Kaiserslautern / Pfalztheater: „HALKA” – DIE LETZTE VORSTELLUNG – 18.7.2015
Jontek (Alexander Geller) versucht Halka (Arlette Meißner) auf den Boden der Realität zurückzuholen. Foto: Hans-Jürgen Brehm-Seufer
Trotz der sehr ansprechenden Musik Stanislaw Moniuszkos mit ihrer enormen Melodienvielfalt und der realitätsnahen Handlung, die an die Opern des Verismo erinnert (Libretto: Wlodzimierz Wolski), wurde und wird „Halka“ im deutschsprachigen Raum nur selten aufgeführt. Moniuszko verband Einflüsse von Romantik, Belcanto und polnischer Folklore genial zu einer geschlossenen Gesamtheit mit Anklängen an Auber, Mendelssohn und Lortzing. Man meint sogar ein bisschen Weber und Wagner zu hören. In Polen gilt „Halka“ seit der Uraufführung ihrer vieraktigen Fassung (nach der ursprünglich zweiaktigen) 1858 am Warschauer Tetr Wielki als polnische Nationaloper und nach „Straszny Dwór“ („Das Gespensterschloss“) als Mussorgskys bekannteste und bedeutendste Oper.
Jetzt wurde „Halka“ am Pfalztheater Kaiserslautern von Michael Sturm in Szene gesetzt (Pr. 23.5.2015). Er wagte mit seiner Inszenierung, eigene Wege zu gehen, fernab der zurzeit üblichen mehr oder weniger passenden, „weltweit“ anzutreffenden und schon fast zum „Klischee“ gewordenen Inszenierungsmuster. Sturm hat menschliches Einzelschicksal und Gesellschaftskritik geschickt in eine, den traditionellen Vorstellungen von Theater und Oper entgegenkommende „Form“ gebracht, ohne die Aspekte moderner Inszenierungen zu vernachlässigen. Diese Verbindung von Tradition und Moderne kommt auch der Mentalität der Opernbesucher dieser Region sehr entgegen und bei ihnen an. Sie haben andere Vorstellungen von einem Opernbesuch als die Besucher der Opernhäuser in den großen Metropolen. Obwohl die Oper kaum bekannt ist, war die Vorstellung ausverkauft!
Am Pfalztheater versteht man sich auch auf die Einbeziehung guter Video-Einspielungen, mit denen die Bühnenbilder neuartig und lebendig gestaltet werden können. Bei „Halka“ empfängt den Besucher schon während der Ouvertüre der Blick auf eine schöne Berglandschaft der Hohen Tatra, an deren Fuß die Goralen, eine westslawische, ethnische Minderheit leben, in deren Dorf die Handlung spielt (auch wenn sie original nach Krakau um 1770 verlegt wurde). Die leibeigene Waise Halka und der Großgrundbesitzer Janusz finden nach einigem mehr oder weniger zaghaft auslotenden „Umkreisen“ sehr direkt in Liebe zueinander.
Danach kehrt Janusz (nicht sichtbar) in seine abgehobenen gesellschaftlichen Kreise zurück, die in ihrer eigenen Welt voller Prunk und Vergnügungen fernab ihrer Umgebung und ihrem Volk leben. Die reale Landschaft hängt jetzt als Ölbild im Goldrahmen an der Wand und 10 goldene Stühle, auf denen Janusz bei der Stuhlpolonaise Sophie, die Tochter Stolniks, eines Schlossherren und hohen Würdenträgers des Königs, als Braut gewinnt, sich mit ihr verlobt und Halka vergisst oder wenigstens verdrängt, deuten mit wenig Mitteln die glanzvoll starre Adelsgesellschaft und damit die stark kontrastierenden Gesellschaftsschichten an, aus denen die Dramatik der Handlung erwächst.
Die Damen feiern in farbig schönen Kleidern, die Herren in Frack oder Smoking (Bühne und Kostüme: Stefan Rieckhoff). Nur Janusz erscheint in seiner weißen (Uniform ?)Jacke weder vorteilhaft noch elegant und schon gar nicht verführerisch.
Im 2. Akt hängt die Stuckdecke symbolisch schräg herab. Halka kann sie fast an einer Ecke fassen, aber die Gesellschaft erreichen wird sie nie. Trotz des persönlichen Schicksals der Halka enthält die Handlung starke Gesellschaftskritik, die damals dem durch die Teilung Polens bedingten Unabhängigkeitsbestreben und Nationalbewusstsein der Polen Ausdruck verlieh. Ob nun aber unbedingt – wie hier im 3. Akt ziemlich unvermittelt mit „Drei-Etagen-Betten“ a la KZ – auf die Situation der polnischen Zwangsarbeiter in der NS-Zeit Bezug genommen werden muss, sei dahingestellt. Diese Tatsache ist ohnehin jedem Zuschauer auch ohne diesen „Wink mit dem Zaunpfahl“ bekannt. Man konnte diese „Bauten“ auf der sonst kargen Bühne allerdings auch als die beengten ärmlichen Lebensbedingungen der Bauern deuten, zumal die Übertitel (gewollt oder technisch bedingt) wegfielen und zum Teil sogar in der polnischen Original-Sprache, gesungen wurde.
