefunden war. Dem Dirigenten gelang es aber, Mahlers strenge Formvorschriften in die enorme Vielgestaltigkeit der Partitur einzubinden. Der Schluss mit Glockenklang und gleissendem Orchesterprunk brachte nochmals Gipfelleistungen der Blechbläser, die vom Publikum mit enthusiastischem Jubel quittiert wurden. Mahler als absoluter Musiker – dies war die entscheidende Botschaft dieses großen Abends.
Alexander Walther