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Alle Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
RINALDO von G. F. Händel
Premiere: 4. Dezember 2014
Diesmal gibt es keinen Vorhang in der Kammeroper, nur eine graue Fläche. Leinwand gewissermaßen. Denn zu den ersten Tönen von Georg Friedrich Händels „Rinaldo“ erscheint das Metro Goldwyn Mayer Signet. Allerdings nicht mit dem allseits beliebten Löwen inmitten, sondern einem Bildnis von Georg Friedrich Händel. Das sich so nach und nach verwandelt – bis uns Alfred Hitchcock ansieht. Und der kommt dann auch bald hitchpersönlich, pardon: höchstpersönlich…
Reiche Vorberichterstattung tut jeder Premiere gut, man kann dabei Inszenierungs-Konzepte und Regie-Absichten ins Volk bringen, damit dieses leichter versteht, was ihm geboten wird. Dass Regisseurin Christiane Lutz Händels erste Londoner Oper, den „Rinaldo“ von 1717 in einen Hitchcock-Film verwandeln würde, hatte man also vor der Premiere dann oft genug gelesen. Die Frage blieb also nur: Wie? Nun, ziemlich gut und ideenreich. Dass die Sache absolut keinen Sinn macht, dass vom Original der Handlung nichts bleibt, dass hier ein Bühnengeschehen und die Musik weitgehend nebeneinander laufen und sich nur kurzfristig treffen – das steht auf einem anderen Blatt.
Weil Händel angeblich in seiner Version vom Kreuzritter Roland und der Zauberin Armida (bestens bekannt von vielen Komponisten) angeblich alle Zutaten eines Agentenfilms bietet, bekommt man diesen – gebührend parodistisch natürlich – zu sehen. Zuerst kommt „Hitch“, einigermaßen figürlich und als Erscheinung hinbekommen, und spricht ein paar Einleitungsworte, wie er es vor gefühlten hundert Jahren auch im Fernsehen tat, wenn man nachher gruslige Schwarzweißfilme zu sehen bekam. Er spricht übrigens die paar Worte netterweise Deutsch. Dass er vielleicht zwischendurch ein bisschen erklärt hätte, was die Sache jeweils soll, wäre dem Abend wohl bekommen, denn der Unsinn läuft oft genug ins Leere. Andererseits, was soll’s denn wirklich? Und dass die „Seria“ zur „Buffa“ wird – man darf nicht so kleinlich sein.
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Böser Vamp attackiert am Klo und das brave Blondinchen staunt…
Für Bühne und Video-Projektionen zeichnet Christian Tabakoff verantwortlich, und er hätte noch weit mehr „Kino“ bieten können, dann wäre das Umbauen vielleicht manchmal nicht so unpraktisch verlaufen (die Kostüme von Natascha Maraval helfen in der Beschwörung der fünfziger Jahre). Manches gelingt in der Vermengung von Bühne und Kino wirklich urkomisch, etwa Armidas wilde (virtuelle) Attacke am Klo oder die Damen, die bei rasender Zugfahrt am Fenster vorbeifliegen… Man hat „Hitch“ wirklich brav zitiert, immer wieder „Der Fremde im Zug“, immer wieder Regenmäntel, Verschwörungsszenen, und selbstverständlich ziehen alle dauernd die Revolver und knallen sich mit Karacho ab.
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Dramatik im Zug
Höhepunkt am Ende: Die berühmte Flucht-Szene von Cary Grant in „Der unsichtbare Dritte“, allerdings so geschnitten, dass in diesem Fall Rinaldo zu seinem hektischen Gesang der Gejagte ist… Das ist ehrlich komisch.
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Rinaldo als Cary Grant…
Bis zur Pause hat man übrigens nur den Eindruck, einem Hitchcock-Film, nicht ganz geschmeidig auf die Bühne gehievt, zu falscher Filmmusik zuzusehen. Im zweiten Akt bricht die Regisseurin das Geschehen nochmals – bei DaCapo-Szenen lässt sie unterbrechen, die Filmcrew erscheint, Hitch führt Regie, lässt wiederholen, wir sind mitten in den Dreharbeiten. Und können uns, wenn wir denn wollen, vorstellen, dass die Darstellerin der Armida auch privat ein Auge auf den Darsteller des Rinaldo geworfen hat, dem auch privat das Blondinchen lieber ist…
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Hitch filmt…
Wenn Hitch mit seiner Armida-Darstellerin, die kurz durchdreht, einen heftigen Streit hat, geht das hinter dem Vorhang per Schattenriß vor sich und soll wohl die berühmte Messerstecher-Szene in der Dusche aus „Psycho“ sein. Und das Händel’sche Happyend ganz am Schluß? Na, Drehschluß-Party natürlich, mit Champagner…
Es ist ein Konzept, das man in diesem Rahmen versuchen kann, und man merkt, dass Damen offenbar gerne die Medienwelt zitieren – tat es doch eben erst Lotte de Beer in den „Perlenfischern“ auch. Männlichen Konzeptionen haben diese Ideen die größere Sinnlichkeit voraus, sie sind komischer und auch theatergerechter. Nennen wir es versuchte Lösungen, die auf der unendlichen Spielwiese, die das Theater heute für Regisseure darstellt, auch probiert werden können. Wie im Sandkasten…
Das Bach Consort Wien saß im Orchestergraben, wurde von Rubén Dubrovsky durchaus zügig geleitet (es gab auch schleppende Ausnahmen), und nur manchmal wirkten die Herrschaften etwas überfordert (etwa beim Klang der hier so reichlich eingesetzten Barocktrompeten).
Der amerikanische Countertenor Jake Arditti ließ nicht ausschließlich Schönes hören (manche Ausbrüche in überzogene höchste Höhen entglitten in unerwünschte Richtungen), aber er sang sich mehr und mehr in die Rolle ein und trug den zentralen Part. So wie Natalia Kawalek-Plewniak (kürzlich die noble Einspringerin in „Demofonte“), die als schwarzhaariger Vamp eine wirklich impetuose Armida spielte und sang, es waren nur kleine Abstriche zu machen. Größere bei Gan-ya Ben-gur Akselrod als Almirena, die als typische Hitchcock-Blondine agierte, im zweiten Akt den wahren Händel-„Schlager“ „Lascia ch’io pianga“ anvertraut bekam und nicht die Stimme hatte, dieses Lamento wirklich zu erfüllen (wobei der Dirigent hier so schleppte, dass er ihr die Aufgabe doppelt schwer machte).
Da die Aufführung auf flotte zweieinhalb Stunden zusammen gekürzt ist, fehlen einige Personen und Chöre, aber da waren noch der Tenor Vladimir Dmitruk (mittelmäßig als Goffredo), der Bariton Tobias Greenhalgh (wohlklingend als Argante), und am Ende sang „Hitch“ auch noch – man weiß ja, dass er gern in Mini-Auftritten in seinen Filmen durchhuschte, also gibt er hier den Magier Mago und ist mit ordentlichem, in tiefer Tiefe ironisch zittrigem Bass der Österreicher Christoph Seidl.
Am Ende gab es genau einen Zuschauer, der lautstark erst protestierte, als der Dirigent aufs Orchester wies, dann der Regisseurin sein „Buh“ entgegenschleuderte. Er wurde vom Applaus gnadenlos ausgehebelt – das Publikum ließ eine Art von Dankbarkeit hören, dass man sich bei Barockoper so gut unterhalten durfte (was allerdings auch schon andere geschafft haben, man denke nur an Robert Carsens „Platée“). Aber alles in allem: Hitch zieht immer.
Renate Wagner