Nürnberg: “SIEGFRIED” – Pr. 19.4.2015 2 Akte lebendiges Musiktheater – 3.Akt: Absturz aus Wagner’schen Höhen
Gleich vorweg muss ich jedoch meiner Freude darüber Ausdruck geben, dass dieser “RING”-Abend musikalisch aus einem Guss war. GMD Marcus Bosch hat Wagners Partitur voll erfasst und mit der Staatsphilharmonie Nürnberg, die sich dieses Namens würdig erwies, mitreißendes Wagner-Theater gemacht.
Peter Galliard (Mime) und Vincent Wolfsteiner (Siegfried). Foto: Ludwig Olah
Das begann mit gekonntem Spannungsaufbau ab den manchmal recht belanglos klingenden Anfangstakten, in denen er Mimes dunkle, sinnlose Machenschaften - “Müh ohne Zweck” – von den einzelnen Bläsern und tiefen Streichern so richtig bohrend, mit immer verzweifelteren Neuansätzen spielen lässt, die Staccati steigert, bis es “kracht” und sich endlich mit dem Auftreten Siegfrieds eine freiere Welt auftut. Im gesamten 1. und 2. Akt ging die Aktion auf der Bühne größtenteils so konform mit der orchestralen Aussage, dass ein beträchtlicher Teil des Premierenpublikums offenbar die Verdienste des Dirigenten daran viel zu wenig beachtet hat. (Es gab zwar viele Bravo für Bosch, aber die Buhs für das Regieteam erweckten weit mehr Aufmerksamkeit.) Entscheidendes wurde an diesem Abend geoffenbart. Wagner, der Komödiant, der ja sonst nur in den “Meistersingern” allgemein registriert wird, kam musikalisch voll zur Geltung – in der naiven Variante (Waldvogelszenen) und in den sarkastischen Auseinandersetzungen Mime – Siegfried, wo des Zwerges bösartige Direktheit ebenso Lacher hervorrief wie die jungenhafte Verärgerung des halbwüchsigen Zöglings über die permanenten Liebespredigten des aufdringlichen Ziehvaters. Die Prägnanz, mit der etwa “Ich will ja dem Kind nur den Kopf abhaun” auch vom Orchester deklamiert wurde, war ebenso beeindruckend und verursachte beim Zuhörer Gänsehaut, wie die unbändige Heiterkeit, mit der Siegfried sich am Schwertschmieden delektierte, zum emotionalen Hochgenuss wurde, weil auch vom klangmächtigen Orchester so rhythmisch zwingend und blitzend vor instrumentaler Brillanz dargeboten. Nichts war je zu laut, Tempi und Dynamik stimmten immer, und purer Wohlklang kam auch nicht zu kurz, sei es beim delikaten lyrischen Waldweben inkl. dem Solohornisten Michael Lösch, der als alter Ego des Siegfried in identer Gewandung auf die Bühne kam und sich an der Komödie des Drachenerweckens beteiligte, oder in Wotans Wala-Euphorie zu Beginn des 3. Aktes. Kurzum, aus musikalischer Sicht: pures Vergnügen!
Siegfried (Vincent Wolfsteiner) und die von ihm Hingemetzelten. Foto: Ludwig Olah
Dass Regisseuren die spielerischen Szenen besser gelingen, weil eine realistische Handlung leichter zu verwirklichen ist als Erhabenes oder Mythisches, ist heutzutage beinah zur Regel geworden. “Rheingold” und die ersten beiden “Siegfried”-Akte gehen selten ganz daneben. Da ich die bisherigen Nürnberger “Ring”-Teile nicht gesehen habe, vergnügte ich mich an den unzähligen originellen Regieeinfällen von Georg Schmiedleitner (geb. Oberösterreicher, wie der Bühnenbildner Stefan Brandtmayr), der die Vorgänge in Mimes Küche und vor Neidhöhle sehr kurzweilig erscheinen lässt. Der Steirer Alfred Mayerhofer hat sich mit seinen durchwegs hässlichen, stillosen, alle Akteure denkbar unvorteilhaft kleidenden Fetzengewändern allerdings keine Lorbeeren verdient.
Die spielfreudigen Sänger konnten sich im 1. Akt auf einem Schauplatz, der überall und nirgends sein könnte, zwischen Waschmaschine, Eisschrank, Stockbetten (Mime unten, Siegfried oben) und Frühstückstisch austoben. Was Mime alles in einen Topf warf, um den Knaben damit zu ärgern, und wie viele Objekte dieser dem “Alten” an den Kopf warf – das war ein Schauspiel für sich. Was der Titelrollensänger Vincent Wolfsteiner an gesunder tenoraler Heldenkraft in allen Lagen stimmlich und physisch zum Einsatz brachte, an sportlicher Regsamkeit investierte und drei Akte lang klaglos durchhielt, war künstlerisch ebenso imponierend wie Mimes Kleingeisterei, minutiös zu Gehör gebracht und zur Schau gestellt von Peter Gailliard mit lyrischerem, aber ebenso treffsicherem Tenor. Nach dem Höhepunkt des Schwertschmiedens im 1. Finale, wo Siegfried auf der Waschmaschine stehend das Feuer – zum Rhythmus der Musik - immer wieder neu anfacht und es zuletzt in den Eisschrank rammt, sodass dieser explodiert und ein Kurzschluss entsteht, beginnt der 2. Akt echt mysteriös. Hinter einer nach vorn abfallenden, wie aus geborstenem Asphalt gebildeten Schräge ist am Horizont geheimnisvolles Halblicht zu sehen. Dort könnte der Drache auftauchen. Er tut es aber nicht, sondern ein desolater Fafner (trefflich dargestellt und geröhrt von Nicolai Karnolsky) erscheint persönlich und lässt den Boden über dem riesigen Goldschatz wanken, der sich grell erleuchtet darunter befindet. Zur Fafner-Musik ist das unter beängstigenden Lichtspielen echt gruselig. Sowohl der tote Riese als auch der tote Zwerg bleiben dann einfach über dem wieder verdeckten Goldschatz liegen. Der Waldvogel (Leah Gordon mit klangvollem Sopran) tritt mit Luftballons und zwei Stöcken auf, kann offensichtlich nicht mehr fliegen und braucht beim Gehen eine Stütze.
