Fotos: Renate Wagner
WIEN / Wien Museum:
DER RING.
PIONIERJAHRE EINER PRACHTSTRASSE
Vom 11. Juni 2015 bis zum 4. Oktober 2015
Von der Großbaustelle
zur Via Triumphalis
Der Wiener nimmt die Ringstraße als selbstverständlich. Sie ist für Autofahrer, da Einbahn, breit befahrbar, sie hat Fußgänger- und Radfahrwege und schöne Bäume. Touristen bewundern die Bauten entlang des „Rings“, der sich um die Innenstadt legt – keine unüberwindliche Grenze, wie es einst die Stadtmauer war, sondern mit vielen Fußgänger-Übergängen. Bis heute ist die Ringstraße ein städtebauliches Glanzkonzept geblieben. Die Ausstellung im Wien Museum zeigt, wie es dazu kam.
Von Renate Wagner
Gedenket der Anfänge „Ringstraße“ bedeutet heutzutage im Grunde, dass man die Prachtbauten des Historismus aufzählt, die sich hier auf ziemlich engem Raum – und doch alle großzügig in der Lage (mit Ausnahme vielleicht der Staatsoper, die freien Raum vor sich verdient hätte) – drängen. Das Endprodukt ist nun, 150 Jahre „nachher“, ausreichend bewundert worden. Die 150 Jahre sind allerdings, obwohl das Unternehmen tatsächlich am 1. Mai 1865 „eröffnet“ wurde, ein willkürlicher Termin, da noch jahrzehntelang gebaut wurde. Diktiert hat den Ringstraßen-Schwerpunkt „die Tourismus-Industrie“, wie Wien Museum-Direktor Wolfgang Kos sagt, und dennoch ist etwas ganz Großartiges daraus geworden. Denn man geht das Unternehmen von vielen verschiedenen Seiten her an. Und besinnt sich dessen, wie es dazu kam. Da kann man der Sache die Bewunderung nicht versagen – ausnahmsweise sozusagen, denn Vergangenheits-Bashing, zumal wenn es um Habsburgisches geht, ist ja immer noch angesagt.
Der junge Kaiser Franz Joseph Die Ausstellung im Wien Museum, die unter dem Titel „Der Ring“ nichts weniger zeigt als die „Pionierjahre einer Prachtstraße“, bietet dem Besucher gleich zu Beginn ein Bildnis des jungen Kaisers Franz Joseph. Man muss bedenken, dass es ein 27jähriger war, der 1857 („Es ist mein Wille“ – die Handschrift hat viele Autoren, aber seine Unterschrift entschied) das Wagnis einer der größten städtebaulichen Revolutionen auf sich nahm, die es je gab – eine Sache, die nur Angst machen konnte. Aber es war an der Zeit, Wien von den beengenden Stadtmauern zu befreien und sich von der Idee der Militärs zu verabschieden, man bräuchte die unbesiedelten Glacisgründe rund um diese Mauer zur Verteidigung der Stadt. Sie waren es übrigens, die das Unternehmen „Ringstraße“ so besonders machten: Man musste – mit Ausnahme der Mauern – nichts niederreißen, sondern fand freien Raum zur Gestaltung. Und nützte die einmalige Chance mit Mut und Innovation.
Die schnellen Entscheidungen Undenkbar, dass heutzutage ein Riesenprojekt dieser Art überhaupt je zum Abschluß käme, man würde hundert Jahre nur darüber diskutieren, wie Wolfgang Kos meint. Damals gab es eine kaiserliche Kommission, die Wettbewerbe ausschrieb, sich auf einen Grundplan einigte, der heute noch Bestand hat, rasch handelte und die Entscheidungen bei sich behielt – weder die Stadt Wien, die nur einzelne Parzellen (für das Rathaus, für den Stadtpark) zugesprochen bekam, noch gar private Investitionsgier (die heute dazu führen, dass man aus kapitalistischer Gier sogar Hochhäuser neben den Kölner Dom stellt und niemand es verhindert) konnten hier ein Konzept stören, das gleicherweise öffentliche Monumentalbauten und „private“ Wohneinheiten vorsah, daneben Plätze, Grünflächen, Begegnungsorte.
