Theater an der Wien: La mère coupable 12.5.2015 (Premiere 8.5.2o15):
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Mireille Delunsch, Andrew Owens. Copyright: Barbara Zeininger
Ich habe mich auf diesen Opernabend sehr gefreut. Voller Erwartung ging ich ins Theater an der Wien, um eine mir völlig unbekannte Oper anzusehen. Der Genuss ward getrübt. Trotz Bitte an das Publikum unmittelbar vor Beginn der Vorstellung, seine Mobiltelefone auszuschalten, konnte eine Dame fortgeschrittenen Alters in der ersten Reihe sitzend nicht davon Abstand nehmen, während der gesamten Ouvertüre eine Textnachricht in ihr hell leuchtendes Mobiltelefon zu tippen. Danach tippte ich sie an, damit diese schlussendlich, entrüstet das Gerät beiseite legte. Nach der Pause entblödete sich besagte „Dame“ nicht, mir zu erklären, dass es sich ja um eine wichtige Nachricht gehandelt hätte! Verehrtes Publikum: es gibt keine noch so wichtige Nachricht, die rechtfertigen würde, das Mobiltelefon während einer Vorstellung zu betätigen. Ich will mir die Vorstellung nicht verderben lassen, durch das rüpelhafte und durch nichts zu entschuldigende Verhalten solcher Gäste. Bleibt bitte in Zukunft zu Hause und verblödet weiterhin mit euren Smartphones! Die Theaterdirektoren sind nun gefordert, endlich einmal den Zuschauerraum so auszustatten, dass jeglicher Empfang durch ein Mobiltelefon unmöglich wird, nachdem das p.t. Publikum es nicht schafft, das Telefon auszuschalten, bestenfalls auf Vibration, welches Geräusch ich noch drei Reihen hinter mir wahrnehmen kann!
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Angelika Kirchschlager, Mireille Delunsch. Copyright: Barbara Zeininger
Nun zu Milhauds Oper: Pierre Augustin Caron de Beaumarchais hat neben seinem berühmten Barbier und der Hochzeit des Figaros noch ein drittes, weit weniger berühmtes Stück über den Almaviva-Clan geschrieben. Er nannte es „L´autre Tartuffe ou la mère coupable“ als Referenz an Molière. Eine Komödie ist seiner Feder dabei aber nicht entronnen. Schuld daran mag auch das Libretto seiner Gattin Madeleine Milhaud sein, die Beaumarchais Drama auf drei Akte kürzte und dabei eine dramaturgisch wenig spannungsreiches Konversationsstück lieferte. Der Handlung spielt etwa zwanzig Jahre später. Die Almavivas sind mit ihren Dienern Figaro und Susanna nach Frankreich gezogen und betreiben dort, verbürgerlicht, ein Hotel. Ein irischer Intrigant namens Bégearss, der „andere Tartuffe“; biedert sich der Familie in der Absicht an, sich deren Vermögen anzueignen, indem er alle gegeneinander ausspielt. Die Gräfin hat von Chérubin einen außerehelichen Sohn, der im Krieg gefallen ist, namens Léon. Graf Almaviva wiederum hat eine illegitime Tochter namens Florestine, die als Patenkind von ihm aufgenommen wurde. Nachdem Figaro entdeckt, dass der Schwindler Bégearss bereits verheiratet ist und sohin Florestine nicht mehr ehelichen kann, steht dem gemeinsamen Glück der beiden illegitimen Kinder der Almavivas nichts mehr im Wege.
Stephan Loges ist dieser schleimige wie bigotte Intrigant Bégearss, dessen Enttarnung am Ende der Oper aber wenig spektakulär stattfindet. Beaumarchais verfügte offenbar zwei Jahre vor seinem Tod nicht mehr über jenes ursprüngliche zündende schöpferische Potential, das aus den beiden vorangegangenen Teilen heraus flammte. Für Stephan Loges Bariton hätte ich mir etwas mehr an Bedrohlichkeit gewünscht.
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Theresia Gabriel, Markus Butter, Christoph Seidl, Aris Agiris. Copyright: Barbara Zeininger
Als schon etwas herabgekommener Graf war Markus Butter von leidenschaftlichen Gefühlen erschüttert. Als die Gräfin das Bewusstsein verliert, bangt er um ihr Leben, denn trotz allem liebt er sie noch. Gesanglich wirkte sein Bariton allerdings eher verhalten.