Als in Mimes Behausung im 1. Akt ein schmächtiges Bürschchen mit einer roten Schirmkappe unauffällig von der Seite auftrat, dachte ich an einen Lieferanten, der Mime Lebensmittel ins Haus bringt. Als er jedoch den Text des Wanderers zu singen begann, stutzte ich. Umsomehr, als aus dem zarten Koreaner Antonio Yang eine beachtliche Wotanstimme ertönte. Diese imponierte auch dann im Diskurs mit Mime und dessen Zwergenbruder sowie im Schlussakt bei der Erweckung Erdas und im Dialog mit seinem respektlosen Enkel. Dass der Weltenwanderer mit Einkaufswagen, dem Trinkbares und eine Zeitung entnommen warden, mittels derer dee “Gott” sich von Alberichs Vorwürfen ablenken will, steht auf einem anderen Blatt. Als Alberich treffen wir einen guten Bekannten an der Pegnitz wieder: Martin Winkler von der Wiener Volksoper und gewesener Premieren-Alberich im gegenwärtigen Bayreuther “Ring”: der weiß Bescheid, gleitet mehrfach zuerst auf der glatten Oberfläche der Gold-Cover-Platte aus, und erst recht auf den seitlich montierten Rutschbahnen. Stimmlich ist er voll da.
Antonio Yang, Leila Pfister. Foto: Ludwig Olah
Das musikalisch allseits vorhandene große Wagner-Format wollte das Regieteam im gesamten Schlussakt den Sängern wohl absprechen. Für das windschiefe Argument, dass es einen Helden, der unbeschadet das Feuer durchschreitet, nicht gibt und eine nach 20 Jahren aus dem Schlaf erweckte, lebensfähige Heroine unglaubwürdig ist, brauchen wir keine Regisseure. Das weiß jedes Kind. Aber Kinder – große und kleine – wissen auch, dass der Kasperl nicht wirklich vom Krokodil gefressen wird, wollen es aber auf der Bühne sehen. Märchen und Mythen haben genauso ihre Daseinsberechtigung. Eine Erdgöttin, die nur schläft, träumt und sinnt, braucht weder Frühstück noch Stöckelschuhe und muss nicht ihre nackten Brüste zur Schau stellen, um glaubwürdig zu sein. Gott sei Dank sang Leila Pfister (trotz Ansage) ihren Part wenigstens mit gehaltvollem Urmutter-Alt.
Einer gelungenen Überleitung zum sog. Brünnhildenfels mittels eines feuerroten Zwischenvorhangs folgte die totale Desillusionierung. Die von Siegfried auf Kleinkindweise wachgeküsste Wotanstochter, in der kompakten Gestalt der stimmmächtigen Rachael Tovey, wollte lieber in Ruhe gelassen werden, hielt sich, vom Tageslicht geblendet, die Augen zu und warf sich wieder auf ihr erhöhtes Lager – vom Gelächter des vollen Hauses begleitet – , während Siegfried, der sonst so wendige, seitlich auf dem Boden kniete und sich so als der ersehnte Held apostrophieren ließ. Als das männliche Götterkind dann auch noch hinter dem Vorhang eine bequeme Couch hervorzog, seine göttliche Freundin aufforderte, sich zu ihm zu setzen, und die beiden für das kurzfristig geplante gemütliche Zusammmenleben Speis und Trank herbeiholten, war die besungene “leuchtende Liebe”, samt “lachendem Tod” längst der Lächerlichkeit preisgegeben und die positivste Szene des gesamten “Ringes” ward der Profiliersucht der Inszenatoren geopfert.
Was Richard Wagners Musik – hier wie anderswo – so eindeutig “sagt”, hat womöglich die Majorität der Zu-schauer und der professionellen Journalisten – nach dem Motto ”Zu schauen kam ich, nicht zu lauschen” – gar nicht mitbekommen. (Aber man unterschätze die Urteilskraft der sog. “Wagnerianer” nicht!) Wäre Nürnberg nicht eine so schöne Stadt und würden mich die musikalische Wiedergabe und die Sängerleistungen in der am 11. Oktober folgenden “Götterdämmerung” nicht so brennend interessieren, schlösse ich mich wohl Siegfrieds Ausspruch über den tückischen Mime im Hinblick auf diesen “Ring” an: “Ich mag ihn nicht mehr sehen!”
Sieglinde Pfabigan