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WIEN/ Theater an der Wien: AMERICAN LULU von Olga Neuwirth. Alban Berg recomposed

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WIEN/ Theater an der Wien: 11.12.2014: “AMERICAN LULU” – Alban Berg recomposed 

 Recomposed ist mehr und mehr zu einem Modewort der gegenwärtigen internationalen Musikszene geworden: Vivaldi recomposed, Mozart recomposed, Mahler, Swan Lake – und jetzt auch, wohl schon weit schwieriger zu genießen, Alban Berg. Nun, Bergs “Lulu” nach Frank Wedekind wird zu den bedeutensten Opernwerken des 20. Jahrhunderts gezählt, ist aber unvollendet geblieben und hat sich auch wegen der anspruchsvollen Tonsprache nicht als eine oft gespielte Repertoireoper zu etablieren vermocht. Alban Berg-Kenner Friedrich Cerha wagte 1979 für den dritten Akt des heiklen Werks einen Rekonstruktionsversuch. Mit positiver Resonanz.

 Jetzt zeitgeistiger, weniger um Stiltreue bemüht, hat sich die Grazerin Olga Neuwirth, Jahrgang 1968, an eine andere Version der skandalumwitterten Lulu gewagt. Ihre “American Lulu” wurde 2012 an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt, und die reich dotierten Vereinigten Bühnen Wien hatten die Geldmittel, diese Berliner Produktion für drei Aufführungen einzukaufen, um damit im Theater an der Wien heimisches Elitepublikum zu befriedigen. Neuwirth holte sich wohl das Vorbild Alban Berg als Aufhänger in ihre Komponierstube, zimmerte sich allerdings schon sehr frei und sehr persönlich eine eigenständige Version der Lulu zurecht. Wedekind und Berg (das Orchester in verkleinerter Besetzung) werden in Ansätzen zitiert, doch eigene Texte kommen hinzu. Unsere neu beschriebene verführerische Lulu ist nun von Paris und London nach New York und New Orleans gerutscht, und als eine attraktive Farbige, als eine umworbene sexy Nightclub-Zugnummer muss sie schon sehr, sehr entblößt herumlaufen. Und dann, als getriebenes Callgirl, entgeht sie allerdings nicht ihrem frühen Tod.

 In Neuwirths sprunghaft wirkender Szenenfolge wird weniger eine klärende Charakterisierung angepeilt. Dafür ist der Fokus auf die Emanzipationsthematik ausgerichtet und Frauen- und Rassendiskriminierung wird in den verschiedensten Facetten durchgespielt. Englisch wird gesungen, die Gräfin Geschwitz ist zur schwarzen Bluessängerin Eleanore mutiert, und auch im männlichen Sadomaso-Gefolge rund um diese Lulu auf amerikanisch hat sich so manches stark verändert.  

 100 pausenlose Minuten läuft das Klangspektakel ruhelos und mit durchhaltender Intensität ab. Zeitgeist-neugierige-Ohren kommen auf ihre Rechnung, weniger kultiviert geschulte Gehörgänge werden sich schon von vornherein auf Distanz halten.  Wirkliche Dramatik entwickelt sich in diesem nervigen und ständig bewegenden Auf und Ab nicht, und expressiver Gesang und die kompakt geformte Musik rufen kaum echte erotische Hoch- und Wohlgefühle hervor.

Die gute Produktion der Komischen Oper Berlin, auch sie mit hektischem Getue in stilisiertem Raum dem Zeitgeist angepasst, vermag zu überzeugen. Die Inszenierung des Russen Kirill Serebrennikov fordert vom homogenen Ensemble handfestes Agieren, der souveräne Dirigent Johannes Kalitzke steuert akribisch durch das Klanggewoge. Ja, und die junge, mehrfach ausgezeichnete Amerikanerin Marisol Montalvo muss als zu Exhibitionismus gedrängte Lulu zu einen gesanglichen Dauerlauf antreten und sie macht dies einfach bravourös.

Meinhard Rüdenauer 

 

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