WIEN / Theater in der Josefstadt:
VOR SONNENUNTERGANG von Gerhart Hauptmann
Premiere: 3. September 2015,
besucht wurde die Generalprobe
Alter Mann liebt junge Frau. Reicher alter Mann, um genau zu sein, denn von armen alten Männern, die bei jungen Frauen Chancen haben, hätte man noch nie gehört. Aber es ist hier zwischen zwei Menschen eine Beziehung reiner Liebe , die nicht gelebt werden darf – weil es der bösen Verwandtschaft nicht gefällt. Warum? Weniger aus moralischer Entrüstung als selbstverständlich des Geldes, des Erbes wegen. Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“ ist eine wahrlich gültige Familienaufstellung.
Es ist ein Stück für einen „großen alten Mann“, für einen Starschauspieler, wie es Werner Krauss bei der Uraufführung bei Max Reinhardt 1932 war, für Ernst Deutsch, der die Rolle faszinierend (im Stil eines biblischen Patriarchen) in den sechziger Jahren im Burgtheater gespielt hat, auch für Hans Albers (einst in der Verfilmung mit Annemarie Düringer). Im übrigen hat das Stück Schwächen – die Gestalt des jungen Mädchens ist absolut unzureichend ausgeführt, der letzte Akt vibriert vor Pathos, das nicht so leicht in den Griff zu bekommen ist.
Inszenierungen, in denen Regisseure nicht an das Stück, sondern nur an sich selbst denken, haben’s leicht: Regisseur Sebastian Hartmann (nicht mit des Burgtheaters unrühmlichem Direktor zu verwechseln) ließ 2003 im Burgtheater Hauptdarsteller Martin Schwab aus einem Hundenapf trinken, damit man auch begriff, wie hündisch ergeben er der jungen Frau ist (was übrigens gar nicht stimmt). Es war übles Theater, das man damals sah. Die Josefstadt macht es besser, viel besser.
Janusz Kica muss niemandem beweisen, dass er ein guter Regisseur ist, er zeigt es durch seine Arbeit. „Vor Sonnenuntergang“ spielt bei ihm in minimalistischer Ausstattung von Karin Fritz auf einer Drehbühne, mit dem nötigen spartanischen Mobiliar, in zeitlos heutigen Gewändern. Immerhin, niemand zieht ein Handy hervor – und es wird sehr viel geraucht. Allein das versetzt das Geschehen in Zeiten, die vergangen sind, an die man sich aber noch erinnert. Eines jedenfalls wird klar: Wo immer es um Geld geht, werden die Menschen zu Hyänen, man könnte „Vor Sonnenuntergang“ in jeder Zeit spielen, wenn man es nur richtig macht – wie in der Josefstadt.
Michael König (Fotos: Barbara Zeininger)
Da wird ganz klar, dass die echten oder zähneknirschenden Gesten von Respekt, die man einem alten Mann, der das Geld hat, entgegenbringt, sofort in brutale Aggression umschlagen, wenn die Pfründe gefährdet scheinen. Wie es um nichts anderes mehr gehen kann, als um die Sicherung des Erbes, wie man gar nicht auf die Idee kommt, dass alte Menschen noch ihr Lebensrecht haben können… und ihr Recht auf Liebe.
Sicher lässt Janusz Kica die Figuren um jenen Grad unterspielen, der nötig ist, um das, was an Hauptmann vielleicht altmodisch erscheint, abzustreifen. Man hat die gar nicht sehr liebe Familie des alten Geheimrats Clausen schon als Meute geifernder, übersteigerter, grotesker Karikaturen gesehen. Nichts davon hier – außer, dass der unliebsame Schwiegersohn Klamroth einmal Anstalten macht, seine Gattin am Esszimmertisch sexuell zu belästigen, wenn niemand in der Nähe ist, gibt es keinerlei Übersteigerungen oder Zuspitzungen, die der ganz schlichten, bodenverhafteten Glaubwürdigkeit dieser tragischen Geschichte schaden könnten.
Da ist die Tochter Bettina, die sich an den Vater klammert (Pauline Knof), eines jener Geschöpfe, die sich ihre Funktion auf Erden durch Dienen zu erringen hoffen (und in aller „Bescheidenheit“ ihren Lohn einfordern) – eine stille, starke Studie, nicht ohne bestrickende Details in ihrer scheinbaren Schlichtheit. Marina Senckel als Tochter Ottilie liefert das Porträt der Unentschlossenheit, bleibt aber ein wenig im Hintergrund, vielleicht, weil Martina Stilp als Schwiegertochter Paula bei ihrem Josefstadt-Einstand so stark ist: Gewiß, die Rolle bietet einiges an Rücksichtslosigkeit und Zynismus, aber das muss man einmal ohne allzu vordergründige Klischees so nachdrücklich, ja stellenweise fulminant hinknallen.
