Frankfurt: „VOGT-CITY OF BIRMINGHAM
S.O. – ANDRIS NELSONS” 03.06.2015
Zur Konzertreihe “Internationale Solisten und Orchester” von Pro Arte gastierte in der AOF das City of Birmingham Symphony Orchestra. Diese renommierte, englische Institution, seit Jahrzehnten von namhaften Dirigenten geformt und geprägt spielte nun unter Leitung ihres Musikdirektors Andris Nelsons. Der exzellente Dirigent führte diesen Klangkörper seit 2008, die fruchtbare Partnerschaft endet nun mit dieser Europa-Tournee und Nelsons übernimmt in gleicher Eigenschaft demnächst das Boston S.O.
Im ersten Konzertteil erklangen Werke von Richard Wagner und wurde mit Karfreitagszauber aus „Parsifal“ eröffnet, versprachen bereits während der ersten Takte, die absolute musikalische Verheißung! In phänomenaler Klangentfaltung musizierte dieses grandiose Instrumentarium Klänge von androgyner Klarheit, sphärenhaft im Piano, auftrumpfend in der machtvollen Entfaltung, man wünschte sich diese Musikströme mögen nie enden und in dieser Konstellation, den kompletten Parsifal.
Stimmen sind ja bekanntlich eine Geschmacksfrage! Nun muss ich leider gestehen, das weiße, jungenhafte Timbre von Klaus Florian Vogt erregte noch nie mein Interesse und dennoch muss ich dem weltweit gefeierten Tenor meine Achtung zollen. Hell leuchtend, sang Vogt
Amfortas, die Wunde empfindsam in Trauer und Schmerz. Distanziert, mehr pauschal als prägnant folgte Nur eine Waffe taugt.
Orchestralen Glanz, exemplarische Akkuratesse zelebrierte Nelsons mit dem prächtig musizierenden CBSO zum 3. Akt-Vorspiel aus „Lohengrin“ und Klaus Florian Vogt brauchte in klarer Artikulation Höchstes Vertrauen hast du mir schon zu danken und zeigte zur Gralserzählung pianissimo intoniert, ambitionierten Willen sowie vokale Strahlkraft und entfachte damit den Bravo-Zuspruch des bisher reservierten Publikums. Der erfreute Sänger bedankte sich, kündigte die Winterstürme aus „Walküre“ an, ebenmäßig mit etwas mehr männlicher Farbgebung erklang sein umjubelter Siegmund als Zugabe.
Während dem Pausengang dachte ich so bei mir: wie wären die Vokalsoli wohl ohne Gesang gewesen – vermutlich die absolute Wagner-Glückseligkeit?
Hatte ich noch vor zehn Tagen zwei optimale Versionen von Anton Bruckner erlebt, war ich nun um so mehr auf die Interpretation von Andris Nelsons und der „Siebten Symphonie“ gespannt und wurde gewissermaßen mehr als angenehm überrascht. Der noch relativ junge lettische Dirigent zog mit dieser Deutung vom ersten Takt an, durch seine unwiderstehlichen Tempi, der intellektuellen Fokussierung, der sehr sorgfältigen rhythmischen und melodischen Profilierung in seinen Bann.
Nelsons versucht sich nicht als Neuerer, etwa was die Verschlankung des Klangbildes angeht, sondern eher „eventuell“ als Beschleuniger. Sein Bruckner-Stil wirkte traditionell, d.h. auch mehr auf die Verdichtung der Architektur, als auf die Stimmenverläufe hin gerichtet. Sehr groß entwickelte sich die Spannung zwischen zart eingefangenen Piani und bezwingenden Tutti-Gipfeln in noblem, grandiosem Ton. Andris Nelson, so nahm es zumindest mein Gehör wahr, konzentrierte sich bedacht auf den sinfonischen Klangfluss, ebenso wie das Hinfiebern
auf die auf die enormen Steigerungen und emotionellen Zuspitzungen, die quasi als charakteristischer Stil des Komponisten gelten. Die Denkweise des einfühlsamen Dirigenten die Symphonie in ihrer kompakten orchestralen Palette auszubreiten, erschien mir völlig klar.
Die Bläsersegmente in atemberaubenden Präzision kamen gebührend zu ihrem Recht, in gemäßigtem und dennoch vorteilhaft unaufgeregten Tempi musizierend.
Sehr bewegend erklang das Adagio, wurde den Emotionen gerecht, welches ja unter dem Eindruck von Wagners Krankheit und Tod beeinflusst komponiert wurde. Breit steuert Nelsons diesen Satz zum unter die Haut gehenden Höhepunkt. Diese Musik bewegt, strebt zum Himmel und offenbart den phantastischen Kosmos des bruckner´schen Melodienreichtums.
Schemenhaft, fast disharmonisch wirken die Mischklänge des Scherzo, wie etwa im Miteinander der Violinen, der Flöten im kalkulierten Überschwang und dennoch atmet alles den Hauch luftiger Leichtigkeit. Nach den wie bereits erwähnt, vor wenigen Tagen optimalen Bruckner-Interpretationen, überraschte mich die hohe, symptomatische Qualität des Birmingham S.O. und war fasziniert. Einzelnen Instrumentalgruppen den Vorzug zu geben, fiele mir äußerst schwer, zu präzise, zu akkurat im Gesangklang präsentierte sich das musikalische Hochamt dieser Institution.
Lebendig im Ausdruck setzt Nelsons Bausteinen gleich, die Ausspielungen der Details zur alles überstrahlenden Homogenität des bewegten Finale. Konzentriert in bestem Sinne mobilisiert der engagierte Dirigent seinen hervorragenden Klangkörper, nochmals im orchestralen Pomp, zu bedeutungsvoller Prachtentfaltung dieses gewaltigen, dynamischen
Musik-Spektrums. Das Publikum dankte mit Überschwang.
Gerhard Hoffmann