Aris Argiris als Figaro wirkt eher im Hintergrund. Zu Ende des zweiten Aktes hat ihm Milhaud allerdings einen äußerst wirksamen Auftritt komponiert, mit dem er in Anlehnung an das berühmte „Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen“ aus „Figaros Hochzeit, ankündigt, es dem Intriganten Bégearss noch richtig zeigen werde, und das mit durchdringendem Bariton.
Mireille Delunsch als Gräfin trauert um Chérubin und sucht im Alkohol Trost, was mit ein Grund für ihren strapazierten Sopran an diesem Abend gewesen sein könnte? Frederikke Kampmann war eine stimmlich und darstellerisch eindrucksvolle Florestine mit virilem Koloratursopran. Mit Angelika Kirchschlager als Suzanne mit gut disponiertem Mezzosopran setzt die Oper ein, dann verblasst die Rolle leider im Laufe des Abends.
Andrew Owens zeichnet mit lyrischem Tenor ergreifend den unglücklich liebenden Léon. Christoph Seidl singt den Notar Maître Fal, der beinahe noch den finanziellen Ruin der Almavivas verursacht hätte, mit wohlklingendem Bass.
Darius Milhaud hat immerhin etwas mehr als 15 abendfüllende Bühnenwerke komponiert, die drei Opéras-minutes (1927) nicht mitgerechnet. Fallweise wird heute noch sein „Christophe Colomb“ (1928) und „Les Malheurs d’Orphee“, zuletzt 1992 in Lyon, gespielt.
Josefstadtdirektor Herbert Föttinger hat sich nun akribisch an die Inszenierung von Milhauds Oper herangetastet. Zunächst zeigt er pantomimisch die Beerdigung von Almavivas älterem Sohn während Leo Hussain mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien als Ouvertüre Mozarts Maurerische Trauermusik spielt. Damit ist der richtige Ton getroffen, der sich quasi als bal macabre durch den ganzen Abend zieht. Sehnsüchte, nicht verarbeitete Erlebnisse, schmerzende Erinnerungen quälen die Almavivas. Und dann geistert noch der tote Chérubin durch die Szene, um die Gräfin in den vollen Wahnsinn zu treiben. Föttinger inszeniert die Oper wie ein Schauspiel von Strindberg in einem herabgekommenen Hotel mit Aufzügen, und fallweise wird der Blick auf vier Zimmer in der oberen Etage freigegeben (Bühnenbild: Walter Vogelweider).
Herbert Föttinger liebt den Kunstgriff der „Verdoppelung“ und so wird das gräfliche Paar und deren illegitime Kinder von ihren jeweiligen Alter Egos im wahrsten Sinne des Wortes Albtraum artig heimgesucht. Die oberen Räume des Hotels geben den Blick frei auf bizarre Szenen. Einmal wäscht eine Frau ihren nackten Oberkörper mit Blut, ein anderes Mal ist eine Frau mit ihren Handgelenken an ein Messingbett gekettet. Ob dieses Hotel Almaviva wohl heimlich auch ein Etablissement Almaviva betreibt? Am Ende der Oper zieht sich der Almaviva-Clan schließlich in einem Aufzug zurück. Viel tragen solche Regiemätzchen nicht zur Verständlichkeit des musikalisch eher spröden und von der Handlung her eher sperrigen Plots bei.
Birgit Hutter hat den Protagonisten den biederen Alltagslook der 60ger Jahre verpasst und Emmerich Steigberger die Szenerie unspektakulär ausgeleuchtet.
Leo Hussain gelang es am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien immerhin die etwas spröde dahinfließende Musik Milhauds, die sich erst im dritten Akt kraftvoll entladet, mit Verve umzusetzen.
Das verbliebene Publikum dankte den Mitwirkenden mit kurzem, aber heftigem Applaus. Ich hatte den Eindruck, dass man dankbar war, wieder einmal die szenische Umsetzung einer musikalischen Rarität im Theater an der Wien erlebt zu haben. Danke!
Harald Lacina