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STUTTGART: JENUFA – Hochspannung trotz Missverständnissen

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Stuttgart: „JENUFA“ 20.2. 2015 (WA 1.2.2015) – Hochspannung trotz Missverständnissen

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Erstklassige Solisten in entfremdetem Ambiente – v.l. Rebecca von Lipinski (Jenufa), Angela Denoke (Küsterin) und Pavel Cernoch (Laca). Foto: A.T. Schaefer

 Über viele Jahre war sie eine gefragte Interpretin der Titelrolle, jetzt hat Angela Denoke im Zuge eines langsamen Rollenfach-Wechsels zum ersten Mal die Küsterin übernommen. Die mittlere Größe ihres ehemaligen Stammhauses (von 1996-2000 gehörte sie zum Ensemble) erschien ihr der passende Rahmen, um diese nicht ungefährliche Partie, die in den Ohren vieler Opernkenner mit meist dramatischeren und dunkleren Stimmen verbunden ist, auszuprobieren. Das Ergebnis ist ein völlig verändertes Bild von dieser hartherzigen, streng moralischen Frau, weil hier keine ältliche Autorität, sondern eine gut aussehende Frau mittleren Alters zu sehen ist, der es gelingt glaubhaft zu machen, dass sie einst selbst ein ähnliches Schicksal wie ihre Ziehtochter Jenufa hatte und ihr aus Erfahrung die Schande eines unehelichen Kindes ersparen will. Im schlichten schwarzen Kostümanzug und mit umgehängtem Kreuz ragt sie dennoch aus den Mitmenschen heraus und entblättert mit der von ihr gewohnten Hingabe und Totalidentifikation ihr Innerstes. Wo sonst über weite Strecken ein meist herberer und metallischerer stimmlicher Einschlag zu vernehmen ist, gibt sie der Partie einen leichten, lyrischeren Tonfall und macht auf diese Weise die Schönheiten der erdigen Janacekschen Klangsprache noch mehr offenbar. So viele Herzenstöne dürften von der Küsterin bislang kaum zu hören gewesen sein, und dennoch hat ihr Einsatz den rechten Biss, auch weil sich ihr immer noch schlank geführter Sopran in orchesterstarken Passagen als sehr tragfähig erweist. Nur bei ein paar nicht mehr ganz mühelos anspringenden Hochtönen und in den dramatischen Höhepunkten am Ende des zweiten und bei ihrem Geständnis im dritten Akt bleibt in verstärktem Vibrieren ein durch gewisse Grenzen überschreitendes Repertoire erfolgter Verschleiß nicht ganz verborgen. Dies sei nur der Bestandsaufnahme ihrer stimmlichen Verfassung halber erwähnt und kann den gesamtkünstlerischen Ertrag ihrer Rollenverkörperung nicht schmälern. Die inszenierungsbedingte Vorgabe, den Kindsmord nicht hinter, sondern auf der Bühne zu begehen, erfüllt sie mit Respekt gebietender Vermeidung von Theatralik. Ihr manischer Versuch, während des auf offener Bühne erfolgenden Umbaus zum dritten Akt, das Blut vom Tisch abzukratzen, gleicht einer atemberaubenden Wahnsinnsszene. Eine insgesamt ganz andere Rollenzeichnung, ohne dass dieser starken Partie eine Komponente verlustig gegangen wäre.

Rebecca von Lipinski, die in dieser neueinstudierten Serie als Jenufa ebenfalls ein Debut hatte, steigerte sich nach anfänglichen Höhenschärfen zu einer immer lichter, differenzierter und seelenvolleren Tongebung ihres leuchtend klar eingesetzten jugendlich dramatischen Soprans und gewann auch inszenierungsbedingt zunehmend die Glaubwürdigkeit einer verunsicherten, um ihr Glück kämpfenden jungen Frau.

