Berlin/ Deutsche Oper: „LADY MACBETH VON MZENSK von Dmitrij Schostakowitsch, Premiere, 25.01.2014
Image may be NSFW.
Clik here to view.
Evelyn Herlitzius (Katerina), Maxim Aksenov (Sergej). Foto: Marcus Lieberenz
Ein gewaltiges, gewalt- und sexträchtiges Musikwerk hat die Deutsche Oper Berlin neu auf die Bühne gewuchtet: „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitrij Schostakowitsch. Selbstverständlich in der Urfassung, die am 22. Januar 1934 in St. Petersburg (damals Leningrad) uraufgeführt und begeistert aufgenommen wurde.
Der seinerzeit 28jährige Komponist konnte sich zwei Jahre lang über den anhaltenden Erfolg freuen, bis sich Stalin und Konsorten dieses Werk 1936 ansahen und sich empörten. Die Oper verschwand von den Spielplänen in der Sowjetunion. Erst die 1963 von Schostakowitsch im Parteisinn gesäuberte Fassung fand wieder Gnade.
1979 entdeckte der Cellist Mstislaw Rostropowitsch jedoch die Urfassung und schmuggelte sie in den Westen. Schon 1985 hat sie Donald Runnicles, nun GMD der deutschen Oper Berlin, in Mannheim dirigiert und danach stets nur diese erste Version. Seine Vertraut- und Verbundenheit mit dem Werk wird an diesem Abend spürbar. Engagiert steuert er das Orchester der Deutschen Oper Berlin durch die anspruchsvolle Partitur, die Traditionelles und die frühe Moderne integrierte, und doch eine geniale, ganz eigene, überwältigende Klangsprache entwickelt hat.
In die alles entscheidende Hauptrolle der Katerina Lwowna Ismailowa stürzt sich erstmalig Evelyn Herlitzius und füllt sie vokal und schauspielerisch 100prozentig aus. Zuerst verhalten, dann wie mit Speerspitzen kündet der Sopran dieser Wagner- und Strauss-Interpretin von frustrierender Langeweile, Liebesverlangen, Verzweiflung, den Untaten der Doppelmörderin sowie von Angst und Verzweiflung.
Von der Regie her wird sie hier eine, die „mit den Fischen tanzt“, seit jeher ein Symbol für Sex und Fortpflanzung. Vor ihrem Haus türmen sich die (angeblich) glitschigen Kabeljaue (Bühne: Erlend Birkeland), Genossen der Feuchtgebiete. Eine Idee des norwegischen Regisseurs Ole Anders Tandberg, der erstmalig in Deutschland inszeniert und sehr wohl wusste, dass es sich um eine Koproduktion handelt, die von Den Norske Opera & Ballett, Oslo, zur Deutschen Oper Berlin weiter wandert. Fische wären charakteristisch für Norwegen, so äußerte Tandberg in einem Vorab-Interview. Eine flotte Fisch-Polonaise junger Damen fehlt im Verlauf des Stückes auch nicht.
Massen von (nachgefertigen) Fischen sind es, die hier von den Arbeitern herumgetragen und mitunter zum Schlagen verwendet werden. Eine rüde Truppe, die vor der Vergewaltigung einer sich heftig wehrenden Frau (Nadine Secunde) nicht zurückschreckt. Katerina mischt sich ein und macht mit dem kräftigen Sergej – dem jungen russischen Tenor Maxim Aksenov – sogar einen Ringkampf.
Image may be NSFW.
Clik here to view.
Evelyn Herlitzius (Katerina), John Tomlinson (Boris). F0t0: Marcus Lieberenz
Katerinas Schwiegervater Boris Timofejewitsch Ismailow treibt die Meute zur Arbeit, überwacht aber vor allem die schöne Katerina. Der würde er es altersgeil gar zu gerne „besorgen“ und den ersehnten Erben zeugen, wozu sein Sohn nicht in der Lage ist. Sir John Tomlinson verkörpert diesen drakonischen Aufpasser intensiv und mit nach wie vor imponierendem Bass. Ein weiterer Garant für den Erfolg dieser Premiere. – Deutlich weniger Möglichkeiten bietet das Stück dem impotenten Ehemann Sinowij Borissowitsch Ismailow, eine Rolle, die der junge Tenor Thomas Blondelle mit Anstand und gut singend ausfüllt.
