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GERA: DU BIST ICH – Operettenrarität von Moises Simons

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Operettenrarität in Gera: „Du bist ich“ von Moïses Simons (Vorstellung: 23. 11. 2013)

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Begeisterung erweckten mit ihrer urkomischen Liebesszene Bettina Denner-Brückner und Kai Wefer (Foto: Stephan Walzl)

 Im Großen Haus der Bühnen der Stadt Gera kam eine echte Operetten-Rarität eines kubanischen Komponisten zur Deutschen Erstaufführung: „Du bist ich“ („Toi c’est moi“) von Moïses Simons. Die in Paris im Jahr 1934 uraufgeführte Operette wurde in Gera in der Reihe „Wiederentdeckungen des 20. Jahrhunderts“ in den Spielplan aufgenommen. Das Libretto verfasste Henri Duvernois, die Gesangstexte stammen von Albert Willemetz, Marcel Bertal, André Mouëzy-Éon, Louis Maubon und Robert Chamfleuri. Die deutsche Übersetzung für Gera besorgten Cornelia Boese (Gesangstexte) und Felix Eckerle (Dialoge).

 Moïses Simons (1898 – 1945) erhielt ab seinem fünften Lebensjahr in seiner Geburtsstadt Havanna Musikunterricht von seinem Vater, einem nach Kuba emigrierten baskischen Musiker. Bereits mit 17 Jahren wurde er zum Dirigenten des kleinen Tivoli-Theaters berufen. Er begann sehr früh, Zarzuelas, Kinderstücke und Tanzmusik zu komponieren. Insgesamt schuf er 42 Zarzuelas bzw. Operetten, fünf davon sind bis heute nicht aufgeführt. 1934 übersiedelte er nach Paris, wo auch „Du bist ich“ uraufgeführt wurde. Während des Zweiten Weltkriegs geriet er in Frankreich in deutsche Gefangenschaft und wurde in einem KZ interniert, da ihn die Nazis aufgrund seines Namens irrtümlich für einen Juden hielten. Erst 1942 wurde er freigelassen. Nach einem kurzen Aufenthalt auf Kuba kehrte er wieder nach Europa zurück. 1945 starb er in Madrid.

 Die Handlung der Operette „Du bist ich“ in Kurzfassung: Patrice lebt recht gut auf Kosten seines Freundes Bob. Die beiden Studenten sind mehr am Pariser Nachtleben als an der Universität interessiert und lassen sich alles von Bobs Erbtante Honorine subventionieren. Doch eines Tages erscheint sie überraschend in einem Pariser Tanzlokal und stellt Bob vor ein Ultimatum: Entweder willigt er ein, einige Zeit auf ihrer Plantage auf den Antillen zu arbeiten oder er werde enterbt. Bob schlägt Patrice vor, ihn in die Karibik zu begleiten, allerdings unter einer Bedingung: Beide tauschen ihre Rollen. So wird der Pseudo-Neffe in eine schäbige Eingeborenenhütte eingewiesen und hat Schwerstarbeit auf der Plantage zu verrichten, Bob hingegen logiert in einem feinen Pavillon. Unter der heißen Sonne erleben die beiden amouröse Abenteuer mit Eingeborenen und Zugezogenen, werden verkannt und erkannt, bevor sich alles in Wohlgefallen auflöst und es zu vier Verlobungen kommt.

 Regisseur Götz Hellriegel, der auch für die einfallsreiche Choreographie verantwortlich zeichnete,  sprach in einem Interview, das im Programmheft abgedruckt wurde, über seine Sichtweise auf das Stück: „‘Du bist ich‘ ist in meinen Augen eine Revue-Operette – ein klassischer Vorläufer zum Musical. Es gibt fabelhafte Tanzmusik, es gibt witzig-intelligente Couplets, es gibt große, die Handlung vorantreibende Nummern. Ich versuche, das alles mit dem hervorragenden ‚Du bist ich‘-Ensemble inklusive Chor und Ballett zu bedienen und kann nur hoffen, dass es mir gelingt. Die Zuschauer entscheiden.“

