Berlin/Deutsche Oper: Gastspiel Béjart Ballet Lausanne, Premiere, 22.07.2015
Körper unter weißen Laken auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin. Nach und nach schälen sie sich aus den Tüchern, sprich: die Toten werden wieder lebendig. Aber wie! Lebendig gehalten werden auch die Werke des 2007 verstorbenen Ausnahme-Choreographen Maurice Béjart.
Béjart Ballet Lausanne, ballet for life, Foto Francette Levieux
Dafür sorgt Gil Roman, der Künstlerische Leiter des Béjart Ballet Lausanne, der seit 1979 selbst in dieser Compagnie getanzt hat und mit zahlreichen Preisen geehrt wurde. Auch eine Hauptrolle im „Ballet for Life“ hat er bei Uraufführung am 15. Dezember 1996 in Lausanne interpretiert. Ein Erfolgsstück ist es geworden mit 350 Aufführungen rund um den Globus und wird nun in Berlin präsentiert.
Hintergrund ist der frühe Tod des einstigen Startänzers Jorge Donn und des Sängers Freddie Mercury, beide mit 45 Jahren an Aids verstorben. Ein Stück über diese Krankheit ist es nicht und sollte es auch nicht sein, selbst wenn in einer Szene Menschen auf Liegen vom Krankenhauspersonal hin und her geschoben werden. Dazu aber – sozusagen als Antikörper – ein flottes, unbekümmertes Tanzpaar. Zuletzt tanzt selbst das Klinikpersonal. Das Leben geht weiter, so die Botschaft, Optimismus und Vitalität sind angesagt nach dem Motto: „The Show must go on“. Mit diesem Song endet nach 140 prallen Minuten dieser ungewöhnliche Ballettabend.
Einige der Interpreten haben schon unter Béjart getanzt und sind immer noch Klasse, so der athletische Julien Favreau (seit 1995), der den Freddie verkörpert, oder die biegsame Spanierin Elisabet Ros (seit 1997) im zu ihr passenden schwarzen Spitzenoutfit (Originalkostüme von Gianni Versace).
Kaum zu glauben, dass der unglaublich jung wirkende Kolumbianer Oscar Chacón als Jorge Donn-Nachfolger schon seit 2003 mit dabei ist, der Geschmeidigste und Ausdrucksstärkste von allen. Für sein wunderbares, verträumtes Mozart-Solo gibt’s den ersten Zwischenbeifall. Er und die fabelhafte Kathleen Thielheim begeistern zu „Get down make love“ auch mit ihrem Pas de deux.
Béjart Ballet Lausanne, ballet for life, Foto Francette Levieux
Alle übrigen machen ebenfalls einen prima Job, doch einige sind mir dennoch besonders aufgefallen, wie die charmant schlangenhafte Alanna Archibald, der gelenkige Javier Casado Suárez sowie die witzigen Herren Jiayong Sun und Denovane Victoire. Sie und alle anderen können ihre spezifischen Talente unter Beweis stellen.
Ansonsten hämmert der Beat, manchmal wird’s auch nett schmalzig – nein, ein Requiem ist das wirklich nicht, sondern die höchst lebendige Antwort einer auch mal großen Truppe. Wie viele sich in einer Art Kasten auf engstem Raum bewegen können, ist die Lachmuskeln reizend zu sehen. Mal scheint auch ein Tänzer waagerecht über den anderen im Raum zu schweben.
Ansonsten wird gewirbelt oder gehüpft, als stünden gerade gymnastische Übungen auf dem Plan. An solchen Teilen zeigt sich einerseits der (gewollte) Show-Charakter, andererseits aber auch der Lauf der Zeit. Denn was 1996 als Ballettdarbietung sicherlich ungewöhnlich war, findet sich heutzutage in jeder besseren TV-Show und hat damit den Charakter des Außergewöhnlichen eingebüßt. Béjarts Choreographien beim Gastspiel 2014 – der wilde erotische „Sacre du Printemps (1959) und das romantische „Ce que l’amour me dit“ (1974) – erwiesen sich als sehr viel zeitloser und wirkungsmächtiger als dieses jüngere „Ballet for Life“.
Wie heiß es vor rd. 20 Jahren herging, als Homosexualität noch ein Tabu war, zeigt ein Video mit Jorge Donn, seine wahrhaft umwerfende Interpretation von „I want to be free“. Da bleibt nur posthume Bewunderung und das Bedauern, diesen Tänzer nicht live erlebt zu haben. Dieses schmerzhafte „Ja“ zum eigenen Weg, diese Gegenwehr – das geht unter die Haut. Doch die Zeiten haben sich vielerorts geändert. Wer könnte das heute noch so tanzen?
Also gilt, wie schon erwähnt: „The Show must go on“. Das ist auch gut so und gefällt dem Publikum weltweit. Zuletzt tanzen Gil Roman und das ganze Ensemble ein bisschen à la „Chorus Line“ über die Bühne und ernten begeisterten Applaus.
So bleibt das diesjährige Gastspiel ein per saldo fröhlich-belebendes „Sommertanzfest“ auf hohem Niveau, passend zu diesem warmen Berliner Juliabend, an dem die Premiere zusammen mit den Tänzerinnen und Tänzern Grad auf der Opernterrasse noch bis Mitternacht gefeiert wurde.
Ursula Wiegand
Weitere Berliner Termine bis 26. Juli. Tickets u.a. bei der Deutschen Oper Berlin unter 0049-(0)30-34384343. – Anschließend gastiert das Béjart Ballet Lausanne in Köln vom 28.07.-02.08. sowie vom 05.-09.08. (U.W.)