Berlin/ Philharmonie: Matthias Pintschers Dirigentendebüt bei den Berliner Philharmonikern, 13.09.2015
Matthias Pintscher, Renaud Capuçon, Berliner Philharmoniker, Foto Ioanna Taut
Von den Berliner Philharmonikern zum Dirigieren eingeladen zu werden, gleicht einem Ritterschlag. Selbst für Matthias Pintscher, Komponist und Dirigent in einer Person, der seit Jahren zahlreiche renommierte Orchester in aller Welt leitet.
Ein Auftragswerk der Berliner Philharmoniker, sein Violinkonzert „en sourdine“, wurde hier im Februar 2003 mit Frank Peter Zimmermann unter der Leitung von Peter Eötvös uraufgeführt. Pintscher, einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten, dirigiert nun als deutsche Erstaufführung ein weiteres Violinkonzert namens „mar’eh“.
Da der 44-Jährige als Dirigent Werke des 19. und 20. Jahrhunderts bevorzugt, beginnt er den Abend mit „Pelléas et Mélisande„. Nicht aber mit einem Akt aus der bekannten Oper von Claude Debussy (von 1902), sondern mit der „Suite op. 80″ von Gabriel Fauré, einem 1901 aufgeführtem Konzentrat seiner 1898 komponierten Schauspielmusik zum gleichnamigen Theaterstück von Maurice Maeterlinck. Der huldigte dem Symbolismus, der bald zur stilbildenden Bewegung wurde und sogar Arnold Schönberg und Jean Sibelius (jeweils 1905) zum musikalischen Tun veranlasste.
Pintscher wählt mit der Fauré-Variante sozusagen den Front Runner, arbeitet die Kontraste und das Tänzerische heraus, ohne jedoch zum geheimnisvollen Kern dieses Dreier-Dramas vorzudringen. Besonders schön spielen die Philharmoniker den bekannten „Ohrwurm“, die „Sicilienne“, die Fauré erst 1909 der Suite hinzufügte und ihr den Weg ebnete.
Pintschers „mar’eh für Violine und Orchester“ gleich danach klingt mitunter wie eine Fortsetzung von Fauré oder Debussy. Mar’eh, ein hebräisches Wort, bedeutet Antlitz oder schöne Erscheinung, und so füllen fast keine harten Dissonanzen den großen, vollbesetzten Saal, sondern eher Klanggebilde, die mich oft an Wassertropfen erinnern.
Animiert habe ihn, so Pintscher, das Geigenspiel von Julia Fischer, die ihrem Instrument ganz besondere Töne entlockt. Zusammen mit ihr und dem London Philharmonic Orchestra hat er dieses Werk im September 2011 beim Lucerne Festival uraufgeführt.
Den silbrigen Faden, der laut Pintscher von Anfang bis Ende alles verbinden soll, spinnt hier mit Körpereinsatz und spürbarer Hingabe der französische Stargeiger Renaud Capuçon auf seiner Guarneri del Gesù von 1737. (Interessanterweise spielte Julia Fischer früher ebenfalls eine Guarneri del Gesù, jedoch von 1728).
Oft nadelspitz-dünn bis ins Flageolett emporsteigend zieht er einen filigranen Bogen über das Orchester, in dem vor allem die Bläser eine führende Rolle innehaben. Die „Illusion einer großen, leichten, transparenten Masse“ zu schaffen, ist Pintschers erklärtes Ziel, und dank der Berliner Philharmoniker gelingt das. Den stärksten Beifall erhält zu Recht der fabelhafte Renaud Capuçon, den Pintscher glücklich umarmt.
Beide Kompositionen waren gut 20 Minuten lang (kurz), und mit solche „Piècen“ geht es weiter, wobei sich Schönberg mit seiner „Kammersymphonie Nr. 2″ es-Moll op. 38 jedoch 33 Jahre abquälte. Erst 1939, in Amerika im Exil, gelang ihm der 2. Satz, aber fern aller ehemaligen Zwölfton-Basteleien. Pintscher betont vor allem den rhythmischen Gehalt, und die Philharmoniker lassen die Contrabässe tanzen.
Zuletzt in Claude Debussys „La Mer“ tanzen Wellen und Wind, entfaltet sich der frühe Morgen über dem noch ruhigen Meer, das schließlich mit heftigen Turbulenzen seine Macht zeigt. Ein Lieblingsstück vieler Musikfans und Dirigenten. Damit können alle glänzen, wenn sie’s denn können, und daran besteht hier kein Zweifel. Die Berliner Philharmoniker bieten unter der nun temperamentvollen Leitung von Matthias Pintscher ein schillernd atlantisches Musikfest. Großer Jubel brandet danach durchs Haus.
Ursula Wiegand