Jüdische Palais Es ist bekannt, dass Kaiser Franz Joseph teure und begehrte Grundstücke an künstlerische Institutionen (wie die Gesellschaft der Musikfreunde) schenkte. Dass der Adel sich Platz auf der Ringstraße kaufen würde, erwies sich als Fehlkalkulation: Man besaß schließlich seine Barockpalais’ in der Stadt. Wer einsprang, war ein Großbürgertum, vor allem jüdischer Prägung (erst unter Franz Joseph gab es die „Realbesitzfähigkeit für Israeliten“), die die Ringstraße zu einem „Jüdischen Boulevard“ machten (im Detail im Jüdischen Museum zu betrachten). Im Anhang des exzellenten Katalogs kann man sich in die Parzellenverkäufe vertiefen und die Majorität der jüdischen Namen wahrnehmen.
Historismus siegt über Moderne Im übrigen haben der Geist der Zeit und der Geschmack der Geldgeber sowie die herausragenden Fähigkeiten der beteiligten Architekten die Ringstraße zum „Experimentierfeld des Historismus“ gemacht, wie Kurator Andreas Nierhaus formuliert, und das durchaus mit Geschmack. Tatsächlich hat die „Moderne“ – wie Otto Wagners Postsparkasse – vergleichsweise wenig Raum erhalten und ganz weit weg vom geistigen Zentrum der Straße, das sich zwischen Universität und Oper erstreckte. Als Kaiser und Kaiserin zur Eröffnung fuhren, war daran noch gar nicht gedacht…
Vom Konzept zur Realität Dass all dies, was in Menschenköpfen gedacht wurde, umgesetzt werden konnte, war das Ergebnis der Anfangsjahre zwischen 1857 und 1865, und hier setzt die übrigens hervorragend gestaltete Ausstellung ein: Von all den alten Stadtplänen schreitet man zu den Konzepten (am Ende auch zu viel nicht Realisierten – so hat Adolf Loos seine ganz anderen Ringstraßen-Ideen niedergelegt), vom Abbruch der Mauer und der Dauerbaustelle über die Pläne und Modelle bis zu den fertigen Bauten, wobei besonders viele Fotografien Anschauliches bieten. Die „offen“ gehaltene Ausstellung, die keinen Weg vorgibt, sondern ermöglicht, fließend von einem Thema zum anderen zu gehen, sich auch im Kreis oder rückwärts zu bewegen, erweist sich als geradezu ideale Form für den Betrachter, sich hier in der Materialfülle zu bewegen (Ausstellungsarchitektur: MVD Austria).
Die Hermen vom Heinrichshof Nur wenig „Plastisches“ ist in der Ausstellung zu sehen, etwa ein Miniaturmodell des Denkmals, das Dominik von Fernkorn für die Reiterstatue des Erzherzogs Karl am Heldenplatz schuf. Darum nehmen die beiden „Hermen vom Heinrichshof“ einen besonderen Platz als optische Anziehungspunkte ein: Dieser „Heinrichshof“, gegenüber der Oper gelegen, von Theophil Hansen im italienischen Renaissancestil zum „schönsten Zinshaus der Welt“ gestaltet, fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Die Nachkriegszeit hatte nicht viel Verständnis für die Ringstraße – weder konnte man sich entschließen, den Bau in alter Form wieder zu errichten, noch den Platz (zu Gunsten des Opernhauses) frei zu halten: Die Scheußlichkeit des Opernringhofes ist die gegenwärtige Lösung, mit der die Ringstraße zu leben hat. („Unter dem Kaiser hätt’ es das nicht gegeben…“) Die beiden Hermen wurden beim Abriß in den fünfziger Jahren gerettet, kamen jüngst in das Wien Museum und stehen hier als stolze Repräsentanten einer Epoche, die man in Wien nach dieser Straße benannt hat: „die Ringstraßenzeit“.
Wien Museum:
Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstraße
Bis 4. Oktober 2015, Dienstag bis Sonntag & Feiertag, 10 bis 18 Uhr,
Katalog Residenzverlag 29 €