IDOMENEO (Premiere 13.11.2013). Besuchte Vorstellung 20.11.2013
Erschütterndes Kriegsdrama und Vater-Sohn-Konflikt
Foto: Theater an der Wien
Am 22. November 2013, um 19. Uhr wird der französische Kultursender Mezzo.tv Idomeneo live aus dem Theater an der Wien übertragen. Das ist zum einen erfreulich, zum anderen drängt sich mir als regelmäßigem Opernbesucher schon die Frage auf, was es eigentlich mit dem „Etikettenschwindel“ einer Live-Übertragung oder einer „zeitversetzten“ „Live-Übertragung“ eigentlich auf sich hat?
Wer am 3.10.2013 in der Generalprobe zu „La fanciulla del West“ in der Wiener Staatsoper war, konnte Barbara Rett in einer Parkettloge bei der Präsentation dieses Abends, der eigentlich zwei Tage vor der für 5. Oktober 2013 angesetzten Premiere um die Mittagszeit stattfand, beobachten! Und Mezzo zeichnete bereits am 20. November die vom Rezensenten besuchte Vorstellung eifrig mit mehreren Kameras auf. Man kann also gespannt auf diese „Live-Übertragung“ am 22.11. sein!
Nun aber zum Wesentlichen: Zeitlebens soll Mozart den Idomeneo für seine beste Oper gehalten haben und ich teile diese seine Einschätzung. Man könnte diese tragédie lyrique als eine, der späten Barockoper noch lose verhaftete, Choroper charakterisieren. Und tatsächlich: Regisseur Damiano Michieletti räumt den Mitgliedern des hervorragend von Erwin Ortner einstudierten Arnold Schoenberg Chors eine mehr als tragende Rolle ein.
Zur Entstehungsgeschichte sei hier nur angemerkt, dass der Salzburger Hofkaplan Abate Gianbattista Varesco (1736-1805) für sein sperriges Libretto das französische Trauerspiel Idoménée von Antoine Danchet (1671-1748), welches bereits von André Campra (1660-1744) für seinen „Idoménée“ (1712) vertont worden war, ins Italienische übersetzte und eigene Arientexte hinzufügte.
Nach der Uraufführung 1781 am Münchner Residenztheaterwurde der Idomeneo noch an zahlreichen anderen Bühnen aufgeführt, fiel aber bald der Vergessenheit anheim. Erst mit der Renaissance der Barockopern von Händel in der zweiten Hälfte des 20. Jhd. wuchs das Interesse am Typ der opera seria wieder und so fand auch Mozarts Idomeneo seinen verdienten Weg zurück auf die internationalen Opernbühnen.
Die Opferung des eigenen Kindes findet man übrigens als Topos bereits im Alten Testament in abgewandelter Form im Buch Richter 11,30ff vorgegeben. Dort wird Jephthahs Tochter zum Brandopfer bestimmt. Auch die versuchte Opferung Isaacs durch seinen Vater Abraham Gen 22,1-19 mag an dieser Stelle noch erwähnt werden.
Bei Regisseur Damiano Michieletto, der am Theater an der Wien schon mit Puccinis Triptychon im Oktober 2012 einiges Aufsehen erregte, tritt nun der Kreterkönig Idomeneo als ein von den Gräueln des trojanischen Krieg stigmatisierter Herrscher auf einer mit Soldatenstiefeln übersäten Bühne (Paolo Fantin) auf. Die Idee freilich ist nicht ganz neu, denn schon 1999 fand ein solches Bühnenbild von Csaba Antal für Peter Grimes in der Ungarischen Staatsoper Budapest in der Regie von Balázs Koválik Verwendung. Ganz naturalistisch riecht man sogar im Parkett noch den Modergeruch von feuchter Erde. Zwei blutüberströmte Soldaten martern ihn gleich Furien des antiken Dramas.
