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BERLIN/ Staatsoper im Schillertheater: EMMA UND EGINHARD von G.P.Telemann. Barockopern-Rarität. Premiere

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Barockoper-Rarität in Berlin: „Emma und Eginhard“ von Georg Philipp Telemann (Premiere: 26. 4. 2015)

Nikolay Borchev (Eginhard), Robin Johannsen (Emma), Foto Monika Rittershaus
Nikolay Borchev, Robin Johanssen. Foto: Monika Rittershaus

 In der Berliner Staatsoper im Schillertheater hatte am 26. April 2015 eine besondere Opernrarität Premiere: „Emma und Eginhard“ von Georg Philipp Telemann. Diese Oper in drei Akten mit dem Untertitel „Oder die Last-tragende Liebe“, deren Libretto Christoph Gottlieb Wend nach dem Epos Mandragende Maegt von Jacob Cats und dem ersten Helden-Brief von Christian von Hofmannswaldau verfasste, hatte 1728 in Hamburg als Auftragswerk der Oper am Gänsemarkt ihre Uraufführung.

 Georg Philipp Telemann (geb. 1681 in Magdeburg, gest. 1767 in Hamburg) spielte in seiner Jugend Geige, Flöte und verschiedene Tasteninstrumente und versuchte sich bereits mit 12 Jahren an einer Oper. 1705 ging er als Kapellmeister des Fürsten Promnitz nach Sorau, das heute in Polen liegt, wechselte 1708 als Organist nach Eisenach und wurde dort Hofkapellmeister. Von 1722 bis 1738 war er in Hamburg Operndirektor. Zu seinem umfangreichen Schaffen gehören 1043 Kantaten, 122 Orchestersuiten, 49 Passionen und etwa 50 Opern, von denen nur 8 überliefert sind.

 Der Barockopern-Spezialist René Jacobs – er hatte vor Jahren in Berlin bereits zwei Telemann-Opern dirigiert und war jahrelang künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik – sagte in einem im Programmheft abgedruckten Interview zur Musik Telemanns: „‘Emma und Eginhard‘ ist eine Oper, die sowohl im Blick auf den Text wie auf die Musik auf höchstem Niveau steht. Die kompositorische Qualität ist wirklich hervorragend, viele Teile der Partitur reichen an Bach heran.“

 Die Handlung der Oper spielt nach dem siegreichen Krieg Karls des Großen gegen die heidnischen Sachsen. Der Kaiser wird vom Hofstaat als Kriegsherr und Friedensfürst gepriesen, auch der sächsische Prinz Heswin rühmt als Geisel Karls Großmut. Steffen, des Kaisers kurzweiliger Rat, parodiert die modischen Sitten bei Hofe. Die Rückkehr der Männer aus dem Krieg verspricht Gelegenheit zum Liebesspiel. Und diese Gelegenheit wollen eigentlich alle Damen des Hofs nutzen. Ab nun wird geflirtet und geliebt, auch wenn Wolrad, der Oberkammerherr des Kaiser, vor den Gefahren lockerer Sitten warnt, habe sich doch manch einer beim Liebesspiel gar den Tod geholt. Nichtsdestotrotz verliebt sich Emma, des Kaisers Tochter, in Eginhard, den Geheimschreiber Karls, der um die Gefahren dieser nichtstandesgemäßen Verbindung weiß, sich aber dennoch gern verführen lässt. Während der Liebesnacht von Emma und Eginhard beginnt es zu schneien – und Karl beobachtet, wie Emma im Morgengrauen Eginhard auf ihrem Rücken durch den Schnee trägt, damit keine Spuren von Männerschuhen von ihrem Zimmer wegführen. Der Kaiser tobt, dass ein Diener seine Tochter entehrt habe. Die beiden werden gefangen genommen und zum Tod verurteilt. Als die Hinrichtung unmittelbar bevorsteht, fordert eine Stimme Karl auf, Erbarmen zu zeigen. Emma und Eginhard, aber auch zwei weitere Paare – Hildegard und Heswin, Barbara und Steffen – bekommen die Erlaubnis zur Heirat. Amor feiert seine Macht – und alle sind der Ansicht, dass Glück viel größer ist, wenn es auf dem Weg zu ihm Hindernisse gegeben hat.

