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BERLIN/Staatsoper im Schillertheater: AUS EINEM TOTENHAUS

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BERLIN / Staatsoper im Schillertheater AUS EINEM TOTENHAUS 21.12.2014

 Sir Simon Rattle sorgt mit dem hervorragenden Orchester und einem exzellenten Ensemble für musikalisches Licht und Hoffnungsstimmung

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Foto-Copyright: Monika Rittershaus

 Welche Oper passt eigentlich besser zu Weihnachten als Janaceks letzte, als schwierig geltendes Musikdrama zu dem gleichnamigen Roman von Fjodor M. Dostojewski? Besonders wenn von einer so mustergültigen Aufführung zu berichten ist, wie man sie am Sonntag im Schillertheater erleben durfte. Die Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Holland Festival Amsterdam, dem Festival Aix-en Provence, der MET und der Mailänder Scala hatte der leider früh verstorbene frz. Regiegroßmeister Patrice Chéreau in den kühn-kühlen Bühnenbildern von Richard Peduzzi schon 2007 für das Theater an der Wien erarbeitet.

 Nicht ist seither an Stimmung und Faszination dieser dramatische Umsetzung verloren gegangen. Ob das die vielen scharf geschnittenen und doch einfach erzählten Einzelszenen von an ihrer Schuld innerlich Leidenden sind, oder ob es sich um die wunderbar, heitere Lager-Aufführung der Gefangenen der Stücke „Kedril und Don Juan“ sowie „Die schöne Müllerin“ handelt. Mit welcher Virtuosität zeigt Chéreau den Zuschauern diese beiden travestierten Verführungsgeschichten, ohne zu outrieren (á la Komische Oper) oder in Peinlichkeit zu verfallen. Großartig. Die engen drehbaren Betonwände und wenige Requisiten wie Holzpritschen der Gefangenen genügen als Ambiente für von der Gesellschaft verstoßene Menschen und deren Schicksal. In der strengen täglichen Anordnung eines sibirischen Gefangenenlagers ist alles knapp und existentiell. Geschwätzt wird nicht, jeder berichtet nur das, was aus dem übervollen fass der Seele läuft. Den Rahmen der Handlung bildet die Ankunft und Entlassung des politischen Häftlings Alexander Petrowitsch Gorjantschikow (männlich prägnant Tom Fox). Auch Prügel durch den Platzkommandanten (Jirí Sulzenko) können Gorjantschikow nicht brechen, der sich in einer väterlichen Freundschaft an den jungen Tartaren Aleja (herausragend berührend Eric Stoklossa) bindet. Nach einem Messerangriff auf den jungen Häftling wacht Gorjantschikow bei dem fiebernden Aleja auf der Krankenstation. Allein das ist schon eine wundervolle Weihnachtsgeschichte.

 Selbst in der so bedrückenden Enge eines Straflagers wird den Protagonisten Würde und Wahrhaftigkeit zugestanden: Gleich, ob es sich um den wahnsinnig werdenden Skuratow (intensiv Ladislav Elgr), der von seinem Leben in Moskau erzählt und einen reichen Deutschen ermordet hat, Luka (Stefan Margita), der einen Kommandanten erstach oder Schapkin (Peter Hoare), der einen Einbruch begangen hat, handelt. In einer Szene tritt unser wunderbarer Heinz Zednik als ganz alter Sträfling auf, der einen verletzten Adler hereinbringt und am Ende auch wieder in die Freiheit entlässt. Peter Straka (großer Häftling), Vladimir Chmelo (kleiner Sträfling), Jan Galla (Tschekunow), Stephen Chambers (betrunkener Häftling), Maximilian Krummen (Koch/Schmied), Arttu Kataja (Pope), Olivier Dumait (junger Sträfling), Eva Vogel (Dirne), Ales Jenis, Marian Pavliovic, Pavlo Hunka und Stephan Rügamer ergänzen ein Ensemble ohne Fehl und Tadel.

 Das eigentlich Unerhörte bei der düster-schaurig, in sehr russischer Manier hoffnungsfrohen Oper ist der Orchesterpart. Wer sich eine düstere Klangsprache vorstellt, wird bald von der filigranen Kunst des Leos Janacek verblüfft sein, das Wort in abgründigen Seelenklang zu kleiden, die letztlich auch im Verbrecher steckende göttliche Kreatur in musikalisches Licht zu tauchen. Der Lorbeerkranz gebührt ohne zu zögern dem Orchester und dem Chor der Staatsoper im Schillertheater. Unter der Leitung von Sir Simon Rattle, dem Janacek besonders gut liegt (ich erinnere mich an seine wahrlich beeindruckende Jenufa in der Berliner Philharmonie konzertant mit Mattila und Polaski), erklingt eine „symphonische Dichtung“ der Sonderklasse als rhythmisch präzise und doch so humanistisch anrührende Botschaft vom Licht in Dunkelheit, von kleinen Dingen im großen Universum, von Schuld, Sühne und Verzeihen, Gewalt und Zärtlichkeit, Hingabe und Freiheit. Die Fermentation des Lebens in böhmisch kühnem Aufbegehren und Befrieden. Mahler und Berg lassen grüßen.

 Das vollzählig erschienene Publikum nimmt die Aufführung dankbar als das, was sie ist: ein musikalisches Geschenk, eine Hommage an die Kunstgattung Oper (soll ja in anderen Städten derzeit nicht so gut funktionieren), und ein vorweihnachtliches Innehalten abseits der eigenen Sorgen und Befangenheit. Der Dank gilt aber auch einer uneitlen, ganz im Werk verankerten Regiearbeit, die jedes Detail liebe- und gefühlvoll – ohne in Sentimentalität abzugleiten -  in einem großen szenisch gespannten Bogen sichtbar macht.

 Dr. Ingobert Waltenberger

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