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HELSINKI: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Premiere

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Helsinki: Die Meistersinger von Nürnberg – 13.3.2015

Noch die Diskussion im Hinterkopf, ob Franz Welser-Möst als Chefdirigent der Wiener Staatsoper sich Generalmusikdirektor nennen dürfte, finde ich es ungemein sympathisch, dass sein Kollege an der Finnischen Nationaloper den Titel Ylikapellimestari = Oberkapellmeister trägt. Mir ist wohl bewusst, dass dieser Bezeichnung heutzutage der negativ gemeinte Beigeschmack eines handwerklich guten, doch leider vom Genius nicht geküssten Dirigenten anhaftet. Trotzdem möchte ich MICHAEL GÜTTLER, den musikalischen Leiter dieser Premiere, als das Ideal eines Kapellmeisters bezeichnen. Die handwerkliche Beherrschung, die überaus deutliche Schlagtechnik, ist natürlich die unverzichtbare Voraussetzung, um Bühne und Graben zusammen zu halten, und das leichte Auseinanderdriften beim Aufzug der Zünfte möchte ich nicht ihm anlasten, sondern der ungünstigen Positionierung des Chores. Doch darüber hinaus ist Güttlers Fähigkeit bemerkenswert, mit den Sängern zu atmen und auf deren Tempobeschleunigungen schnell zu reagieren, so zu beobachten im 3. Akt, als die Sänger des Stolzing und des Sachs kurzluftiger zu werden drohten und Güttler dies sofort auffing. Seine Tempi mit 1:20, 1 Stunde und 2 Stunden in den drei Akten hielten die goldene Mitte, und trotz mancher liebevoll ausgearbeiteter Details hatte man den Eindruck einer Großbögigkeit. Eine große Leistung, die Lust auf Mehr macht und die ohne das hervorragende Orchester und den kraftvollen Chor (Einstudierung MARCO OZBIČ und MERGE MEHILANE) nicht möglich gewesen wäre.

 Kompliment auch an das Besetzungsbüro, diese Viel-Personen-Oper mit Ausnahme von Sachs und Beckmesser komplett mit finnischen Kräften besetzt zu haben. Unüberhörbar ist bei diesen stark an der Aussprache gearbeitet worden (trotz mancher Probleme mit dem Vokal „e“), und die Klarheit der Diktion sollte die Kollegen am Mariinsky-Theater im gerade mal 3 ½ Zugstunden von Helsinki entfernten St. Petersburg vor Neid erblassen lassen. Das traditionell beifallsfreudige Premierenpublikum verteilte seine Sympathien am Schluss durchaus differenziert und ließ den Interpreten des David und Sachs den größten Applaus zukommen – aus meiner Sicht vollkommen zu Recht. Es ist meines Erachtens von Vorteil, die Partie des Lehrbuben nicht mit einem Buffo, sondern einem lyrischen Tenor zu besetzen, und TUOMAS KATAJALA entledigte sich dieser Aufgabe mit einer Bayreuth würdigen Qualität. Dieser junge Tenor hat eine bemerkenswerte Vergangenheit. Anfangs Angehöriger einer finnischen Sekte, die ihm aus religiösen Gründen Bühnenauftritte verbot, verlegte sich Katajala auf eine erfolgreiche Laufbahn als Oratoriensänger. Doch der finnische Bariton Esa Ruuttunen, der vor seiner Sängertätigkeit praktizierender Pfarrer war, überzeugte ihn, dass Glaube und Bühne durchaus vereinbar seien – zum Glück der Oper, die in ihm einen ganz hervorragenden Tenor im Mozart- und Rossinifach gewann. Es machte Spaß, einem derart stimmschönen und bei aller Weichheit des Timbres mit metallischen Höhen aufwartenden David zuzuhören – beste Voraussetzungen für „höhere Weihen“ an größeren Bühnen.

