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CHEMNITZ: LUCIA DI LAMMERMOOR

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Chemnitz: „LUCIA DI LAMMERMOOR“ – 11. 10.2015

Man kann es dem Chemnitzer Intendanten Christoph Dittrich nicht hoch genug anrechnen, den Opernspielplan vorrangig mit Werken zu bereichern, die nach 1945 nicht am Hause zu erleben waren. Mit Donizettis „Lucia di Lammermoor“ hat er sich nun einer weiteren Bringepflicht entledigt, obschon deren szenische Deutung weniger befriedigend ausfiel. Helen Malkowsky, die in Chemnitz mit der „Toten Stadt“ und „Paradise reloaded“ durchaus Gültiges vorzuweisen hatte, tendierte nach ihrem gleichfalls weniger geglückten „Don Carlos“ in puncto italienische Oper neuerlich zu eher anfechtbaren Lösungen.

Weil sich der tenorale Held, darin Verdis Troubadour Manrico ähnelnd, von Anbeginn als Vertreter einer, historisch gesehen, reaktionären Partei präsentiert, kratzt die Regie beträchtlich am Lack dieses Edelmannes, indem sie ihn als unbedachten Verlierertypen denunziert, der auf der Flucht vor den Ashtons ausgerechnet einem Spross dieser Familie, dem Kinde Lucia, wichtige Papiere anvertraut. Ein, bedenkt man die eventuellen Konsequenzen, wahrlich belächelnswertes Unterfangen, das nur Sinn macht, weil die Regisseurin gern ein dann auch die weiteren Szenen ohne Not betretendes Kind auf der Bühne haben möchte. Immerhin erhebt sich dadurch der Verdacht, Edgardo suche Jahre darauf nur deshalb die Nähe Lucias, um wieder in Besitz dieser ominösen Dokumente zu gelangen. Ein windiger Schachzug dieses Mannes demnach, der lediglich aus verletzter Eitelkeit zur Hochzeitsfeier bei den Ashtons auftaucht und nicht einmal in der Lage ist, sich mit der Waffe in der Hand den Weg durch die ihn Bedrängenden zu bahnen, vielmehr vom Sicherheitsdienst überwältigt und eingekerkert wird. Unlogischerweise lässt man ihm das Leben, freilich wäre die Oper ansonsten zu Ende. Mithin kann sich Ashton auch den Ritt zum gewitterumtosten Turm von Wolferag, dem unkomfortablen Wohnsitz Edgardos, ersparen, braucht er sich doch nur in den Keller seines Anwesens zu begeben, wo er dem dort gleich Florestan Angeketteten freundlicherweise ein Duell vorschlägt. Pizarro wäre da viel rascher zur Sache gekommen. Freilich wird diese Kette noch benötigt, damit sich die vom Wahn besessene Lucia selbst in Fesseln legt, was sie allerdings nicht daran hindert, den ihr mittlerweile völlig verhassten Bruder zu meucheln. Achtung – der mörderische Stahl wird noch benötigt, eine Tatsache, die der zwiegesichtige Raimondo sehergleich vorausahnt. Schwant ihm vielleicht, wie leichtfertig unbewaffnet der unbedarfte Edgardo zum Zweikampf eilt und dabei fast über das blutgetränkte Hemd Bucklaws stolpert, das sich wie von Zauberhand auf den Gottesacker derer von Ravenswood verirrt hat. Nicht einmal für seinen Suizid hat der Törichte Vorsorge getroffen und würde gewiss nicht zu seinem „verklärten Engel“ emporschweben, hätte nicht der allwissende Bidibent mit eben jenem fürsorglich an sich genommenen Mordinstrument bewerkstelligt, dass sich der Vorhang über einer weiteren Leiche senken darf. Als getreuer Diener eines noch ungewissen neuen Herren versäumt er zudem nicht, das blutbefleckte corpus delicti mit einem Tuch gründlich zu säubern und der Tasche seines unterdessen korrekt zugeknöpften Mantels (Ordnung muss sein!) einzuverleiben. Dergleichen Kopfschütteln veranlassende Regieeinfälle gäbe es noch eine Menge zu nennen (erwähnt seien nur noch die dümmliche Umkleideaktion des armen Bucklaw, die lediglich dazu dient, die Figur klein zu machen, oder der bei allem Effekt größtenteils überflüssige Einsatz der Hydraulik, für den die Bühnenbildnerin Kathrin-Susann Brose verantwortlich zeichnet). Der von Nikolaus Müller gründlich vorbereitete Chor kam in den Kostümentwürfen von Alexandra Tivig einer gesichtslosen grauen Masse gleich.

Leider reiften bezüglich der musikalischen Seite der Aufführung gleichfalls nicht alle Blütenträume. Das lag weniger an der von Felix Bender umsichtig und mit dem rechten Gespür für Donizettis Vorgaben geleiteten Robert-Schumann-Philharmonie mit den lobenswerten Soli von Heike Scheibe (Harfe) und Philipp Alexander Marguerre (das die Glasharmonika ersetzende Verrophon) als an der unglücklichen Tagesform des russischen Tenors Artjom Korotkow (Edgardo), der gut beraten gewesen wäre, sich ansagen zu lassen. Wirkte die Stimme bereits während des Duettes mit Lucia (1. Akt) einigermaßen unausgeglichen, bewältigte sie die erheblichen Anforderungen des Finales nur noch mit einem arg gepressten Forte und einem unorganisch gehauchten, weil der erforderlichen Stütze entbehrendem Piano. Schade, weil der darstellerisch begabte Sänger durchaus über das für diese Partie nötige Material zu verfügen scheint. Im Vollbesitz seines voluminösen, bestens geschulten Organs, das allenfalls in Richtung Noblesse noch eines geringfügigen Feinschliffs bedarf, stellte der Usbeke Alik Abdukajumow einen Enrico Ashton von echtem Schrot und Korn auf die Bretter. Da blieben kaum Wünsche offen. Pawel Kudinow, ein Landsmann Korotkows, gefiel als Raimondo Bidibent mit seinem klangschön eingesetzten seriösen Bass, der in der Tiefe ohne Zweifel noch einige Reserven ausloten könnte. Bleibt die Lucia der Rumänin Valentina Farcas, die, ein weggebrochener Spitzenton in der Wahnsinnsszene sei ihr verziehen, über alle Voraussetzungen für diesen extremen Part gebietet, dem damit verbundenen Schwierigkeitsgrad blendend gerecht wird und dennoch jenes gewisse Quäntchen an Emotion vermissen ließ, die das Herz des Rezensenten erwärmt und berührt. André Riemer (Arturo Bucklaw) mangelt es an der nötigen Italianità für diese Aufgabe. Solide Leistungen erbrachten Cordelia Katharina Weil (Alisa) und der den hinterfotzigen Normanno genüsslich auskostende Edward Randall.

Joachim Weise

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