Ab 15. November 2014 in den österreichischen Kinos
VALS
Österreich / 2014
Drehbuch und Regie: Anita Lackenberger
Mit: Gerti Drassl, Harald Windisch, Hannes Perkmann, Ute Heidorn u.a.
Auch wenn man es angesichts des üblichen Angebots fast vergisst: Kino ist nicht nur zur Unterhaltung da. Sondern auch zur Gestaltung der Wirklichkeit. Auch zur Erinnerung an andere – bessere oder schlimmere – Zeiten. Auch zum Erkenntnisgewinn. Alles, was Anita Lackenberger mit ihrem zweistündigen, zweifellos mühsam zu betrachtenden, aber immer atemlos faszinierenden Film „Vals“ bietet.
Wer sich heute über das Valser Tal in Tirol informieren will (nicht mit dem weitaus berühmteren Walsertal in Vorarlberg zu verwechseln), erhält nur Auskunft über landschaftliche Schönheiten und touristische Highlights (Eldorado für Wanderer und ein Anziehungspunkt für Wintersportler). Filmemacherin Anita Lackenberger erzählt eine andere Geschichte, die im Zweiten Weltkrieg spielt und ihre Dramatik anhand der starken, in sich gekehrten, dann unter Druck wieder explodierenden Tiroler Menschen entwickelt.
Es ist ein langsamer Film, der parallel auch eine magische Ebene hat, wie sie immer auftritt, wo Berge sind, wo Wald ist (gilt natürlich auch für das Meer), also eine starke, das Leben primär prägende Natur. In diesem Fall ist es das „Salige Fräulein“ (nüchtern und doch geheimnisvoll, aber nicht als schöne Fee gespielt von Ute Heidorn), das im Eis haust, oft die Toten betreut und immer wieder einmal auftaucht und auch das Wort ergreift …
Langsam, wie gesagt, lernt man sie alle kennen, die Protagonisten der Geschichte, im Zentrum Rosa (Gerti Drassl war doch gerade noch das junge Mädel der Josefstadt – jetzt ist sie nicht alt, aber die erwachsene Frau mit dem verhärmten Gesicht und der unpathetischen Leidensfähigkeit), die ihren Freund Hans (Harald Windisch) in den Krieg ziehen sieht, aus dem er nicht wiederkehrt, und den auch aggressiven Nachstellungen von Peter (glänzend: Hannes Perkmann) ausgesetzt ist, der sich den Nazis angeschlossen hat und folglich schön daheim bleiben darf (ein paar Männer müssen ja dafür sorgen, dass die Arbeit weitergeht).
Da ist noch die Mutter (Franziska Grinzinger), die – obwohl schon höheren Alters – noch immer wieder schwanger wird (das zwölfte Kind, bei dessen Geburt man quasi dabei ist, stirbt), der strenge Vater (Peter Drassl), der überzeugt ist, „Aus der Stadt kommt das Unglück“, der vor allem versucht, die ungebärdige, auf Rosa so eifersüchtige, dringend nach „Leben“ schreiende Tochter Bernadette (großartig: Josephine Bloéb) im Zaum zu halten. Da ist Toni (Sarah Jung mit ihrem unendlich ausdrucksvollen Gesicht), die um ihrer Freundin Rosa zu helfen, ihr ein Kraut zur Abtreibung gibt – an dem diese fast stirbt…
Gezeigt werden die Jahre vom einsetzenden Terror der Nationalsozialisten bis zum Kriegsende, wobei die Autorin / Regisseurin, die sich für alles wunderbar Zeit nimmt, ohne etwa die so wichtigen Bilder der Landschaft mit kitschigen Intentionen einzusetzen (eher um das Leben hier zu charakterisieren), auch die Tatsache einbaut, dass die Nazis während des Krieges in Vals ein Zwangsarbeiterlager errichteten, wo die armen Kreaturen gezwungen wurden, Schwerstarbeit zu leisten.
Im übrigen erlebt man den unendlich schweren Alltag, zu dem noch der politische Druck kommt – der natürliche Widerstand der an sich so sturen, unbeirrbaren Bauern wird mit rücksichtslosen Gewalttaten gebrochen, wobei an der Figur des Peter auch gezeigt wird, dass diejenigen, die verurteilt schienen, immer in der zweiten Reihe zu stehen, durch die Nazi-Uniform die Möglichkeit sahen, ihr Schicksal zu ändern und zu verbessern.
Immer wieder geht es um Rosa – Hans muss gehen, sie treibt sein Kind ab (auch, weil es für die Lebenden kaum genug zu essen gibt, und es wird immer weniger), findet einen italienischen Flüchtling (Sami Loris) in einer Hütte und versorgt ihn, sie hört vom Tod von Hans, wird von Peter vergewaltigt, schießt ihn ins Bein, aber als seine Freunde ihn fragen, wer es war, sagt er, er habe den Gegner nicht gesehen…
Bedenkt man, dass die Autorin/Regisseurin aus Niederösterreich kommt und Tirol absolut eine Welt für sich ist (sie hat sich allerdings die Schicksale von den Einheimischen erzählen lassen), so stößt man immer wieder auf das tiefe Begreifen der Mentalität: Dass Peter die Berge künftig nur noch von unten sehen wird – das ist es, was an seinem kaputten Bein am meisten schmerzt…
Die Männer gehen nach und nach alle in den Krieg, und wenn am Ende der Frieden wieder da ist (gezeigt an einigen hinreißenden Bildern, das Füttern von Hühnern, kleine Anzeichen des Frühlings), verlässt man die Handlung, als erst einer der Männer des Dorfs wieder heimgekehrt ist. Der Vater der Familie noch nicht. Und das tragische Ende würgt: Die Mutter schickt, obwohl es ihr das Herz zerbricht, Rosa fort, weil sie weiß, dass nach der Geschichte mit Peter ihr Bleiben in dieser Gesellschaft nicht möglich ist…
Und Rosa, die nirgends anders leben möchte, sagt sich am Ende: „Geh jetzt und lass die anderen leben.“ Es ist eine Gnade des Drehbuchs, die wie eine Gnade des Lebens wirkt, dass der italienische Flüchtling, den Clara versorgt hat, zurück gekommen ist und sie mitnimmt…
Dieser Film ist mehr als ein Film, mehr als nur ein Zeitbild, mehr als nur ein Einblick in das Wesen dieser Menschen – er ist alles zusammen und als solches ein wahres Epos. So etwas sieht man nicht alle Tage.
Renate Wagner