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BERLIN / Schaubühne: RICHARD III von William Shakespeare

Berlin/ Schaubühne: „RICHARD III“ von William Shakespeare, 10.02.2015

„Richard III“, eines der frühesten Stücke Shakespeares, uraufgeführt 1593, wird nun an der Schaubühne – durch den Umbau von Saal C in ein elisabethanisches Globe Theatre – im historisierten Rahmen gespielt. Ein netter Gag, der ahnen lässt, wie das damalige Publikum das Schauerstück erlebt hat.

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Schaubühne, Lars Eidinger als Richard III, Foto Arno  Declair

Lars Eidinger als Richard III. Foto: Arno Declair

Alles andere kommt in der Regie von Thomas Ostermeier und durch die Übersetzung von Marius  von  Mayenburg ganz modern daher. Das wichtigste „Möbel“ auf der zumeist kargen Bühne (von Jan Pappelbaum) ist ein von der Decke baumelndes Mikrophon, in das dieser heutige Richard seine finsteren Pläne spricht oder auch mal – bei heftigem Beat von Schlagzeuger Thomas Witte – einige der schönen Shakespeare-Verse im Original hineinrappt.

Diesen Unhold gibt Lars Eidinger, der Star des Hauses, mit angeschnalltem Buckel und schwarzer Kappe (Kostüme Florence von Gerkan). Mit schräg gestellten Beinen schlurft er jämmerlich hinkend umher. Ein Behinderter, ausgeschlossen von der Siegesparty nach gelungenem Kampf, obwohl er, der Krüppel, tapfer mitgekämpft und ganz nebenbei auch einige Widersacher seines Bruders Edward beseitigt hat. Der wird nun König, doch Richard erntet keine Anerkennung. Selbst die eigene Mutter verabscheut ihn als Missgeburt.

Da ihn niemand liebt, beschließt er bekanntlich, ein Böser zu werden. Eidinger macht das mit solch kindlichem Unschuldlächeln, das nur Insider wissen, welche Morde sich sein brillanter Verstand immer wieder ausdenkt. Denn Richard will der Herrscher werden. Ähnlich wie vor einiger Zeit als „Tartuffe“ mimt er auch hier so überzeugend den Frömmler, der gar nicht König werden will, und es gerade deshalb wird.

Auf seine Argumente und Schmeicheleien fallen ohnehin alle herein, sogar wenn er ungeniert seine Morde zugibt. Deren Notwendigkeit begründet er mit solcher Raffinesse, dass selbst die trauernde Lady Anne (Jenny König) am Sarg des gemeuchelten Gatten (!) seinem raffinierten Werben erliegt.

Bei Shakespeare öffnet Richard die Jacke, gibt Anne den Degen, damit sie ihn damit töten kann. Eidinger entledigt sich gleich sämtlicher Kleidung, stellt sich in schutzloser Nacktheit (er kann sich das leisten) vor sie. Ein Menschenkenner, der genau weiß, dass sie das nicht tun wird. Anstatt ihn zu erdolchen, nimmt sie seinen Verlobungsring an und wird im Handumdrehen seine Gattin.

Von der Charakterfestigkeit der Frauen scheint Shakespeare nicht viel gehalten zu haben. In dieser Inszenierung ist auch Richards Schwester Elizabeth (Eva Meckbach) eine schwächliche Person. Lady Anne und sie geben sich hier wie unbedarfte Party-Puppen. Haltung zeigt nur seine Mutter Margaret, die ihn und seine Helfershelfer verflucht. Robert Beyer (mit Perücke) gibt diese zornige Frau und spielt außerdem den Catesby und den Ersten Mörder.

Auch die übrigen Männerrollen sind – mit Ausnahme von Moritz Gottwald als Lord Buckingham – auf wenige Schauspieler verteilt. So agiert Sebastian Schwarz als Hastings, Brakenbury und Ratcliff, Thomas Bading als Edward, Bürgermeister und Zweiter Mörder, Christoph Gawenda als Clarence, Dorset, Stanley und Prinz v. Wales (als Puppe) sowie Laurenz Laufenberg als Rivers und York (als Puppe). Angenehmerweise müssen keine Kinderschauspieler die Mordopfer mimen.

Diese Mehrfachbesetzung von Rollen ist wohl nicht nur der Sparsamkeit geschuldet, sondern zeigt auch eines: Richards „Freunde“ sind sich in Habgier und Brutalität einander so ähnlich, ihm überdies in ihren geistigen Fähigkeiten so unterlegen, dass es keiner Einzel-Darsteller bedarf. Versagen sie, werden sie gehängt oder geköpft, was hier nicht gezeigt wird.

Dieses Schicksal trifft zuletzt Lord Buckingham (Moritz Gottwald), den Königsmacher, der ihm zu der Verstellung als Frömmler geraten hatte. Der scheut nun vor dem Mord an den beiden Kinder-Prinzen zurück. Bei Shakespeare landet er unterm Beil, hier schleudert ihm Richard wütend einen Teller mit Essen ins Gesicht. Den Rest müssen sich die Zuschauer denken.

Insgesamt betrachtet bleibt während der pausenlosen, 2 ½ stündigen Aufführung Eidingers Richard unangefochten die Hauptfigur, doch eine der leisen Töne. Ein Regent, der seine Mordlust exzellent versteckt. Erst zuletzt bekommt er Albträume, sieht die Ermordeten an seinem Bett stehen. Sie erscheinen dort wirklich, was etwas komisch wirkt. Erst jetzt schreit er sein Entsetzen heraus, weiß, dass seine Tage gezählt sind. Zusammen mit Drummer Thomas Witte kommt nun Schwung ins bis dato dialogreiche Geschehen.

Von Wahnvorstellungen gepackt, rast Eidinger mit dem Schwert in der Hand treppauf treppab über die Bühne, schlägt krachend auf alles ein, ist überall und nirgends, so als wäre er in einer Schlacht. Das minutenlang – eine packende Performance.

Seine letzte Schlacht, in der er das Leben verlor, ist historisch belegt. Angeblich wurde kürzlich sein vielfach verwundeter Leichnam entdeckt. Hier hängt sich Eidinger am Mikrophonkabel selbst auf, baumelt kopfüber wie ein geschlachtetes Schwein. Ein schweinisches Ende und eine Anlehnung in die Inszenierung von „Maß für Maß“.

Zuletzt starker Beifall begeistertes Getrampel für alle und besonders für Lars Eidinger.

Ursula Wiegand

 

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