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DARMSTADT: MACBETH. Derniere

DARMSTADT: MACBETH – Dernière am 20.2. (Werner Häußner)

 Gottes Zorn möge den Schuldigen treffen, bittet der Chor in Giuseppe Verdis „Macbeth“ auf dem Höhepunkt des Entsetzens über den Mord an König Duncan. Und ihm einen Stempel ins Antlitz brennen, wie er dem ersten Mörder aufgeprägt hat. Das Kainsmal trägt Macbeth schon am Beginn, bei der ersten Begegnung mit den Hexen, in Viestur Kairishs Inszenierung in Darmstadt. Der lettische Regisseur – er hat in seiner Heimatstadt Riga einen Aufsehen erregenden „Ring des Nibelungen“ inszeniert – eröffnete mit diesem „Macbeth“ im September 2014 gemeinsam mit Jay Scheib und seinem Monteverdi-„Ulisse“ die neue Intendanz von Karsten Wiegand am Staatstheater Darmstadt. Und setzte die Messlatte für den künftigen Anspruch an diesem Haus ziemlich hoch.

Leider ist die zeichenreich verdichtete Inszenierung schon wieder abgespielt – am 20. Februar war Dernière: Eine Vorstellung, die kaum etwas von der ursprünglichen Intensität des Geschehens auf der Bühne vermissen ließ. Und die in der ausgefeilten Rollengestaltung der Sänger und der Präsenz im Orchestergraben für die musikalische Arbeit in Darmstadt Gutes hoffen lässt. Nur der Chor hatte – wie so manches Mal – einen schlechten Tag. Flatterige Einsätze und unebener Klang häuften sich. Allerdings macht es Kairish den Chorsängern nicht leicht: Wenn sie in „patria oppressa“ Ringelreihen spielen müssen, fällt es schwer, Kontakt zum Dirigenten zu halten.

„Macbeth“ ist in Darmstadt sicherlich das düstere Spiel um die lebenserstickende Dämonie der Macht. Aber Kairish sieht mehr: Bei ihm wird Verdis wohl revolutionärste Oper zu einer dichten Parabel auf die fatale Verdrängung der Zeit. Macbeth, angestachelt durch den neutralen Spruch der Hexen, will die Zukunft bestimmen, die er gleichzeitig fürchtet: Der Gang zu den Weissagerinnen soll den Schleier des Unbestimmten zerreißen. Die Lady will die blutige Vergangenheit tilgen: Aus dem Grabe steigt niemand, der gestorben, wieder heraus, redet sie sich in ihrer Wahnsinnsszene ein. Es sind die Albträume verbrecherischer Gewaltherrscher, die sich bedroht wähnen durch Vergangenheit und Zukunft.

Aber der Zeit entkommt niemand und die Zukunft ist gegenwärtig – und sei es als Wahn oder Weissagung: Der Einzug König Duncans mutiert bei Kairish zum Trauerzug; der König liegt bereits aufgebahrt auf dem riesigen Bett, das die Bühne in fast allen Bildern bestimmt. Das Fest im Finale des Zweiten Akts gruppiert sich um den toten Banquo, den Macbeth aus dem Bett rollt und unter den Tisch befördern will. Aber der Leichnam dreht sich wieder hervor, lässt sich nicht verbergen. In der ersten Szene der Lady kauert ein nackter, blutiger Körper neben dem Bett – wie ein Incubus, bereit zum Sprung.

Die Kinder im Stück sind für Macbeth unheimliche Träger der Zukunft: Kleine Schreckgespenster wie der Sohn Banquos, der mit „buh huh“ seine Lampe auf den Vater richtet, aber auch riesenhafte Babys wie Macduff: Als blutig-monströser Säugling singt er seine Arie „O figli miei“ und erscheint am Ende Macbeth als ungeborener, aus dem Leib der Mutter geschnittener Rächer. Seine Gefolgsleute sind Riesenkinder in Schuluniformen (die durchdachten Kostüme sind von Ilse Welter). Zukunft ist für Macbeth tödlich.

