Onassis Cultural Center, Athen Hamlet, Aufführung vom 7. Februar 2015 (Premiere: 14. Januar 2015)
Der Schlüssel zum Totenhaus
Yannis Houvardas inszeniert Shakespeares „Hamlet“
von Ingo Starz
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Foto: Vassilis Makris
Die Athener Theaterszene ist reich an Häusern, aber arm an finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand. Darum ist eine mit Stiftungsgeldern finanzierte Einrichtung wie das Onassis Cultural Center von erheblicher Bedeutung. Dort kommen nicht nur Eigenproduktionen namhafter heimischer Künstler auf die Bühne, sondern auch Gastspiele renommierter Theatergruppen und -häuser aus dem Ausland. Im Januar brachte Yannis Hourvadas einen vielbeachteten „Hamlet“ zur Premiere. Im deutschsprachigen Raum war Houvardas, der von 2007 bis 2013 das Griechische Nationaltheater in Athen leitete, in den letzten Jahren häufiger anzutreffen. 2013 inszenierte er Ferdinand Bruckners „Die Marquise von O.“ am Wiener Akademietheater. Der Verfasser erinnert sich gut an eine Produktion von „Woyzeck“ (in der Fassung von Robert Wilson und Tom Waits) am Zürcher Theater am Neumarkt (2012). Der Regisseur hatte Büchners Drama im etwas düsteren und melancholisch anmutenden Ambiente einer Kneipe spielen lassen und gab seiner Inszenierung mit ihrem Nebeneinander der handelnden Figuren einen ausgesprochen filmischen Charakter.
Nun nahm sich Houvardas also einem der grossen Klassiker des Theaters an: Shakespeares „Hamlet“ in einer neuen Übersetzung ins Griechische von Dionysis Kapsalis. Das Stück bietet, wie allein die zahlreichen Aufführungen im deutschsprachigen Raum veranschaulichen, höchst interessante und stets aktuell bleibende Zugänge. Wer nun dachte, dass der Regisseur angesichts der prekären Lage Griechenlands ein politisches Statement abgeben würde – denn fraglos ist nicht nur im Staate Dänemark etwas faul -, sah sich getäuscht. Houvardas erweist sich als grossartiger Spielmacher: Er nimmt die zentrale Theaterszene und entfacht um diese herum komplexe Aktionen um „Realität“ und Fiktion. Mit seinem erstklassigen Ensemble gelingt ihm eine überzeugende Arbeit voll szenischer Phantasie. So bleibt es etwa nicht dabei, dass eine Schauspielertruppe im 3. Akt auf der Bühne Theater spielt, das Rollenspiel wird vielmehr zum entscheidenden Moment und Movens der Inszenierung. Als äusseres Zeichen dieser Setzung fungiert die von Eva Manidaki eingerichtete Bühne. Darauf findet sich neben einem boxartigen Gebäudeaufbau und bühnenhohen Vorhängen ein Holzhaus, das den königlichen Palast darstellt. Dieses Haus ist der Ort, an dem alle Fäden zusammenlaufen.
Zu Beginn sitzt Hamlet, der von Christos Loulis nuancenreich und intensiv verkörpert wird, an der Bühnenrampe und trägt den Trauerschleier seiner Mutter. Er ist draussen, ausserhalb des Hauses, ohnmächtig in seinem Schmerz, bis plötzlich das Telefon klingelt, das gut sichtbar an der seitlichen Box angebracht ist. Das „Ferngespräch“ mit dem verstorbenen Vater kommt aber erst zustande, nachdem Hamlet den Schlüssel zur Haustür findet und hinein gelangt. Nun erfährt er aus dem Munde der Geistererscheinung (Giorgos Gallos, der auch den Claudius darstellt), von der Ermordung des Vaters. Im folgenden entfaltet sich das Geschehen im und um das geheimnisvolle Haus herum, welches gleich nach der Enthüllung des Geistes auseinanderbricht und ohne Dach und mit ausgeklappten Seitenwänden zur Bühne mutiert. Konsequenterweise findet die zentrale Szene mit den Schauspielern hier statt, inmitten des gestörten Familienidylls. Indem die Schauspielertruppe (Giorgos Glastras, Nikolas Papagiannis und Giorgos Tzavaras) mit dem anwesenden Herrscherpaar Claudius und Gertrud (hervorragend: Amalia Moutousi) interagiert, lösen sich die Grenzen zwischen „Realität“ und Fiktion auf. Wenn Hamlet seiner Mutter am Ende des 3. Akts die blonde Perücke vom Kopf reisst und sie als „Schauspielerin“ entlarvt, dann treibt der Regisseur sein szenisches Spiel auf die Spitze.
Houvardas zeigt eine Welt, die dem Film noir entschlüpft sein könnte und die mit ihrem Sound, exponierten Geräuschen und ihren verstärkten Stimmen auch so klingt (Musik: Dimosthenis Grivas). Darin haben alle ihre Rollen zu spielen und manche Leiche liegt im Keller begraben. Das Haus der Herrscherfamilie ist also nicht nur Theater, sondern auch Friedhof, wo Ophelia (eindrücklich: Alkistis Poulopoulou) gleich selber ins Grab steigt. Die junge Frau ist das einzige wirkliche Opfer in dieser von Gewalt und Verstellung geprägten Welt und ihre geistige Verwirrung wird folgerichtig als Resultat der Vergewaltigung durch Hamlet gezeigt. Ihr Vater Polonius (Nikos Hatzopoulos) und ihr Bruder Laertes (Thanos Tokakis) dagegen suchen eifrig ihren Gewinn in diesem Spiel von „Sein und Nichtsein“. Rosenkranz und Güldenstern (Charis Frangoulis und Orpheas Avgoustidis) sind bei alledem nur noch zu traurigen Komikern deformierte Gehilfen. Es ist ein Spiel ohne Sieger, an dessen Ende sich das Haus auf der Bühne wieder schliesst.
Am Schluss sind bei Shakespeare wie bei Houvardas alle tot, allein Horatio (Kostas Vasardanis), der einzige Zuschauer des Geschehens, bleibt zurück. Nun sitzt er, wie am Anfang sein Freund Hamlet, an der Bühnenrampe. Da klingelt das Telefon und die Tür des Hauses öffnet sich knarrend einen Spalt weit. Ein neues Spiel beginnt und wir ahnen nichts Gutes.
Ingo Starz