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LINZ/ Landestheater: LALA AUF DER COUCH – Tanzstück von Mei Hong Lin mit Musik von Serge Weber. Österreichische Erstaufführung

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Tanztheater-Premiere: Lala auf der Couch

Tanzstück von Mei Hong Lin mit der Musik von Serge Weber

(Österreichische Erstaufführung) am 5.3.2015

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Andressa Miyazato. Foto: Barbara Aumüller für das Landestheater Linz

Die Landestheater-Ballettchefin Mei Hong Lin hat als letzte Premiere bzw. Uraufführung in ihrem vorigen Wirkungsort Darmstadt dieses Stück über die Chefredactrice eines Modemagazins herausgebracht, die nach einem Zusammenbruch (heute: burn-out), auf der Couch im Sinne des Freud’schen Berufsmöbels landet. Die Rezeption im Feuilleton war damals gemischt, wie man noch aus dem Internet erfahren kann. Medizinisch könnte man auch einwenden: „burn-out“ ist wohl in den meisten Fällen die altbekannte (endogene) Depression, der man ein modisches bzw. schamhaft verschleierndes Mäntelchen umgehängt hat (allgemeine Anmerkung: was soll das? Die Depression ist letztendlich ja doch eine organische Erkrankung wie eine Blinddarmentzündung…); sowas wird heutzutage meist medikamentös behandelt, und nicht mittels Psychotherapie. Jedoch muß man aus der Warte des Theaterbesuchers zugeben: dramatisch gibt das Tablettenschlucken nicht weißgottwas her, da sind Traum- und Erinnerungsanalysen mit Sicherheit weit ergiebiger. Also sehen wir das Ganze als „McGuffin“ im Sinne von Alfred Hitchcock: eine spätestens auf den zweiten Blick unplausible Annahme, die aber im besten Fall so überzeugend inszeniert wird, daß man gar nicht daran denkt, die Logik zu hinterfragen.

Im Prinzip wird die Darmstädter Inszenierung auch hier in Linz gezeigt, sowohl was Ausstattung (Bühne Dirk Hofacker, Kostüme Bjanka Ursulov) als auch einen Großteil der Darstellerinnen und Darsteller betrifft. Die dramaturgische Betreuung liegt bei Sarah K. Schäfer und Ira Goldbecher.

Die Hauptrollen sind Lala, Chefredakteurin eines Modemagazins: Andressa Miyazato und Dr. Rosenthal, Psychiater: Wout Geers. Lala im Traum: Mireia González Fernández, als Teenager und Kind: Rie Akiyama verkörpern die Hauptperson in den Analyse- und Traumszenen.

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Foto: Barbara Aumüller für das Landestheater Linz

Das bunte und schrille (durchaus auch akustisch gemeint!) Volk in der Modezeitungsredaktion: Coco, Training Director: Rutsuki Kanazawa, Rachel, Personal Assistant: Ines Fischbach, Oscar, Creative Director: Alexander Novikov, Ruby, Modedesigner: Julio Andrés Escudero, Louis, International Editor: Sven Gettkant, Fashion and Beauty Bookings: Sakher Almonem, Sabine Pechtl. Redaktionsbote bzw. UP Express: Pavel Povrazník.

Als Gast in der Redaktion (zu einem Titelshooting) Superidol Clooney, Geoffroy Poplawski.

Weitere Traumgestalten: als Priester/Richter/Staatsanwalt/Verteidiger Damián Cortes Alberti, Lalas Mutter Lara Bonnel Almonem, Lalas Vater Damián Cortes Alberti, Lalas erste Liebe Ohad Caspi, Lalas Highschoolfreundin Nuria Gimenez Villarroya, Louis’ Frau Anna Štĕrbová.

Eine Schattenfigur, wohl das depressive Innere von Lala darstellend, genannt Blue (Jonatan Salgado Romero), schleicht mit bedächtigen Bewegungen, nicht unähnlich einem Schattenboxer, schon durch den Zuschauerraum, während das Publikum noch seine Plätze aufsucht. Später dann durchstreift sie Träume und Analyseerinnerungen der Protagonistin.