Der Bühnenbildner Reinis Dzudzilo – er hat zuletzt „Il Trovatore“ in Riga ausgestattet – teilt Verdis Szenen mit vielen Zwischenvorhängen in eine schnelle Abfolge scharf geschnittener Bilder: „Trau dich“ steht über einem erleuchteten Kasten, in dem die Hexen zunächst wie Schaufensterpuppen Brautkleider tragen. Macbeth wird in diese Sphäre hineingezogen und vom Militär zum Bräutigam verwandelt – ein beziehungsreiches Spiel, das „Innen“ und „Außen“, Traum und Phantasmagorie, Halluzination und Realität verschränkt. Die Drehbühne schwenkt direkt in das Schlafzimmer der Lady, dessen Hyperrealismus von symbolischen Details verstärkt und gleichzeitig gebrochen wird: eine Uhr, eine Eule, ein Hochzeitsbild über dem Bett. Für das Fest weitet sich der Raum auf Bühnengrüße. Am Ende schrumpft er zu einem Erdloch, in dem die Lady ihren Horror vor der Vergangenheit im Selbstgespräch formuliert und sich dann mit einem Brautkleid zum Sterben legt. Ein Bunker, in den sich Kinder mit Plastikschaufeln hinuntergraben, um den einsamen Macbeth zu erledigen.

In Darmstadt stirbt er mit den gestammelten Worten des Schlussmonologs aus der ersten Fassung der Oper von 1847: Olafur Sigurdarson gestaltet eine von Anfang an gepeinigte Gestalt, dessen blinkende Uniform einen innerlich haltlosen Charakter verkleidet. Zunächst mit eindrucksvollem Bariton erfreulich bewusst gestaltend, bekommt Sigurdarson im Lauf des Abends Probleme, weil seine Stimme nach oben rutscht, den Körper verliert und unter Druck gebildet wird. Kein Wunder, dass die Piani spröde werden und der Ansatz rau: vermutlich ein Problem der Tiefenatmung.

Die Lady singt das langjährige Darmstädter Ensemblemitglied Katrin Gerstenberger. Man hört einige Probleme mit der Beweglichkeit und dem Passaggio, aber die werden mehr als aufgewogen durch eine faszinierend reflektierte Gestaltung: Gerade weil Gerstenberger keine „Stimme“ zeigen muss, kann sie jedes Wort, jede Phrase abwägen, färben, gestisch durchdringen. Der fahle Ton von „La luce langue“ dürfte dem Ideal des „erstickten“ Singens nahekommen, das Verdi vorschwebte. Die Wiederholung des Trinklieds variiert sie stilgerecht nicht nur durch Verzierungen, sondern auch durch eine dunkel-gebrochene Färbung, durch die sich der Schleier des Unheils auf die verlogene Brillanz legt. Ausdrucksstarkes Singen!

Ein anderes Darmstädter Urgestein ist Elisabeth Hornung, die als Kammerfrau an der Seite des klar artikulierenden Marian Müller als Arzt große Bühnenerfahrung in kleiner Szene einbringt. Vadim Kravets zeigt als Banquo einen ansprechenden, zu fließendem Legato fähigen Bass, Christopher Kaplan als Malcom einen sauber fokussierten Tenor. Nicht glücklich macht Felipe Rojas Velozo als Macduff: Die Töne sind mit viel Druck in die Maske gequetscht, klingen gezwungen und larmoyant, sollen unter allen Umständen laut und kraftvoll tönen und lassen dabei Flexibilität und Farbe vermissen. Ein Paradebeispiel für verbreitete Unsitten des Singens, die oft genug als „Belcanto“ missverstanden werden.

Will Humburg leitet das Staatsorchester Darmstadt. Der neue GMD hat sich als Bellini- und Verdi-Dirigent viele Meriten erworben. In der Tat legt er viel Wert auf Details wie auf große Linie, meidet den ungenierten, grob vordergründigen Zugriff, den man gerne mit dem frühen und mittleren Verdi verband. Stattdessen setzt er auf Delikatesse in der Balance der Instrumente, auf detaillierte Akzente, auf metrische und rhythmische Feinarbeit.

Was mir immer wieder aufgefallen ist – so in Bonn bei Verdis „Giovanna d’Arco und in Stuttgart und Wiesbaden in Bellinis „Norma“ – ist der Umgang mit Tempi und Rhythmus: Rasches Durchdirigieren steht in schnellen Passagen an der Stelle atmender Flexibilität oder drängender Energie; lyrische Momente dürfen nicht ausschwingen, Fermaten und Phrasierungs-Höhepunkte werden mit wie unwillkürlich aufbrechenden Accelerandi abgeschlossen – so etwa im Finale des ersten „Macbeth“-Aktes auf den Worten nach dem dynamische Höhepunkt („sul primo uccisor“). Mag sein, dass sich Humburg, mit der Partitur gewappnet, ungutem Herkommen widersetzen will – aber nicht jede Tradition ist Schlamperei.

Werner Häußner

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