Opernfestspiele – Richard Strauss‘ „ARABELLA“ – Sängerisch top, regielich ??? – 3. Auff. am 14.07.2015
Premiere war am 06.07., die 2. Auff. am 11. wurde per Internet-Livestream in alle Welt gesendet, und nun die 3., in der sich seit der Generalprobe einiges zurecht geschliffen hat.
Zunächst das große WARUM:
Warum muss man gefühlvolle Stücke heutzutage mit aller Gewalt „entkitschen“?
Warum wird ausgerechnet die Arabella bei der schreibenden Gilde stets so herunter gewertet?
Warum bezeichnet man sie als „Operette“, bloß weil vereinzelt ein paar gesprochene Texte vorkommen?
Warum muss man sie (wie fast alles heutzutage) unbedingt zeitlich versetzen, obwohl dann viele ethisch-moralische Werte nicht mehr stimmen können?
- All dem zum Trotz – Arabella ist ein Meisterwerk, wie alles, was Richard Strauss komponiert hat – und ein wunderschönes noch dazu!
„Glanz und Elend der schönen Arabella“ titelte Verena Richter in der Welt am Sonntag bei der letzten Arabella-Produktion von Andreas Homoki 2001. Und was war das für ein elendes Machwerk. Von Glanz konnte nur sängerisch die Rede sein (Fleming, Brendel). So gesehen war man froher Erwartung vor der jetzigen Premiere, denn es konnte ja nur besser werden.
Und ist es das jetzt? Man hätte durchaus vom Filmregisseur Andreas Dresen mehr und möglicherweise Sinnvolleres erwarten können. Regisseur Dresen sagt: “Die Entstehungszeit der Oper (Zwischenkriegszeit) war eine extrem krasse Zeit. Da hatten wir die Weltwirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit und durchaus auch eine Phase, wo die Leute große Sehnsüchte nach Stabilität hatten. Das ist eine Titanic, die da untergeht. Und Arabella versucht, in letzter Sekunde von Bord zu kommen.”
Der Haupthaken bei der ganzen Zeitverschieberei ist, dass, sobald man diese Handlung zeitlich nach oben verschiebt, die ganze Geschichte nicht mehr stimmig ist. Denn der Haupt- und Angelpunkt ist doch Adelaides Aussage: Wir sind nicht reich genug, in dieser Stadt zwei Mädchen standeswürdig auszuführen. Deshalb wird Zdenka, Arabellas kleine Schwester, als Bub verkleidet. Durch diese Maskerade entstehen erst die ganzen Verirrungen und Verwirrungen. Sonst könnte Arabellas Geschichte möglicherweise ganz anders verlaufen.
Der „Ball“
Das Haupt-Plus ist das Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau – schlicht und sehr funktionell. Eine große Treppenkonstruktion auf der Drehbühne, im 1. Akt quasi unter der Treppe das Hotelzimmer der Waldners, im 2. eine große Freitreppe mit Verzweigungen nach oben, auf und unter der sich das unterschiedliche Treiben abspielt (inklusive orgiastischer Einsprengsel, die vom Parkett aus weit weniger ins Auge fallen als bei An- und Einsicht von oben). Zum Schluss nur noch ein riesiger, gekreuzter Treppenaufgang, sonst nichts – großartig. - Nichts Unnötiges (oder Guckkastenmäßiges) lenkt also von der Handlung ab. Nun hat aber Dresen die Handlung in die 20er-30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts verschoben, sodass die Geschichte mit der standeswürdigen Ausstaffierung und Präsentation einfach nicht mehr funktionieren kann. Von standeswürdig keine Rede bei dem Schmuddelball, zu dem doch niemand zur Brautschau gehen würde, eher zur Triebbefriedung. Der arme Mandryka muss sich ja denken, wo bin ich denn da hinein geraten – und schon ist die ganze Geschichte kaputt. Dazu hatte der Regisseur den „Geistesblitz“, man könne doch mal wieder ein paar Uniformen einbauen (hatten wir länger nicht mehr…), sogar die Fiakermilli hat man in eine Pseudouniform gesteckt, derer sie sich allmählich entledigt…
Die Kostüme von Sabine Greunig zeigen die entsprechende Mode jener Zeit mit dazu passenden Frisuren. So hat man der Harteros ihre herrliche Naturhaarpracht in eine mittellange Wuschelfrisur dressiert. Ihr „Gala-Gewand“ auf dem Ball entlockt einem hier kein „Aaaah“, ist aber dem gewählten Zeitgeist angepasst. Interessant, dass das Oberteil ihres schulterfreien Kleides in der Bühnenbeleuchtung sehr schick dunkelblau erscheint, erst vor dem Vorhang erkennt man, dass es schwarz ist… Die Herren dagegen schauen in ihren schwarzen Smokings alle ziemlich fesch aus.
Was bei der Generalprobe personenführungsmäßig zum großen Teil noch unglaubwürdig erschien, hat sich gottlob schon bis zur 3. Aufführung etwas beigeschliffen. Speziell das Verhältnis zwischen Arabella und Mandryka hat sich, dank der beiden Hauptdarsteller, nun gelockert und ist damit glaubhafter geworden. Dresens verkündete Idee, Arabella habe sich Mandryka ja nur als Werkzeug ausgesucht, um aus den tristen Familienverhältnissen endlich raus zu kommen, wird durch die beiden Sänger nun erfreulicherweise doch der Urgeschichte wieder näher gebracht. Nun sieht man wieder etwas von der gegenseitigen Faszination und Anziehung, ja vielleicht doch auch Liebe…. (ein bisschen Romantik darf schon sein).
