Stuttgart: „JENUFA“ 20.2. 2015 (WA 1.2.2015) – Hochspannung trotz Missverständnissen
Erstklassige Solisten in entfremdetem Ambiente – v.l. Rebecca von Lipinski (Jenufa), Angela Denoke (Küsterin) und Pavel Cernoch (Laca). Foto: A.T. Schaefer
Rebecca von Lipinski, die in dieser neueinstudierten Serie als Jenufa ebenfalls ein Debut hatte, steigerte sich nach anfänglichen Höhenschärfen zu einer immer lichter, differenzierter und seelenvolleren Tongebung ihres leuchtend klar eingesetzten jugendlich dramatischen Soprans und gewann auch inszenierungsbedingt zunehmend die Glaubwürdigkeit einer verunsicherten, um ihr Glück kämpfenden jungen Frau.
Nach jahrelangem Einsatz als Stewa wechselte Pavel Cernoch nun zu dessen Halbbruder Laca und damit auch zur ergiebigeren Aufgabe. Sein schöner und schmelzreicher Tenor wird immer größer und trägt jetzt deutlich heldische Züge, ohne den leichten Ansatz für Lyrismen verloren zu haben. Mit voller und klangreich entfalteter Höhe gibt er der nicht einfachen Charakterpartie gewisse attraktive Züge. Sein schauspielerischer Einsatz als zunächst durch seine lieblose Kindheit frustriert gewordener und im eifersüchtigen Ringen um Jenufas Liebe immer mehr Zutrauen gewinnender Enkel der alten Buryja ( Renate Behle mit noch recht üppigem vokalem Zuschnitt) rundet dieses Debut zu einem ehrlichen Erfolg.
Vierter des Hauptrollen-Quartetts ist Gergely Németi als leichtfertiger Stewa, dessen glaubhaft veranschaulichte Leichtfertigkeit Hand in Hand mit seinem offenherzig belkantesk eingesetzten und angenehm timbrierten Tenor geht.
Die Vertreter der kleineren Partien rundeten das Ensemble-Bild mit ausnahmslos rollendeckenden Leistungen: Mark Munkittrick (Der Alte), Michael Ebbecke (Richter), Maria Theresa Ullrich (seine Frau), Lauryna Bendziunaite (Karolka), Yuko Kakuta (Jano), Talia Or (Barena) und Karin Torbjörnsdottir (Schäferin).
Eine Fortführung des mit „Katja Kabanova“ und „Osud“ so erfolgreich begonnenen Janacek-Zyklusses durch Jossi Wieler hätte viel versprechen lassen. Leider wurde jetzt auf die acht Jahre zurück liegende Inszenierung von Calixto Bieito zurück, die das so stark im ländlichen, ja landwirtschaftlichen Bereich verwurzelte Stück sehr drastisch in die Nachkriegszeit-Industrie einer heruntergekommenen Textilfabrik im Besitz der Buryjas verlegt, die im zweiten Akt ganz geschlossen ist und als Zufluchtsort für die Küsterin und Jenufa dient, und im dritten Teil zu einem vom Richter neu aufgebauten Betrieb mit einem klinisch hellen Arbeitsraum voller surrender Nähmaschinen mutiert. (Bühne: Susanne Gschwender, Kostüme: Ingo Krügler) Dieses total verfremdete und betont hässliche Umfeld sorgt immer wieder für Missverständnisse, lässt sich aber aufgrund der letztlich konzentriert zielführenden Personenregie und dem spannungsvollen Zusammenwirken von Musik und Spiel immer mehr ausblenden. Wenn Jenufa und Laca am Ende aus Erleichterung über eine gemeinsame Zukunft sogar ein gegenseitiges Zulachen andeuten, bekommt der Schluss einen gar nicht vermuteten verstärkten Schuss an Optimismus, der die hymnisch gesteigerte Schluss-Sequenz noch intensiviert. Da hatte denn auch das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung ihres Chefs Sylvain Cambreling zu einer ausgewogenen Balance gefunden, nachdem im ersten Akt etwas mehr Lautstärke-Abdämpfen seitens des Dirigenten erwünscht gewesen wäre. Janaceks nervenstarke Musiktheatersprache von einem erstklassigen Orchester zu hören, ist indes allemal ein Fest, weil trotz aller rhythmischer Schwierigkeiten und sperriger Motive der Fluß mit allen Nebenstimmen leicht in Gang gehalten wird. Die Schroffheit der gewählten originaleren Brünner Fassung kam dem schonungslosen szenischen Zugriff natürlich entgegen und wurde von Cambreling und den MusikerInnen auch in allen instrumentatorischen Erscheinungen auf den Punkt gebracht. Der Staatsopernchor (Einstudierung: Christoph Heil) lebte seinen Spieldrang als proletarisch gezeichnete Fabrik-Arbeiterschar und Soldaten wie gewohnt ohne vokale Verluste genüsslich aus. Jubel für die drei Rollen-Debutanten.
Udo Klebes