Basel: Theater Basel – Grosse Bühne – „Tosca“ -Premiere vom 11.9. und zweite Vorstellung vom 14.9.2013
Basels neue „Tosca“: Biographisches szenisches Liederabendbühnendrama
„Unsere Zeitebene ist der Abend im Theater Basel, an dem Tosca als berühmte Sängerin live auf der Bühne steht und uns ein Konzert gibt, in dem sie ihr Leben erzählt. Die Möglichkeit, dass sich die Sängerin selbst beim Sterben zuguckt, gibt es zwar nur auf der Bühne. Aber hier gibt es sie. Das heisst: Am Ende stürzt sie sich von der Engelsburg in Rom, landet dabei de facto aber auf der Bühne. Wir erzählen von der Kunstfigur Tosca, die über mehr als hundert Jahre in wechselnden Inszenierungen immer wieder auf die Bühne kommt. Wir erzählen von der Sängerin Tosca, die in ihrer Biografie gefangen ist. So spielt unsere „Tosca“ zwar in einer zwar modernen, aber zeitlosen Gegend.“, soweit Jette Steckel, ihres Zeichens Regisseurin der Basler Neuinszenierung von Puccinis Opern-Hit in der „Basellandschaftlichen Zeitung“ im Interview mit Christian Fluri. Die junge Regisseurin gibt in Basel mit „Tosca“ und ihrer speziellen Sichtweise auf dieses Werk ihr Operndebut.
Nachdem Angelotti sich in der ersten Szene versteckt hat, tritt die Sängerin Floria Tosca an das Mikrofon, welches am Bühnenrand steht und stimmt den Song „Bang Bang“ von Sonny Bono an. Dieser Song steht für alles, was in der Folge im Leben der Floria Tosca passieren wird. Das Publikum findet sich eigentlich in einem szenischen Liederabend wieder; das Mikrofon bleibt nämlich während der ersten beiden Akte auf der Bühne und kommt immer wieder zum Einsatz. Neben Tosca greifen auch Cavaradossi und Scarpia danach – dies dann, wenn sie zu sich selber reden bzw. wenn es Informationen, welche ausschliesslich für das Publikum bestimmt sind, zu übermitteln gilt. Tosca reflektiert ihr Leben und gibt sich dabei den jeweiligen Stimmungen hin: Leidenschaftlich verliebt mit Cavaradossi, angewidert und dennoch fasziniert angezogen durch dessen Macht mit Scarpia, traumatisiert, paralysiert, wie im Schock während des Malers Folterung – und letztlich kurz zuversichtlich befreit, um sich dann in letzter Verzweiflung von der Mauer zu stürzen. Die Geschichte ist damit für Tosca nicht ausgestanden – sie steht dann nämlich wieder – wie zu Beginn – als Sängerin vor dem Mikro, ihr Blick auf das „Double“, welches gesprungen ist, gerichtet, im Wissen, dass sich die Geschichte noch so oft wiederholen wird, wie die Oper aufgeführt wird … Das hat fast so etwas wie der Fluch des „Fliegenden Holländers“… Im Interview nennt Regisseurin Steckel eine „moderne, aber zeitlose Gegend“ als Handlungsort. Dieser wird durch acht aus jeweils vier Würfeln bestehenden Säulen dargestellt. In ihrer Schlichtheit und Verwandlungsfähigkeit eine Meisterleistung des Bühnenbildners Florian Lösche. In diesen Säulen stecken acht Bühnenarbeiter (in jeder Säule einer), welche innert kürzester Zeit durch Verschiebung neue Räume für Orte und Stimmungen zaubern. Dies ist auf der gesamthaft dunkel gehaltenen Bühne ein absoluter Kraftakt, der jedoch perfekt gelingt. Zu Recht erhalten diese Herren an der Premiere einen eigenen Applaus und werden an der anschliessenden Premierefeier namentlich verdankt – bravi!! Die Kostüme von Pauline Hüners wirken ungekünstelt und absolut authentisch. Die exzellente Lichtgestaltung von Roland Edrich und die grossartigen Videoeinspielungen von Alexander Bunge verstärken die Stimmung und Wirkung der Aufführung. Manch einer mag sich daran stören, dass nicht selten „Rampensingen“ stattfindet. Bedenkt man jedoch, dass wir uns eigentlich an einem Konzert befinden, an welchem uns die Sängerin, assistiert von ihren „Special Guests“ Cavaradossi und Scarpia ihr Leben erzählt, mag dies auch eine Sichtweise sein – wenngleich ich mir zumindest im zweiten Akt mehr Interaktion von Tosca auf Scarpias grausige Taten gewünscht hätte. In meinen Augen und Ohren verlangt die Musik dies hier.