Der Konflikt zwischen Idomeneo und seinem Sohn Idamante findet auf der Bühne natürlich stellvertretend für jenen zwischen Leopold Mozart und seinem Sohn statt. Und beide versuchen sich zu emanzipieren. Das wird bereits eindrucksvoll in der zur Ouvertüre eingespielten Videosequenz deutlich. Der frühreife Idamante hat bei Regisseur Michieletto die trojanische Gefangene Ilia, die mit unansehnlichen Lumpen (Kostüme: Carla Teti) bekleidet ist, bereits geschwängert. Dem noch ungeborenen Sohn wird indirekt ein messianischer Heilscharakter zugeschrieben, da er später als das Kind der Liebe eine neue Friedensepoche auf Kreta einläuten wird…
Ganz anders tritt ihr Marlis Petersen als überdrehte Elletra im Disigner Outfit – reich und schön – entgegen. Mit ihrer leidenschaftlichen, ans Äußerste gehenden Darstellung, hinterließ sie an diesem Abend einen unvergesslichen Eindruck. Und ihr finaler Abgang, wo sie die Perücke gleich Elisabeth I. in Roberto Devereux abwirft, und sich im Dreck suhlt, lässt einem Schauer den Rücken hinab rieseln.
Die in Malmedy geborene belgische Sopranistin Sophie Karthäuser ging in der Rolle der kriegsgefangenen Ilia herzerschütternd auf. Ihre Schwangerschaft mag sogar eine echte sein, denn so behutsam und zärtlich Idamante mit ihr umging ließe darauf schließen. Und nach der am Ende der Oper statt des Ballettes vorgeführten Geburt ihres Kindes blieb ihr „Bäuchlein“ noch immer vorhanden. Die bei der Geburt eingespielte Videosequenz ihre Fötus dient dabei als poetische Klammer des immerwährenden Kreislaufes von Entstehen und Vergehen. Und dem toten Idomeneo wird sein Enkel noch vorgeführt. Wir als Zuseher freuen uns natürlich mit der sympathischen Künstlerin und wünschen ihr und dem Kind das Allerbeste für die Zukunft! Mit ihrem sanften Sopran ist sie naturgegeben eine ideale Interpretin des Barockrepertoires, wovon man sich bereits im Theater an der Wien in Händels Radamisto im Januar 2013, wo sie eine überwältigende Polissena verkörperte, überzeugen konnte.
Beeindruckend auch die resolute französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez in der Hosenrolle des Idamante. Ihre hervorragend auf Linie geführte Stimme belebt die Rolle des ob der Zurückweisung durch den Vater verzweifelnden Sohnes ungeheuerlich. Jede Qual, jede verzweifelte Regung wird so transparent und nachvollziehbar. Brava!
Titelheld Idomeneo wurde vom US-amerikanischen Tenor Richard Croft glaubhaft dargestellt und stimmlich durchwegs überzeugend dargeboten. Man darf hier keine Vergleiche mit Luciano Pavarotti anstellen, der spielte in einer anderen Liga, aber Croft bot eine durchaus respektable Leistung, wofür ihn der Applaus am Schluss auch angemessen würdigte.
Unscheinbar in stimmlicher Hinsicht waren da die beiden Tenöre Julien Behr als Arbace und Mirko Guadagnini als Gran Sacerdote di Nettuno.
René Jacobs am Pult des Freiburger Barockorchesters ist für seine langsamen Tempi bekannt, was stellenweise zu Ermüdungserscheinungen führte. Dies soll aber kein Vorwurf sein, denn die Charakterisierung der seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten in ihrem inneren Wechsel von Melancholie und Rage erfordert eben eine differenzierte Dynamik, die letztendes doch zu einer großen Spannung führte, die den Zuhörer wie hypnotisch in den Bann zog. Und nicht nur den Zuschauer an diesem Abend, sondern auch den das Geschehen kommentierenden und selbst agierenden Arnold Schoenberg Chor, der wieder einmal mehr auf seine mannigfachen Aufgaben penibel von Erwin Ortner vorbereitet wurde.
Den stärksten Beifall gewann natürlich Marlis Petersen für ihre drastische Darstellung der Elettra, dicht gefolgt von ihren beiden Kolleginnen. Von den Herren erhielt lediglich Richard Croft einige Bravorufe.
Harald Lacina 21.11.2013