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MARSEILLE : Opera de Marseille DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

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Foto (c) Christian Dresse/Opera Marseille

Ricarda Merbeth und Samuel Youn / Foto (c) Christian Dresse/Opera Marseille

MARSEILLE: Opéra de Marseille
„DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“
29. April 2015

 

Wirkliche Wagner-Tradition am Mittelmeer

 
Vier Götter thronen auf dem Giebel der Oper in Marseille: Aphrodite, Apollo, Pallas Athene und Dionysos. Über ihnen schrieb der Bildhauer Antoine Bourdelle in goldenen Lettern: „Die Kunst bekommt die Schönheit von Aphrodite, den Rhythmus von Apollo, das Gleichgewicht [die Ausgewogenheit] von Pallas Athene und die Bewegung von Dionysos “. Diese vier Götter stehen auch für die verschiedenen Gattungen, die seit 1787 in einem der ältesten Opernhäuser Frankreichs aufgeführt werden. In dieser Spielzeit haben wir über sehr selten gespielte Werke aus dem französischen Repertoire berichtet: „Moïse et Pharaon“ von Rossini und „Le Cid“ von Massenet (jetzt wieder aufgenommen an der Pariser Oper). Das sind wirkliche Pionierleistungen in Marseille, denn der „Cid“ wurde szenisch seit 1919 in Paris und seit 1891 in Wien nicht mehr gespielt!

 Auch in Sachen Wagner war Marseille den anderen französischen Opern oft voraus: „Lohengrin“ wurde hier schon 1892 aufgeführt, „Tannhäuser“ 1896, Parsifal 1914 etc. Diese alte Wagner-Tradition hört man dem Orchester der Oper sofort an: sogar die Bläser scheinen nicht das geringste Problem mit der Partitur zu haben. Lawrence Foster, ein Amerikaner mit rumänischem Ursprung, seit 2012 Chef-Dirigent in Marseille, kennt seinen Wagner aus dem ff – er hat ihn auch viel in Hamburg und Montpellier dirigiert. Die Ouvertüre gelang ihm wirklich vorbildlich: einerseits spannte er einen großen Bogen, andererseits wusste er genau die verschiedenen Leitmotive voneinander abzusetzen und wieder zu verweben – und präsentierte eine eigene Interpretation dieser komplexen Musik.

 Die Sängerbesetzung war vom Feinsten: beinahe alle haben ihre Rollen schon in Bayreuth und an der Wiener Staatsoper gesungen. Der Star des Abends war Samuel Youn, der als Holländer unter Christian Thielemann 2012 in Bayreuth debütierte, wo er ihn diesen Sommer wieder singen wird. Mit einem „bronzenen Timbre“ ist er sängerisch eine Idealbesetzung und könnte es mit der Bronzefarbe seiner Haut auch szenisch sein, weil er, wie z.B. Simon Estes, auf der Bühne sofort wie ein Außenseiter wirkt. Doch so etwas wie eine individualisierte Personenregie schien es leider nicht zu geben in dieser Produktion, die ursprünglich für das antike Theater in Orange gedacht war. Und so sangen alle Sänger immer laut an der Rampe, als ob sie über 7.000 Zuschauer erreichen müssten.

 Das prägte auch die Senta von Ricarda Merbeth, die die berühmte Ballade schon differenzierter gesungen hat. Sie scheint, wie Samuel Youn, über quasi unbegrenzte Ressourcen zu verfügen, was den Dirigenten offenbar dazu verführte, den Sound mächtig aufzudrehen. Dabei wurde ihre Stimme in der Höhe manchmal recht scharf und man vermisste den Umstand, dass diese Ballade nicht nur eine Erzählung, sondern auch ein „innerer Monolog“ ist. In diesem Dezibel-Orkan kam Kurt Rydl in Schwierigkeiten. Wir haben noch seinen Hunding und seinen Hagen in den Ohren, und waren etwas erstaunt, dass die doch viel kleinere Rolle des Daland ihn an seine aktuellen stimmlichen Grenzen führte. Aber vielleicht liegt die Auftrittsarie „Schon sah am Ufer ich mein Haus“ unangenehm hoch für einen Bass? Mit den Höhen des Erik hatte der ebenfalls Bayreuth-Erfahrene Tomislav Muzek kein Problem. Auch Avi Klemberg und Marie-Ange Todorovitch – die beiden einzigen französischen Sänger – sangen ganz vortrefflich und in einem makellosen Deutsch. So eine homogen gute Besetzung erleben wir wirklich selten!

 Der einzige Abstrich des Abends war die Inszenierung von Charles Roubaud. Das imposante Bühnenbild von Emmanuelle Favre hat das antike Theater von Orange 2013 sicher gut gefüllt, doch nun „besetzte“ es quasi die ganze Bühne der Oper, sodass die Sänger nur noch vorne an der Rampe singen konnten. Die Kostüme von Katia Duflot schienen aus dem Fundus zu kommen und szenische Proben schien es kaum oder nicht gegeben zu haben: alle sangen quasi nur mit Blick auf den Monitor oder auf den Dirigenten. Doch das blieb nur ein relativ kleiner Abstrich, denn musikalisch hatte der Abend wirkliches „Bayreuth-Niveau“.

 

Waldemar Kamer,
MERKEROnline – Paris

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