All diese Erwähnten verdienen alleine für ihre körperliche Leistung und präziseste, komplexeste Bewegungsmuster höchsten Respekt, und synchronisierte Aktionen funktionierten fast durchwegs auf die Hundertstelsekunde exakt. Frau Miyazato ist fast ununterbrochen auf der Bühne und ebenso fast ununterbrochen in Bewegung.

Die Aufführung kommt ohne live-Orchester aus, denn die komplexe Musik Serge Webers arbeitet mit vielerlei Quellen, von Jazz-samples der Chicago-Ära bis zum Jazz Rock, von Beethoven bis musique concrète, Stimmenmixturen und elektronischen Klängen – über eine erstklassige Lautsprecheranlage zu Gehör gebracht. Dieser Klangteppich bleibt aber eher oberflächlich und im Illustrativen, irgendwelche thematische Ideen oder Leitmotive lassen sich nicht ausmachen.

Die Bühne, die weit nach vorne über den Orchestergraben reicht, besteht in erster Linie aus einem annähernd ovalen, weiß lackierten Durchlaß (mit ein paar theatralisch nutzbaren Anhängseln und Unregelmäßigkeiten). Dieser markiert in etwa die Grenze zwischen realer und Lalas Innenwelt und läßt, ähnlich einer half-pipe für skateboarder, an den seitlich ansteigenden Wänden eine Reihe von akrobatischen Kunststücken zu: diese Möglichkeit wird auch ausführlich genutzt. Im traumhaften oder unterbewußten Hintergrund tauchen Blumen oder Bäume auf, und auch einige eher putzige Monster(chen), neben Trikotfiguren. Die Kostüme im „realen Leben“ sind auch großteils realistisch (wenn auch nicht immer wohlüberlegt – ein graues Hemd gibt eben Schweißflecken nur allzu offensichtlich preis) gestaltet, nur der „Superstar“ ist ein bissl extravagant und ein bissl exhibitionistisch kostümiert.

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Andressa Miyazato, Alexander Novikov. Foto: Barbara Aumüller für das Landestheater Linz

Die Handlungslinie: kreatives Chaos in der Reaktion mit Lalas Zusammenbruch, Sitzung beim Psychiater mit ersten Selbsterfahrungen, Superstar erscheint in der Redaktion, Lalas pas de deux mit ihrem „Verhältnis“ Louis, schöne und angsterregende Träume, Hypnose mit der Aufdeckung eines Kindheitstraumas, Verarbeitung desselben, die neue Ausgabe des Magazins erscheint, und schließlich trifft Lala auf Superstar Clooney und könnte sich eine Zukunft mit ihm vorstellen. Das läßt sich teils durchaus aus dem Bühnengeschehen ablesen, aber ein Blick in die Inhaltsangabe im Programmheft muß dann und wann doch weiterhelfen… Mitunter setzen die Tänzerinnen und Tänzer auch ihre Stimmen ein – meist nur kurz, akzenthaft; auch ist die schwindelerregend schnelle Suada von Lala (auf Portugiesisch!) ein guter Einstieg in ihre hektische Welt. Manchmal allerdings muß das ganze Ensemble minutenlang kreischen, z. B. während es ohnedies schon in (wohlchoreographiertem) Chaos in der Redaktion herumwirbelt: das ist dann doch des Guten zu viel. Und vor allem bleibt das Ganze bei allem tänzerisch-akrobatischen und mimischen Engagement der Akteure eher unterkühlt – Emotionen schaffen es buchstäblich nicht über die Rampe.

Fünf Minuten Applaus, mit Bravorufen für Hauptdarsteller und leading team.

Fazit: beeindruckende Leistungsschau des Tanztheater-Ensembles ohne emotionellen Funkenflug.

 Helmut & Petra Huber

 

 

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