Berlin/ Philharmonie: Daniel Barenboim startet mit Tschaikowsky und Debussy, 04.012015
Daniel Barenboim und Mitglieder der Staatskapelle. Foto: Monika Rittershaus
Mit verheißungsvollem Schwung und garantiert nicht pathetisch starten Barenboim und die Staatskapelle Berlin nach dem Jahreswechselkonzert nun richtig durch, setzen auf Lebensmut und läuten schon fast den Frühling ein.
Im ersten Fall handelt es sich um das „Violinkonzert D-Dur op. 35” von Peter I. Tschaikowsky, ein verblüffend lebensbejahendes, oft auch melodienselig schwelgendes Werk von einem zuvor Verzweifelten, der 1 Jahr nach der Eheschließung sogar einen Suizid-Versuch unternahm. Doch die Freundschaft zu seinem Schüler Iosef Kotek, mit dem er nach Clarens am Genfer See reiste, gab ihm die Lebensfreude zurück. Dort und in dieser Beziehung verspürte er die „reinste Seligkeit“, und die ist diesem Stück deutlich anzumerken. In nur vier Wochen warf er die Noten aufs Papier.
Solch „reinste Seligkeit“ bietet in der ausverkauften Philharmonie auch Lisa Batiashvili, eine junge, schöne Frau mit ihrer edlen Joseph Guarneri del Gesu Violine von 1739, die Leihgabe eines Sammlers.
Dass dieses enorm anspruchsvolle Stück, komponiert 1877, von damaligen Stargeigern als „unspielbar“ abgelehnt wurde, straft die 35-Jährige Lügen. Wunderbar zeichnet sie das zartsüße Hauptthema, 185 Takte gehören ihr und werden die wahre Wonne. Auch Barenboim und die Seinen stimmen mit Bedachtsamkeit in Tschaikowskys „Liebesgesang“ ein.
Fein gerundete Melodienbögen, glasklare Pianissimi und reihenweis’ flinke Doppelgriffe – für Frau Batiashvili scheint das alles ein (intensiv erarbeitetes) Kinderspiel zu sein. In dieser Saison ist sie „Artist in Residence“ beim New York Philharmonic Orchestra. Viele Zuhörer – offenbar mit Konzert-Usancen wenig vertraut – applaudieren schon heftig nach dem Allegro moderato, dem langen ersten Satz.
Nach der wunderfein singenden Canzonetta (Andante) kann das nicht passieren, geht die doch sogleich über ins Finale, einem rasanten Allegro vivacissimo, das Interpreten wirklich alles abverlangt. Lisa Batiashvili bringt es formvollendet und ohne jedes Auftrumpfen. Der Jubel danach will gar kein Ende nehmen.
Angenehm Überraschendes hat sich Barenboim für die zweite Halbzeit ausgedacht: „Ibéria” und „La mer” von Claude Debussy. Zwar bereiste Debussy Spanien nur einmal und für wenige Stunden, doch durch die Verwendung von Kastagnetten, Tamburin, Xylophon, Celesta und 3 Glocken sowie dem wiederholten Einsatz von Holzbläsern klingt das tatsächlich spanisch.
Iberisches Dorfleben zieht so in 3 Sätzen akustisch vorbei, auf Straßen und Wegen und in den Düften der Nacht, aus denen man/frau weit mehr als nur Gerüche heraushören kann.- Glockenklang und komponierter Frohsinn charakterisieren den 3. Satz als den Morgen eines Festtages.
Weit bekannter und ein Erfolgsstück wurde „La mer“ mit den Sätzen „De l’aube à midi sur la mer – Jeux de vagues – Dialogue du vent et de la mer“. Die zarte Morgendämmerung mit dem leisen Glucksen der Wellen, der Sonnenaufgang und die strahlenden Mittagssonne – das alles wird in dieser Musik greifbar.
Allerdings hat sich Debussy stets dagegen gewehrt, wie die Maler seiner Zeit als Impressionist bezeichnet zu werden. Tatsächlich beschreitet er neue Wege, nutzt andere Rhythmen und pentatonische Tonleitern und erzeugt so seine raffinierten Klangbilder.
Dennoch lässt „La mer“ das in den Sätzen Genannte genau hören und die entsprechenden Bilder vor dem inneren Auge entstehen. Das Spiel der Wellen ebenso wie das Gespräch zwischen Wind und Meer, bei dem sich nach lustigem Geplänkel und zunehmender Stärke beide Elemente schließlich mit Donnergewalt verabschieden.
Noch weit stärker und anhaltender donnert nun der Beifall durch den großen Saal. „Ja, das hat Euch gefallen,“ sagt Barenboims Lächeln. Ja, das hat allen Zuhörern gefallen, und alle Instrumentalisten haben – im Abstand von nur 15 Stunden nach dem Vorabendkonzert -Besonderes geleistet.
Ursula Wiegand