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WIEN/ Staatsoper: LA TRAVIATA – Verdi ohne Emotionen

WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA — Verdi ohne Emotionen

Wiener Staatsoper
Giuseppe Verdi: „La traviata“

38. Aufführung in der Inszenierung von Jean-François Sivadier
9. September 2015
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Pavol Breslik, Irina Lungu. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Was schwärmte Maestro de Billy nicht vor der Première im Oktober 2011 von den Schönheiten in Verdis Partitur und den vielen pianissimi, welche es hör- und erfahrbar zu machen gelte! Und daß Natalie Dessay die Idealbesetzung der Violetta sei, geradeso, als bereite man eine Stagione-Produktion vor, welche nur Rücksicht zu nehmen habe auf die Sänger der Premièren-Serie.
Tempi passati. Heute wissen die Wiener Opernfreunde um die Bären, welche man ihnen damals aufband, und daß die immer aktuelle Geschichte der liebenden, aber scheiternden Außenseiterin derzeit in Wien nicht in adäquater Szene zu erleben ist. Es ist kein Geheimnis, daß Sänger hinter vorgehaltener Hand diese Produktion als „scheußlich“ bezeichnen und sich nur für eine Serie verpflichten lassen, damit ihre Auftritte in den curriculae Erwähnung finden.
Michael Schønwandt trat nach 14-jähriger Abwesenheit wieder ans Pult des Staatsopernorchesters. Schon nach dem Preludio war klar: Eine längere Abwesenheit wäre zu verschmerzen gewesen. So undifferenziert, dabei zu laut musizierten die Damen und Herren im Graben schon lange nicht mehr. Das durchwegs zu schnelle Tempo schien auch die Sänger überrascht zu haben. Verschleppte Choreinsätze (Brindisi, Floras Palast) waren den ganzen Abend hindurch selbst bei bestem Willen nicht zu überhören.
Die russische Sopranistin Irina Lungu stellte sich dem Wiener Publikum vor. Ihre Violetta klang schon im ersten Akt krank, mit scharfen, unfokussierten Höhen, unsauberen Koloraturen und Problemen in der Atemtechnik, welche sich den ganzen Abend über nicht legen wollten. Wann immer Verdi der Violetta Höhen abverlangte, wechselte Fr. Lungu plötzlich ins forte. Dazu gesellte sich ein Vibrato, das man für dieses Stadium einer Karriere nur als ungesund bezeichnen kann. Im Sinne des Komponisten erklangen nur das Duett „Dite alla giovine“, die nachfolgende Szene mit Alfredo und „Addio del passato“. „Tu m’ami, Alfredo“ gelang auch schauspielerisch überzeugend, sonst aber ließ Fr. Lungus Interpretation kalt. Für jemand, der die Partie der Violetta auf seiner Website als signature role anführt, war das selbst für ein Haus der zweiten Kategorie zuwenig — enthusiasmiertes Publikum hin oder her.
Der Tenor Pavol Breslik gab mit dieser Vorstellung sein Wiener Rollen-Debut als Alfredo. Auch ihm gelangen vor allem die piani-Stellen, derer es in der Partie noch viel mehr aufzuspüren gäbe. Mit teilweise spröder Stimme und viel zu sparsam eingesetztem Legato überlegte man den ganzen Abend, ob er als Edgardo oder Nemorino nicht besser besetzt wäre. Mit einem anderem Dirigenten lautete der Befund wohl anders.
Carlos Álvarez sang nach 1997 erstmals wieder Giorgio Germont in Wien; und das um eine Klasse besser als alle seine — oft jüngeren — Kollegen. Da erklang — obwohl die Karrierejahre auch an seiner Stimme nicht spurlos vorüberzogen — vieles in jener belcantesken Tradition, deren Niedergang wir heute offensichtlich beiwohnen. Selbst eine plötzlich auftretende Indisposition während seiner Arie wurde von ihm mit Routine und zur Verfügung stehender Stimmtechnik gemeistert.
Zoryana Kushpler sieht als Flora besser aus als sie singt, Aura Twarowska gibt als Annina die von ihr verlangten Stichworte, Gottseidank nicht mehr, und die Herren Jason Bridges (Gaston), Clemens Unterreiner (Baron Douphol), Il Hong (Marchese d’Obigny) und Dan Paul Dumitrescu (Doktor Grenvil) taten das, was man von ihnen als Comprimarii erwartete.
Vom Anspruch, das international erste Haus für Verdi zu sein, ist die Staatsoper derzeit allerdings weit entfernt. Und diese Erkenntnis schmerzt.
Thomas Prochazka
MERKEROnline

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