Nach jahrelangem Einsatz als Stewa wechselte Pavel Cernoch nun zu dessen Halbbruder Laca und damit auch zur ergiebigeren Aufgabe. Sein schöner und schmelzreicher Tenor wird immer größer und trägt jetzt deutlich heldische Züge, ohne den leichten Ansatz für Lyrismen verloren zu haben. Mit voller und klangreich entfalteter Höhe gibt er der nicht einfachen Charakterpartie gewisse attraktive Züge. Sein schauspielerischer Einsatz als zunächst durch seine lieblose Kindheit frustriert gewordener und im eifersüchtigen Ringen um Jenufas Liebe immer mehr Zutrauen gewinnender Enkel der alten Buryja ( Renate Behle mit noch recht üppigem vokalem Zuschnitt) rundet dieses Debut zu einem ehrlichen Erfolg.

Vierter des Hauptrollen-Quartetts ist Gergely Németi als leichtfertiger Stewa, dessen glaubhaft veranschaulichte Leichtfertigkeit Hand in Hand mit seinem offenherzig belkantesk eingesetzten und angenehm timbrierten Tenor geht.

Die Vertreter der kleineren Partien rundeten das Ensemble-Bild mit ausnahmslos rollendeckenden Leistungen: Mark Munkittrick (Der Alte), Michael Ebbecke (Richter), Maria Theresa Ullrich (seine Frau), Lauryna Bendziunaite (Karolka), Yuko Kakuta (Jano), Talia Or (Barena) und Karin Torbjörnsdottir (Schäferin).

Eine Fortführung des mit „Katja Kabanova“ und „Osud“ so erfolgreich begonnenen Janacek-Zyklusses durch Jossi Wieler hätte viel versprechen lassen. Leider wurde jetzt auf die acht Jahre zurück liegende Inszenierung von Calixto Bieito zurück, die das so stark im ländlichen, ja landwirtschaftlichen Bereich verwurzelte Stück sehr drastisch in die Nachkriegszeit-Industrie einer heruntergekommenen Textilfabrik im Besitz der Buryjas verlegt, die im zweiten Akt ganz geschlossen ist und als Zufluchtsort für die Küsterin und Jenufa dient, und im  dritten Teil zu einem vom Richter neu aufgebauten Betrieb mit einem klinisch hellen Arbeitsraum voller surrender Nähmaschinen mutiert. (Bühne: Susanne Gschwender, Kostüme: Ingo Krügler) Dieses total verfremdete und betont hässliche Umfeld sorgt immer wieder für Missverständnisse, lässt sich aber aufgrund der letztlich konzentriert zielführenden Personenregie und dem spannungsvollen Zusammenwirken von Musik und Spiel immer mehr ausblenden. Wenn Jenufa und Laca am Ende aus Erleichterung über eine gemeinsame Zukunft sogar ein gegenseitiges Zulachen andeuten, bekommt der Schluss einen gar nicht vermuteten verstärkten Schuss an Optimismus, der die hymnisch gesteigerte Schluss-Sequenz noch intensiviert. Da hatte denn auch das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung ihres Chefs Sylvain Cambreling zu einer ausgewogenen Balance gefunden, nachdem im ersten Akt etwas mehr Lautstärke-Abdämpfen seitens des Dirigenten erwünscht gewesen wäre. Janaceks nervenstarke Musiktheatersprache von einem erstklassigen Orchester zu hören, ist indes allemal ein Fest, weil trotz aller rhythmischer Schwierigkeiten und sperriger Motive der Fluß mit allen Nebenstimmen leicht in Gang gehalten wird. Die Schroffheit der gewählten originaleren Brünner Fassung kam dem schonungslosen szenischen Zugriff natürlich entgegen und wurde von Cambreling und den MusikerInnen auch in allen instrumentatorischen Erscheinungen auf den Punkt gebracht. Der Staatsopernchor (Einstudierung: Christoph Heil) lebte seinen Spieldrang als proletarisch gezeichnete Fabrik-Arbeiterschar und Soldaten wie gewohnt ohne vokale Verluste genüsslich aus. Jubel für die drei Rollen-Debutanten.                                                                                                                                            

Udo Klebes  

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