Zürich Opernhaus: „ROTE LATERNE“ von Christian Jost – Uraufführung am 8.3.2015
Claudia Boyle, Shelley Jackson. Foto: Monika Rittershaus
Mobbing bis zum Tod
Der 1963 in Trier geborene Komponist Christian Jost hat für seine neunte Oper den Stoff eines chinesischen Kinofilms gewählt. Und zwar „Die rote Laterne“ von Zhang Yimou, der wiederum auf dem Roman „Wives and Concubines“ von Su Tong beruht. Der Komponist hat selbst das Libretto zu seiner Oper verfasst. Und für die Uraufführung am Opernhaus Zürich hat das Leading Team mit der Regisseurin Nadja Loschky und Reinhard von der Thannen (Bühnenbild und Kostüme) – Dirigent: Alain Altinoglu – die Story in die Jahre um 1920 versetzt. Dies nicht real, sondern das Geschehen spielt sich in einer merkwürdig zeitlich losgelösten Traum-Irrealität ab. Die Figuren treten auf und verschwinden wieder, tragen Masken und wieder nicht, wechseln die Kostüme, sind alptraumhaft nicht greifbar und doch bedrohlich. Der in der Mitte des Schauplatzes liegende Brunnen, der geheimnisvolle Ort des grauenhaften Geschehens, übt eine suggestive Sog-Wirkung aus. Weder dem Raum kann man entrinnen noch dem “schwarzen Loch“ sich entziehen. Unentrinnbarer Alptraum, zwanghaft tragisch, „traum“-atisch verfremdet…
Die Story: Die Hauptfigur, nämlich die junge Studentin Song-Lian musste aus Geldnöten ihr Studium aufgeben und den reichen Master Chen heiraten. So kommt also diese junge, bereits westlich aufgeschlossene Frau in einen streng chinesisch traditionellen Haushalt des Master Chen, wo bereits 3 Ehefrauen und mindestens eine Konkubine ihr das Zusammenleben mehr als schwierig gestalten werden. Durch den auch im Bühnenbild sichtbar gemachten, klaustrophobischen Innenhof mit verschiebbaren Wänden verschärfen sich die komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen noch mehr, als sie es bereits sind. Song-Lian (Shelley Jackson) versucht durch ihre unverbildete Menschlichkeit, die Menschen in dieser „geschlossenen Gesellschaft“ – dies ganz im Sinne von Jean-Paul Sartres gleichnamiger Höllensituation – aufzubrechen. Damit verunsichert sie jedoch ihre festgezurrte Umgebung nur, und feindliche Ablehnung und steingewordene Verschlossenheit sind die Reaktionen darauf. Besonders Ehefrau Nummer 2 ZhuoYun (Nora Gubisch) mit ihren zwei nervigen Töchtern (Livia da Costa Alves und Olivia Gilfry) intrigiert besonders fies gegen die „Neue“, während die ehemalige Sängerin der Peking Opera Ehefrau Nummer 3 May-Shan (Claudia Boyle) sich mit Zynismus und ihrer Stabpuppe in eine irreale Wahnsituation hineinmanövriert hat. Die Ehefrau Nummer 1 Yu-Ru (Liliana Nikiteanu) hat sich aus Frustration der Religion ergeben und betet fortwährend. Master Chen (Rodney Gilfry), der Herr des Hauses und über alle Frauen und gespensterartige Diener (hier sieben alte Männer), hält die Fassade aufrecht und ist letztlich selbst ein Opfer seiner Umgebung. Die Frauen, so frustriert sie in ihrer Lage auch sein mögen, sind doch – zumal in ihrer Bosheit – eindeutig die Stärkeren. So auch die Dienerin Yen-Er (Anna Goryachova), die mit dem Zauber einer Voodoo-Puppe intrigiert und von Song-Lin gezwungen wird, diese aufzuessen, woran sie dann auch stirbt. Der Doktor (Federico Ituarte), heimlicher Liebhaber von May-Shan, ist der einzige männliche Eindringling in diesen in sich abgeschlossenen Kosmos. In der Mitte der Bühne liegt der Brunnen, aus dem Song-Lian im Sinne des Flash-Backs zur Beginn der Oper herausklettert und wohin sie am Schluss der Oper, nachdem sie im Wahnsinn geendet ist, wieder hinabsteigt und sich ertränkt. Nur der homosexuelle Sohn Fa-Pu (Spencer Lang) kann sich aus den Fängen des Familienclans befreien. Master Chen bleibt als sein eigener Herr sein eigener Knecht. Dass er am Schluss der Oper Frauenkleider trägt, verstärkt seine psychische und auch realistische Situation nur zu deutlich.
Anna Goryachova und die Ahnen. Foto: Monika Rittershaus
Diese beklemmende Geschichte von der Unterdrückung und realen Gefangenhaltung von Frauen ist ja nun leider wieder höchst aktuell geworden. Christian Jost setzt diese Geschichte mit einer Musik um, in deren Partitur verständlicherweise die dunklen Orchester-Farben (viel Schlagzeug) vorherrschen, aber die Frauenstimmen, zumal die der Ehefrauen 3 und 4 in extremer Sopranlage geführt werden. Und so fabelhaft diese beiden Sängerinnen Shelley Jackson und Claudia Boyle auch singen, so nervig sind auch auf Dauer diese hohen Töne für das Ohr. Sie werden zu Schreien des Aufbegehrens. Die grundierenden Mezzo/Alt-Stimmen von Ehefrau 1 (Liliana Nikiteanu) und 2 (Nora Gubisch) als auch von der superb singenden Anna Goryachova als Dienerin Yen-Er geben diesem Klangbild etwas durchaus Gefährliches. Alle Frauen wirken in dieser Oper – da ist auch Song-Lian miteingeschlossen – verletzt, seelisch verkümmert und sind daher „böse“ geworden. So ist die „Rote Laterne“ eine „Frauenoper e contrario“, so wie es Christian Jost beabsichtigt haben mag, auch zum Nachdenken.
Die ganze Produktion bewegte sich auf erfreulich hohem Niveau – so wie die letzte Premiere von Martinu’s „Juliette“ – und angesichts der fehlenden Vergleichsmöglichkeiten kann man es wohl kaum besser machen. Alain Altinoglu hob mit der Uraufführung das Werk aus der Taufe und dirigierte mit Präzision und Engagement – manchmal wohl etwas die Sängerinnen zum Zu-Laut-Singen animierend – eine Partitur, die sich zwar nicht im Wohlklang erging, wohl aber mit einer interessant gefärbten Klangauffächerung einem kontroversen Libretto eine weitere Dimension ins Überzeitliche zu geben wusste. Dass sich der rund 90 Minuten dauernde Einakter gegen die letzten zwanzig Minuten etwas in die Länge zog, sei hier doch noch angemerkt.
John H. Mueller