Das ist ja Stärke und Schwäche bei Hauptmann zugleich: Dass seine Figuren wie auf dem Reißbrett entworfen sind, jeder ein Typ, der für eine Aussage steht, aber natürlich dennoch stimmt – der Wissenschaftler-Sohn Wolfgang, dem Christian Nickel Schwäche und vergeblich versuchte Stärke gibt, der 20jährige Egmont, der einfach nur in seinem hedonistischen Dasein in Ruhe gelassen werden will, was man Alexander Absenger jede Sekunde glaubt, und der proletarische Schwiegersohn Erich Klamroth, den Raphael von Bargen geradezu dankenswert zurückgenommen spielt. Kica weiß schon, warum er die Darsteller nicht hochschaukelt, sondern eher zurücknimmt. Er bedient keine Groteske, mit der er falsche Lacher holen würde.
André Pohl und Pauline Knof / Christian Nickel und Martina Stilp
Marina Senckel und Alexander Absenger / Therese Lohner und Nikolaus Okonkwo
Auch die Gefährten des alten Geheimrats kommen aus dem Bilderbuch: Wunderbar, wie André Pohl den Professoren-Freund aus Cambridge Anteilnahme gibt, ohne zu triefen, wie Siegfried Walther als Familiendoktor missbilligend allem zusieht, was er da mit ansehen muss, besonders schön die Studie des gar nicht klischierten „alten Dieners“, den Alexander Waechter mit ganz eigener Intelligenz ausstattet. Matthias Franz Stein dient sich wieder und weiter in seiner Karriere mit der Nebenrolle eines vermutlich auch recht gescheiten Sekretärs hoch.
Neben der Familie gibt es noch die einigermaßen „bösen“ Anderen, wobei Nikolaus Okonkwo als Hanefeldt ganz vorzüglich ist (und man dennoch nicht versteht, warum die Rolle von einem farbigen Darsteller gespielt werden muss, der in diese Gesellschaft nicht passen kann – an Schauspielern ist kein Mangel in Wien, und politische Korrektheit kann man auch in einem Besetzungsbüro zu weit treiben).
Triefend und dabei so hintergründig wie im Kino ist Alexander Strobele als Pastor, der auf der falschen Seite steht, für eine schleimige Oberbürgermeisterin hat man Susanna Wiegand in genau das richtige geschmacklose Gewand gezwängt, und Therese Lohner schließlich als Mutter des jungen Mädchens, um das es letztendlich geht, spielt die schlichte Frau nicht zu schlicht.
Dieser Inken Peters hat Hauptmann eigentlich nicht den wahren Umriß gegeben, viele ihrer Motivationen bleiben so widersprüchlich wie unklar. Dass sie den alten Mann liebt, scheint festzustehen, was sonst noch in ihr steckt, ist Interpretationssache. Jedenfalls gibt Martina Ebm, die weder vom Typ noch vom Alter her ein junges oder gar „süßes“ Mädel ist, der Figur nicht nur durch ihre Hosenanzüge sehr viel Heutiges, lässt aber das ganz große Gefühl, das sie bewegen müsste, nicht wirklich spüren. (Wenn sie übrigens wirklich, wie in einem Interview verkündet, zur Beziehung alter Mann / junge Frau den „Tod in Venedig“ gelesen hat, hat sie das falsche Buch erwischt.)
Für den Geheimrat Clausen ist Michael König, der lange Zeit im Burgtheater heimisch war, eine sehr gute Besetzung. So sehen die 70jährigen heute aus, denen man glaubt, dass sie auf junge Frauen attraktiv wirken, darüber hinaus besitzt er, ohne große Gesten zu benötigen, sowohl die Ausstrahlung des großen Firmenchefs wie auch des Intellektuellen. Kein Blender, vielmehr noch einer aus einer Generation großer alter Männer, wie es sie früher gegeben hat. Freilich, der letzte Akt ist schwierig, wenn der Mann, dem die Familie das Glück nicht erlaubt, durch die Verfolgungen und vor allem die Niederträchtigkeiten in halben Wahnsinn umkippt. Da irrt er auch bei Kica mit wirrem Haar wie ein Lear über die tote Heide, da stirbt er bewusst, ist aber dann doch nur ein halbnacktes elendes Bündel Mensch, seiner Würde und seiner Existenz beraubt. Das könnte schrecklich schief gehen und ist hier einfach überzeugend.
Der alte Gerhart Hauptmann, der es auf unseren Bühnen nicht leicht hat und kaum mehr gespielt wird, hat in der Josefstadt diesmal großes Glück. Seine Geschichte vom Recht der Alten und der Gier der Jungen wird so erzählt, dass man sich ihr nicht entziehen kann.
Renate Wagner