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LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark: DIE FLEDERMAUS als Gastspiel des Staatstheaters Karlsruhe. Premiere

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Die Fledermaus” mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

UND DIE FLEDERMAUS FLATTERT AM HORIZONT

Das Badische Staatstheater Karlsruhe gastierte mit der “Fledermaus” von Johann Strauß am 15. März 2015 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

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Copyright: Falk von Traubenberg

Die beiden Regisseure Lorenzo Fioroni und Thilo Reinhardt haben die Operette “Die Fledermaus” von Johann Strauß durchaus mit Ironie und Hintersinn inszeniert. Fast alle Figuren hegen hier den Wunsch, die eigene Identität zu verlassen und flüchten sich so in eine irreale Traumwelt. Das Bühnenbild zeigt ein alt-ehrwürdiges Gemäuer, in dem die scheinbar vergessene Vergangenheit mit ihren festlichen Bällen noch präsent ist und herumspukt. Und der von Katharine Tier mit viel Nonchalance verkörperte Prinz Orlofsky entsteigt sogar einem Sarg. Man fühlt sich ganz entfernt an Draculas gespenstische Welt erinnert. Man begreift so die Geschichte zwischen einem in der Mitte befindlichen Radio und vielen Personenporträts an den Wänden. Schließlich wird im Hintergrund sogar ein Orchester sichtbar, dessen Musiker aber irgendwie nicht richtig präsent sind. Vor Jahren hat der von Matthias Wohlbrecht mit kernigem Timbre gesungene Gabriel von Eisenstein den befreundeten Notar Dr. Falke (facettenreich: Gabriel Urrutia Benet) öffentlich gedemütigt, weil er diesen als Fledermaus verkleidet auf einer Parkbank schlafend zurückgelassen hat, anstatt ihn nach Hause zu begleiten. Nun sieht sich Dr. Falke dem Spott der Öffentlichkeit ausgesetzt und will sich an Eisenstein rächen. Diese Verwechslungskomödie wird hierbei als Gespenstergeschichte inszeniert, da an der Decke sogar eine Fledermaus herumflattert. Gabriel von Eisenstein wurde wegen Beamtenbeleidigung zu einer mehrtägigen Arreststrafe verurteilt, die er absitzen muss. Sein groteskes Interesse an den bei dieser Inszenierung grell herausgestellten “Ballettratten” wird in übertriebener Form dargestellt (Choreografie: Pascale-Sabine Chevroton). Schließlich kommt der von Terro Hannula robust gemimte Gefängnisdirektor Frank ins Haus der Eisensteins und möchte diesen abführen. Um Eisensteins Frau Rosalinde (mit tragfähigen Spitzentönen: Hulkar Sabirova) nicht zu blamieren, gibt der von Eleazar Rodriguez stimmgewaltig verkörperte Tenor Alfred sich als deren Gatte aus und geht statt Eisensteins ins Gefängnis.

Immer wieder wird das Unheimliche bei dieser Inszenierung betont – Lichter gehen an und aus, Vorhänge und Kulissen stürzen plötzlich herab und unterstreichen die skurrile Atmosphäre. Eine Verkleidungsorgie findet so auch auf dem ausufernden Ball des Prinzen Orlofsky statt. Hier finden sich die als Olga verkleidete Adele (glänzend: Ina Schlingensiepen) sowie Eisenstein ein, der sich als Marquis Renard ausgibt. Außerdem sieht man einen gewissen Chevalier Chagrin, hinter dessen Maske sich Gefängnisdirektor Frank verbirgt. Eine seltsame ungarische Gräfin zieht seine ganze Aufmerksamkeit auf sich, bei der es sich um seine Gattin Rosalinde handelt. Lorenzo Fioroni und Thilo Reinhardt treiben die Irrungen und Wirrungen jetzt auf die Spitze: Die Akteure agieren wie in Trance und wissen zuletzt weder ein noch aus. Man erscheint in Totenmasken. Der von Pavel Fieber gewitzt dargestellte Gefängniswärter Frosch liest den wegen übermäßigen Alkoholkonsums eingesperrten Orlofsky-Gästen unverblümt die Leviten. Österreich solle “König Horst Seehofer” gefälligst als Asylanten aufnehmen, auch “Pegida” und Hartz IV werden erwähnt. Selbst den badischen Dialekt persifliert Pavel Fieber gekonnt. Adele spielt sich vor dem Gefängnisdirektor zusammen mit ihrer Schwester Ida (voller Ausdruckskraft: Lydia Leitner) als große Schauspielerin auf. Eisenstein tritt schließlich auf, um seine Arreststrafe anzutreten. Bei der Gegenüberstellung von Eisenstein mit seinem Konkurrenten Alfred und seiner Entlarvung als Lustmolch durch seine Frau Rosalinde bekennt sich Eisenstein zur Buße.