 Es gelang dem Regisseur. Seine Inszenierung war flott, humorvoll, glänzend choreographiert und begeisterte das Publikum im fast vollen Haus. Die Gestaltung der Bühne war einfach und praktisch (mit teils surrealen Bildern, über die das Publikum rätseln durfte), die Kostüme entsprachen der Kolonialzeit Anfang des vorigen Jahrhunderts (Bühne und Kostüme: Duncan Hayler). Über die witzig gemeinte (?) Schlusspointe dieser Inszenierung (schwarze Plantagenarbeiter erschießen aus dem Hinterhalt alle weißen Ausländer mit Steinschleudern) kann man geteilter Meinung sein. Gelacht hat jedenfalls niemand, vielleicht geschmunzelt…

 Aus dem opernerfahrenen Sängerensemble ragten vor allem die Sängerinnen heraus: die amerikanische Sopranistin Katie Bolding in der Rolle der Maricousa, der Tochter des Plantagenverwalters, brillierte stimmlich wie schauspielerisch, wobei sie durch ihren jugendlichen Charme und Spiellaune auch das Publikum zu begeistern wusste.  Ihre Widersacherin auf der Bühne war die griechische Mezzosopranistin Chrysanthi Spitadi als lüsterne Gouverneurstochter Viviane, die unter anderem eine blendende Carmen-Parodie hinlegte.

 Mit köstlicher Komik stattete die Mezzosopranistin Bettina Denner-Brückner die Rolle der reichen Plantagenbesitzerin Honorine aus, die gemeinsam mit dem Bariton Kai Wefer als in sie verliebter Plantagenverwalter in ihrer großen Liebesszene in dem aus Mangroven bestehenden Jungfernwald das Publikum zu Szenenbeifall hinriss. Deftig auch der Sprachwitz in dieser Szene: „Hier sorgen die Paradiesvögel für Ablenkung“, sagt er, worauf sie lachend antwortet: „Ja, ich habe göttlich gevögelt und fühlte mich im Paradies!“

 Die beiden Studenten Bob und Patrice wurden von den Tenören Erik Slik und Alexander Voigt dargestellt, die beide versuchten, ihre Rollen mit Augenzwinkern zu spielen, aber dennoch von ihren Herzensdamen an die Wand gespielt wurden. Stimmlich gut, konnten sie in den Verwechslungsszenen auf der Plantage auch schauspielerisch punkten. Von den vielen Darstellern der Nebenrollen müssen noch die schwarzamerikanische Mezzosopranistin Robin Lyn Gooch als Sklavin auf der Plantage und der Tenor Günter Markwarth als Sekretär Sigismond Pfitz genannt werden, die beide sehr komödiantisch agierten.

 Völlig unnötig empfand ich die hässlichen Wangenmikrophone, mit denen die Sängerinnen und Sänger in dem räumlich eher kleinen Theater ausgestattet waren. Man bekam als Zuschauer nie das Gefühl, dass das Orchester zu laut spielen und die Sänger zudecken würde. Dafür wurden so manche Dialoge geschrien. Das alte Leid!

 Der Opernchor vom Theater & Philharmonie Thüringen (Einstudierung: Ueli Häsler) spielte bloß eine untergeordnete Rolle, die Tänzerinnen und Tänzer des Thüringer Staatsballetts hingegen konnten in den vielen Tanzszenen, gespickt mit Rumba, Samba und Konga, ihre exzellenten tänzerischen Qualitäten unter Beweis stellen. Das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera fühlte sich unter der Leitung von Thomas Wicklein „hörbar“ wohl und gab die Partitur des Komponisten, deren besondere Qualität in den flotten Musiknummern und reichhaltigen südamerikanischen Rhythmen liegt, schwungvoll zum Besten.

 Das begeisterte Publikum dankte allen Mitwirkenden mit nicht enden wollendem rhythmischem Applaus. Noch an der Garderobe konnte man von den Zuschauerinnen und Zuschauern immer wieder zustimmende Worte über die Produktion dieser Rarität hören.

 Udo Pacolt

 

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