Die Titelpartie wurde von Arlette Meißner sehr intensiv gestaltet. Ihr jugendlich dramatischer Sopran war dieser Partie durchaus gewachsen, auch wenn einige Vokalverfärbungen den Gesamteindruck leicht trübten. Sie gestaltete den Wandel der Halka von der einst Geliebten, dann Verstoßenen und Missachteten bis hin zu einer vor Liebe fast Wahnsinnigen, deren Liebe in Hass umschlägt, sehr glaubhaft und zu Mitgefühl anregend. Sie will die Kirche mit einer brennenden Fackel anzünden, um ihrem Geliebten und seiner Hochzeitsgesellschaft den Tod zu bringen, wird aber von dem nur von fern erklingenden Orgelspiel und religiösen Gesängen besänftigt – eine sehr geschickte Lösung. Halka stürzt sich schließlich nur selbst vom Felsen in den Tod, angedeutet durch das herabfallende Bild mit der Berglandschaft. Sie hatte sich in ihrer Liebe öfters wie eine Taube gefühlt und ahmte geschickt deren Flügelbewegungen nach. Nach ihrem Freitod erscheint eine große weiße Taube als Versöhnung – nun ja.
Sympathieträger des Abends war nicht nur wegen seiner Rolle der Tenor Alexander Geller als der Leibeigenen Jontek, der Halka schon lange liebt, mit ihr leidet und sie aus ihren sehnsuchtsvollen Träumen in die Realität zurückführen möchte. Mit seinem musikalischen Empfinden und seiner sehr gut geführten jugendlichen, schon leicht ins Heldenfach tendierenden Tenorstimme vollbrachte er eine ausgezeichnete, auch vom Publikum am meisten beachtete Leistung und wurde zu Recht dafür gefeiert.
Als Janusz wurde Bernd Valentin mit seinem hell-timbrierten Bariton und etwas schwacher Präsenz der Partie des Janusz nur bedingt gerecht. Ihm glaubte man eher die Feigheit, mit der er sich von Halka aus Rücksicht auf die Standesschranken zurückzog, als seine heimliche, immer noch starke Liebe trotz Standes-Raison zu ihr, die er regiegemäß durch seine zaghafte Armbewegung – gegenüber der ihren in sehnsuchtsvoll verlangender Liebe – symbolhaft zum Ausdruck brachte.
Seine ahnungslose Braut Sophie wurde von Jennifer Feinstein mit schöner Stimme – wenn auch leider ohne Textverständlichkeit – und mit, von der Regie vorgeschriebenen Gesten von Überheblichkeit und entsprechendem Mienenspiel glaubhaft realisiert, auch wenn letzteres im Widerspruch zu dem, eher Mitgefühl zum Ausdruck bringenden, Text stand.
Als ihr Vater, der hochangesehene Stolnik repräsentierte Alexis Wagner in „echter Contenance“ die „bessere Gesellschaft“ und beeindruckte durch szenische Präsenz und entsprechendes Spiel. Daniel Böhm hielt in seiner Rolle als dessen Verwalter Dziemba die Dorfbewohner mit, überdeutlich Gewalt androhenden, „Bewegungen“ in der Manier primitiver, zu Befugnissen gekommener, Menschen, wie sie für die NS-Zeit typisch waren, „in Schach“.
Der mit kräftigen Stimmen durchmischte Chor und Extrachor des Pfalztheaters (Einstudierung: Ulrich Nolte) agierte sehr spielfreudig und meisterte, was auf den Bühnen sehr selten geworden ist, als großer Chor auch die Tänze, Mazurka und Polonaise der Glanz- und Glamour-Gesellschaft und den Goralentanz der Dorfbewohner.
Das Orchester des Pfalztheaters musizierte unter der musikalischen Leitung von Rodrigo Tornilla sehr engagiert und zuverlässig, wenn auch streckenweise mit großer Lautstärke, wozu leider auch die gewöhnungsbedürftige grelle Akustik des Hauses, die von Sängern und Dirigenten ernst genommen werden sollte, beitrug.
Mit sehr schönem Ton und ohne akustische Probleme brachte die Solo-Cellistin Caroline Busser auf der Bühne (ein guter, optisch wirksamer Regieeinfall) das Seelenleben Halkas mit ihren Emotionen, starken Gefühle, Ohnmacht und Wehmut zum Ausdruck.
Im Zusammenwirken aller Beteiligten war es eine beeindruckende letzte Aufführung dieser außerhalb Polens (und Russlands) selten zu erlebenden Oper, die sich sehen und hören lassen konnte.
Ingrid Gerk