Tiroler Festspiele Erl, Die Walküre, 31. Juli 2015
1. Akt /Hundings Stube. Copyright Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice / Xiomara Bender
Bei der sogenannten Todesverkündigung schien der Faden gerissen, extrem langsam nahm Gustav Kuhn diese Szene und der große Bogen, den er mit seinem Festspielorchester bislang so perfekt aufbauen konnten, kam abhanden. Aber nur kurzfristig, denn spätestens beim Walkürenritt bewies der spiritusmentor der Tiroler Festspiele Erl, dass dieser “Ring” zu Recht vom Publikum gestürmt wird. Wie er hier die acht Walkürenstimmen mit der üppigen Orchesterpracht vereinigte, das war große Klasse. Aber auch die szenische Umsetzung stimmte in dieser Szene perfekt, nur statt den Pferden (die Ebbser Haflinger konnten in Pause 2 vor dem Haus gestreichelt werden) mussten die Wunschmädchen mit Fahrrädern vorlieb nehmen. Noch nie verstand ich ihre Reaktionen auf die Ansinnen ihrer Schwester Brünnhilde und des Göttervaters Wotan besser, als an diesem Abend – choreographische Spitzenklasse!
Aber beginnen wir von vorne, oder noch besser blenden wir auf den ersten Tag und das Vorspiel zurück, denn da hatte es geharnischte Proteste gegen die Übertitelanlage gegeben, die in englischer Sprache gehalten war. An sich eine brillante Idee bei dem immens hohen Anteil der Besucher aus Großbritannien, USA und Australien. Außerdem bin ich der Meinung, dass so wortdeutlich gesungen wird, dass dieses vermeintliche Manko in Wirklichkeit keines ist. Aber man kann es ja nicht allen Recht machen, daher gibt es im Jahr 2016 (es wird ein kompletter Zyklus gespielt) die Einblendungen auf englisch UND deutsch!
Noch ein Kommentar zu einem Teil des Publikums: Wenn bei Erscheinen des Dirigenten VOR den ersten Takten ein “Bravo Maestro” von den teuersten Plätzen gebrüllt wird, nur um Aufsehen zu erregen – und das auch noch Anklang findet -dann stört mich das mindestens genauso wie etwaige Buhs beim Schlussvorhang. Aber wie gesagt, nur meine persönliche Meinung!
Originell: Die Walküren auf Fahrrädern. Copyright Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice / Xiomara Bender
Kommen wir endlich zu Wagners Walküre, deren erster Akt offensichtlich in Tirol spielt, nämlich in einer ländliche Bauernstube, wie sie in jedem zweiten Gasthaus hier zu sehen ist. Hunding ist ein Motorradpolizist und der Macho mokiert sich sogar daran, dass ihm Sieglinde im Wege steht, wenn er beim Abendessen Fernsehen möchte. Seinen Nebenbuhler Siegmund erschießt er am Ende des zweiten Aktes bei einer Art Familienaufstellung mit seiner Dienstpistole, das Schwert Nothung bleibt in Siegmunds Händen unversehrt und kehrt in Akt 3 in Scherben in den Händen Brünnhildes auf die Bühne zurück. Man sieht, auch beim sonst so librettotreuen Kuhn ist nicht alles logisch! Raphael Sigling gibt diesem Hunding mit kräftigem, schwarzem Bass genügend eigenes Profil. Als Siegmund humpelt Andrew Sritheran (ein junger gebürtiger Neuseeländer) über die Bühne, die Stimme sitzt zwar richtig, aber sein abgedunkelter Tenor (sehr Kaufmann-like) und das mangelnde Stimm-Volumen werden dem großen Haus nicht ganz adäquat. Schade, denn seine nette Art machte ihn zum absoluten Sympathieträger. So wirkte es dann aber doch seltsam, wenn Marianne Szivkova als seine Zwillingsschwester um zwei Köpfe kleiner ist, ihn aber mit Riesenröhre an die Wand singt. Ich glaube, ihren Namen muss man sich merken!
Und einen ebensolchen formatfüllenden Bassbariton besitzt Vladimir Baykov als Wotan. Herrliche Legato-Phrasierungen und dramatische Attacken mit Wohlklang gelingen ihm mit Leichtigkeit.Hermine Haselböcks Fricka wurde schon im Rheingold entsprechend gelobt, heute kam noch ihre tolle Körperbeherrschung dazu, denn mit solchen Stöckelschuhen und Plateausohlen in ihrem Leder-Biker-Outfit über die Würfel und Quader des zweiten Aktes zu schreiten, das hatte schon was. Zwiespältig blieb der Eindruck von Bettine Kampp, die bei den exponierten hohen Stellen der Brünnhilde an ihre Grenzen gelangte. Schade, denn mit ihrem jugendlichen Esprit war sie eher eine sexy Göre, die ihrem Vater das Leben schwer machte und meilenweit weg von den oft schwergewichtigen Brünnhilde-Heroinen. Besonders hervorgehoben sei Wotans Abschied, bei dem es Kampp und Baykov gelangen, eine der schönsten und berührendsten Stellen der Opernliteratur so zu gestalten, dass mir Tränen in den Augen standen. Das alles vor schwarzem Vorhang, nur mit persönlicher Rollengestaltung. Als dann der Vorhang zur Seite geschoben wurde und die sechs Harfinistinnen in wallenden rotgoldenen Gewändern das flammende Inferno musizierten, schien die Schwelle zum Kitsch beinahe erreicht.
Bleiben nur noch pauschal die Walküren zu loben, die mit außerordentlicher Spielfreude unterwegs waren und auch sängerisch keine Wünsche offen ließen: Susanne Geb, Martina Bortolotti, Leonora Del Rio, Veronika Farkas, Anna Lucia Nardi, Rita Lucia Schneider, Michela Bregantinund Alena Sautier. Großer Jubel für alle Mitwirkenden!
Ernst Kopica