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Szene aus dem 1. Akt. Foto : Finnish National Opera / Sakari Viika

 Auch für Hans Sachs war ursprünglich ein finnischer Sänger, ein junger Basso cantante, angesetzt gewesen. Mir ist nicht bekannt, warum es nicht zur Realisierung dieses Plans kam, doch wurde in dem gebürtigen Bayreuther RALF LUKAS ein ganz hervorragender Interpret dieser Meistersinger-Zentralfigur gefunden. Der Terminkalender dieses vielseitigen Sängers verführt mich zum Nachdenken: an großen Häusern (z.B. Paris) mittlere Partien (z.B. 2016 dort Konrad Nachtigall in den „Meistersingern“), an mittleren Häusern wie z.B. Darmstadt oder Kiel zentrale Partien wie z.B. Hans Sachs. Merkwürd’ger Fall! So viele herausragende Sachs-Interpreten gibt es heute nicht, dass Lukas diese Rolle nicht erfolgreich an großen Bühnen verkörpern könnte. Zugegeben, die Beurteilung eines Stimmtimbres variiert je nach eigenem Geschmack. Ich würde das von Lukas als etwas knorrig bezeichnen, aber in der Vergangenheit hatte ein gewisser Norman Bailey mit einem ähnlichen Timbre eine große Karriere gemacht. Warum also nicht Ralf Lukas? Seine Fähigkeit, diese Mammutpartie vollstimmig, ohne zu sparen, durchzuhalten (erklärliche Ermüdungserscheinungen im ersten Festwiesen-Monolog einmal ausgeklammert) ist bewundernswürdig, zudem sein hohes technisches Können, das ihm mit seinem Bassbariton erlaubt, die sich im 3. Akt immer höher schraubende Tessitura imponierend zu bewältigen. Gerade für diese Inszenierung, bei denen Sachs mit seinen vielen, durchaus nicht nur sympathischen Facetten gezeichnet wird, ist Ralf Lukas der ideale Interpret. Kompliment!

 Der Verlauf der Karriere des Stolzing-Interpreten MIKA POHJONEN erinnert ein wenig an René Kollos – von der leichten Muse zum Wagner-Tenor. Pohjonen hatte als 19jähriger den in Finnland begehrten Titel des Tango-Königs errungen, sich dann jedoch für eine Opernlaufbahn entschieden. Dies ging nicht ohne Rückschläge vonstatten. So erinnere ich, als er 2005 bei der Premiere von „Manon Lescaut“ (nicht nur indispositions- sondern auch technikbedingt) einbrach und die Vorstellung nur mit Mühe und Not beenden konnte. Nun, die meisten Wagner-Tenorpartien sind tiefer notiert als die im italienischen Spinto-Fach und somit mehr in Reichweite von Pohjonens Stimme, doch abgesehen von seiner Manie, seine Stimme etwas (zu sehr) abzudunkeln und oft just vor Spitzentönen zu atmen, ist ihm stimmlich eine gute Leistung zu attestieren. Dass er nicht gerade ein hochtalentierter Schauspieler ist, steht auf einem anderen Blatt.

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Sachs (Ralf Lukas) und Beckmesser (Michael Kraus). Foto: Finnish National Opera / Sakari Viika

 Sehr gut der sonore JYRKI KORHONEN ohne Schwierigkeiten bei den von so manchem Bassisten hohen Tönen in seiner Ansprache, schönstimmig und von junger Erscheinung (somit die Textänderung von „Die Alte ist´s“ zu „Die And´re ist´s“ verständlich machend, NINA KEITEL als Magdalene und ein für meinen Geschmack etwas zu lyrischer JUSSI MERIKANTO als Kothner. Der Nachtwächter von MARKO NYKÄNEN ließ großes, aber zu ungeschliffenes Material hören. Pauschallob für die Meistersinger.