 Eva-Maria Höckmayr vertraute in ihrer Inszenierung den Blick von heute auf die Vergangenheit der Figur des Steffen an, der Karls Hofnarr darstellt. Wie überhaupt die Regie auf Humor setzt, ohne in Klamauk zu verfallen. Mit vielen köstlichen Ideen – beispielsweise wird das nur mit einem Tuch bedeckte Liebespaar in den Himmel gezogen, von wo das Tuch aufs Bett zurückflattert – wird das Publikum, das auch mit Szenenbeifall nicht geizte, bestens unterhalten. Sehr gut genützt wurde die Drehbühne, wodurch die einzelnen Szenen ohne Unterbrechung gezeigt werden konnten. Das barocke Bühnenbild steuerte Nina von Essen bei, die prachtvoll-üppigen Kostüme entwarf Julia Rösler, für die Lichteffekte war Olaf Freese verantwortlich.

 Für die hohe musikalische Qualität der Aufführung war René Jacobs der Garant, der das Orchester der Akademie für Alte Musik Berlin mit seinem an Magie grenzenden Dirigat leitete und das Publikum voll in seinen Bann zog. Dazu stand ihm ein erstklassiges, homogenes Sängerensemble zur Seite, das auch in den kleinsten Partien überzeugte.

 Der ungarisch-rumänische Bariton Gyula Orendt als Kaiser Karl brillierte vor allem im zweiten Akt, als er die Zerrissenheit zwischen Herrscher und Vater auszudrücken hatte. Großartig seine Wut- und Rachearie „Glühende Zangen“, nachdem er die Verbindung seiner Tochter mit Eginhard entdeckt hatte. Seine Tochter Emma wurde von der amerikanischen Sopranistin Robin Johannsen gespielt, die zwar zart an Figur, aber mächtig in ihrem Willen und ihrer vielschichtigen Stimme war. Wunderbar das von ihr und Eginhard gesungene Duett  „Liebes-ABC“, das am Bühnenrand von der Regie mit Leuchtbuchstaben Leibes-ABC bezeichnet wurde – ein witziger und sinngebender Einfall!

 Ihr darstellerisch wie gesanglich ebenbürtig war der junge weißrussische Bariton Nikolay Borchev als Eginhard, der seine Angstzustände und Liebesqualen recht eindrucksvoll spielte.

Elegant an Erscheinung die deutsche Mezzosopranistin Katharina Kammerloher als des Kaisers Gattin Fastrath, die mit ihrer oft wiederholten Arie „Jeder Adler bleibt beim Geschlecht und wählt nicht eine Taube“ den Verdruss des Kaisers heraufbeschwor. Virtuos der tschechische Bariton Jan Martiník als General Alvo, der – von Steffen provoziert – seine Standesdünkel-Arie ins Publikum schmetterte, in der er seine Arbeitslosigkeit in Friedenszeiten bedauert.  Mit viel Komik stattete der österreichische Tenor Johannes Chum die satirische Rolle des Steffen aus, der in vielen Szenen zur Hauptfigur mutierte und am Schluss seine geliebte Barbara ehelichen darf.

 Sehr humorvoll agierte auch die armenische Sopranistin Narine Yeghiyan als Zofe Barbara und Liebesgott Amor. In beiden Rollen bezauberte sie durch ihr quirliges und anmutiges Spiel und ihre helltönende Stimme. Auch das dritte Liebespaar – Hildegard und Heswin – waren gut besetzt. Die fränkische Prinzessin Hildegard wurde von der spanischen Sopranistin Sylvia Schwartz gesungen, die mit ihrer „Wellen-Arie“ (Meine Tränen werden Wellen) einen absoluten Höhepunkt des Abends erklomm und verdientermaßen Sonderbeifall erhielt. Als sächsischer Prinz Heswin beeindruckte die in Wien geborene Mezzosopranistin Stephanie Atanasov mit ihrer lyrischen Stimme ebenso wie mit der Gestaltung der Hosenrolle.

 Von den Sängern der Nebenrollen seien noch genannt: der russische Countertenor Dmitry Egorov als des Kaisers Oberhofmeister Adelbert, der deutsche Tenor Stephan Rügamer als des Kaisers Oberkammerherr Wolrad, der die unangenehme Aufgabe hatte, das Todesurteil   

zu verlesen, und der Tenor Florian Hoffmann als Eginhards Diener Urban.

 Am Schluss der dreieinhalbstündigen Vorstellung gab es minutenlangen Applaus des begeisterten Premierenpublikums für alle Mitwirkenden und das gesamte Regieteam sowie viele Bravorufe für die Emma-Darstellerin Robin Johannsen, den Dirigenten René Jacobs und sein Orchester.

 Udo Pacolt

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