Das Gefängnis, das der Freiheit des Individuums Grenzen setzt, ist hier schon das eheliche Heim der Eisensteins. Den Ballsall Prinz Orlofskys stellen die Regisseure als Sinnbild für gedankenlose Vergnügungssucht dar. Hinter der Wand im zweiten Akt schlummert eine verlassene Theaterbühne, die dem Vergessen entrissen werden soll. Die brüchigen gesellschaftlichen Beziehungen sollen aber bei einem “So-tun-als-ob” überwunden werden. Der “Feuerstrom der Reben” mündet dabei in einen mitreissenden Chorwalzer, dessen “Duidu”-Gesang etwas naiv wirkt. Der über weite Strecken mit der Badischen Staatskapelle sehr konzentriert musizierende Dirigent Steven Moore hat das musikalische Geschehen fest im Griff. Insbesondere die leidenschaftlichen Steigerungen der “Brüderlein und Schwesterlein”-Szene kommen nicht zu kurz, könnten aber sogar noch glühender sein. Brio und Brillanz der Ouvertüre stechen äusserst pikant und reizvoll hervor, einmal wird sogar der “Radetzky-Marsch” zitiert. Der ungarische Csardas der Rosalinde besitzt das notwendige Feuer und den dazugehörigen Esprit – und auch die Polka-Rhythmen kommen ausgesprochen rasant und atemlos daher. Die Ballett-Einlage im zweiten Akt mit Tänzen im spanischen, schottischen, russischen, böhmischen und ungarischen Stil ist in der Karlsruher Inszenierung allerdings gestrichen worden. Der Wiener Walzer steht immer wieder deutlich im Vordergrund und wird auch raffiniert persifliert. Das komisch-ironische Abschiedsterzett im ersten Akt (“O je, o je, wie rührt mich dies!”) sowie die feurig musizierte Tik-Tak-Schnellpolka des Duetts zwischen Rosalinde und Eisenstein stechen ebenfalls grell hervor. Adeles Couplet “Mein Herr Marquis” offenbart Ina Schlingensiepens strahlkräftige Spitzentöne. Auch der Galopp “Im Feuerstrom der Reben” besitzt wilde Glut und Leidenschaft. Der Abgesang “Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist” kommt ohne falsche Sentimentalität daher. Max Friedrich Schäffer überzeugt ferner als stotternder Advokat Dr. Blind. Allerdings besteht beim Bühnenbild von Ralf Käselau die Gefahr, dass der Gesamteindruck in viele Einzelheiten zerfällt. Die Szenen werden mit verschiedenen Utensilien regelrecht überfrachtet. Und die Kostüme von Sabine Blickenstorfer unterstreichen das Unheimliche und Gespenstische. Ein weiterer Pluspunkt dieser Aufführung ist aber der von Stefan Neubert sehr sorgfältig einstudierte Badische Staatsopernchor. Der bürgerlichen Gesellschaft wird bei dieser Inszenierung jedenfalls hintersinnig der Spiegel vorgehalten, wobei Lorenzo Fioroni und Thilo Reinhardt Strauß’ Nähe zu Jacques Offenbach bei manchen satirischen Sequenzen unterstreichen. Man begreift allerdings sofort den historischen Hintergrund: Es ist der Gründerkrach, der im Jahre 1873 die Habsburger Monarchie in Atem hält. Das Bürgertum hat viel Geld verbrannt. Die Menschen sind Opfer eines Leidensdrucks und sehnen sich nach vergangenen Zeiten zurück. Diese Vision einer großen Menschheitsfamilie kann jedoch nicht verwirklicht werden. Dies ist die Quintessenz einer Inszenierung, die dem Publikum auch aufgrund ihrer Absurdität gefiel.

 Alexander Walther

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