Die Besetzung der Eva mit der jungen TIINA-MAIJA KOSKELA gibt zu Bedenken Anlass. Zunächst Mezzosopran, wechselte sie auf Sopran um und gewann 2014 den Lauritz-Melchior-Wettbewerb im dänischen Aalborg. Das Timbre (und auch die Partienauswahl mit u.a. Elsa, Elisabeth, Sieglinde) lässt auf jugendlich-dramatischen Sopran schließen, doch die technischen Fähigkeiten der jungen Damen reichen meines Erachtens dafür (noch) nicht aus. In lyrischen Passagen verfügt ihr Sopran über ein apart-individuelles Timbre, das aber im forte spröde wird und hart klingt. Der steife Schlusston des Quintetts bereitete mir Ohrenpein. Hoffentlich bekommt Tiina-Maija Koskela Zeit zum Reifen!

 Und Beckmesser? Gab es denn gar keinen Beckmesser? Doch, sogar zwei! Es war Pech, dass der vorgesehene MICHAEL KRAUS indisponiert war und, zwar auf der Bühne agierend, stimmlich gedoubelt wurde. Dies wurde er von der Seitenbühne aus vom erst wenige Stunden vor Beginn der Aufführung in Helsinki eingetroffenen ARMIN KOLARCZYK, der es damit möglich machte, dass der Vorhang sich pünktlich öffnete, und vor allem in Beckmessers Werbeliedern einen feinen Liederbariton hören ließ. Schade, es wäre interessant gewesen, den hervorragenden, aus Beckmesser eben keine Knallcharge machenden Michael Kraus auch zu hören.

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Sachs (Ralf Lukas) und Eva (Tiina-Maija Koskela). Foto: Finnish National Opera / Sakari Viika

 Die Produktion war der zweite Aufguss einer Inszenierung, die im Januar 2012 am Züricher Opernhaus Premiere gehabt hatte. Regie: HARRY KUPFER, Bühnenbild: HANS SCHAVERNOCH, Kostüme: YAN TAX. Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ waren zuletzt vor 65 Jahren an der Finnischen Nationaloper gegeben worden, damals noch in finnischer Sprache. Somit ist die neueste Rezeptionsgeschichte am finnischen Publikum vorüber gegangen, in dem die Vereinnahmung dieses Stücks durch die Nationalsozialisten thematisiert und kritisch beleuchtet wurde. Harry Kupfer hatte in einem Programmheftbeitrag zur Züricher Aufführung seine Position verdeutlich, dass er Assoziationen zum Nazi-Regie für nicht gerechtfertigt hielte. Herausgekommen ist dabei eine im besten Sinne konventionelle Inszenierung, in der Kupfer die Geschichte des Stückes erzählt und sich wie immer als Meister der Personenführung erweist. Wenn etwas an dieser Produktion ungewöhnlich ist, dann ist es das Einheits-Bühnenbild, die Ruine einer gotischen Kirche, von einem Baugerüst eingezäunt; im Hintergrund sind im 1. Akt die Ruinen von Häusern zu sehen, im 2. Akt Kräne und im 3. Akt schließlich eine Silhouette von Hochhäusern. „Auferstanden aus Ruinen“!? Was im 1. Akt noch Sinn macht, wird in den Folgeakten zu einer vom Bühnenbildner gestellten Falle, die es dem Regisseur schwer macht, Massen sinnvoll zu führen (Prügelszene, Festwiese). Zutiefst menschlich der Schluss, wenn Hans Sachs bei seiner Schlussansprache die Statue Johannes des Täufers von Tilman Riemenschneider enthüllt. Ich behaupte, dass Kupfer durch diese Lösung mehr vom wahren Sinn dieses Werks verstanden hat als so manche politisierende Inszenierung, bin mir aber auch bewusst, mich dadurch als „Staubi“ zu entlarven. Wie sagte doch im Pausengespräch ein finnischer Kollege der schreibenden Zunft? „Kupfer ist alt geworden. Er erzählt die Geschichte des Stücks!“

 

Sune Manninen

 

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