WIENER STAATSOPER: „EUGEN ONEGIN“ am 25.4.2015
In einer musikalisch so dichten Aufführung wird auch die kalte, fantasielose Inszenierung von Falk Richter/Katrin Hoffmann (Bühne) erträglicher. Ich traute meinen Ohen nicht, als Louis Langrée nach seinen strohtrockenen Mozart-Dirigaten (Tito, Figaro, Giovanni) bereits die schwermütige Einleitung der Tschaikowski-Oper höchst lebendig erklingen ließ und es schaffte, während der gesamten drei Stunden Aufführungsdauer die Spannung zu halten, das philharmonische Staatsopernorchester zu lustvollem, expressivem Spiel zu animieren und mit Musikern und Sängern immer wieder erfüllte lyrische Passagen, aber auch beschwingte Ensemble-Szenen zu präsentieren. Als besondere Delikatesse möchte ich hervorheben, wie der Dirigent die Arie des Gremin mit einer erwartungsvollen Generalpause einleitete, es mäuschenstill im Haus wurde und er diese auch vom Bassisten Jongmin Park ungemein edel und mit starkem emotionalem Ausdruck fein differenziert gesungene Huldigung an Tatjana sensibel begleitete – eine musikalische Delikatesse, bei der man den Atem anhielt! Es war an diesem Abend auch große Dramatik angesagt, aber immer mit gebändigtem Instrumentaleinsatz, der dann umso packender geriet. Die vom Regisseur optisch nicht realisierte Polonaise im Hause Gremin nahm man somit dankbar in der zündend dargebotenen Orchesterfassung entgegen.
Ein ausgezeichnetes Sängerensemble vervollständigte den positiven Gesamteindruck der minutiös geprobten Aufführung. Zur jungmädchenhaften Erscheinung der lettischen Sopranistin Maija Kovalevska kam ihre erfreulich jugendfrisch klingende Stimme mit leuchtenden, unangestrengten Höhen. In der Schlussszene trug ihr reiner, heller Sopran dazu bei, Tatjanas lauteren, liebenswürdigen Charakter, den Gremin preist, absolut glaubwürdig erscheinen zu lassen. Mit ausgesprochen schönem, flexiblem und kräftigem lyrischem Bariton bot auch Peter Mattei einen Hörgenuss. Der großgewachsene, fesche Schwede schien sich auf der meist leeren Bühne und angesichts einer nicht vorhandenen Personenregie optisch eher auf verlorenem Posten zu fühlen. Seine Gestik war zu vage, um darstellerisch starke Akzente setzen zu können. Seinem tenoralen Gegenspieler, dem Italo-Amerikaner Charles Castronovo, der mit leidenschaftlichem Einsatz spielte, fiel das weit leichter. Zwar ließ sein eher robust eingesetzter Tenor in den Ensembleszenen ein persönliches oder gar slawisch-elegisches Timbre vermissen, aber in der großen Arie vor dem tödichen Duell fand er zu großer Ausdrucksintensität und tenoralem Wohlklang. Elena Maximova war eine normal gute Olga, ohne einen Luxus-Mezzo wie Nadia Krasteva anbieten zu können.
Larina und Filipjewna waren mit Suzanne Hendrix und Aura Twarowska sehr gut besetzt. Als Triquet war Norbert Ernst kurzfristig für Pavel Kolgatin eingesprungen und ließ uns nicht nur in französischem Belcanto von Tschaikowskis Gnaden schwelgen, sondern auch Zeugen einer köstlichen Charakterstudie werden. Hans Peter Kammerer war als Hauptmann und Sekundant Saretzky erfolgreich im Doppeleinsatz und mit dem Chorsolisten Oleg Zalytsky war offenbar ein Landsmann des Komponisten sehr passend als Vorsänger im Chor der Landleute zu hören, die, wie das Gremin-Gefolge, von Thomas Lang und den sicherlich vorhandenen guten Sprach-Coaches geführt, akustisch jenes russische Flair verbreiten, von dem optisch jede Spur fehlt.
Sieglinde Pfabigan