Als großes Geheimnis galt Dresens Final-„Gag“, denn ein solcher ist das wohl: Wenn Arabella mit dem Glas Wasser Mandryka entgegentritt, schüttet sie ihm das Wasser ins Gesicht (huch!), um dann nach dem letzten Wortgeplänkel einen kichernden Abgang zu machen, ein Wettrennen mit Mandryka die Treppen hinauf, wo sie ihn auf halber Höhe schließlich ausbremst.
Sängerisch gab’s kaum etwas zu mäkeln, da hatte man wieder „the best of…“: Anja Harteros, mit großem, rundem Sopran und der nötigen Raffinesse für Strauss‘ herrliche Arabella-Gesänge. Hanna-Elisabeth Müller als überzeugende, berührende Zdenka – dass man lernen muss, auf das Höhen-Silber à la Rothenberger, Güden oder Popp zu verzichten, damit muss man sich heutzutage wohl abfinden. Eir Inderhaug ist ein rechtes Extrem-Zwitschervögerl als Fiakermilli (plus sportlicher Einlage mit Hilfe Mandrykas). Eine Bombentype mit immer noch „pomförtionösem“ Stimmmaterial gab Doris Soffel als Frau Gräfin Mutter. Heike Grötzinger ergänzte das weibliche Ensemble als flott gekleidete Kartenaufschlägerin.
Mandryka! Eine der schwersten und anspruchsvollsten Bariton-Partien schlechthin. Einen Riesentonumfang von tiefer Tiefe bis zu diversen Höhenflügen muss der Interpret beherrschen und dazu ein Riesenvolumen (je nach Dirigent). Und da hatten die Münchner wieder ein Glück: Nach Dietrich Fischer-Dieskau (mit Lisa della Casa und Julia Varady) und Wolfgang Brendel (mit Lucia Popp und René Fleming) haben wir in Thomas J. Mayer wieder einen ganz vortrefflichen Rollenvertreter. Mayer, der hier ja schon einige Wotane gesungen hat, ist ein Glücksfall für diese Rolle. Er schaut super aus und hat einen großen, sehr virilen Bariton, der alle Hürden ohne erkennbare Mühen meistert.
Die weiteren feschen Herrn: Zdenkas angehimmelter Matteo mit seinen „gemeinen“ Höhenflügen wird von Joseph Kaiser (je nach Abendverfassung) recht gut bewältigt. Von den drei Grafen und Verehrern Arabellas ist einer attraktiver als der andere; allen voran Dean Power als Elemer. Der große, schlanke Ire sang den Grafen weitaus kultivierter als meist üblich, und mit sicheren Höhen, da grüßt doch schon der zukünftige Matteo. Als Graf Dominik schien der baritonös bestens ausgestattete Andrea Borghini einen Mordsspaß mit Mutter Adelaide zu haben (und sie mit ihm!). Steven Humes als Lamoral komplettierte das attraktive Trio mit samtigen Basstönen. – Kurt Rydl als Graf Waldner ist zwar ein Supertyp, aber leider der einzige stimmliche Problemfall. Für diese Rolle hätte man sehr gut eine Hausbesetzung einsetzen können, denn Rydls übermäßig langes Tremolo war immer ein Problem und ist es nun in fortgeschrittenem Alter natürlich erst recht.
Der Chor der Bay. STO erfüllte seine hier wenig anspruchsvollen Pflichten. Das Staatsorchester und Richard Strauss – das passt. Allerdings kann ich die ungebremste Begeisterung mancher Rezensenten über Dirigent Philippe Jordan nicht so ganz teilen. Orchestral funktioniert’s ja, auch hat er inzwischen gelernt, sich mehr um die Sänger zu kümmern. Schlüsselstellen werden trotzdem nicht immer gebührend mit den Sängern zusammen eratmet. (Gerade bei den ach so herrlichen Schlüsselstellen – Mandryka, Arabella, Zdenka – sollte der Dirigent diese Phrasen dem jeweiligen Sänger geradezu „in den Mund streichen“, wie es Sawallisch seinerzeit so erfolgreich tat.). Bei den ganzen Mandryka-Szenen, die natürlich mit großem „Apparat“ unterlegt sind, könnte der Dirigent mit etwas Fingerspitzengefühl den Interpreten durchaus unterstützen. Auch die Tempi sind z. T. recht unausgeglichen, manche Stellen zu hastig, andere wiederum bis zum Gehtsnichtmehr zerdehnt, was in beiden Fällen schon mal zu leichten Irritationen bei der Sängerschaft führt.
Ja, München hat eine neue Arabella – wir werden (vielleicht) lernen, sie zu lieben.
Homokis Version ist tot! Es lebe – nein nicht Dresens – sondern das, was die jeweiligen Sänger in der höhst gelungenen Szenerie Fischer-Dieskaus daraus machen (werden).
D. Zweipfennig
Fotos © W. Hösl / Fotogalerie > https://www.staatsoper.de/mediathek.html