Ihren „Wolf“ findet die in diesem Umfeld total einsame und nach Liebeserlebnissen gierende Katerina genau in ihrem Ringkampf-Partner Sergej, einem Kraftprotz, erfahren in der Beglückung vernachlässigter Ehefrauen. Von Figur, Kraft, Gehabe und Stimme bietet Aksenov genau das, was sich Katerina erträumt und das Publikum in dieser Rolle erwartet.
Wie der erste Geschlechtsakt der beiden verläuft, schildert der junge Schostakowitsch in allen deutlich hörbaren Facetten, und genau so heißblütig stellen Herlitzius und Aksenov ihn dar. Übrigens begleitet von einem schrill aufspielenden, rotberockten Blasorchester, das nicht nur diesen Vorgang cool kommentiert.
Gewalt ist von Anfang an mit im Spiel und bestimmt den Fortgang des Geschehens. Um ihren Lover heiraten zu können, vergiftet Katerina zuerst den lästigen Schwiegervater und erwürgt dann mit Sergejs Hilfe den heimkehrenden Ehemann mit einem Gürtel. Also ab mit der Leiche in den Keller und rein ins unschuldsweiße Brautkleid bzw. den schicken schwarzen Anzug (Kostüme: Maria Geber). Glücklich wirkt Katerina, nun eigentlich am Ziel ihrer Wünsche, jedoch keineswegs. Die beiden Morde liegen ihr schwer auf der Seele, was Evelyn Herlitzius deutlich erkennen lässt.
Vor dem Haus säuft derweil schon das feiernde Volk den Wodka aus Kanistern, und der schon vor Trunkenheit schwankende Pope – eine urkomische Darbietung von Tobias Kehrer – gibt dem neuen Paar den Segen.
Wird aber in den ersten beiden Akten das Fischige mitunter überstrapaziert, so macht das folgende, sexgeladene „Bügelbretter-Ballett“ in der Polizeistation wenig Sinn, passt auch kaum zu der prägnant geäußerten Korruptheit dieser Schlägertypen und zu ihrem durchtriebenen Chef, markig gesungen von Seth Carico.
Der ist nicht zur Hochzeit eingeladen und will das entsprechend vergelten. Das wird ihm leichtgemacht, hat doch ein Wodka suchender Landstreicher den Keller des Hauses aufgebrochen und dort die Leiche des Ex-Gatten entdeckt. Katerina und Sergej werden ergriffen und in die Verbannung geschickt.
Im 4. und letzten Akt nehmen Schostakowitsch und Alexander Preis (der das Libretto nach der gleichnamigen Novelle von Nikolai Leskow verfasste) die Zustände in der Sowjetunion nun nicht mehr ironisch, sondern knallhart ins Visier. Gemeint ist der Todesmarsch der (meisten) Verbannten in die Straflager. Wie sich die Verurteilten – der Chor, einstudiert von William Spaulding – vorwärts schleppen und erschöpft auf einem Felsen wie auf dem Kalvarienberg die Nacht verbringen – das sind starke Bilder, musikalisch und von der Regie her. Vom Leid der Gequälten singt Stephen Bronk als alter Zwangsarbeiter.
Katerina giert weiterhin nach Sergej, doch der verwünscht sie und hat schon längst eine andere, die vulgäre Sonjetka (Dana Beth Miller). Verzweifelt stürzt sich Katerina in einen wilden dahinströmenden Fluss und reißt Sonjetka mit sich, gefolgt von einem schrillen Trauermarsch der Blaskapelle.
In den übrigen Rollen bewähren sich Burkhard Ulrich, Andrew Harris, Noel Bouley, Aran Youn, Ralph Eschrig, Olli Rantaseppä, Thomas Lehman und Matthew Peña.
Riesiger Jubel folgt dieser packenden und rundum gut bis vortrefflich besetzten Aufführung. Evelyn Herlitzius, vom orkanartigen Applaus überrascht, lacht überglücklich. Großer Beifall gilt zu Recht auch dem Chor sowie Runnicles und den Seinen. Die wenigen, eher zaghaften Buhs fürs Regieteam gehen in der lautstarken Zustimmung schnell unter. Eine neue Wegmarke für die Deutsche Oper Berlin.
Weitere Termine: 29. und 31. Januar sowie 5. und 14. Februar
Ursula Wiegand