Wiener Staatsoper, Elektra, 1. April 2015
Was ein Buh-Konzert wirklich bedeutet
Nina Stemme in der Titelrolle. Foto: Wiener Staatsoper/ Pöhn
Kein leichtes Unterfangen für einen Rezensenten über die erste Aufführung nach einer lange erwarteten Premiere zu schreiben, noch dazu wenn die Urteile über den Erstaufführungsabend so unterschiedlich auffielen wie bei dieser Elektra in der Wiener Staatsoper. Die Vorzeichen der Premiere: Franz Welser-Möst hatte sich die Oper gewünscht gehabt, nach seinem Abgang sprang Mikko Franck als Dirigent ein, für Nina Stemme und Anna Larsson waren es die Rollendebüts in der Titelrolle bzw. als Klytämnestra. Und Regie führte Uwe Eric Laufenberg, den ich zuletzt am Linzer “Ring” werkeln sah, mit derart unbefriedigendem Ausgang, dass ich nach zwei Abenden auf Siegfried und Götterdämmerung gerne verzichtete.
Auch über seine Tätigkeit an der Staatsoper hörte man im Vorfeld so einiges. Etwa Gerüchte, dass er gleichzeitig an seinem Stammhaus in Wiesbaden (an dem er Intendant ist) für eine “Entführung” verantwortlich zeichnete. Zwei Inszenierungen zur gleichen Zeit, wie geht das? Gut vernetzt dürfte der Mann auch sein, dafür spricht auch sein kommendes Engagement am Grünen Hügel von Bayreuth. In der Sonntagsmatinee vor der Premiere wirkte er im Gespärch mit den beiden Lang-Brüdern leicht überheblich und prahlte damit, wie sehr er das Kulturleben in Wien genieße, eigentlich war er ja zum inszenieren hier, oder?
Geschätzte Leser, sie merken es bereits, die Vorurteile von mir ihm gegenüber waren vorhanden und als die heute allzu üblichen Regierequisiten wie Koffer und Rollstuhl auftauchten, erzeugte dies in mir anfangs einen gewissen Widerwillen gegen die szenischen Geschehnisse. Aber bereits beim ersten Bild (auf eine genaue Schilderung aller Regieeinfälle verzichte ich gerne, auch um nicht allzu redundant zu werden, denn – wie gesagt – in den Premierenrezensionen wurde alle szenischen Ideen schon entsprechend zerpflückt) wurde ich gefangen genommen von der Dichte der Handlung und die kommende Katharsis schien schon zum Greifen nahe. Arm war hier nur Ildiko Raimondi, die von den (nackten) Statistinnen zwar von den Wasserstrahlen abgeschirmt wurde, aber dennoch ganz schön nass wurde und so ihre Partie singen musste. So nebenbei bemerkt: Wer zeichnet für diese Besetzung verantwortlich? Denn die von mir so sehr geschätzte Frau Raimondi als 5. Magd anzusetzen, die in ihrer jugendlichen Naivität Elektra verehrt, ist mehr als fragwürdig. Aber sei es drum, die Mägde und auch die übrigen kleineren Rollen entsprachen durchaus dem Standard des Hauses:Monika Bohinec, IlseyarKhayrullova, Ulrike Helzel und Caroline Wenborne als die weiteren vier Mägde, Simina Ivan und Aura Twarowska (beide im Gefolge Klytämnestras), die beiden Diener Thomas Ebensteinund Marcus Pelzsowie Donna Ellen als Aufseherin.
Aber ab der Szene Elektra-Klytämnestra haben einen die ganze Wucht der Musik von Richard Strauss und jene der Worte Hugo von Hofmannsthals gefangen genommen. Tochter Elektra um Nähe bemüht, dann aber in ihrem abgrundtiefen Hass vergehend, die Mutter Klytämnestraals erschreckende Figur, der allerlei in die Venen gespritzt wird, mit verbundenen Fußgelenken nach unbekannten Verletzungen im Rollstuhl sitzend. Immer wieder kommen neue Assoziationen an Diktaturen, Familientragödien a la Fritzl oder Kampusch, inzestuöse Verhältnisse (etwa bei der Begegnung von Elektra mit ihrem Bruder Orest) ins Bewusstsein, als heller Kontrapunkt wirkt die unschuldige, wertkonservative Chrysothemis.
Dass der allgegenwärtige Paternoster im Schlussbild in den Mittelpunkt der Handlung rückt ist fast zwingend, die Toten rotieren auf und ab und auch das Gehüpfe und Tanzen des Finales ist dem Text geschuldet. Hier hat Laufenberg sehr genau das Libretto gelesen. Das Bühnenbild (Rolf Glittenberg) mit Kohlenkeller, blutverschmiertem Fliesenbad und dem erwähnten Aufzug hat man schon oft in ähnlicher Ausprägung gesehen, die Kostüme (Marianne Glittenberg) waren an Hässlichkeit – mit der Ausnahme Klytämnestra – nur schwer zu überbieten, aber erwartet man in so einem Keller was ästhetischeres?
Der Jubel des Publikums galt natürlich am Ende in erster Linie Nina Stemme, die wagner-gestählte Stimme hatte mit der (im wahrsten Sinnen) Mörderpartie keine Schwierigkeiten, im Gegenteil es gelangen erstaunliche dynamische Differenzierungen. Mich beeindruckte die für Anne Schwanewilms eingesprungene Ricarda Merbeth als Chrysothemis fast noch mehr. Aber auch Anna Larsson verdient Respekt, ihre Rollenvorgängerinnen hatten zwar allesamt bekanntere Namen, aber sie bewies in all ihrer Abartigkeit sowohl innere als auch körperliche Größe (unfreiwillig komisch der Schlussvorhang, bei dem der Größenunterschied zwischen dem Dirigenten Mikko Franck und der riesengroßen Altistin so augenscheinlich wurde).
Bleiben noch die drei weiteren Männerrollen zu nennen, von denen mich Wolfgang Bankl als Pfleger des Orest und gleichzeitig dessen mordender Erfüllungsgehilfe am meisten beeindruckte. Mit dem bejubelten Falck Struckmann als Orest hatte ich so meine Probleme – kernige Stimme mit seltsamem Gehabe in seiner Rolle.Auch Norbert Ernst als Aegist hhinterließ nicht den sonst bei ihm gewohnten nachhaltigen Eindruck. Über das Wiener Staatsopernorchester braucht man bei diesem Werk eigentlich nicht viel sagen: Makellos und gewaltig, was da aus dem Graben kam, bei Mikko Franck hätte man sich am Anfang doch noch mehr Engagement gewünscht, aber ab der Hälfte der Oper ließ er die Partitur in all seiner Pracht erklingen.
So kristallierte sich am Ende für mich als Resümee heraus, dass auch ausgebuhte Premieren durchaus spannendes Musiktheater bieten können. Vehementer Jubel, der aber rasch abflaute. Interessanteste Gesprächsbrocken an der Garderobe: “Ja, aber sooo laut war es!” Ja, das hat ein Strauss halt so an sich.
Ernst Kopica