Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

CHEMNITZ: OTELLO

$
0
0

Chemnitz: “OTELLO” – 8. 3.2015

 Rund 40 Jahre mussten ins Land gehen, bis Verdis Meisterwerk wieder in den Spielplan der Chemnitzer Oper aufgenommen wurde. Regie führte Michael Heinicke, der erneut den international renommierten Peter Sykora für die Ausstattung gewann. Wer sich der begeisternden Arbeiten dieses Mannes  für Harry Kupfer oder Götz Friedrich entsinnt, wurde nun in Chemnitz zum wiederholten Male enttäuscht. Wie schon im Falle von “Aida” und “Rigoletto”, um nur bei Verdi zu bleiben, bekennt sich Sykora zu einem Einheitsbühnenbild, das zu akzeptieren wäre, gebräche es ihm nicht an Ausstrahlung. Zypern als militärischer Außenposten der Republik Venedig – dieser kaum von der Hand zu weisende Gedanke inspiriert Sykora dazu, das Geschehen in einer Art Kaserne anzusiedeln, deren kriegerischen Charakter in den haushohen Wänden angebrachte Schießscharten andeuten. Etliche auf dem Bühnenboden verstreute Kisten beherbergen wahrscheinlich benötigtes Kriegsgerät und stehen ansonsten im Weg. Das Volk rekrutiert sich aus Soldaten und Schwesternpersonal, das im Falle von Cassio auch für sexuelle Dienstleistungen zuständig ist. Nur verpufft dieser Einfall, da er von Otello nicht wahrgenommen wird. Immerhin setzt Heinicke diese wichtigen Chorszenen des 1. Aktes (die von Simon Zimmermann einstudierten Damen und Herren leisten Hervorragendes) insgesamt schlüssig um. Eine gewaltige Tischfläche, im weiteren Verlauf etwas bemüht für das Gerangel um Desdemonas Taschentuch genutzt, bildet die Basis für Otellos effektvollen Auftritt. Nach der angesichts der räumlichen Enge glücklich gelösten Trinkszene nimmt sich die Auseinandersetzung zwischen Cassio und Montano (der eingesprungene Young-Myoung Kwon mit klangschönem Bass) einigermaßen beiläufig aus. Das optischen Zaubers entbehrende Liebesduett verweigert sich neuerlicher Zweisamkeit des Paares, vielmehr bleibt der Titelheld sinnierend auf der Bühne zurück. Sollten somit Zweifel angedeutet werden, die Jago nur noch zu vertiefen braucht? Diesen Jago stattet Pierre-Yves Pruvot mit der Fülle seines prächtigen Charakterbaritons aus. Vokale und darstellerische Leistung finden hier zu einer schönen Einheit. Dass er allerdings gleich seinem Dienstherren etliche überflüssige Gänge auf der hierzu kaum einladenden Bühne absolvieren muss, sei nicht verschwiegen. Und wo auf diese verzichtet wird, huldigt die Inszenierung einem gewissen Hang zum Rampensingen.

 Für den Cassio wurde mit dem frisch und unbeschwert singenden Dan Karlström eine gesanglich überzeugende Alternativbesetzung verpflichtet, bei der sich jedoch die Frage stellte, wie Otello diesen leider ziemlich klein geratenen und über wenig erotische Ausstrahlung verfügenden Sänger überhaupt als ernsthaften Rivalen um die Gunst Desdemonas ins Kalkül zu ziehen vermag. Mithin müsste Jago sein Opfer nicht nur psychisch geblendet haben. Dergleichen schüttet Wasser auf die Mühlen derjenigen, die da gern behaupten: “So ist halt Oper!” Der 3. Akt zehrt nochmals von Heinickes Vermögen, Chorszenen eindrucksvoll zu stellen. Kouta Räsänens balsamischer Lodovico verstärkt die Wirkung. Leider gerät der Schluss schwächer und driftet in ein ebensolches Finale. Da der erwähnte Tisch aus Platzgründen schon zuvor von der Bildfläche verschwand und nur mit beträchtlicher Phantasie als Nachtlager Desdemonas herhalten könnte, besannen sich die Verantwortlichen auf den Sessel des Eifersüchtigen. Daselbst muss nun das unglückliche Eheweib (analog der Gräfin in “Pique Dame”) sein Leben aushauchen. Doch zuvor spendiert Heinicke einen Einfall besonderer Art. Desdemona darf sich nämlich noch von ihrem, bereits im 1. Akt auftauchenden Sprössling verabschieden, womit uns ein Hauch “Butterfly” beschert wird und der Regisseur die alte Bühnenweisheit beherzigt: “Fällt dir ansonsten nichts mehr ein, dann rettet dich ein Kindelein.” Immerhin findet Maraike Schröter (wie auch im Liebesduett) zu einer lyrischen Eindringlichkeit, die eventuell aufkommende Heiterkeit rigoros in die Schranken verweist. Hoch anerkennen muss man ferner den Mut, mit dem sie das ihr von Sykora verpasste Kostüm akzeptiert hat. Und auch Niclas Oettermann, der im Hinblick auf den Körperwuchs eher zierlich geratene Titelheld mit der großen Stimme, gelangte in diesem Finale zu anrührenden Momenten, verzichtete wohltuend auf die von italienischen Fachvertretern so gern und arg strapazierten naturalistischen Beigaben. Darstellerisch hütete er sich gleichermaßen vor plumpen Übertreibungen, gefiel im Piano wie im Forte, sollte sich allerdings in Bezug auf Letzteres davor hüten, dem Publikum mit Brachialgewalt unter die Nase zu reiben: “Schaut her, ich kann’s!”

 Einer, der es auf jeden Fall kann, heißt Frank Beermann. Soeben genesen, trat er an das Pult der Robert-Schumann-Philharmonie und pfefferte einen derart fulminanten Auftakt hin, dass von den Nachwehen eines Rekonvaleszenten keine Rede sein konnte. Mit diesem einleitenden Sturm taten sich Abgründe auf, verschafften sich Gewalten ihren Raum, von denen das Geschehen auf der Bühne weitaus weniger kündete. Und wenn sich der Meister dieser Kapelle in die himmlischen Sphären des Liebesduettes oder des letzten Aktes versenkte, vermittelte er uns eine Ahnung von dem, was die Genies Shakespeare und Verdi erfüllte, als sie daran gingen, uns, jeder auf die ihm eigene Weise, die Geschichte des Mohren von Venedig zu erzählen. Wenn die hiesige Presse sich im vorauseilenden Gehorsam (“Blackfacing”-Debatte) darüber mokiert, dass ein weißer Tenor schwarz geschminkt wird, sollte sie sich ihr Schulgeld zurückgeben lassen

 Joachim Weise

Diese Seite drucken


Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>