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STUTTGART/ Schauspielhaus: JUNGE CHOREOGRAPHEN – Beziehungsvariationen

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Stuttgarter Ballett: „JUNGE CHOREOGRAPHEN“ 25.3.2015 (Schauspielhaus) – Beziehungsvariationen

 Entgegen der sonstigen Dominanz Stuttgarter Tänzer bei der jährlichen, von der Noverre-Gesellschaft initiierten Präsentation junger Choreographen überwogen diesmal die Gäste. Der ungewöhnlich frühe Zeitpunkt in der Saison und probenaufwendige Vorbereitungen von dicht aufeinander folgenden Premieren beließen weniger Stuttgartern genügend Zeit zur Erarbeitung und Einstudierung. Zusammen gefasst könnte über der Mehrzahl der Kreationen als Thema menschliche Beziehungen, meist zwischen Paaren, nur je einmal als Trio und als Gruppe, stehen. Dabei war gut zu beobachten, wie stark die Musik und ihre choreographische Verarbeitung das Ergebnis beeinflussten.

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Rachele Buriassi und Alexander Jones in “In2″. Copyright: Stuttgarter Ballett

 Eine erstaunliche Reife zeigt Fabio Adorisio in seiner dritten Arbeit „IN2“, in der er sich von Klaviermusik von Philipp Glass (live gespielt von Catelijne Smit) zu einem ästhetischen Pas de deux mit vielen kreisenden Hebungen inspirieren lässt und die immer wiederkehrenden Motive der Musik mit Sinn für eine harmonische Bewegungsharmonie aufgreift. Nicht ohne Grund setzte er dafür erfahrene Tänzer wie Rachele Buriassi und Alexander Jones ein, die das choreographische Potenzial mit dem entsprechenden Formgefühl auch umsetzen konnten. Adorisio trat indes auch als Tänzer in Aktion, und zwar gemeinsam mit Claudia Faubel in dem leidenschaftlichen Pas de deux „SIN“, den Kollege Roger Cuadrado zu sehnsuchtsvoller spanischer Musik zuerst getrennt auf Spitzen ertasten und dann mit viel menschlicher Nähe in organisch miteinander verbundenen Drehungen und Hebungen entfalten lässt. Mit einigen modernen Elementen gemixt und auch meist fließend miteinander verbunden gelingt es auch Hector F.Fernandez vom Landestheater Eisenach in „LET ME FALL“ seine Tänzer Agnes Su und Adam Russell-Jones zu einem etwas spröden, aber viele Nuancen bietenden Cello-Solo eine stimmig aus den buchstabierten Klängen hervor gehende Beziehungsstudie samt überraschendem Ende aufzubauen. Letzterer stand noch ein weiteres Mal, nun gemeinsam mit Özkan Ayik in „CARRY ME SHADOW“ auf der Bühne. Der beim Finnischen Nationalballett tanzende Emrecan Tanis lässt diesen etwas bedeutungsschwangeren, aber durchaus kraftvoll symbolischen, körperbetont athletischen Männer-Pas de deux mit viel wallendem Nebel und brennpunktartig eingesetzter Beleuchtung in einer krimi-gerechten Atmosphäre zu Weltuntergangsstimmung einfangender Musik entstehen.
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Claudia Faubel und Fabio Adorisio in “Sin”. Copyright: Stuttgarter Ballett

Ein weiterer Stuttgarter Gruppentänzer, Alexander McGowan trat in seinem Stück „NON DUCOR, DUCO“ selbst auf, zuerst mit Kollege Nicholas Jones und dann von Angelina Zuccarini zum Trio erweitert. Einerseits bodenbehaftet mit Breakdance-Elementen und doch mit vielen zeichenhaft geführten Händen fließend gestaltet präsentieren sich die drei ehe sie sich Atemschutzmasken aufsetzen und das bis dahin herrschende Gleichgewicht von dröhnenden Bässen im Halbdunkel mit einem Satz hinweg gewischt wird. Schade.

Der freischaffende, ehemals unter Kevin O’Day in Mannheim gewesene Guillaume Hulot bewahrt in seinem Duo namens „WHO STAYS LASTS“ durchgehend die gefällige Vorlage von Mozarts „Le petit riens“ , lässt die beiden in auffallend mit blau leuchtenden Applikationen versehenen Kostümen steckenden Ersten Solisten Anna Osadcenko und Jason Reilly zuerst aus dem Dunkel herausleuchten und dann phasenweise aus dem großzügig eingesetzten klassischen Kanon in ungewöhnliche Wendungen der Arme ausscheren.

Voller Geheimnisse steckt „PARADISE“ des beim Bayerischen Staatsballett beschäftigten Ägypters Maged Mohamed, bis zum Schluss wird nicht klar, welcher ethische Hintergrund die Begegnung einer Gruppe von sechs schwarz gekleideten Männern (6 Tänzer aus München, angeführt vom Ersten Solisten Cyril Pierre) mit einer weiß gekleideten, phasenweise verschleierten Braut mit Blumen (Alicia Amatriain) hat bzw. was hier als Paradies zu betrachten ist. Arabische Musik sorgt für eine fremdartige Stimmung, in der die eher klassisch anmutenden zwischen den Herren wechselnden kurzen Duos mit der spanischen Ballerina, die hier wieder ihre Schnelligkeit und Geschmeidigkeit ins Rampenlicht setzen kann, eher deplatziert wirken.

Die Zeit der latent auf gesprochene Texte setzenden Choreographien schien überwunden, doch der freischaffende Engländer Robbie Bird setzte ihn gar als dominierende, die Musik beinahe komplett ersetzende Komponente ein – und auf Dauer so nervtötend, dass das sich langsam aus getrennten Stangenübungen im Ballettsaal in eher belanglosen Sequenzen zusammen findende Paar Paula Rezende und Ludovico Pace zur Nebensache wird. Schade um zwei engagierte junge Tänzer, die mit Worten zugemüllt nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erwecken können. Der Titel „A DISASTER OF EXQUISITE PROPORTIONS“ nennt das Problem beim Namen, eine solche Bankrotterklärung des Tanzes ist wahrhaft ein Disaster.

Den größten Zuspruch erhielt der kürzeste Beitrag, nicht nur, weil er mal wieder bestätigte, dass in der Kürze die Würze liegt, sondern mit viel menschlicher Einfühlsamkeit und musikalischer Schlichtheit die ganzen Sympathien auf die gemeinsam für die Choreographie verantwortlichen Tänzer Robert Robinson (Halbsolist) und den ehemaligen Cranko-Schüler und in Augsburg zum Publikumsliebling avancierten Theophilus Vesely lenkte. „ZWEISAMKEIT“ schildert auf erfrischende, nie anbiedernde Art mit einem Schuss Komik in freier Verzahnung von Klassik und Moderne die Gefühle und Hinneigungen zweier Jungs.

Zusammengefasst: ein durchschnittlicher Jahrgang mit wenigen Höhepunkten, aber allemal so neugierig machend, dass beide Vorstellungen wieder lange im voraus ausverkauft waren.

Udo Klebes

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