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HAGEN: VANESSA von Samuel Barber. Premiere

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Hagen: VANESSA von Samuel Barber.   Premiere am 7.März 2015

 Als erstes sollte hinsichtlich der Hagener Produktion von Samuel Barbers „Vanessa“ festgehalten sein, dass sie im Sinne einer Teamarbeit ganz und gar erstrangig ausgefallen ist. Ein Ensemblemitglied findet zu einer überaus bestechenden Leistung, hoher Vokalstandart bestimmt auch die Gastsänger. Das Orchester entledigt sich seiner Aufgabe auf hohem Niveau, die Inszenierung verrät allerbestes Handwerk. Ein solches Ergebnis und Erlebnis am Hagener Theater, welches zu den sog. „kleinen“ gezählt wird,  macht im Grunde glücklicher als große „Events“ an einem großen, besser dotierten Haus.

 Die schöne Hagener Gepflogenheit, dem Publikum  pro Saison eine Rarität vor allem aus dem zeitgenössischen Schaffen zu präsentieren, verbindet sich besonders mit dem Namen des Regisseurs ROMAN HOVENBITZER. Er hat vor Ort beispielsweise Zemlinskys „Kleider machen Leute“, André Previns „Endstation Sehnsucht“ und Ludger Vollmers „Lola rennt“ herausgebracht. Amerikanische Werke dominieren in dieser Bilanz. Auch „Vanessa“ ist ein USA-Gewächs und Barbers erste Oper, die 1958 nicht irgendwo, sondern an der Met sowie den Salzburger Festspielen Premiere hatte (die Reaktionen waren unterschiedlich). Auch das zweite Bühnenwerk Barbers, „Antony and Cleopatra“, erblickte in New York das Licht der Bühnenwelt, zur Eröffnung des neuen Met-Hauses 1966. Von diesem Werk hat man danach freilich nichts mehr gehört. Auch die Aufführungsstatistik von „Vanessa“ hält sich in Grenzen. Für Deutschland sind Produktionen aus jüngerer Zeit für Darmstadt, Gießen und Frankfurt zu nennen. Nun also Hagen – mir durchaus enthusiasmiertem Premierenerfolg.

 Er ist fraglos auch der Tatsache zuzuschreiben, dass Barber (wie u.a. an seinem berühmten „Adagio“ ablesbar) eine Musik schreibt, die nicht in das Schema radikaler Moderne passt. Bei ihm gibt es immer noch harmonische Konsonanzen, ausladende Melodiebögen, in „Vanessa“ auch eine Tendenz zu veristischer Plakativität, dazu typische Opernnummern wie Duett und Ensemble. Barbers leicht retrospektive Ästhetik muss natürlich immer mit Ablehnung rechnen. In Hagen jedoch schienen nur Genießer im Publikum zu sitzen.

 Das Sujet von „Vanessa“ (Barbers Freund Gian Carlo Menotti verfasste das Libretto) passt in die Dramatik der fünfziger Jahre, als Autoren wie Arthur Miller, Thornton Wilder, Tennessee Williams und Eugene O’Neill das Sagen hatten. „Trauer muss Elektra tragen“ des Letztgenannten scheint sogar unmittelbar auf „Vanessa“ abgefärbt zu haben. Die junge Erika, zu einer befreiten Liebe nicht fähig, überlässt den lebenslustigen Anatol ihrer (vermutlichen) Mutter Vanessa. Dabei ist Anatol nicht der vergötterte Mann ihrer Jugend, auf den diese seit zwanzig Jahren wartet, sondern der Sohn. Aber ein spätes Glück findet sie, jugendlich aufblühend, auch bei ihm. Erika hingegen, emotional zwar aufgewühlt, „altert“ hingegen, trägt Trauer und verfügt sich in das Schicksal ihrer „Mutter“. Diese wenigen Inhaltssätze deuten einen leichten Kolportagecharakter der Handlung an, die auch von Sentimentalitäten nicht frei ist.

 Theatralisch wirkungsvoll ist das Ganze aber durchaus, auch dank Barbers effektvoller, kaum Hörschwierigkeiten aufbauender Musik, die unter FLORIAN LUDWIG voll zur Wirkung kommt. Sie gibt den Emotionen der Protagonisten reichlich Nahrung. Das nutzen die Hagener Sänger zu ihren Gunsten. Die Titelpartie gestaltet die Australierin KATRINA SHEPPARD emphatisch und leidenschaftlich, in der Höhe mitunter nur etwas grell. Den Weg der Erika von einem heiteren Mädchen  zur Trauer-Ikone gestaltet der vielseitige Ensemble-Mezzo KRISTINE LARISSA FUNKHAUSER mit großem Facettenreichtum und leidenschaftlicher Bühnenaktion. Als fescher Anatol ist RICHARD FURMAN nichts weniger als eine Idealbesetzung. Der gut aussehende und enorm spielfreudige amerikanische Tenor legt seine Partie wie einen Siegfried an (beide Wagner-Rollen hat er drauf), mit einer schönen Windgassen-Mischung aus Dramatik und Lyrik. Als Doktor bringt ILKKA VIHAVAINEN einen ausgesprochen großvolumigen Bariton zu Gehör. GUDRUN PELKER ist mit fester Stimme die alte Baronin, Vanessas Mutter, eine abweisende, aber hellhörig am Geschehen teilnehmende Greisin, im Outfit an die „Pique Dame“-Gräfin der Martha Mödl erinnernd. In Gelsenkirchen hat sie diese Partie vor kurzem ebenfalls gesungen.

 Roman Hovenbitzers Inszenierung bietet präzises Kammerspiel, klar in der Aussage, sinnfällig und einfallsreich in der Nutzung des Raumes (überzeugend realistisches Interieur: JAN BAMMES) und geschickt Filmaufzeichnungen einblendend. Diese spielen nicht zuletzt auf die Schicksale alternder Diven wie beispielsweise Marlene Dietrich an, die mit dem Altern des Körpers, mit dem Verblühen einstiger Schönheit nicht zurecht kamen und sich in die Einsamkeit zurückzogen. In Barbers Oper folgt mit Erika ein solches Schicksal auf das andere (Vanessa), was von vorneherein daran ablesbar ist, dass beide die gleiche Blondfrisur tragen.

 Christoph Zimmermann

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