Wie auch immer: Die Inszenierung hat viele gute Ideen: So findet zum Beispiel Spoletta den toten Scarpia unmittelbar nach dessen Ermordung und lässt sich daraufhin genüsslich auf des Toten Sofa von der Bühne rollen – seine Zeit ist gekommen; Scarpias Nachfolge ist somit auch geregelt.
Das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Enrico Delamboye zeigt sich vor allem in der zweiten Vorstellung in allerbester Puccini-Laune. Gerät in der Premiere doch einiges zu breit, laut und undifferenziert, so gelingen in der zweiten Aufführung auch die feinen Passagen meisterlich. Der Chor des Theater Basel (Leitung: Henryk Polus) brilliert zusammen mit der Mädchenkantorei Basel (Einstudierung: Cordula Bürgi) und der Knabenkantorei Basel (Einstudierung: Markus Teutschbein). Szenische Unterstützung gibt es von der Statisterie des Theater Basel.
Ein sowohl optisches als auch stimmliches Traumpaar sind die beiden Protagonisten Svetlana Ignatovich als Tosca und Maxim Aksenov als Mario Cavaradossi. In der Aufführung vom 14.9. gelingt dem Paar vor allem im ersten und dritten Akt eine italienisch-veristische Traumstunde! Hochverdienter Zwischenapplaus für die beiden nach ihrer grossen Szene im ersten Akt sowie nach den beiden Arien. Als ihr Gegenspieler Scarpia wirkt Davide Damiani. Obwohl ich mir für Scarpia mehr stimmliche Schwärze gewünscht hätte, tut dies der sehr guten gesanglichen Leistung dieses Sängers mit schöner, sicherer Stimmer keinen Abbruch. Markus Nykänen, Mitglied des Opernstudios „Operavenier“, überzeugt als windiger Spoleta, Andrew Murphy ist als Sagrestano herrlich komisch. Marko Spehar als Angelotti verfügt über eine herrlich kräftige Stimme, neigt aber leider zum Tremolieren. Jason Robert Cox, ebenfalls vom Opernstudio, ist als Sciarrone und Wladyslaw W. Dylag als Carceriere zu erleben.
Ein eigenes kleines Highlight sind jedoch die beiden Jungs, welche den Pastore singen. Der Hirt ist in Jette Steckels Inszenierung ein Junge mit Skateboard, der zufällig am toten Scarpia vorbeikommt, ihn auf das Rollbrett hievt und von der Bühne rollt. Julian Schmidlin verfügt über eine kräftige, schöne Stimme und meistert den kurzen, aber sehr anspruchsvollen Part in der Premiere souverän. Mehr Bengelchen als Engelchen ist der Pastore der zweiten Aufführung. Einerseits singt der kleine Lausbub Raphael Bermeitinger wie sein Kollege wunderbar, andererseits kann er seinen Schalk nicht ganz verbergen, wenn er den toten Scarpia auf seinem Skateboard von der Bühne rollen darf. Und das ist herrlich erfrischend!
Die neue Basler „Tosca“ lässt sicher Fragen offen. Einige davon klären sich bei einem nochmaligen Besuch der Aufführung – sehr empfehlenswert! Das Publikum der ausverkauften Premiere dankt allen Beteiligten mit grossem Applaus. Der Applaus des spärlich erschienenen Publikums der zweiten Aufführung steht dem Premierenapplaus allerdings um nichts nach.
Nun wünsche ich der Basler „Tosca“ das, was sie verdient: Volles Haus und viele Zuschauer, welche sich zu einem weiteren Besuch dieser Produktion entschliessen!
Michael Hug