Wiederentdeckung eines Komponisten in Bad Wildbad:
„Il vespro siciliano“ von Peter von Lindpaintner (Voraufführung: 23. 7. 2015)
Peter Joseph von Lindpaintner (1791 – 1856)
Zwölf Jahre vor Giuseppe Verdis Oper „I vespri siciliani“ (“Les vespres siciliennes”) vertonte der Stuttgarter Hofkapellmeister Peter Joseph von Lindpaintner den Stoff der Sizilianische Vesper. Unter diesem Begriff bezeichnet man die am 30. März 1282 (Ostermontag zum Zeitpunkt der Vesper) zunächst in Palermo auf Sizilien ausgebrochene Erhebung gegen die französische Herrschaft unter Karl I., die sich rasch über die ganze Insel ausbreitete und zur Vertreibung des Hauses Anjou aus Sizilien führte.
Peter Joseph von Lindpaintner (1791 in Koblenz geboren, 1856 in Nonnenhorn gestorben) studierte in München unter Peter von Winter und war von 1812 bis 1819 Musikdirektor am dortigen Isartortheater. Anschließend wirkte er bis zu seinem Tod 1856 als Hofkapellmeister in Stuttgart. Er schrieb 28 Opern, von denen die bekanntesten Der Bergkönig, Der Vampyr, Die Genueserin und Lichtenstein sind. Als Dirigenten schätzten ihn besonders Hector Berlioz und Felix Mendelssohn-Bartholdy (Zitat aus einem Brief: „Der Lindpaintner ist, glaub’ ich, jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland.“)
Die Revolutionsoper aus dem Vormärz, deren Libretto von Heribert Rau in zwei Sprachen (Deutsch und Italienisch, Übersetzung von Wilhelm Häser) vorliegt, und die nun beim Belcanto-Festival „Rossini in Wildbad“ in konzertanter Form und italienischer Sprache mit deutschen und italienischen Übertiteln (Reto Müller) aufgeführt wird (Premiere: 25. 7. 2015), wurde sogar zum Teil in Bad Wildbad komponiert!
Der italienische Dirigent Federico Longo ließ das Orchester Virtuosi Brunenses die vielschichtige, romantisch klingende Partitur sehr flott – um nicht zu sagen im „Rossini-Tempo“ – spielen. Da es sich um die Voraufführung handelte, sollte man dies nicht allzu kritisch sehen.
Eine stimmlich fast durchwegs exzellente Leistung bot das internationale Sängerensemble, wobei einige es schafften, ihre Rolle auch mimisch auszudrücken. Carlo d’ Anjou, der König von Neapel und Sizilien, wurde vom kroatischen Bariton Matija Meić mit herrschaftlichem Duktus gesungen und erhielt nach seinen Arien stets verdientermaßen Applaus. Seinen Gegenspieler, den sizilianischen Grafen Fondi, sang der italienische Tenor Danilo Formaggia, der seine Arien mit großer Leidenschaft wiedergab, doch hatte seine Stimme mehr Färbung zum Bariton als zum „Heldentenor“.
Die Gattin des Conte, in die auch der König verliebt war, wurde von der italienischen Sopranistin Silvia Dalla Benetta mit stimmlicher Souveränität und stolzer Haltung gegeben.
Ihre Zofe Celinda, vom Grafen dem König zum Schein als Gattin ausgegeben, wurde von der spanischen Sopranistin Sara Bañeras mit starkem Ausdruck gesungen. Die brasilianische Mezzosopranistin Ana Victoria Pitts war als Page des Conte in einer Hosenrolle im Einsatz, sang jedoch nicht in einem Hosenanzug, sondern in einem hübsches Kleid. Obwohl man in einer konzertanten Aufführung darüber hinwegsehen sollte, dennoch schade. In der Rolle des Albino trat sie mit Alphonse Drouet, dem Marquis de Laque, in Wettstreit um die Liebe zur Zofe Aurelia, die von der zarten spanischen Sopranistin Sara Blanch mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik gesungen wurde. Exzellent ihr Vortrag des französischen Lieds, mit dem sie den Kerkermeister becirct. Mit tenoralem Glanz versah der junge Venezolaner César Arrieta den französischen Marquis de Laque, der Aurelia zum Verrat überredet und dadurch ihre Liebe verliert.
Seinen prächtigen Bass lieh Dario Russo dem sizilianischen Edelmann Giovanni da Procida, der als Mönch verkleidet den Aufruhr gegen die Franzosen schürt und später Eleonora vor der Hinrichtung rettet. Mit seiner dunklen und mächtigen Stimme dominierte er den Schlussgesang. Aus dem großen Ensemble seien noch der argentinische Tenor Carlos Natale genannt, der mit strahlend heller Stimme den sizilianischen Edelmann Visconte Vernazzo und Guillaume l’Étendard, den Statthalter von Sizilien sang, der italienische Bariton Daniele Caputo als französischer Edelmann De Bellecour sowie der rumänische Tenor Gheorghe Vlad als Conte di Sanseverino. Gleich drei Rollen – den französischen Edelmann Conte di Marche, den sizilianischen Edelmann Francesco Ruffo und den Kerkermeister – hatte der australische Bass Damian Whiteley übernommen, wobei er als Kerkermeister sein komisches Talent am Pult ausspielte.
Von hoher stimmlicher Qualität zeigte sich der Camerata Bach Chor Posen – elf Herren, elf Damen –, der seit dem Jahr 2010 der Festival-Chor ist und auch heuer wieder durch seine enorme Stimmkraft zu brillieren wusste (Leitung: Ania Michalak). Am Ende der knapp vierstündigen Vorstellung lang anhaltender Schlussapplaus des begeisterten Publikums mit Bravo-Rufen für die Sänger Matija Meić, César Arrieta, Carlos Natale und Dario Russo, Brava-Rufen für die Sängerinnen Silvia Dalla Benetta, Sara Blanch und Ana Victoria Pitts sowie Bravi-Rufen für den Chor.
Dass diese große heroische Oper in vier Akten von Peter Joseph von Lindpaintner, die ihre Uraufführung 1843 in Stuttgart hatte, inzwischen in völlige Vergessenheit geraten ist, mag auch ihre Ursache darin haben, dass man ein großes Sängerensemble benötigt, um dieses interessante Werk szenisch aufzuführen.
Udo Pacolt