Nürnberg: “TRISTAN UND ISOLDE” unter sphärischen Kreisen – 8.3.2015
Ich schließe mich den Opernfreunden an, die schon mehrfach zu dieser Produktion in die Meistersinger-Stadt gereist sind. Da sie am 22. dieses Monats zum letzten Mal gezeigt wird, schicke ich diesen Nachtbericht ins Netz, um möglicherweise noch potentielle Interessenten darauf aufmerksam zu machen.
Vor allem ist es die “klassische” Inszenierung von Monique Wagemakers (Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Gabriele Heimann), die einen ästhetischen Genuss bietet: passende, erkennbare Schauplätze zu allen 3 Akten, dennoch nicht vordergründig realistisch: Schiffsbestandteile im 1.Akt vor einem ovalen Horizont mit einem Lichtspalt zu Außenwelt; ein wunderbares Nachtbild in Blau mit einem großen roten Mond, der sich zum Liebesduett in einen blauen verwandelt; Düsternis mit steinigem Lager für Tristan und Kurwenal, Lichtspiele, und zuletzt ein Traum-Finale: Nachdem Tristan Libretto-gemäß in Isoldes Armen gestorben ist und sie sich neben ihn gekuschelt hat, erhebt er sich genau nach ihrer Beschreibung “Mild und leise wie er lächelt…” langsam wieder, bis er aufrecht hinter ihr steht und beide, die Arme ineinander verschlnngen, mit dem Gesicht zum Publikum in ihr gemeinsames Liebesreich eingehen…
Nach der Premieren-Traum-Isolde Lioba Braun bietet die Nürnberger Oper eine weitere nahezu Idealbesetzung mit der sehr jung wirkenden, ihren hellen jugendlich-dramatischen Sopran gekonnt einsetzenden Claudia Iten. Eine bildhübsche, schlanke irische Maid, die durch eine ausgesprochen liebevolle Gestaltung der Rolle für sich einnimmt (wie auch von der Regie vorgegeben) und von Anfang klar macht, das ihre gespielte Wut auf uneingestandener Liebe fußt. Die offenbar sehr intelligente und musikalische Sängerin setzt nicht primär auf “power”, sondern serviert wichtige Aussagen mit prägnanter Wort-Ton-Artikulation und Schonstimme (Was würde König Marke sagen, erschlüg ich ihm den besten Knecht…) Man staunt immer wieder über das öfters geradezu jungmädchenhafte Soprantimbre und freut sich über die leicht metallischen Höhen mit dem ganz persönlichen aparten Klang. (Dass sie das H in “gab er mich preis” wie im Affekt nur antippte, war klug. Vor dem 3. Akt wurde angesagt, dass sie ihre Erkältung noch nicht ganz überwunden hatte und um Nachsicht bitten ließ, zumal dann auch der “Liebestod” etwas angestrengt klang.) Als bestens zu ihr passend sahen wir die ebenso attraktive junge Brangäne von Roswitha Christina Müller, eine echte mitfühlende Freundin der Isolde, die sich ihren schwierigen Gesangspart ebenso klug zurechtlegte, sodass mehr Konversation als “große Oper” geboten wurde und der hübsche junge Mezzo nicht überfordert schien. Die sehr kleidsamen Kostüme der beiden jungen Damen trugen zum positiven Gesamteindruck bei.
Warum ausgerechnet der “Helde ohne Gleiche “ am schäbigsten gewandet war, wüsste ich gerne. Vincent Wolfsteiner steckt zwei Akte lang mit nackten Armen in einem kurzen Lederwams und muss als siecher, fiebernder Tristan den 3. Akt mit nacktem Operkörper plus blutigem Verband um den Bauch zubringen. An Kraft fehlt es ihm wahrlich nicht, und den 3.Akt bewältigt er auf fulminante Weise. Wolfsteiner ist offenbar vor seinem Jung-Siegfried-Debut (Premiere 19.4.) jetzt ganz auf heroischer Fährte. Wir würden uns aber auch in seinem eigenen Interesse sehr freuen, wenn ihm die farblichen und lautstärkemäßigen Zwischentöne nicht abhanden kämen. In dieser Hinsicht ist auch sein Tristan noch ausbaufähig.
Gute Hausbesetzungen in den übrigen Rollen: Jochen Kupfer sang seinen bewährten Kurwenal mit kernigem Bariton und viel Spieleinsatz. Woong-Jo Choi war ein würdevoll auftretender und bassprofunder König Marke. Hans Kittelmann durfte als Melot mit grelleren Tönen ins Geschehen eingreifen. Mit ausgesprochen schönem Tenor sang Kwonsoo Jeon (vom Internat. Opernstudio Nürnberg) den Seemann und den Hirten. Sébastian Parotte war der respectable Steuermann. Tarmo Vaasks Matrosenchor entledigte sich sehr anhörbar seiner Spottespflicht.
Ein Sonderlob gebührt der Englishhorn-Spielerin Simone Preuin. Sie ließ aus dem Orchestergraben ihre nicht nur tonschöne, sondern auch sehr berührend, ja geradezu kantabel dargebrachte traurige Weise ertönen.
Am Pult stand nicht der musikalische Chef des Hauses, der bei der Premiere (Oktober 2012) mit einem ausgesprochen sensiblen “Tristan”- Dirigat begeistert hatte (und auch die Derniere leiten wird), sondern Peter Tilling, der einer recht vordergründigen Dramatik huldigte. So brachte er zwar das musikalische Geschehen recht flott über die Runden, den 3. Akt fast als Treibjagd, aber ins Wagnersche Wunderreich der Nacht ist er noch lange nicht eingedrungen. Für die Weglassung des Tag-Nachtgesprächs war ich unter den Umständen dankbar. Die dafür nötige feine Klinge hatte bereits dem gesamten 1. Akt gefehlt. Bis aus einer Folge effektheischerischer Klangballungen ein klingendes, nacho innen sich öffnendes Musikdrama wird, ist noch Arbeit zu tun…Die Staatsphilharmonie Nürnberg hat mehrfach bewiesen, dass sie dazu fähg ist.
Sieglinde Pfabigan