Berlin/ Deutsche Oper, Staatsballett Berlin: „SCHWANENSEE“ mit Polina Semionova, 02.01.2015
Polina Semionova. Foto: Ivan Revazov
Die wunderbarste aller Schwanenfrauen ist nach mehr als zweijähriger Abwesenheit endlich wieder da: Polina Semionova. Ihretwegen wird die Aufführung „Schwanensee“ in der Deutschen Oper an diesem Abend gestürmt.
Bekanntlich hatte es zwischen ihr und ihrem Entdecker Vladimir Malakhov einen Riesenkrach gegeben. Der war über ihren plötzlichen Weggang (oder ihre Flucht) zum American Ballet Theatre in New York im Jahr 2012 dermaßen empört, dass er sie nie mehr eingeladen hat. Ein schwerer Fehler, den ihm viele – trotz seiner Verdienste um das Staatsballett Berlin – nicht verziehen haben.
Nach ihrem Debüt dort schrieb die New York Times, sie sei „eine Klasse für sich“. Seither ist sie vielerorts aufgetreten und zum Weltstar geworden, konnte sich, so wie sie wollte, auch künstlerisch weiterentwickeln.
Nacho Duato, der neue Intendant vom Staatsballett Berlin, hat sie bei seinem Amtsantritt wieder „nach Hause“ geholt. (Sie wohnt mit ihrem Mann in Berlin). Das aber ist nicht nur ein Bonbon für die hiesigen Tanzfans und die überaus zahlreichen Hauptstadt-Gäste. Eine der weltweit Besten steht nun wieder auf Berlins Bühnen, ein Beweis für Duatos Sachverstand und Klugheit. Doch sie ist vorsichtig, kommt als Gast und fliegt wieder davon.
Im November 2005 habe ich sie erstmals – damals mit Malakhov als Prinz Siegfried – als Schwanenprinzessin erlebt und dann im „Merker“ geschrieben: „Mit Polina Seminova hat er eine Partnerin, wie sie graziler, schöner und animierender kaum sein könnte. Auch ihretwegen stürmt das Berliner Publikum nun die Ballettabende. Liebreiz und Ausdruckskraft sind der 21-Jährigen, die Malakhov vor rund zwei Jahren vom Fleck weg engagierte, offenbar in die Wiege gelegt.“
Dieses (pardon) Selbstzitat braucht eigentlich nur ergänzt zu werden, ist sie doch noch perfekter, überzeugender und ausdrucksstärker geworden. Eine Schwänin mit unglaublich biegsamem Körper und ganz natürlich flatternden Armen. Ihre Pirouetten, getanzt auf einem Bein, sind absolut fehlerfrei.
Am liebsten würde ich mich nur auf sie konzentrieren und könnte auf manches Drum und Dran bei diesem mehr als 130 Jahre alten Dauerbrenner verzichten, so die langwierige Geburtstagsfeier von Prinz Siegfried. Das Publikum sieht das verständlicherweise anders, zumal alles in der vor Jahren entworfenen Choreographie von Patrice Bart (nach Iwanow und Petipa) sehr farbenprächtig daherkommt (Bühnenbild und Kostüme: Luisa Spinatelli). Auch wird es vom Corps de ballet gekonnt und schwungvoll getanzt und mit Zwischenapplaus belohnt.
Der Beifall steigert sich im 2. Akt nach den spritzig dargebotenen Volkstänzen. Insgesamt ein Nummernballett vom Feinsten, aber auch nicht mehr. Leider sind die Tanzenden trotz der wunderbaren Musik von Peter I. Tschaikowsky nicht immer auf Rosen gebettet.
Der Dirigent Anton Grishanin gibt sich öfter derb und verleitet das Orchester der Deutschen Oper Berlin vor allem anfangs zum unsensiblen Tschinderassassa. Erst bei den melancholischen Schwanenszenen am See klingt es nach Tschaikowsky, so dass die entzückende Schwanengalerie ihre Chance formvollendet nutzen kann.
Nun aber zu Polina in der bekannten Doppelrolle als Schwanenprinzessin Odette und ihrem bösartigen Ebenbild Odile. Wunderbar wehmütig und zart gestaltet sie das Schicksal der Verzauberten und das vorsichtige Aufkeimen der Liebe zu Prinz Siegfried. Den tanzt Mikhail Kaniskin, und gleich sind einige kleine Wackler zu Beginn vergessen. Für Polina wird er in dieser anspruchsvollen Rolle zu einem zuverlässigen, kraftvollen und ausdrucksstarken Partner, und so werden auch die Pas de deux der beiden zu atemberaubenden Höhepunkten.
Dass er sich – angeblich die Damen verwechselnd – nach dem Treueschwur an die Schwänin alsbald für die schwarze Odile begeistert, ist hier ebenfalls mehr als verständlich. Polina als Verführerin mit strahlend lockenden Augen – da muss jeder Mann schwach werden. Das böse Erwachen folgt auf dem Fuß. Die dramatische Verzweiflung der beiden Liebenden – auch die wird von beiden hinreißend zelebriert.
Hinreißend ist außerdem eine, die mit Tanzkunst und Ausdruck immer wieder beeindruckt: Beatrice Knop als Königin. Eine Mutter, die sich an ihren Sohn klammert, die nicht loslassen kann, zwischen Verzweiflung und Intrige schwankt und das mit dem ganzen Köper kenntlich macht. Mit ihrem Bewegungsrepertoire zeigt sie, dass sie weit mehr als das klassische Vokabular beherrscht. Hoffentlich erhält sie entsprechende Gelegenheiten.
Kevin Pouzou als junger, kraftvoller Benno von Sommerstein gefällt durch sehr gelungene Nummern und kann die mehr als freundschaftliche Zuneigung zu Siegfried dezent glaubhaft machen. Zur sehr positiven Überraschung wird das Rollendebüt von Alexej Orlenco als Premierminister von Rotbart. Ein fitter, geschmeidiger Tänzer, mit präziser Fußarbeit und schauspielerischen Meriten.
Zuletzt Riesenjubel und „standing ovations“ für Polina Semionova und Mikhail Kaniskin. Dass sie der eigentliche Star ist, wird dennoch deutlich. Schon ihre schwanenhaften Verbeugungen sind eine Klasse für sich. Charmant überreicht sie ihrem Partner eine Rose aus ihrem Strauß, und die hat er verdient.
Ursula Wiegand
Noch einmal, am 27.01., tanzt Polina die Schwanenprinzessin. Am 23.01. sowie am 01.05 und 09.05. gestalten andere Damen diesen Part. Siehe unter www.staatsballett-berlin.de .